2000 Jahre Verleumdung

Diese Woche endet die Ausstellung „Nero -Kaiser, Künstler und Tyrann“ in Trier mit über 250.000 Besuchern. 

Was unter Historikern seit Jahrzehnten unumstritten ist, wird auch hier in der Ausstellung deutlich gemacht: weder hatte Nero etwas mit dem Brand von Rom zu tun noch gab es unter ihm eine Christen-Verfolgung.

Durch die Trierer Ausstellung und die breite Berichterstattung in den Medien wird der durch massive Propaganda bei vielen noch vorhandene „Nero im Kopf“ korrigiert. Und es besteht die Möglichkeit, Nero Gerechtigkeit widerfahren zu lassen.

 

 

Die Ausstellung

 

http://www.nero-ausstellung.de/startseite/

Kaum einer der Berichterstatter der Ausstellung kann alle bisherigen Verleumdungen abschütteln; aber es wird zumindest der Versuch unternommen, die Widersprüche der bisherigen Propaganda aufzuzeigen.

„Drei große Museen in Trier widmen sich mit der Ausstellung "NERO – Kaiser, Künstler und Tyrann" einem der schillerndsten und zugleich umstrittensten Herrscher der Zeitgeschichte. Im Rheinischen Landesmuseum Trier geben archäologischen Objekte von 37 nationalen und 54 internationalen Leihgebern aus 15 Ländern Aufschluss über die Wahrheit hinter dem Klischee des verrückten Tyrannen und lassen ihn im Lichte neuerer Forschungen erscheinen.

Das Bild Neros als größenwahnsinniger Tyrann stammt vor allem aus der Feder antiker Autoren und christlicher Geschichtsschreiber, die Nero sehr kritisch gegenüber standen. Unter Einbeziehung der aktuellsten Forschungsergebnisse wird das Bild von Kaiser Nero aber neu gezeichnet: Von seinen Anfängen als engagierter Kaiser, der beim Volk sehr beliebt war, über das Zerwürfnis mit seiner machthungrigen Mutter Agrippina, die er ermorden ließ, bis hin zu seinen letzten Tagen als "Künstler-Kaiser", der sich mehr für seine Schauspiel-Karriere als für die Interessen seines Volkes interessierte.“

http://hpd.de/artikel/nero-im-neuen-licht-13162

„Tatsächlich frappiert es, wie sehr die negativ getönte Geschichtsschreibung, die freilich von Protagonisten stammt, die dem Senat nahestanden, in Teilen von archäologischen Befunden abweicht, denen zufolge Nero noch Jahrhunderte nach seinem Tod ausgesprochen beliebt gewesen sein muss. Dies bezeugen etwa zahlreiche Spiegel, deren Rückseite mit dem Bild Neros versehen waren, und vor allem die in der Spätantike beliebten Kontorniaten, eigens angefertigte Münzen, die wohl zum Jahreswechsel verschenkt wurden und die überproportional häufig auf einer Seite ein Porträt des dreihundert Jahre zuvor verstorbenen Nero zeigten.“

http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/kunst/nero-ausstellung-in-trier-langweilig-war-er-nie-14244303.html

„Mit den Füßen voran ins Leben. Allein dieser Beginn verhieß im Jahr 37 n. Chr. nichts Gutes. Doch Mutter und Kind meisterten die lebensgefährliche Aufgabe Steißgeburt. Der römische Historiker Plinius d. Ältere sah in diesen Umständen ein Vorzeichen für das verdammenswerte Dasein des Lucius Domitius Ahenobarbus. Den späteren Kaiser Nero verachtete er als ein widerwärtiges Scheusal und wob die ersten schwarzen Fäden an der düsteren Legende um den antiken Potentaten. Die römischen Historiker Sueton (70 – ca. 130 n. Chr.) und Tacitus (58 – ca. 120 n. Chr.) nahmen die Fäden dankbar auf. Doch ihre Berichte müssen kritisch betrachtet werden. Sueton war eine Art antiker Klatschreporter mit Hang zu makabren Schauergeschichten. Tacitus betrieb Schmähpropaganda, denn er stammte aus dem Nero feindlich gesonnenen Senatorenadel. Nun hing dem Kaiser der prekäre Ruf eines menschlichen Ungeheuers an: Mörder von Mutter, Gattin und Freunden, Brandstifter Roms, Christenverfolger, sexuell Gestörter.

Nero wurde ein Opfer tendenziöser Geschichtsschreibung. Tatsächlich aber ist er der schillernde Star unter den römischen Kaisern. Neben den unbestrittenen dunklen Seiten zeigt sein Persönlichkeitsbild, korrigiert durch die moderne Geschichtsforschung, viele helle Facetten. Der antike Kaiser brillierte als Showman und war eine Künstlerseele mit Talent zum Singen, Dichten und Schauspielen. Seine Persönlichkeit war ein sonderbares Gemisch an Größe, Grausamkeit, Modernität und peinlicher Selbstverliebtheit.

Als Herrscher wirkte er segensreich. Unter seiner 14-jährigen Regierung erlebte das Römische Reich eine beispiellose Periode des Friedens, des Wohlstands und der kulturellen Blüte. Seine Beliebtheit bei den einfachen Menschen war groß. Nach Neros, durch eine Revolte erzwungenen Selbstmord, wurde sein Andenken von den Nachfolgern in den Schmutz gezogen. Sein Volk aber legte noch viele Jahre lang Blumen an sein Grab und weigerte sich lange, an seinen Tod zu glauben.

Eine Ausstellung in drei Trierer Museen wird sich vom 14. Mai bis zum 16. Oktober 2016 dem römischen Kaiser Nero widmen, der wie kaum ein anderer bis heute polarisiert. An verschiedenen Standorten werden die unterschiedlichen Facetten des Herrschers, der zu den bekanntesten römischen Imperatoren gehört, gezeigt: Das Rheinische Landesmuseum Trier präsentiert „Nero -Kaiser, Künstler und Tyrann“, das Museum am Dom „Nero und die Christen“, das Stadtmuseum Simeonstift „Lust und Verbrechen. Der Mythos Nero“.“

http://geschichte-wissen.de/blog/nero-ausstellung-trier-2016/

Matthias Hennies.im Hörfunk des WDR:

http://www1.wdr.de/mediathek/audio/wdr5/wdr5-scala-aktuelle-kultur/audio-in-trier-im-museum-zu-sehen-der-neue-kaiser-nero-100.html

 

 

Allgemein wird die Ausstellung gefeiert. Der Wurm findet das übertrieben. Wer „nur“ durch die Ausstellung wandelt (sich also nicht durch Begleit-Materialien weiter informiert), wird manche Punkte nur oberflächlich erwähnt sehen. Etwa Neros Außen-, Wirtschafts- und Kulturpolitik. Die Teil-Ausstellung „Nero und die Christen“ rehabilitiert zwar Nero, ist aber ansonsten christliche Propaganda.

Hier ein sehenswertes Gespräch zwischen Nicola Schikorra und Marcus Reuter, Leiter des Rheinischen Landesmuseums Trier:

 

 

Ein anderer Blick auf Nero

 

Heike Jackler hat in einer Fleißabeit die wesentlichen Arbeiten zu Nero zusammengefasst und mit einer Zeittafel versehen:

http://www.humanist.de/geschichte/nero.html

Für den ersten Überblick bietet sich ein Artikel von Richard Herzinger aus dem Jahr 2006 in der „Welt“ an:

„Opfer der Legenden: Wie der römische Kaiser Nero zum Sündenbock der Geschichte wurde

Wer an Nero denkt, hat das Bild eines Monsters vor sich. Schuld sind Jahrhunderte christlicher Historiographie und ein Hollywoodfilm mit Peter Ustinov. Dabei war Nero nicht skrupelloser als seine Gegner. Etwa einige frühe Christen, eine Art al-Qaida der Antike, die Motive hatten, Rom anzuzünden, sagt Richard Herzinger

Das Feuer brach in einem Gebiet unweit des Circus Maximus aus. Angefacht von starkem Wind, breitete es sich rasend schnell aus. Als der Brand nach sechs Tagen endlich erloschen schien, loderte er an anderer Stelle erneut auf. Nachdem er drei weitere Tage gewütet hatte, waren von den vierzehn Stadtteilen der Millionenstadt drei vollständig zerstört, sieben mehr oder weniger stark beschädigt und nur drei unversehrt.

Diese verheerende Katastrophe, die in der Nacht vom 18. auf den 19. Juli 64 n. Chr. über Rom hereinbrach, ist im kollektiven Gedächtnis der Menschheit mit einem Namen verbunden: Nero.

Bis heute steht der am schlechtesten beleumundete aller römischen Kaiser als Synonym für die Grausamkeit und den Irrsinn einer mörderischen, willkürlichen Macht. Lucius Domitius Ahenobarbus, so sein Geburtsname, nennt man in einem Atemzug mit den furchtbarsten Verbrechern der Weltgeschichte. Hitlers Anweisung, die Infrastruktur des eigenen Landes zu zerstören, damit sie den vorrückenden Alliierten nicht in die Hände fällt, wird bis heute als "Nero-Befehl" bezeichnet. Denn Nero, glaubt jedes Schulkind zu wissen, habe Rom anzünden lassen, um Platz zu schaffen für eine Metropole nach seinen größenwahnsinnigen Plänen.

Über den Dächern der brennenden Stadt soll er dazu verzückt selbstgedichtete Lieder über den Untergang Trojas gesungen haben.

Danach habe er, um von seiner Schuld abzulenken, die unschuldigen, gewaltlosen Christen grausam verfolgen lassen. Viele der Unglücklichen, die man nicht den wilden Tieren in der Arena vorwarf, so liest man es schon beim römischen Geschichtsschreiber Tacitus (55 - ca.116 n. Chr.), hätten als lebende Fackeln dienen müssen, um die nächtlichen ausschweifenden Feste des sadistischen Herrschers zu beleuchten.

Für die moderne Ausformung des Schreckensbilds vom vermeintlich verdorbensten aller römischen Kaiser ist vor allem der Roman "Quo vadis" verantwortlich, für den der polnische Autor Henryk Sienkiewicz 1905 den Literaturnobelpreis erhielt und der 1954 von Hollywood monumental verfilmt wurde. Die Darstellung Neros als dekadenten Psychopathen durch den genialen Komödianten Peter Ustinov hat sich ins Gedächtnis von Generationen eingebrannt. Nero, die Verkörperung des Staatsverbrechers, des amoralischen Ästheten, der das Leid anderer als Stimulanzmittel für seine perversen Gelüste brauchte - kein grausiges Detail fehlt in diesem populären Horrorporträt eines vollendeten Scheusals.

Das Problem ist nur: Es stimmt so gut wie nichts daran.

Nero, der 54 n. Chr. im Alter von nur 17 Jahren den Kaiserthron bestiegen hatte, vierzehn Jahre später durch eine Patrizierverschwörung gestürzt wurde und seiner Hinrichtung durch Selbstmord zuvorkam, ist posthum das Objekt einer in der Weltgeschichte einzigartigen und beispiellos erfolgreichen Verleumdungskampagne geworden. Heute gehen die Meinungen der Historiker auseinander, ob der größte Brand in der Geschichte Roms durch Fahrlässigkeit entstand oder mit Absicht gelegt wurde. Sicher aber scheint: Nero hatte nichts damit zu tun.

