Ansichten eines Regenwurms

Mit dem Regenwurm ist es so eine Sache. Meist nimmt ihn keiner wahr und ernst nehmen tut ihn kaum jemand. Und doch: meist ist er da und oft auch wichtig. Ein eigenes Leben hat er allemal, wenn auch überwiegend unter der Erde - da wühlt und gräbt er sich durch alles durch und kommt mit allem in Kontakt, was es da so gibt im Wurzelbereich und drunterhinaus. Was dahin gerät - und das meiste kommt früher oder später mal da an - betrifft ihn und seine Freunde. Ab und zu kommt Rupert (so der Name des Regenwurms) an die Erdoberfläche, um zu sehen, was die da oben schon wieder alles treiben. Und gibt Kunde davon seinen staunenden Kumpels im Erdreich und jenen über der Erde, die sich für ihn interessieren.

Ding Dong! Monsanto ist tot

Jubel, Trubel, Heiterkeit! Monsanto will in Europa vorerst nicht mehr die Zulassung gentechnisch veränderter Pflanzen beantragen. Da freuen sich die Leute sehr. Für den Wurm ist das schwer nachvollziehbar, zumal es nicht bekannt ist, dass Gentechnik irgend einem Lebewesen im Erdreich schon geschadet hätte. Anders sieht es aus bei Einsatz von Pestiziden oder dem Anbau von Monokulturen. Das finden wir von da unten gar nicht gut – das wird zusammen mit dem Thema Hybridsaatgut gerne im gleichen Atemzug mit der Gentechnik genannt. Hat damit aber nichts zu tun.

Uns im Erdreich erstaunt die ganze Hysterie wg. der Gentechnik. Schließlich wird etwa Insulin zum größten Teil durch gentechnisch veränderte Organismen gewonnen, Labaustauschstoffe sind sehr hilfreich bei der Käseproduktion und Millionen Tonnen von Gensoja und Genmais werden jährlich in die EU eingeführt. Während der Verzehr gentechnisch veränderter Pflanzen meines Wissens noch niemandem geschadet hat, schaden sich die Menschen selbst und wissen das: durch alkoholische Getränke, durch Nikotin und weitere Drogen, durch zu viel Fett, zu viel Zucker, durch sehr billige Lebensmittel, gespritzte Gifte auf die Pflanzen, massivem Einsatz von Medikamenten für Schlachttiere. Für besseres Aussehen und bessere Haltbarkeit wurden einigen Pflanzen (etwa Tomaten) der Geschmack ausgetrieben. Es wird ein sagenhafter Aufwand mit einem kolossalen Energieeinsatz betrieben, um Lebensmittel und Blumen von einem Ende der Welt zum anderen zu bringen. Über solche Sachen regen sich nur wenige auf.

Oh, wie schön ist Pakistan

Ein europäischer Regenwurm hat sich an den Gedanken gewöhnt, alle Würmer, alle Menschen, überhaupt alle Geschöpfe, sind Teil eines Ganzen. Es gibt zwar welche, die vor sich hin wursteln oder sich alleine durch das Erdreich wühlen; aber im Grunde sollte alles so eingerichtet sein, dass jeder etwas an die große Organisation gibt (bei den Menschen heisst das „Staat“) und dieser Staat dann dafür sorgt, dass jeder nach seinen Fähigkeiten und Möglichkeiten leben kann. Das klappt mal besser, mal schlechter. Aber halbwegs klappt es.