Die krassesten Anschuldigungen, die über Jahrhunderte hinweg kolportiert wurden, hat der italienische Journalist Massimo Fini bereits 1994 in seinem Buch "Nero - 2000 Jahre Verleumdung" widerlegt. Fini nennt Nero gar einen "bedeutenden Staatsmann". Und einiges berechtigt zu dieser Wertung: Während seiner Herrschaft hatte das Römische Reich die größte Ausdehnung seiner Geschichte erreicht und erlebte eine Periode äußeren Friedens, kultureller Blüte und wirtschaftlichen Aufschwungs, wie es ihn weder vorher noch nachher gegeben hat. Zweifellos, Nero besaß paranoide und exhibitionistische Züge, war psychisch labil. Doch er war auch ein ungewöhnlich vielseitig begabter und interessierter Kaiser. Er brachte es zu ansehnlichen Fertigkeiten beim Spielen des Saiteninstruments Kithara sowie als Sänger, Dichter, Schauspieler und Wagenlenker. Er war an naturwissenschaftlichen und technischen Neuerungen interessiert, suchte das Gespräch mit Künstlern, Philosophen, Erfindern.

All dies waren freilich Eigenschaften, die der privilegierten konservativen Aristokratenklasse unschicklich schienen. Vor allem aber provozierte sie Neros Volksnähe. Er verteilte großzügige Geldgeschenke an die Plebs und leitete Rechts- und Steuerreformen sowie eine Währungsreform ein, die die Vorrechte des Adels beschneiden sollten.

Nero tat das natürlich nicht aus purer Menschenfreundlichkeit. Die Gunst der einfachen Volksmassen war für ihn ein Faustpfand im Machtkampf mit den Patriziern, die um ihre Vorherrschaft fürchteten. Beim Volk selbst aber kam Neros Zuwendung gut an - in den unteren Schichten wurde er auch über den Tod hinaus geradezu mystisch verehrt.

Eine neue Biographie des berüchtigten Herrschers zeichnet Nero als das Gegenteil eines verabscheuungswürdigen Monsters. Für den Autor, den Religionssoziologen Horst Herrmann, war Nero eine Art Kulturrevolutionär auf dem Kaiserthron, der das starre, patriarchalische Wertesystem der römischen Adelsklasse von innen her aufbrechen wollte, der "den Versuch einer Kulturwende von oben wagte". Neros viel verlachter Einsatz für die Künste sei nicht nur seiner eigenen Obsession geschuldet gewesen, als bedeutender Künstler in die Geschichte einzugehen. Da er auf dem Feld politischer Reformen auf heftigsten Widerstand der beharrenden Kräfte gestoßen sei, habe Nero die versteinerten Verhältnisse durch die radikale Umwälzung des kulturellen Wertesystems Roms zum Tanzen bringen wollen. Das habe am Ende auch seinen Fall bewirkt.

"Nero hat sich zu weit vorgewagt und der römertümelnden Mentalität zuviel Änderung zugemutet", resümiert Herrmann. Neros Vision, meint Herrmann, war die Verfeinerung der römischen Sitten durch den griechischen Geist, dem er in der römischen Gegenwart zu einer zweiten Blüte verhelfen wollte. Dazu veranstaltete der Kaiser im Jahre 59 erstmals Festspiele mit Musik- Theater- und Tanzwettbewerben. Vor allem Musikvorführungen und schauspielerische Darbietungen aber hatten nach den strengen traditionellen Maßstäben der römischen Elite bis dahin als pöbelhaft und "unmännlich" gegolten. Im Jahre 60 führte Nero zudem ein Fest griechischen Stils ein, das im Fünf-Jahres-Rhythmus stattfinden sollte und später "Neronia" genannt wurde. Dabei wurden, ganz "unrömisch", athletische Wettbewerbe veranstaltet, bei denen, wie der Nero-Biograph Jürgen Malitz notiert, "die Teilnehmer nackt auftraten und bei Beobachtern alten Schlages Gedanken an das - angeblich - östliche Laster der Homosexualität weckten".

Im Jahr 67 erfüllt sich Nero seinen Lebenstraum und reist nach Griechenland, das seit 146 v. Chr. eine römische Provinz ist. Dort schwelgt er in seiner Hellasverehrung, nimmt an allen vier panhellenischen Spielen teil, die ihm zu Ehren in einem einzigen Jahr abgehalten werden. Bei den Olympischen Spielen werden erstmals musikalische Wettbewerbe veranstaltet, damit Nero als Kitharaspieler auftreten kann. Er gewinnt sage und schreibe 1808 Medaillen. Soviel Entgegenkommen zahlt sich für die Griechen aus: Am 28. November 67 gewährt der Kaiser Griechenland in einem pompösen Akt Selbstverwaltung und die Befreiung von Abgaben.

Aber Nero initiiert in Griechenland auch ein Bauprojekt von historischer Dimension: den Isthmus-Kanal, den Durchstich der Landenge von Korinth. Bald nach seinem Tod werden die Bauarbeiten von Kaiser Vespasian wieder eingestellt - wie auch die griechische Unabhängigkeit rückgängig gemacht wird. Das Kanalprojekt kann erst 1800 Jahre später verwirklicht werden. Neros Pionierarbeit ist da längst aus dem kollektiven Gedächtnis der Menschheit getilgt.

Dasselbe gilt für seine Friedenspolitik. Nero verabscheute das Militärische - was ihm im römischen Establishment zusätzliche Verachtung eintrug -, er setzte auf Diplomatie und rationalen Interessensausgleich. Sein größter Erfolg ist die friedliche Beilegung des lange schwelenden Konflikts mit den Parthern im Jahre 66. Das Großreich Parthien, das im heutigen Gebiet von Irak und Iran lag, war die einzige Macht, die Rom Paroli bieten konnte. Der Frieden sollte fünfzig Jahre lang halten.

Neros staatsmännische Verdienste, seine fortschrittlichen Visionen - all das verschwand hinter der schwarzen Legende, die seine Feinde posthum um ihn gesponnen haben. Seine ruchloseste Tat ist gewiß die Ermordung seiner Mutter Agrippina im Jahre 59. Doch um dieses Verbrechen richtig einordnen zu können, muß man die wenig zimperlichen Umgangsformen innerhalb der Machtelite des alten Rom berücksichtigen. So ließ Neros Vorgänger, der Kaiser Claudius, seine Frau umbringen - um danach Neros Mutter zu heiraten, nachdem deren erster Mann Domitius, Neros Vater, gestorben war.

Machtkämpfe, auch blutige, waren in der römischen Herrschaftselite nicht selten Familienangelegenheiten. Agrippina war mit dem großen, alle seine Nachfolger überragenden Kaiser Augustus (er regierte von 27 v. Chr. bis 14 n. Chr.) verwandt und die Schwester von Caligula, dem besonders grausamen Vorgänger von Claudius auf dem Kaiserthron. Zielstrebig arbeitete sie von der Geburt ihres Sohnes daran, ihn als Nachfolger von Claudius zu installieren. Claudius adoptierte Nero und verlobte ihn mit seiner zehnjährigen Tochter Octavia, die er drei Jahre später heiraten mußte. Zum Erzieher und Berater von Nero bestellte Agrippina Seneca, den angesehensten stoischen Philosophen dieser Zeit. Neros Hauptkonkurrenten um den Thron ließ sie durch Mord aus dem Weg räumen.

Doch Agrippina wollte die Finger auch dann nicht vom Ränkespiel der Macht lassen, als sie ihr Ziel erreicht hatte und Nero im Jahre 54 n. Chr. zum Princeps ernannt worden war. Sein unkonventioneller Regierungs- und volksfreundlicher, ausschweifender Lebensstil - Nero soll zuweilen verkleidet und inkognito durch die Kneipen Roms gezogen sein - mißfällt ihr zunehmend, und sie beginnt, gegen ihn zu intrigieren. Sie baut Britannicus, einen leiblichen Sohn des Claudius, als Rivalen Neros auf, doch der 19jährige stirbt im Jahre 55 während eines Gastmahls. Daß Nero ihn vergiften ließ, wurde eifrig verbreitet, ist aber höchst unwahrscheinlich.

Agrippinas Verbitterung gegen den Sohn aber wächst immer mehr, schon gar, nachdem Nero Poppaea Sabina zur Geliebten nimmt und die Ehe mit Octavia, von der er sich 62 scheiden läßt (und die er kurze Zeit später ebenfalls umbringen lassen wird), nur noch pro forma aufrecht erhält.

Es ist nicht zuletzt Seneca, der den zögernden Kaiser zur Abrechnung mit der Mutter drängt. Als sich Nero, nach mehreren vergeblichen Versöhnungsversuchen, zum Mord entschlossen hat, braucht es ein halbes Dutzend Versuche, bis die Tat endlich gelingt. Mit wenig Geschick versucht er danach, die Schuld an der Tat abzustreiten. Ein kaltblütiger Muttermörder war er nicht. Zeitlebens litt er wegen dieser selbst für römische Verhältnisse frevelhaften Tat unter Gewissensqualen.

Kein Zweifel, Nero hat zahlreiche wirkliche oder mutmaßliche Gegner ermorden lassen. Aber er mußte sich auch unablässig Feinden erwehren, die ihm selbst nach dem Leben trachteten. So scheiterte im Jahr 65 nur knapp eine Verschwörung unter der Führung des Patriziers Piso. In das Mordkomplott soll auch Seneca verwickelt gewesen sein, der sich im Jahre 62 von Nero getrennt und auf seine Landgüter zurückgezogen hatte. Denn Seneca, eigentlich ein Parteigänger des konservativen Adels, geriet bei diesem wegen seiner Bindung an den Kaiser und den Reichtümern, die er dadurch anhäufen konnte, zusehends in Verruf.

Nach der Aufdeckung der - von Patriziern angezettelten - Pisonischen Verschwörung wird Seneca von Nero zum Selbstmord gezwungen. Seit Tacitus wird das gern als Opfertod eines ehrwürdigen Feingeistes hingestellt, der dem Bösen den Dienst verweigert habe. Doch Seneca war kein argloser Idealist, der, wie einst Sokrates, unbestechlich nichts als die Wahrheit kündete. Er war selbst Akteur im blutigen Spiel.

Dennoch wurde alle nur erdenkliche Bosheit und Grausamkeit dieser Zeit im nachhinein einzig Nero in die Schuhe geschoben. Dabei spielte der Vorwurf, er habe Rom in Brand gesteckt, zu seinen Lebzeiten kaum eine Rolle. Nicht einmal bei Tacitus, der sonst keine Schauergeschichte über Nero ausläßt, wird diese Anklage erhoben. In die Geschichtsschreibung Einzug hält sie erst durch christliche Historiker - Jahrhunderte nach Neros Tod. Ihn zu einem Unhold zu stempeln, der seine Untat aus Mutwillen den Christen anhängte und sie angeblich erbarmungslos verfolgte, half der sich institutionell verfestigenden Kirche beim Ausspinnen von Märtyrerlegenden. Doch die Christen hatten womöglich noch ein anderes, abgründiges Motiv, Nero in dieser Weise zu verteufeln.

Zunächst aber: Warum ist der Brandstifter-Vorwurf gegen Nero haltlos? Um einen Verdacht gegen ihn zu begründen, fehlt vor allem eins: ein Motiv. Zwar hatte Nero in der Tat ehrgeizige Pläne zur architektonischen Neugestaltung Roms. Doch das war für einen römischen Kaiser nichts Ungewöhnliches. Zudem: Als der Brand ausbrach, hatte Nero gerade seinen Palast aufwendig vergrößern und verschönern lassen. Auch dieser wurde durch den Brand schwer beschädigt. Es leuchtet nicht ein, warum Nero, hätte er das Feuer legen lassen, dies nicht vor der Restaurierung seines Palastes tat. Oder warum er sein Schmuckstück nicht gegen die Flammen schützte.

Vor allem aber: Nero hatte kein politisches Interesse daran, das Volk Roms in ein Inferno zu stürzen. Denn er gründete seine Macht wesentlich auf die Unterstützung durch die unteren Volksschichten. Warum hätte er sie mutwillig aufs Spiel setzen sollen?

Es bleibt also nur ein Argument: Nero war wahnsinnig und seine Handlungsweise deshalb völlig irrational, weshalb sachliche Entlastungsargumente ihre Geltung verlieren. Doch sein Verhalten vor und nach Ausbruch des Brandes gibt keinen Anhaltspunkt für seinen vermeintlichen Irrsinn.

Der Kaiser, der sich bei Ausbruch des Feuers in seiner Geburtsstadt Antium (heute: Anzio) aufhielt, eilte nach Erhalt der Nachricht vielmehr sofort nach Rom und leitete dort persönlich die Lösch- und Rettungsarbeiten. Er öffnete die Gärten seines Palasts für die Unterbringung und Versorgung der obdachlos gewordenen Bürger, sicherte die Lebensmittelversorgung und traf Vorsorge, daß keine Seuchen ausbrechen konnten.

Große Brände hatte es in Rom immer wieder gegeben, wenn auch in weit begrenzterem Umfang: unter Augustus im Jahre 6 n. Chr., unter Tiberius 27 und 36, sowie 54 unter Claudius. Brandbekämpfung war deshalb ein wichtiges Thema der Reformpolitik Neros. Sein weitläufiger Wiederaufbau Roms nach der Katastrophe zielte auch darauf, Großbrände in Zukunft zu verhindern. Es hat sie danach tatsächlich nicht mehr gegeben.

Auch das Klischee von Nero als einem erbarmungslosen Christenverfolger hält einer näheren Prüfung nicht stand. Zwar wurden tatsächlich Christen der Brandstiftung beschuldigt und hingerichtet. Doch dieses Los traf, wie Horst Herrmann vorrechnet, nur etwa 200 der 2000 in Rom lebenden Anhänger der Botschaft Jesu. Die Beschuldigungen gegen sie bezogen sich zudem auf ihr angebliches Verbrechen und zielten nicht primär auf ihre Religion. Die Folter- und Hinrichtungsarten waren brutal, für die damaligen Verhältnisse jedoch nicht unüblich. Abwegig ist die Vorstellung, Nero könnte den Brand selbst gelegt haben, um einen Vorwand in die Hand zu bekommen, sich die Christen vom Hals zu schaffen. Bis zum Brand hatten die Römer Mühe, die wunderliche, marginale Gruppe der Christen überhaupt als eine gegenüber den Juden gesonderte Glaubensgemeinschaft wahrzunehmen.

Daß Nero durch den Brand auf die Christen aufmerksam wurde, war nicht reiner Willkür geschuldet. Denn einige von ihnen bezichtigten sich selbst der Brandstiftung und verbanden dies mit wilden Reden über das Fegefeuer und ein göttliches Strafgericht, das über Rom gekommen sei. Das könnten freilich bloß Delirien einzelner Eiferer gewesen sein. Ein Beweis für eine organisierte Täterschaft der Christen ist es nicht

Wenn aber das Feuer nicht durch bloße Unachtsamkeit ausgebrochen sein sollte (von einer zufälligen Ursache geht auch Horst Herrmann aus), Nero als Brandstifter aber nicht in Frage kommt, wer sonst könnten die Täter gewesen sein? Aristokratische Gegner, die das Volk gegen den Kaiser aufbringen wollten, können es kaum gewesen sein. Fast niemand glaubte nach dem Brand an die Täterschaft Neros. Und warum sollten Männer, denen die Macht und Herrlichkeit Roms über alles ging, ihre Stadt vernichten, um einem Herrscher zu schaden, den sie mit einigem Geschick auch durch einen Putsch um die Ecke bringen konnten? Nur vier Jahre nach dem Brand klappte das ja auch. Der Patrizier Galba brachte Nero im Jahre 68 zu Fall.

Der Konstanzer Altphilologe Gerhard Baudy hält zur Lösung des Rätsels eine provokante These bereit. Er ist sicher, daß als Urheber einer Brandstiftung tatsächlich nur die frühchristliche Gemeinde Roms in Betracht kommt. Die Christen dieser Zeit hatten nämlich wenig Ähnlichkeit mit jenen friedfertigen, duldsamen Menschenfreunden, die sie uns in Hollywood-Historienschinken präsentiert werden. Eher schon glichen sie einer antiken al-Qaida.

Die christlichen Gemeinden jener Tage befanden sich im Zustand höchster apokalyptischer Erregung. Die Anhänger Jesu erwarteten den Tag des Jüngsten Gerichts damals noch ganz unmittelbar. Die Wiederkehr des Erlösers erschien ihnen längst überfällig. Mit jedem Tag, an dem sie ausblieb, wuchs ihre Ungeduld - und womöglich die Bereitschaft, dem himmlischen Zeitplan nachzuhelfen.

Mit welch aggressiven Gewaltphantasien die Vorstellung dieses durch die Wiederkehr Jesu bewirkten Weltendes im frühen Christentum verbunden war, kann man an der Johannes-Apokalypse im Neuen Testament ablesen, die freilich erst etwa ein halbes Jahrhundert nach dem Brand Roms entstanden ist. Dort wird die Vernichtung der "großen Hure Babylon" - einer Metapher für Rom - im Feuer beschrieben. Das Auftauchen eines Untiers "aus dem Abgrund" wird in der Prophezeiung als Zeichen für das unmittelbare Bevorstehen des Jüngsten Gerichts gedeutet. Als dieses Tier, den "Antichristen", haben christliche Schriftsteller wie Sulpicius Severus (der um 420 starb) Jahrhunderte später dann Nero identifiziert.

Das entscheidende Indiz für die Täterschaft der Christen ist für den Konstanzer Wissenschaftler jedoch das Datum des Brandes.

Schon einmal war Rom an einem 19. Juli durch ein Feuer vollständig zerstört worden - im Jahre 390 v. Chr., als gallische Invasoren die Stadt anzündeten. Daß Rom zweimal an demselben Datum abgebrannt ist, könne schwerlich Zufall sein, meint Baudy. "Der Zufall kommt zumindest nur als der unwahrscheinlichste Fall in Frage."

Der Schlüssel zum Tatmotiv sei vielmehr die Signalwirkung, die von diesem exakten Zeitpunkt des Brandes ausging. Der 19. Juli besaß in der antiken Welt seit alters her eine besondere Symbolkraft. Es war nämlich der Tag, an dem in Ägypten der helle Fixstern, der Sirius, am östlichen Morgenhimmel aufging. "Sein Erscheinen", so Baudy, "markierte im ägyptischen Sonnenkalender, nach dessen Vorgabe Cäsar im Jahre 46 v. Chr. den nach ihm benannten julianischen Kalender in modifizierter Form geschaffen und in Rom eingeführt hatte, den idealen Neujahrstag. Auf eben diesen Tag wurden welterneuernde periodische Katastrophen, Sintflut und Weltenbrand, datiert; er galt als Geburtstag des Kosmos."

Die römische Staatsideologie hatte sich diesen Mythos längst selbst zunutze gemacht. Das Datum stand für die Wiedergeburt Roms aus der Zerstörung, und die römischen Herrscher seit Julius Cäsar nutzten die Symbolik des Sterns, um den Beginn ihrer Regentschaft zum Anbruch eines neuen, herrlichen Zeitalters zu überhöhen. Für die Christen lag es nahe, auf diese tief im Bewußtsein der Römer verankerte Geschichtsdeutung zurückzugreifen, um ihrer eigenen Botschaft Nachdruck zu verleihen.

"Die Evangelien, die nach 70 n. Chr. entstanden sind", erläutert Baudy, "haben Anleihen bei dieser römischen Herrschaftsideologie genommen. Das Matthäus-Evangelium versucht sogar glaubhaft zu machen, daß der Geburtsstern Jesu eine direkte Kopie des Geburtssterns des Kaisers Augustus sei. Dieser galt in der römischen Welt als Zeichen einer neuen Weltära: Die Republik endet, das Kaiserreich beginnt. So wird aus einer biographischen eine welthistorische Zäsur. Die Christen haben das fortgesponnen, indem sie die Bedeutung des Sirius-Sterns noch überboten: Er stand jetzt für den Anbruch des Reichs Gottes."

Das Feuer als Medium der Weltveränderung spielt in der christlichen Tradition von jeher eine entscheidende Rolle. "Schon vor dem Brand Roms", sagt Baudy, "erwartete Paulus ein Weltgericht, das sich durch ein großes Feuer realisieren werde. Aus späteren christlichen Zeugnissen geht hervor, daß Teile der frühchristlichen Bewegung Jesus direkt mit dem aufgehenden Hundsstern identifizierten: Wie dieser mit seinem himmlischen Feuer die Pflanzen richte, so werde Jesus am Ende der Zeiten die Menschen richten. Eine solche Analogie kann schwerlich erst nach dem Brand Roms entstanden sein - damit hätten sich die Christen ja verdächtig gemacht, das Feuer gelegt zu haben. Es ist deshalb wahrscheinlich, daß in früherer Zeit ein apokalyptischer Text existierte, in dem Christus mit dem Hundsstern indirekte Verbindung gebracht wurde."

Auch realpolitisch sei die Zerstörung Roms aus Sicht der Christen durchaus sinnvoll gewesen. Bald nach dem großen Brand, im Jahre 66 nämlich, begann der Aufstand in Judäa. Er wurde im Jahre 70 blutig niedergeschlagen (da war Nero freilich schon seit zwei Jahren tot). Der Brand Roms könnte als Fanal für diese Erhebung gedacht gewesen sein, vermutet Baudy. Er nimmt den heutigen Theologen nicht ab, daß sich der in den Evangelien festgehaltene Ruf nach der Errichtung des Reichs Gottes nur auf das Jenseits bezogen habe. Diese Trennung der Sphären habe sich im Christentum erst viel später vollzogen - nachdem es (313) zur römischen Staatsreligion geworden war und das ideale Reich gedanklich von der Wirklichkeit eines jetzt real existierenden christlichen Staatswesens abgelöst werden mußte. Im ersten Jahrhundert aber hätten die Christen in Wahrheit nichts weniger erstrebt als einen irdischen Gottesstaat.

Denkt man diese Theorie zu Ende, hat die systematische Verteufelung Neros für das Christentum eine bedeutsame Funktion erfüllt. Indem Nero zur Bestie in Menschengestalt stilisiert wurde, die nicht einmal vor der Auslöschung der eigenen Stadt Halt machte, konnten die Christen die Spuren ihrer gewalttätigen Anfänge verwischen. Nero war der Sündenbock, der dazu herhalten mußte, die Legende von den frühen Christen als friedfertigen Märtyrern im kollektiven Bewußtsein der Menschheit zu verankern.

Eine verwegene Annahme? Fest steht: Die christliche Umdeutung des Brandes Roms zum apokalyptischen Zeichen und die Dämonisierung Neros zum Teufel in Menschengestalt hatte enorme kulturgeschichtliche Konsequenzen. Sie begründete das Klischee vom "dekadenten" Rom, das untergehen mußte, weil es sich in unerhörter Hybris über Gottes Gebote hinweggesetzt habe. Die Denunziation Roms als "Hure Babylon" ist zum Urmuster für das zivilisationskritische Ressentiment gegen die große Stadt als der Urheberin allen Lasters geworden. Es drang in der Neuzeit auch in das säkulare Denken ein und zeitigte in der Verbindung mit totalitären Ideologien schreckliche Konsequenzen.