Das klappt aber auch nur in solchen Ländern, in denen überhaupt der Wille da ist, dass alles zusammen gehört, dass in der Not die große Gemeinschaft für den Einzelnen da ist. Nicht funktionieren wird das da, wo alles in kleinen Einheiten geregelt wird, bei den Menschen heisst das „Familie“. Nichts gegen eine Familie, schließlich stehen dem Wurm seine Mit-Würmer auch näher als andere Wesen. Aber Familie heisst oftmals, dass es eine Hierarchie gibt: Es zählen nicht die besseren Argumente, sondern die Hierarchie innerhalb der Familie: Der Vater hat oft das alleinige Sagen (egal, ob das Gesagte gut oder schlecht ist), der ältere Bruder hat mehr zu sagen als der jüngere Bruder, die ältere Schwester mehr als die jüngere Schwester. Dass so etwas wie „Demokratie“ in solchen Ländern schlecht existieren kann, wird keinen überraschen. Das hat aber auch die Folge, dass sich die Familie hauptsächlich für sich selbst interessiert und wenig bis gar nicht für den Staat. Und der Staat sich auch nur um sich selbst kümmert bzw. um diejenigen, die das Sagen haben. Also die Reichen.

Wie es in so einem Land zugeht, beschreibt sehr schön Hasnain Kazim in seiner Kolumne „Chai Time“ auf „Spiegel online“. Seine Eltern stammen aus Indien und Pakistan und er selbst ist geboren und aufgewachsen in der Nähe von Hamburg. Mittlerweile ist er Korrespondent und lebt in Islamabad, der Hauptstadt Pakistans. Wenn er ein Wurm wäre, wäre er ein Zwitter. Auf jeden Fall hat das den Vorteil, dass er beide Sichtweisen kennt und beides beurteilen kann. Wer wissen will, wie die Leute in Pakistan (und in den meisten Familien-gesteuerten Ländern der Welt) denken und fühlen und warum sie so handeln, wie sie es tun, ist bei Hasnain Kazim bestens aufgehoben.

Rosa stinkt

Über Geschmäcke und Farben kann man eigentlich nicht streiten. Rein ästhetisch betrachtet, liebt ein Regenwurm kräftige Farben. Blasse Farben haben für ihn praktisch betrachtet aber auch einen Wert: Sie sind nämlich das Signal, dass die einstmals kräftige Pflanze dazu bereit ist, gefressen zu werden. Sie sind die Farben des Endes, der Müdigkeit, der Schwäche.

Eine besondere blasse Farbe ist rosa. Große Aufregung, nachdem in Berlin das „Barbie Dreamhouse“ eröffnet wurde: Presse, Demonstranten und eine Halbnackte von „Femen“ waren da. Weil Barbie und rosa angeblich nicht gut seien für Mädchen. Barbie gibt es schon seit 50 Jahren und seither gehört auch rosa irgendwie zu ihr.

Der Berg ruft

Im Erdreich ist manchmal so ein Gewimmel und Gewusel, dass wurm sich manchmal wünscht, etwas mehr Ruhe zu haben. Etwa da, wo Tausendfüßler und Borkenkäfer sich „Gute Nacht“ sagen. Oder noch besser an einem Ort, an dem es noch nicht mal solche Viecher gibt. Da, wo ein Wurm noch ein Wurm ist und zu Hause erzählen kann, dass er dort gewesen ist: am Mount Everest.

Nun hört wurm, dass es genau dort zu einer Schlägerei zwischen Sherpas und Bergsteigern gekommen ist. Eigentlich nicht erwähnenswert. Das war ungefähr so, wie wenn in hiesigen Breiten die Autobahn gesperrt wird, die Bauarbeiter bei der Arbeit sind und plötzlich Motorradfahrer auftauchen, die sich nicht um die Absperrungen kümmern und munter zwischen den Arbeitern durchfahren. Für die Arbeiter besteht zwar keine Gefahr, aber sie regen sich auf und bringen das zum Ausdruck. Darüber regen sich die Motorradfahrer auf und es kommt zu hitzigen Wortgefechten. Später kommt der ganze Bauarbeiter-Trupp zum Lager der Motorradfahrer und vermöbelt die mal so richtig. Zurück zum Mount Everest. Alle sind zufrieden. Die Sherpas haben den Bergsteigern Respekt beigebracht und die Bergsteiger können das jetzt überall rum erzählen, was ja gut fürs Geschäft ist.