Nero soll kurz vor seinem Tod geseufzt haben: "Welch ein Künstler stirbt mit mir." Er hätte sich wohl niemals träumen lassen, daß er statt dessen als die Verkörperung eines ewigen bösen Prinzips Unsterblichkeit erlangen würde.“

https://www.welt.de/kultur/article137308/Opfer-der-Legenden-Wie-der-roemische-Kaiser-Nero-zum-Suendenbock-der-Geschichte-wurde.html

 

Nero – Eine Biographie

 

Soweit nicht anders angegeben, zitiert der Wurm aus dem Buch „Nero – Eine Biographie“ von Horst Herrmann, der sich zu einem großen Teil auf das Buch „Nero – Zweitausend Jahre Verleumdung“ von Massimo Fini beruft.

Horst Herrmann ist Religionssoziologe und bietet somit zwei Vorteile: Er geht stark auf die römische Soziologie ein und er kennt sich sehr gut mit den ersten Christen bzw. überhaupt mit der Geschichte des Christentums aus.

Horst Herrmann in einem Kommentar aus diesem Jahr:

„Vor zehn Jahren hatte ich die Nase voll. Die abenteuerlich beschränkte Vorstellung, die in christlicher Tradition, sprich: Geschichtsklitterung von diesem wichtigen Kaiser in den meisten Köpfen spukt, reizte mich, eine eigene Biographie zu schreiben.

Wer gewohnt war, über Nero nur Klischees vom "brutalen Christenschlächter", vom "Brandstifter", vom "Muttermörder" und so fort zu lesen, sollte etwas anderes erfahren. Ich wollte Nero Gerechtigkeit widerfahren und das Bild gerade dieses Kaisers vor der Geschichte in einem anderen Licht erscheinen lassen, zudem eine detailfreudige Einführung in das "alte Rom" bieten, über den römischen Alltag informieren, über Essen, Lieben, über Feste, Wagenrennen, Bauten.“

http://hpd.de/comment/15548#comment-15548

 

Nero an der Macht

 

Nero ist für einen Römer sehr untypisch. Es sind weder Wunsch noch Ziel, Kaiser zu werden. Aber er ist es im Alter von 17 Jahren. Er fühlt sich als Künstler, nicht als Politiker.

Mensch versuche sich, von sämtlichen Vorurteilen, von sämtlicher Propaganda gegen Nero freizumachen. Auch und gerade von Buch und Film „Quo Vadis“.

 

Das Negative zuerst

 

„Von den Verbrechen, die Neros vierzehnjähriger Herrschaft angelastet werden, können nach der meisterlichen Studie von M. Fini allenfalls zwei als solche gelten: 59 die Ermordung Agrippinas und 62 die Octavias, der ersten Ehefrau.“

Die Ermordung seiner Mutter Agrippina hatte mit einem politischen Machtkampf zu tun; die erste Ehefrau Octavia musste weichen, um die zweite heiraten zu können. Zur Zeit der Heirat war Nero 16 Jahre alt; seine Stiefschwester Octavia knapp 13. Gut verstanden hatten sich die beiden nie.

Beide Morde hatten ihre Vorteile für Nero. Dennoch: Mord bleibt Mord.

Allerdings nicht zu vergleichen mit den Morden und Massakern, die etwa die allseits beliebten Kaiser Octavian/Augustus (siehe http://www.ansichten-eines-regenwurms.de/111-pax-romana.html ) oder Konstantin zu verantworten haben.

Über einen weiteren Punkt lässt sich streiten: die Würde des Amtes. Wenn Nero sich als Künstler oder als Wagenlenker betätigt, stellt sich die Frage der Seriosität.

Das sind aber schon die einzigen negativen Punkte, die der Wurm finden kann.

 

Ehe mit Poppaea

 

„Neros Ehe mit Poppaea glückte. Offenbar passen die beiden zusammen oder sie machen es passend: Beide sind wißbegierig, schlagfertig, amüsant. Die Interessen liegen auf einer Linie: Poppaea interessiert sich für den Orient, Nero auch. Poppaea protegiert die Juden, und Nero, an dessen Hof Jüdinnen und Juden lebten, hat nichts dagegen.

Das Ehepaar versteht sich. Bestes Beispiel: Nero gibt seine Streifzüge auf, verbringt die Abende im Palast. Und er dichtet Poppaea an, besingt die bernsteinfarbenen Haare seiner Frau. Zum ersten Mal in seinem Leben scheint Nero glücklich.

Poppaea schenkt dem Kaiser am 21. Januar 63 eine Tochter, der sie - vermutlich nicht nach der früheren Geliebten Claudia Acte - den Namen Claudia geben …

Schon im Mai stirbt das Kind. Nero schließt sich ein, weint ununterbrochen, ißt nichts, will niemanden sehen …

Zwei Jahre später war Poppaea, die seit 63 den Titel Augusta führte, wieder schwanger. Doch das Glück hatte das Ehepaar verlassen. Zur gängigen Nero-Legende gehört die Behauptung, der angetrunkene Nero habe die Schwangere durch einen Fußtritt in den Unterleib getötet, als sie ihm wegen seines späten Nachhausekommens vom Pferderennen Vorwürfe machte. An dieser kleinbürgerlich anmutenden Darstellung ist glaubwürdig, daß die beiden sich über eine triviale Sache stritten. Poppaea wußte sich gut zu behaupten. Unglaubwürdig hingegen ist der tödliche Fußtritt. Nero liebte seine Frau und wollte nichts lieber als ein Kind.

Poppaea starb an einer Schwangerschaftskomplikation, was auch Sueton anzunehmen scheint. Er schreibt, sie sei zum Zeitpunkt des vermeintlichen Fußtritts krank gewesen. Gleichwohl ist die Geschichte vom tödlichen Fußtritt bis heute anzutreffen.“

 

Großzügig gegenüber Freunden

 

„Dieser Kaiser führt ein fröhliches Haus, pflegt einen sinnlichen Stil. Nichts gilt als selbstverständlich, alles wird diskutiert. Philosophen sind Stammgäste: Außer seinen ehemaligen Lehrern Seneca und Chairemon sind die Namen von Cornutus und Telesinus überliefert; von den Musikern die Crème de la crème: Terpnus und Menecrates; der Tänzer Paris; Dichter von Lucanus über Petronius, Calpurnius Siculus, Fabritius Veiento bis zu Cocceius Nerva, dem zukünftigen Kaiser, den Nero den „Tibull der Zeit“ nennt.

Er nimmt arme, noch unbekannte Dichter im Palast auf und unterstützt sie großzügig. Den Philosophen, ob sie zu seinem Kreis gehörten oder nicht, hat er Steuerbefreiung gewährt, schlecht gestellten Schauspielern und Athleten greift er unter die Arme. In einem Epigramm eines in Rom lebenden griechischen Dichters heißt es: „Hätte nicht bares Geld mir der Kaiser Nero gegeben, übel, ihr Töchter des Zeus, Musen, erging' es mir dann.“

Zu seinen Freunden ist Nero großzügig. Alle profitieren bis hin zu Seneca, der von Nero viel Geld erhielt. Nero geht es nicht nur um Geld, sondern um Wichtigeres: Er ist zu helfen bereit. Als einmal ein Freund erkrankt, setzt er Himmel und Hölle in Bewegung, um den berühmtesten Arzt aus Ägypten kommen zu lassen.“

 

Mischt sich unters Volk

 

„Nero bewies seinerseits eine Vorliebe für Menschen niedriger Herkunft. Als Kind, zu unverdächtigen Zeiten, trug er die Haare lang wie das Volk. Später blieb er ein leidenschaftlicher Anhänger der grünen Faktion, die beim Volk beliebt war. Er mischte sich unters Volk, und nicht nur, um das Bad in der Menge zu genießen.

Bis zu seiner Heirat mit Poppaea ging er nachts häufig aus, wahrte seine Anonymität, suchte Kneipen auf, um zu erfahren, was die Leute redeten, ein Schwätzchen zu halten und sich ohne Leibwache zu vergnügen.

Es scheint sich um echte und nicht nur um politisch motivierte Zuwendungen gehandelt zu haben: Ist es vielen reichen Menschen nicht klar, was Geld denen bedeutet, die keines haben, war es bei Nero vermutlich anders.“

 

Luxus: ja, aber von übertriebenem Luxus schockiert

 

„Ein Geizkragen wie sein Vorgänger Tiberius war dieser Kaiser gewiß nicht. Sueton ist der Meinung, daß Nero das Geld durch die Finger rann. Das stimmte nicht. Für schöne Dinge gab er zwar viel Geld aus, war nicht zimperlich: Er hatte eine Schale aus achatähnlichem Material anfertigen lassen, zu einer Million Sesterzen, er liebte Teppiche, die pro Stück vier Millionen kosteten. Nichts Besonderes. Seneca stand nicht zurück: Er soll fünfhundert Tische aus Citrus besessen haben, einer höchst gefragten am Atlas wachsenden Thujaart. Und ein Sklave des Claudius, zu Geld gekommen, nannte eine Schüssel aus 164 Kilo Silber sein eigen. Neros Freund Otho gelang es mühelos, den Kaiser zu übertreffen. Plutarch berichtet, daß Nero eines Tages ein teures Parfüm benutzte und Otho davon anbot. Daraufhin „ließ dieser bei einem Bankett, zu dem er Nero eingeladen hatte, das gleiche Parfüm in goldenen und silbernen Leitungen, die eigens zu diesem Zweck verlegt worden waren, im Speisesaal zirkulieren“. Ein solcher Luxus schockierte Nero …

Unter Nero, lamentieren die Alten, wird kein Mehlbrei mehr geschätzt. Jetzt muß es etwas Besseres sein, jetzt tragen die Wände einen Bewurf, jetzt reicht kein einzelner Sklave mehr im Hauswesen aus. Dabei ist Rom längst zur Weltstadt geworden, die Epoche des Bauerntums abgeschlossen. Die Gestrengen wollen es nicht wahrhaben: So gelten Federkissen als unmännlicher Luxus, die Kühlung von Speisen und Getränken mit Hilfe von Schnee ebenso. Wir werden heute weder Kopfkissen noch Kühlschränke als Beweise für luxuriösen Lebensstil werten.“

„Nero ließ nicht jeden Auswuchs in Sachen Kleidung zu. Die Leute, die ihn für falsch gekleidet hielten und ihm seinen Kleiderluxus vorhielten, waren selbst wenig bescheiden. Vor allem mit den Streifen an der Toga wurde Luxus getrieben: Ein Pfund beste, doppelt gefärbte Purpurwolle aus Tyrus kostete über 2.000 Sesterzen; ein Tagelöhner hätte dafür gut drei Jahre arbeiten müssen. Nero wird den Verkauf so teuren Purpurs verbieten. Diese Maßnahme macht ihn bei denen, die ihre Toga mit dem standesgemäßen Farbstreifen schmücken wollen, nicht beliebter.“

 

Eitel als Künstler, aber nicht als Politiker

 

„Als Consul Cerialis Anicius 65 den Vorschlag machte, dem Kaiser auf Staatskosten einen Tempel zu errichten, lehnte dieser ab. Nero ließ sich zwar auf Münzen als Gott Apoll darstellen, trat im Amphitheater als Herkules oder Helios auf. Ob dies jedoch - wie die Errichtung des Kolosses bei der domus aurea - den Wunsch nach einer Vergöttlichung im strengen Sinn des Kaisermythos ausdrückte, bleibt fraglich. Eher sprechen solche Attitüden für eine Übersteigerung des Herzenswunsches, als Kaiser ein sichtbar anerkannter Künstler zu sein.

Bereits zu Beginn seiner Regierungszeit hatte Nero göttliche Ehren abgelehnt, als sie ihm von der griechischen Gemeinde in Ägypten angetragen wurden. Ein Gott-Kaiser hätte sich so weit wie möglich vom Volk fernhalten müssen. Das stand zu sehr im Widerspruch zum Charakter eines Kaisers, der sich unters Volk mischte und den Grundkonsens erprobte. Tauchten in den östlichen Provinzen Zeichen der Vergöttlichung des Kaisers auf, so erklärten sie sich mit einem Bedürfnis dieser Völker, nicht mit einem dringenden Wunsch Neros.

Dieser war auf Ehrungen, die ihm als Kaiser zuteil wurden, nicht besonders erpicht. Die erste Bemerkung in dieser Richtung hatte er im Senat gemacht, als dieser ihm voreilig seinen Dank aussprechen wollte: „Wenn ich ihn verdient habe.“ Zudem hatte er fürs erste den Titel „Vater des Vaterlandes“ (parens patriae) abgelehnt sowie den Vorschlag zurückgewiesen, das Jahr solle nicht mit dem Monat Januar, sondern mit seinem Geburtsmonat Dezember beginnen. 55 verhinderte er, daß ihm zu Ehren Gold- und Silberstatuen aufgestellt wurden, 58 wies er das Angebot des Senats zurück, er möge das Consulat auf unbefristete Zeit übernehmen …

Nero blieb auf eine fast kindliche Weise begierig, als der Künstler anerkannt zu werden, der er seinem Selbstverständnis nach war. Den Ehren, die ihm als Person des öffentlichen Lebens, als Repräsentant der Institution zuteil wurden, konnte er vergleichsweise nicht viel abgewinnen.“

 

Bewunderung für die Unbestechlichen

 

„Er hatte aber Mut. Bei der Nachricht von Agrippinas Tod verließ er als einziger demonstrativ die Curie und gab damit zu verstehen, daß er nicht im geringsten den Erklärungen Neros und Senecas glaubte. Er war auch der einzige, der Neros Auftritt bei den Juvenalien öffentlich kritisierte. Obwohl Nero ihn für einen unerträglichen Griesgram hielt, respektierte er Thrasea, weil er eine Art Bewunderung für die Unbestechlichen hegte. Um Thrasea jedoch den Verdruß über seine Obstruktion zu verstehen zu geben, hatte Nero ihm 63 bekanntlich die Teilnahme an den Festlichkeiten anläßlich der Geburt seiner Tochter Claudia untersagt.“

 

Hasst Scheinheiligkeit

 

„Die Antipathie eines Demetrius und ähnlich ernster Leute wurde von Nero erwidert. Der Kaiser haßt die Scheinheiligen. Er ist überzeugt, daß alle Männer ihre Laster haben, doch viele sie hinter der Maske eines korrekten Benehmens verstecken. Deshalb zeigt er denen gegenüber Nachsicht, die ihre Schwächen zugeben.“

 

Schimpfreden über ihn ertragen

 

„Noch eins: „Man muß sich eigentlich darüber wundern, und es ist ganz merkwürdig, daß Nero nichts so geduldig ertrug wie die Schimpfreden und Schmähungen der Leute“ …

Doch er ließ, wie Sueton berichtet, keine besonderen Nachforschungen nach den Urhebern anstellen. Er verhinderte sogar die härtere Bestrafung jener, die bereits angezeigt worden waren.

Schmähschriften, die von ihren Lesern mit kleinen, geheimen Festen begangen werden können, sind oft Vorboten obrigkeitlicher Gewalt. Sie versetzen in Anspannung, und vor allem die Jäger werden aufgeregt. Den Kaiser lächerlich zu machen, ihn zu schmähen, das zeugt von Unbotmäßigkeit, das ist politisches Ereignis, das muß bestraft werden.

Doch Nero will nicht. Gleich großmütig behandelte er den Kyniker Isidoras, als dieser ihn einmal auf der Straße heftig beschimpfte. Unbeschadet davon kam auch der Schauspieler Datus, als er Nero in einem Stück anklagte, nicht nur Agrippina, sondern auch Claudius umgebracht zu haben und das gleiche Schicksal für den Senat zu planen.

62 las der Prätor Antistius öffentlich aus seinen Gedichten, die gewagte Äußerungen über den Kaiser enthielten. Diesmal lag der Fall anders, weil die Beleidigung von einer Person ausging, die ein öffentliches Amt bekleidete. Seit Augustus konnte ein solcher Angriff auf den Kaiser als Hochverrat angesehen werden. Antistius wurde angezeigt, im Senat vor Gericht gestellt und für schuldig befunden. Die Todesstrafe drohte …

Nero gab Thrasea darin recht, daß die Todesstrafe durch Geißelung barbarisch sei, und kündigte an, daß er die Strafe abmildern werde, auch wenn der Senat für die Todesstrafe stimme. Nachdem das geklärt war, fügte er hinzu, die Senatoren könnten frei entscheiden und den unvorsichtigen Prätor sogar freisprechen. Antistius kam in der Tat mit dem Exil davon.

Grundsätzlich widerstrebte es dem Kaiser, Vergehen zu bestrafen, die wir heute als Gesinnungstaten bezeichnen würden, jedenfalls solange er selbst die Zielscheibe war. Waren hingegen andere tangiert, mußte er Forderungen Rechnung tragen. Als der Schriftsteller Fabritius Veiento, einer seiner besten Freunde, beschuldigt wurde, Schmähschriften gegen Senatoren und Priester verfaßt zu haben, zog er den Fall an sich, verbannte Veiento, nachdem dessen Schuld erwiesen war, aus Italien und ordnete die Verbrennung der Schriften an.

Von Nero stammt der berühmte Satz „Wenn ich bloß nicht schreiben könnte!“ (quam vellem nescire litteras!). Ihn soll er gesagt haben, als ihm das erste Todesurteil zur Unterschrift vorgelegt wurde. Die Anekdote wird von Seneca in De clementia erzählt. Wenn möglich, sah Nero von einer Strafverfolgung ab, war das nicht möglich, griff er zur milderen Strafe; hatte er die Wahl zwischen Todesstrafe und Exil, entschied er sich für letzteres; die Todesstrafe verhängte er nur, wenn es sich nicht vermeiden ließ, bei Schwerverbrechen oder bei Attentaten wie im Fall der Adelsverschwörungen. Den Adligen ließ er dabei die Möglichkeit zum Freitod, um ihnen die öffentliche Hinrichtung zu ersparen.“

 

Verachtung von Grausamkeiten

 

„Nero zählte nicht zu jenen Menschen, die das Leiden ihrer Opfer genießen. Er verachtete die Kriegstreiberei, er wandte sich gegen die Vergeudung von Menschenleben: Die Gladiatorenkämpfe durften nicht bis zum bitteren Ende geführt werden …

Manche Kaiser bemühten sich nicht zuletzt aus diesem Grund, in der Führung der Gladiatorenwaffen Fertigkeiten zu erwerben. Caligula, Titus, Hadrian gehörten dazu, Nero nicht. Unter ihm entwickelten sich die Kämpfe immer mehr zu harmlosen Fechtpartien, das Publikum verlor das Interesse. Es wollte Tote sehen.

Schließlich wurden die Gladiatorenkämpfe nach und nach eingestellt. Erst Jahrzehnte später tauchen sie wieder auf: Das Colosseum, als propagandistisches Mittel hervorragend zu nutzen, steht symbolisch für das, was geschehen wird …

Da Nero den Geschmack des Volkes nicht ignorieren konnte, ersetzte er die Gladiatorenkämpfe durch Tierhetzen. So sollen zu seiner Zeit Bären gegen Seehunde angetreten sein. Der Kaiser ersetzt die Gladiatorenkämpfe, die 300.000 Tote in drei Jahrhunderten fordern, auch durch phantasievolle Aufführungen, bei denen Wasserspiele und technische Kunststücke im Vordergrund stehen.

Bei einer dieser Aufführungen war ein Ritter auf einem Elefanten zu sehen, der auf einer Seilkonstruktion in der Luft schwebte. Häufig war es Nero selbst, der aufgrund seines Interesses für technische Neuerungen gewagte Lösungen anregte.

Erst wenn bedacht wird, daß unter Augustus mindestens zehntausend Gladiatoren dazu gezwungen wurden, sich gegenseitig umzubringen oder gräßlich zu verstümmeln, um die Menge zu unterhalten, kann Neros Versuch, auch in diesem Bereich Einstellung und Sitten der Römer zu verändern, gewürdigt werden.“

 

Unmilitärisch

 

„Nero war Künstler - er wollte es zumindest sein -, auch ein Staatsmann von einiger Bedeutung. Ein Militär war er nicht. Damit auch kein Römer, wie ihn die augusteische Ideologie wünschte. In dem historiengestützten Roman von R.v. Ranke-Graves nimmt sich diese Einschätzung so aus: „Es war ein eigentümlicher Anblick, ihn militärische Übungen mit Speer, Schwert und Schild machen zu sehen. Er handhabte sie genau nach den Vorschriften und wie sein Lehrer ihm das beigebracht hatte. Trotzdem sah es wie der Waffentanz in einem Ballett aus.“

Gewiß eine romanhafte Schilderung, doch ihr Kern entspricht der Wirklichkeit. Für Krieg und militärische Dinge hatte Nero nichts übrig. Er übernahm nie persönlich den Oberbefehl über das Heer, die traditionellen Truppenbesuche schenkte er sich. Bevorzugte er die Soldaten finanziell, dann im Rahmen einer Politik, die darauf zielte, feste Einkommen zu garantieren. Nero behielt die Steuerbefreiung für die Truppe bei, allerdings nur für Soldaten, die keiner anderen Arbeit nachgingen.

Unangemessen, daraus den Schluß zu ziehen, er habe sich um Außenpolitik nicht gekümmert oder sei nicht in der Lage gewesen, militärische Probleme zu bewältigen. Auf diesem Gebiet verfolgt er die von Augustus eingeschlagene defensive Strategie, die auf diplomatische Einflußnahme statt auf Angriff setzt. Mit Hilfe dieser moderaten Politik, die Verhandlungen der Intervention vorzieht, ohne letztere auszuschließen, erzielt Nero Erfolge, die seinen Vorgängern versagt blieben.“

 

Streng an Gesetze gehalten

 

„Deshalb ordnet der Kaiser an, Silla wie Plautus zu beseitigen. Auch ohne Prozeß? Kaum, denn Nero hat keinen Senator ohne reguläres Verfahren verurteilt. Seine Manie, sich geradezu formalistisch an das Gesetz zu halten, ist ausgeprägt. In seiner engeren Umgebung gibt sie Anlaß zu ironischen Bemerkungen. Freunde werfen Nero vor, sich im Gehorsam gegen die Gesetze geradezu zu üben, während „man doch den Senat mit einem einzigen Wort ins Verderben stürzen könne“.“

 

Privat-Vermögen von Staats-Vermögen getrennt

 

„Nero war mit dem Geld des Staates so vorsichtig, wie er mit dem eigenen freigebig war. Sein Vermögen mußte streng von dem unter dem Saturntempel in Rom verwahrten Staatsschatz (aerarium Saturni) getrennt werden. Sollte Geld transferiert werden, dann aus seiner Privatkasse (fiscus Caesaris) an die Staatskasse und nicht umgekehrt. Was aus dem guten Vorsatz des Beginns wurde, bleibt freilich unklar. Die gegen Nero gerichteten Vorwürfe schließen stets den ein, der Kaiser verschleudere das Staatsvermögen.“

 

Personal-Politik

 

„Nun erkrankt Afranius Burrus schwer und erliegt bald einem Krebsleiden. Der schweigsam ergebene Prätorianerpräfekt hatte keine besonderen Ambitionen gehabt und war weit weniger intrigant gewesen als Seneca. Es ist unsicher, ob mit dem Tod des Burrus im Jahr 62 die Zeit „skrupelloser Ausschreitungen“ Neros begann. Nahe liegt, daß Nero in seinem Lehrer und langjährigen Ratgeber eine Art Ersatzvater gesehen hat. Der Tod des Burrus ist jedenfalls ein harter Schlag. Einen angemessenen Nachfolger findet der Kaiser nicht.

Er beschließt, das Kommando der Prätorianer zu teilen, wie es vor Burrus üblich war, und ernennt zu Präfekten Rufus Faenius, einen ehemaligen Günstling Agrippinas, der sich als Statthalter von Pannonien bewährt hat, und Ofonius Tigellinus, einen fragwürdigen Mann.

Tacitus behauptet, Nero habe Tigellinus gewählt, weil dieser als ehemaliger Pferdezüchter seine Leidenschaft für Pferderennen teilte und wegen seiner Zügellosigkeit nicht nur einen Kumpan abgab, sondern Nero noch anspornte. Tacitus zeichnet ein derart finsteres Porträt des neuen Prätorianerpräfekten, daß dieser noch schlimmer wegkommt als der Kaiser. Hier ist erneut Vorsicht geboten. Tacitus ist prinzipiell dagegen, daß Männer niederer Herkunft wie Tigellinus aufsteigen.

Nero ist in der Regel bei der Wahl seiner Funktionäre nicht leichtfertig vorgegangen. Kriterien, wie Tacitus sie unterstellt, spielen selten eine entscheidende Rolle. Bevor der Kaiser Heerführer wie Corbulo, Paulinus oder Vespasian, Statthalter, Prokuratoren oder Präfekten ernennt, also das politisch-administrative Personal, dessen Nominierung durch ihn erfolgt, pflegt er Fähigkeiten und Einstellung zur jeweiligen Position zu prüfen. Meist täuscht er sich nicht. Stellt sich eine Ernennung wider Erwarten als Fehler heraus, wie bei unfähigen oder raffgierigen Statthaltern, ist der Kaiser bereit, den Posten neu zu besetzen. Ferner achtet Nero nach Möglichkeit darauf, Privatleben und Regierungsobliegenheiten zu trennen. Seine Ehefrauen erreichen keinen Einfluß auf die öffentlichen Angelegenheiten, seine Kumpane Paris und Spiculus erlangen keine Ämter, seine Freunde Serenus und Senecio machen keine Karriere.“

„Der spätere Kaiser Vespasian, der sich wenig für Kunst interessierte, soll jedoch weggegangen oder, noch schlimmer, eingeschlafen sein, sooft Nero sang. Der Kaiser war beleidigt, wies Vespasian, den Begleiter in Griechenland, aus der gemeinsamen Wohnung, schloß ihn von Empfängen aus. Trotzdem betraute Nero ihn später damit, den Aufstand in Judäa niederzuschlagen. Ihn interessierte, daß er ein guter Feldherr war.“

 

Verantwortungsbewusst: Nachfolger benannt

 

„Neros Verachtung der Scheinheiligkeit beschränkt sich nicht auf Sexuelles. Er mißtraut dem Laster, das sich als Tugend verkleidet. Er bewundert die paar Menschen, die ihren Prinzipien getreu leben. Als eine Krankheit ihn aufs Bett warf, weil er im Winter in der Quelle der Acqua Marcia hatte baden wollen, schmeichelten die Höflinge, das Ende des Römischen Reiches sei gekommen, falls das Schicksal ihm den Tod bestimmt habe.

„Nein“, erwidert Nero, „es gibt einen Mann, der das Reich regieren kann.“ – „Wer denn?“ – „Publius Memmius Regulus“ …

Publius Memmius Regulus genießt Ansehen und Anerkennung. Als Neuling (homo novus) aus der Provinz gekommen, war er von Tiberius zum Senator ernannt worden, hatte die gesamte Karriere (cursus honorum) durchlaufen und beachtliche Charakterfestigkeit bewiesen. Er hatte seine Position nicht ausgenutzt, um sich zu bereichern, ein integrer Mensch und geschickter Politiker.

Wäre Nero der haltlose Prahlhans gewesen, als den ihn manche schildern, hätte er als Nachfolger einen Draufgänger aus seinem Gefolge benannt, der ihm in Neigung und Geschmack näher gestanden hätte. Verantwortungsbewußt nominiert er dagegen Regulus. Tacitus wundert sich, daß Regulus diese Nominierung überlebte, denn nach Neros Genesung hätte er in Lebensgefahr schweben müssen. Doch es lief anders: Nachdem er nochmals zum Consul gewählt worden war, starb Regulus 63 im Bett. Nero hat ihm nichts angetan. Warum auch?“

 

Neros Politik

 

Erste Jahre positiv gelaufen

 

„Cassius Dio und Tacitus, der sich weniger deutlich äußert, während Sueton anderer Meinung ist, vertreten die These, die Regierung des Reiches habe zu Beginn von Neros Regierungszeit faktisch in den Händen von Seneca und Burrus gelegen. Cassius Dio schreibt: „Seneca und Burrus übernahmen persönlich die Leitung der Regierung.“ Auf diese Weise läßt sich unschwer begründen, daß in den Jahren 54 bis 58 gut regiert wurde - und erst nach dem Sturz dieser beiden Nero und damit Unheil über Stadt und Erdkreis kam.

Diese nicht ungeläufige These stellt den „Versuch der nerokritischen Geschichtsschreibung dar, das positive Bild des Nero der frühen Jahre in Einklang zu bringen mit der ins Monströse verzerrten, karikaturhaften Darstellung des späten Nero, die ihm für die folgenden Jahre zurechtgeschneidert wurde“.

Es handelt sich um eine willkürliche Auslegung. Die These kann bestenfalls für die allerersten Monate aufrechterhalten werden, als Nero, zwischen Agrippina und Seneca hin- und hergerissen, sich für Seneca entschied. Als junger Kaiser brauchte er dies, um sich einzugewöhnen und seine Maßnahmen zu treffen. Doch bereits im Verlauf des ersten Jahrs zeichnet sich ein Regierungsstil ab, der eine originelle Handschrift trägt.“

 

Disput um freigelassene Sklaven

 

„Senatoren beschworen in ihren unbekömmlichen Suaden die Sitten vergangener republikanischer Zeiten (laudatores temporis acti) und rührten selbst keinen Finger. Es gab kaum ein Mittel, sie zur Mitarbeit zu bewegen. Ein Kaiser brauchte jedoch qualifizierte Mitarbeiter, um die enorme Arbeitslast zu bewältigen. Dieses Problem war nicht neu, schon unter Augustus hatte es sich gestellt, doch erst Claudius ging es planmäßig an, indem er freigelassene Sklaven zur Mitarbeit heranzog. Abstammung und Herkunft sollten niemanden in Rom am sozialen Aufstieg hindern. Die Freigelassenen, römische Bürger mit allen Rechten und Pflichten, wurden bald verhaßt; meist gebärdeten sie sich wie Emporkömmlinge.

Altroms Adlige schauten beiseite. Sie waren voller Scham über die Tatsache, daß einstige Sklaven größeren Besitz, größeren Einfluß bekamen, als sie selbst es sich erträumen konnten. Und: Schon die Söhne dieser Freigelassenen galten als Freigeborene, konnten in den Ritterstand aufsteigen. Ihren Söhnen, den Enkeln eines ehemaligen Sklaven, stand die Aufnahme in den Senat offen.“

„Hauptsächlich waren die Senatoren um ihr Prestige besorgt, denn „bis zum Ende des Jahrhunderts blieb es für freie Männer sozial nicht akzeptabel, ein Sekretärsamt zu übernehmen, selbst wenn es mit großer Verantwortung verbunden war“.

Im Grunde hatten die Senatoren ihre Eigeninteressen im Kopf Sie gingen davon aus, daß sie ihr bequemes Leben fortsetzen sollten, das ihnen durch einträgliche Ehrenämter ermöglicht wurde. Sogar Tacitus muß zugeben, daß „doch sehr viele, wenn sie erst das Consulat und Priesterämter erreicht hatten, sich lieber um ihre reizenden Parkanlagen kümmerten“.

Nero war so außer sich, daß er 66, als er mit der Reichsaristokratie gebrochen haben wird, den Senatoren in einer barschen Botschaft vorwirft, sie versäumten ihre Aufgaben und gäben ein schlechtes Beispiel. Zu diesem Zeitpunkt hat er auf eine Mitarbeit der Senatoren verzichtet. Er hat einsehen müssen, daß die wenigen zur Mitarbeit bereiten Aristokraten nichts anderes mitbrachten als ihren Dilettantismus und nur an ihren adligen Zeitvertreib dachten, während die Freigelassenen effizient und vertrauenswürdig waren. Im Grunde waren die Senatoren selbst daran schuld, daß sie an Macht verloren, da sie weder gewillt noch in der Lage waren, sich mit den entscheidenden Angelegenheiten des Staates zu befassen.

Der Kaiser hatte keine andere Wahl. Er beschloß, die von Claudius eingeschlagene Strategie weiterzuverfolgen, und setzte beim Ausbau der kaiserlichen Bürokratie auf die Freigelassenen. Als Legaten stellte er sie den Statthaltern der Provinzen zur Seite und organisierte damit die entlegensten Behörden nach dem Vorbild der Zentrale. Aufbau und Konsolidierung eines Verwaltungsapparates waren sein Werk.“

„Altrom verstand die Welt nicht mehr. Wohin war die Stadt gelangt, wenn sich selbst ihr Geblütsadel gezwungen sah, vor Emporkömmlingen zu dienern? Haß und Wut sammeln sich. Eines Tages werden sie sich entladen. Wehe dem Kaiser!

Im allgemeinen bestimmten politische Gesichtspunkte Neros Verhältnis zu den Freigelassenen. Obwohl sie Selbständigkeit genossen, wollte er nicht, daß sie sich seiner Kontrolle entzogen. Zudem war er daran interessiert, der Reichsaristokratie entgegenzukommen, die wegen des Machtmißbrauchs der Freigelassenen beunruhigt war. Der Adel war ärgerlich, wenn Freigelassene Stellen besetzten, die Senatoren vorbehalten und mit finanziellen Vorteilen verbunden waren. Nero schloß daher die Freigelassenen aus und ernannte keinen mehr zum Senator. Die wenigen, die bereits einen Sitz im Senat hatten, beließ er auf ihren Posten, obwohl er nachhaltig unter Druck gesetzt wurde.

Nero ging davon aus, daß es ihm gelungen war, die Aristokratie zu beschwichtigen. Er irrte sich. Einer der überzeugtesten Anhänger des Kampfes gegen den Machtmißbrauch der Freigelassenen war Seneca. Unter seiner Regie gingen die Senatoren, die sich durch das entgegenkommende Verhalten des jungen Kaisers ermutigt fühlten, zum Angriff über.

56 brachten sie ein Gesetz ein, das den Herren die Möglichkeit einräumen sollte, Freilassungen rückgängig zu machen, wenn sich die Freigelassenen als undankbar erwiesen. Nero versuchte die Senatoren mit dem Argument davon abzubringen, er könne nicht wegen der Ruchlosigkeit einzelner die Rechte aller beschneiden.

Allerdings konnte Nero wenig ausrichten, als es ein Jahr später zum Streit über die Sklaven kam, bei dem indirekt auch die Freigelassenen betroffen waren. Ein Kapitaldelikt: 57 wurde Lucius Pedanius Secundus, Chef der Ordnungskräfte in Rom, von einem Sklaven ermordet. Angeblich waren beide in denselben jungen Mann verliebt.

Der Fall hatte Folgen: Es war Vorschrift, daß nicht nur der Schuldige hinzurichten sei, sondern alle Sklaven, die mit ihm unter einem Dach gelebt hatten. Pedanius hatte sich vierhundert Sklaven gehalten, darunter viele Frauen und Kinder. In der Tat wird die gesamte Hausdienerschaft gekreuzigt werden.

Nero hatte sich gegen das Blutbad gewandt. Selbst wenn er nicht aus Mitleid handelte, hatte er gute Gründe gehabt, sich einer rigiden Anwendung des Gesetzes zu widersetzen: Sein Regierungsprogramm sah Milde vor. Mit Vorsicht hatte er Sympathie für die unteren Klassen zu erkennen gegeben.

Es brachen Unruhen aus, um den Senat, dem die Entscheidung zustand, zur Verhinderung des Gemetzels zu zwingen. In der Curie erklärte Cassius Longinus den Sinn der Sanktion: Die Sklaven, auch die nicht unmittelbar schuldigen, müßten bestraft werden. Sonst sei für Herren, die von Sklaven umgeben seien, auf nichts mehr Verlaß: „... Seit wir Angehörige von Stämmen in unserem Gesinde haben, die abweichende Gebräuche, eine fremde oder gar keine Religion haben, ist das zusammengelaufene Gesindel nur durch Einschüchterung in Schranken zu halten. Unschuldige werden ums Leben kommen? Gewiß. Auch wenn aus einem geschlagenen Heer jeder Zehnte totgeknüppelt wird, trifft auch Tapfere das Los. Ein Stück Ungerechtigkeit ist nun mal im Strafexempel enthalten; Ungerechtigkeit trifft den einzelnen, doch dies wird durch den Nutzen für die Gesamtheit aufgewogen.“

Der Senat stimmt für die kollektive Hinrichtung. Die Menge blockiert den Weg zur Hinrichtungsstätte. Nero schickt Soldaten, denn der Senat hat nach geltendem Recht entschieden, das Urteil muß vollstreckt werden. Doch als Cingonius Varro im Senat noch mehr verlangt, nämlich alle Freigelassenen der Familie Pedanius außer Landes zu bringen, wird dies „vom Princeps verhindert, damit nicht die alte Sitte, die Mitleid nicht hatte abmildern können, durch Grausamkeit verschärft werde“.

Nero kann seine Autorität zunächst durchsetzen, da es kein Gesetz gibt, das ähnlich gelagerte Fälle bei Freigelassenen regelt. Im konkreten Fall hatte der Kaiser die Wahl. Er lehnte ab.

Der Senat kann das nicht verwinden. Er verabschiedet mit großer Mehrheit einen Beschluß, das Senatus consultum silanianum: „Wird jemand von seinen eigenen Sklaven ermordet, sollen auch diejenigen, die durch Testament freigelassen, aber noch im gleichen Haus verblieben sind, mit den Sklaven hingerichtet werden.“

Das Gesetz war noch härter ausgefallen als Varros Vorschlag: Varro hatte die Verbannung der Freigelassenen gefordert, das neue Gesetz sah die Todesstrafe vor. Der bedeutende englische Althistoriker M. Grant geht davon aus, daß Nero sich infolge dieses Falles den harten Gebräuchen Altroms zu entfremden beginnt. Der Kaiser versucht künftig, Elemente der zivilisierteren hellenistischen Kultur einzuführen.

Ein entscheidender Eingriff in Altroms Denken. Auf Dauer geht das nicht gut.“

 

Wirtschaftspolitik

 

„Die Kaiser hatten das Volk bei Laune gehalten, indem sie ihm Geschenke machten. Auch Nero griff zu diesem Mittel. Doch er versuchte, anstelle vereinzelter Aktionen eine Wirtschaftspolitik zugunsten der weniger Begüterten zu machen. Er beginnt mit der Reform von 58, die indirekte Steuern abschaffen will. In dieser Reform erblickt er „einen neuen Weg, die Lage seiner Untertanen zu verbessern“.

Ein starker Staat brauchte Geld für sein Militär, für seine Beamten, für den Glanz des Imperiums, den er nicht zuletzt deswegen zu verbreiten hatte, weil Konkurrenten abgeschreckt werden sollten. Wer im Reich, dessen Kaiser den Frieden garantierten, ein geschütztes Leben genießen wollte, mußte zu den Unkosten beitragen, die der Friede verursachte. Insoweit waren alle einverstanden. Probleme gab es erst, wenn ein Kaiser sich daranmachte, die Steuerlasten zu verteilen und die Steuern einzutreiben. Das benötigte Geld sollte beschafft werden, einverstanden, und dies auf möglichst gerechte Weise, einverstanden. Doch was bedeutete Steuergerechtigkeit? Jeder zeigte auf den anderen, wenn es ums Zahlen ging.

Naheliegend, daß alle Kaiser sich mit dem Steuerproblem herumschlagen mußten. Die Lösung des Caligula, von der wir hörten, war keine.

Beim ersten großen politischen Projekt Neros handelt es sich nicht um einen plötzlichen Einfall, sondern um eine von langer Hand geplante und sorgfältig vorbereitete Wirtschaftsreform. Gemeinsam mit seinen Finanzberatern Phaon und Burrus hatte Nero das ganze Jahr 57 daran gearbeitet. Er verfolgte zwei Hauptziele: die Entwicklung des Handels und die Verbesserung der Lebensbedingungen der unteren Klassen.

Das Reich kannte ein kompliziertes System indirekter Steuern (vectigalia). Die wichtigsten waren Zölle, die hauptsächlich in Häfen erhoben wurden (portoria). Seit Tiberius das Reich in zehn Distrikte eingeteilt hatte, mußten bei Überschreitung der Distriktgrenzen auf die Waren Zölle entrichtet werden. Deren Höhe variierte nach Herkunft und Wert der Ware. Während der Warenverkehr zwischen den westlichen Provinzen und Italien in beiden Richtungen mit zweieinhalb Prozent besteuert wurde, betrug der Satz für Waren aus den anderen Provinzen fünf Prozent. Da die Steuer an jeder Distriktgrenze fällig wurde, multiplizierte sie sich schnell. Das Recht vieler Städte, Transitzölle zu erheben, verschlimmerte alles noch.

Welchen Sinn hatte Neros Steuerreform, welche Folgen hätte sie gehabt?

„Zwar trafen die portoria über den Konsum vermittelt alle Bevölkerungsgruppen, die weniger Begüterten aber natürlich stärker als die Reichen ... Die Abschaffung der indirekten Steuern wäre allen Verbrauchern zugute gekommen, sofern sie von festen Einkommen lebten, das heißt, Verwaltungsbeamten und Soldaten, Händlern und Transportunternehmern. Durch die Abschaffung der Steuern wären die überteuerten Preise gesunken, der Austausch wäre gefördert, der Handel verbessert worden, und die Lebenshaltungskosten wären gesunken. Möglicherweise aber hätte eine Öffnung für Waren aus den Provinzen und aus dem Ausland zu einer Flucht von Zahlungsmitteln geführt und der italienischen Landwirtschaft empfindlichen Schaden zugefügt: Die einzigen Opfer der Reform wären folglich die italienischen Grundbesitzer gewesen. Vielleicht hatte Neros Plan auch tatsächlich einen Fehler. Die Senatoren bemängelten nämlich, daß dem Staat dadurch Einnahmen in Höhe von fünfundzwanzig Millionen Denaren, fünfzehn Prozent der Gesamteinnahmen, verlorengingen, ohne durch Neueinnahmen ausgeglichen zu werden. Möglicherweise hätte ein reichlicheres Umsatzsteueraufkommen dieses Defizit leicht wettgemacht. Auf jeden Fall aber wären die Interessen der italienischen Grundbesitzer berührt worden, und die Steuerpächter hätten ohne Arbeit dagestanden und ihr Einkommen verloren.“

Neros Plan traf die Reichsten, die Großgrundbesitzer, mithin Senatoren, deren Ländereien die Größe von Provinzen haben konnten, und die Steuerpächter, die verhaßten Staatspächter (publicani), zumeist Ritter, die häufig als Strohmänner benutzt wurden. Offiziell waren solche Aktivitäten den Senatoren verboten.

Die Besitztümer der großen Familien wurden zum Teil von 50.000 Sklaven bewirtschaftet. Ihre Fläche glich manchmal der eines kleinen Bundeslandes von heute. Die Ernteerträge waren zollfrei und gelangten daher ohne Aufpreis auf den gigantischen Lebensmittelmarkt Roms. Dagegen wurden die Waren aus den Provinzen an jedem Hafen, an jeder Stadtmauer neu verzollt. Das verteuerte sie ungemein, während die Großgrundbesitzer an ihren eigenen Waren immer mehr verdienten. Nero versuchte, den Marktvorteil der Latifundienbesitzer aufzuheben. Die Lobby, von vielen Senatoren gestützt, verzieh ihm das nicht.

Mit dem Griff an die wirtschaftliche Existenz wird auch die geistige erschüttert. Altrömische Tugenden hin oder her.

Der Senat lehnte den Vorschlag des jungen Kaisers ab. War das nicht zu erwarten gewesen? Die Senatoren priesen pro forma Neros Großmut und meinten schließlich, bei Abschaffung der indirekten Steuern müßten logischerweise auch die direkten Steuern ausgesetzt werden. Das war ausgeschlossen. Neros Vorschlag sah sogar eine Erhöhung der direkten Steuern vor, um den Einnahmeausfall in etwa auszugleichen.

Dem Senat war es gelungen, die Reform im Keim zu ersticken. Die Niederlage schwächte Neros Position. Der Kaiser mußte sich mit Einzelmaßnahmen begnügen, die kaum Wirkung versprachen. So veröffentlicht Nero geheimgehaltene Steuerbestimmungen und legt fest, daß nicht eingezogene Steuerforderungen nach einem Jahr verfallen. Zudem werden alle Sondersteuern abgeschafft. Prozesse gegen Steuerpächter, die Sondersteuern eingeführt hatten, sollen in Rom und in den Provinzen mit Vorrang behandelt werden. Das Maßnahmenpaket wird ergänzt durch die Abschaffung der Vermögenssteuer für Handelsschiffe. Damit sollen die Lieferungen von Getreide nach Rom erleichtert werden, ursprünglich eines der Hauptziele der Reform.

Neros Bruch mit dem Senat erfolgt stufenweise und wird endgültig erst 66 nach den Verschwörungen des Adels vollzogen. Dem Kaiser wird klarer, daß jede Sozialpolitik an der führenden Klasse scheitern muß. Diese war nicht hinzunehmen bereit, daß ihre Privilegien und Vermögen auch nur ansatzweise tangiert wurden.“

„Nachdem der Senat ausgeschaltet und Nero von Seneca befreit war, gelang ihm 63/64, was er 58 nicht geschafft hatte. Er nahm eine Abwertung der Währung vor.

Bei Neuprägungen wurde der Goldgehalt des aureus (100 Sesterzen) von 122,9 auf 114,1 und der Silbergehalt des denarius (4 Sesterzen) von 61,46 auf 52,68 Punkte gesenkt. Es war schon früher vorgekommen, daß der Wert der (Silber-)Münzen gesenkt wurde, um die Staatskasse aufzufüllen, doch wurden diese Maßnahmen geheimgehalten. Nero machte dies offiziell und erreichte, daß die Wertminderung akzeptiert wurde, kein einfaches Unterfangen: Nach damaligen Vorstellungen mußten sich Nominalwert und Realwert entsprechen.

Es handelte sich um eine offizielle Abwertung, bei der die Wertminderung in Grenzen gehalten wurde, so daß weder das Einschmelzen alter Münzen zu Goldbarren noch das Horten sich gelohnt hätten, beides Reaktionen, welche die Operation zunichte gemacht hätten.

Ziel der Maßnahme war Neros Wunsch, eine größere Geldmenge in Umlauf zu bringen, um der wirtschaftlichen Depression und der Unterbeschäftigung entgegenzuwirken. Es war kein Zufall, daß die Wertminderung für aureus und denarius unterschiedlich ausfiel. Denare waren im Umlauf, der aureus wurde gehortet. Mittel- und Unterschicht bekamen ihn nicht zu Gesicht. Die Wertverschiebung Gold/Silber von 12/1 auf 11/1 zugunsten des Silbers begünstigte die weniger Begüterten, die im Gegensatz zu den Gold hortenden Oberschichten nur Silber besaßen. Die Reichen sahen ihr Barvermögen dahinschmelzen; es war plötzlich weniger wert als zuvor.

Um zu verhindern, daß sich die Aktion in einer Inflation erschöpfte, verband Nero die Erhöhung der Geldmenge mit Bautätigkeiten, um der Wirtschaft neue Impulse zu geben. Im Verlauf des Wiederaufbaus nach dem Großbrand, über den gleich zu reden sein wird, schuf Nero der Hauptstadt ein neues Gesicht, baute die Via Sacra, den Circus maximus und den Porticus Miliarius wieder auf, dann eine neue domus für die Vestalinnen, gab den Campus Neronianus, den Celimontanusaquädukt sowie eine neue Tiberbrücke in Auftrag, ließ den Palatin pflastern und begann auf dem Marsfeld ein neues Amphitheater aus Holz. Nebenbei: Das Amphitheater (von griech. amphi, doppelt, zweifach) ist eine römische Erfindung: Zwei halbrunde Theater werden zu einem Kreis zusammengefügt - und ein rundes Stadion im modernen Sinn ist fertig.

Die forcierte Bautätigkeit führte zu einem Aufschwung der Ziegelindustrie, der sich positiv auf alle andern Wirtschaftsbereiche auswirkte und der Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung ein Ende setzte oder sie doch reduzierte. Die jährliche Inflationsrate blieb unter zwei Prozent; so wuchsen Produktion und Handel.

Die Geldabwertung war die wichtigste Maßnahme zur Währungssanierung im ersten Jahrhundert und führte zu einem der dauerhaftesten Erfolge Neros. Das ehemalige Münzgewicht erlangte keine Gültigkeit mehr. Doch zum Tragen kam diese Politik erst, als ihr Erfinder bereits tot war.“

„Die Forschungen über die Münze von Alexandria, der wichtigsten des Reiches, belegen, daß Nero während der ersten acht Jahre seiner Regentschaft in Währungsfragen vorsichtig war. Als er 64 eine Politik der großen Ausgaben einleiten muß, so tut er das nach reiflicher Überlegung und mit dem Ziel, die wirtschaftliche Depression zu bekämpfen.“

 

Diplomatie

 

„Gut lief es sogar im Konflikt mit den Parthern. Parthien umfaßte den heutigen Iran und Irak, erstreckte sich im Osten bis in die so gut wie unbekannten Weiten Asiens. Unter den Ländern, die an das Römische Reich grenzten, war Parthien die einzige Macht, die es mit Rom aufnehmen konnte. 53 v.u.Z. hatte Rom eine Invasion versucht und sieben Legionen eingebüßt. 37/36 v. u. Z. wurde noch ein erfolgloser Versuch unternommen. Parthien war nicht einzunehmen.

Zwischen dem römischen Reich und Parthien lag Armenien. Keine Supermacht konnte zulassen, daß dieses Land von der anderen Seite vereinnahmt wurde. Der Besitz Armeniens hätte den Parthern den Weg nach Syrien, einer der reichsten Provinzen des Reiches, eröffnet.

Weder Parther noch Römer dachten ernsthaft an eine Annexion. Sie hätte einen Krieg ausgelöst, an dem beide Seiten kein Interesse haben konnten. So beschränkten sich Römer wie Parther auf den Versuch, Vasallen als Könige einzusetzen. Dieses Hin und Her führte zu einer Serie von Staatsstreichen.

Als Nero die Nachfolge von Claudius antrat, war es dem Partherkönig Vologaeses gerade gelungen, seinen Bruder Tyridates zum König von Armenien zu machen. Zuvor war der Thron mit romfreundlichen Herrschern besetzt gewesen.

Mit Tyridates konnte sich Rom auf keinen Fall zufriedengeben, und schon gar nicht ein junger Kaiser, der auf sein Prestige bedacht sein mußte. So nahm ein Konflikt seinen Anfang, der neun Jahre dauern sollte. Das Ergebnis wird beiden Seiten schmecken: Tyridates bleibt König von Armenien. Doch er verdankt seine Herrschaft nicht mehr den Parthern, sondern Rom …

Das demonstrative Muskelspiel reichte, um Vologaeses zur Annahme der Lösung zu bewegen, die Nero angestrebt hatte. Die Römer würden Tyridates auf dem armenischen Thron akzeptieren, doch seine Herrschaft sollte unter dem Protektorat von Rom stehen …

Was geplant war, sollte die Welt erfahren. Tyridates würde in einer Zeremonie, die den König unmißverständlich als Untertan des römischen Kaisers auswies, von Nero in Rom gekrönt werden.

Die ersten Vorbereitungen wurden 63 in Corbulos Lager getroffen. Tyridates legte die armenische Krone einem Kaiserbildnis zu Füßen und verpflichtete sich, sie erst aus den Händen des Kaisers wieder in Empfang zu nehmen …

Die Reise ist ein sensationell teures Ereignis. Sie wird von Rom bezahlt und kostet 800.000 Sesterzen pro Tag. Hinzu kommen, wie vereinbart, 200 Millionen Sesterzen für Geschenke. Die Kosten für die Reise und die anschließenden Feierlichkeiten belaufen sich auf eine Jahreseinnahme des römischen Staates. Doch das Geld ist gut angelegt. Reist der Bruder des Partherkönigs, ein Nachfahre jener seit Urzeiten mit den Römern verfeindeten Arsakiden, um die halbe Welt, so stellt dies eine propagandistisch zu nutzende Meisterleistung der Diplomatie Roms dar …

Die gesamten Feierlichkeiten um Tyridates waren auf Neros Wunsch, der vom Spätsommer 66 an den Titel Imperator Nero Claudius Caesar Augustus Germanicus trägt, wie ein militärischer Siegeszug (triumphus) gestaltet worden. Einen solchen pflegte der Senat nach etruskischer Tradition siegreichen Feldherrn bei ihrer Rückkehr nach Rom zu gewähren …

Nero wollte demonstrieren, daß dem auf friedlichem Weg Erreichten die gleiche politische Bedeutung, wenn nicht größere, zukomme wie den durch Schlachten errungenen Siegen. In dieser Beziehung hatte der Triumph von 66 durchaus Ähnlichkeit mit dem von 68. Dann wird Nero, nachdem er erfolgreich von den griechischen Spielen zurückgekehrt war, vor allem die Gleichwertigkeit von künstlerisch-sportlichem Kampfspiel (agon) und eigentlich kriegerischer Auseinandersetzung (certamen) hervorheben. Die beiden Triumphzüge von 66 und 68 bekräftigten die politische und kulturelle - nichtkriegerische - Ausrichtung einer Regierung.

Zum Abschluß der Feierlichkeiten schließt Nero als Zeichen dafür, daß an allen Grenzen des Reiches Frieden herrsche, die Doppeltüren des Janustempels an der Nordseite des Forums. In der römischen Geschichte gelingt es nur drei Kaisern - Augustus, Nero und Vespasian -, diese Türen eine Zeitlang geschlossen zu halten.

Doch in den traditionell kriegerisch eingestellten Männerbünden Roms dürfte diese Tatsache kaum als Verdienst Neros gewürdigt worden sein. Tacitus, der ihre Meinung stets angemessen vertritt, läßt schlecht verhohlene Verachtung durchklingen.“

„Neben der Währungsreform und dem Aufbau der kaiserlichen Verwaltung gehörte der Friede mit den Parthern zu Neros dauerhaftesten Erfolgen. Der Friede hielt ein halbes Jahrhundert, nicht nur für die damalige Zeit ein langer Zeitraum. Das große Können Roms konkretisierte sich auch hierin: Der bewährte Grundsatz, nach dem sich besiegte Gemeinwesen am besten dem Staatenbund unter Roms Führung anschlössen, wurde genau beobachtet. Nero reiht sich in die Tradition ein.

Die Staatskunst Roms: Niemals zuvor und niemals danach ist es wieder gelungen, innerhalb eines so ausgedehnten, von so verschiedenen Völkern, Sprachen und Kulturen erfüllten Raumes eine solche Eintracht, ein solches Zusammengehörigkeitsgefühl zu wecken und zu erhalten.

„Bei dieser Gelegenheit zeigte sich Nero einfallsreich und geschickt. Indem er ausnahmsweise den römischen Alleinanspruch auf die Beherrschung der „bewohnten Welt“ hintanstellte, war es ihm gelungen, die althergebrachte, erbarmungslose Rivalität mit den Parthern durch eine solide Allianz zu ersetzen. Die Parther hielten Rom lange die Treue. Sie nutzten weder den Aufstand in Judäa noch die Krise, die nach Neros Tod das Reich erschütterte, zu ihrem Vorteil. Sie bemühten sich, auch mit den Nachfolgekaisern gute Beziehungen zu pflegen. Erst fünfzig Jahre später setzten mit der Expansionspolitik Trajans die Feindseligkeiten wieder ein. Diese Politik wird Rom das größte Flächenausmaß seiner Geschichte und dem Kaiser als einzigem unter allen römischen Kaisern 114 u.Z. den Ehrennamen Optimus eintragen.

Weitere Eroberungen Neros wie die der Kottischen Alpen und des Kleinreichs Pontus Polemoniacus waren kaum der Rede wert. Auch in diesen Fällen gab es kein Blutvergießen. Die Kottischen Alpen, ein kleiner Staat mit der Hauptstadt Segusia (Susa), fiel friedlich an Rom, als König Kotys ohne Erben starb. Was das kleine, doch strategisch wichtige Reich Pontus am Schwarzen Meer betrifft, so dankte König Polemon einfach ab.

Nero wird nie ein Freund des Krieges. Er interessiert sich um so mehr für Entdeckungen jeder Art, weil sie Geografie und Naturwissenschaft voranbrachten und den Handel förderten. Gewiß ist dieses Interesse außer durch seinen Lehrer Chairemon auch durch Seneca gefördert worden, der sich für naturwissenschaftliche Untersuchungen begeisterte.“

 

Die Erforschung der Welt

 

Roms Anspruch, die gesamte bekannte und bewohnte Welt (orbis terrarum) zu beherrschen, hat sich lange Zeit in militärischen Expeditionen konkretisiert. Unter Nero beginnt diese Form der Beherrschung einer anderen Platz zu machen: der Erforschung.

Der Kaiser macht sich daran, das größte Naturrätsel Afrikas, den Ursprung des Nil, zu ergründen. 61 (das Datum ist unsicher) organisiert er eine Expedition. Seine Forscher erreichen Ägypten, überschreiten beim ersten Nilkatarakt (heute am Assuan-Staudamm) die südliche Reichsgrenze, passieren den Zusammenfluß von Nil und Atbara und erreichen Merod (Bakarwiga), die Hauptstadt von Napata, mit der die Römer bereits Handelsbeziehungen unterhalten. Von hier brechen sie in Richtung Süden auf, müssen jedoch im Sudd, dem Süden des heutigen Sudans, vor riesigen Sümpfen haltmachen. Sie haben jenseits der Reichsgrenzen 1.500 Kilometer Luftlinie zurückgelegt. Verschiedene nubische Stämme werden erst durch die Nilexpedition Neros bekannt.

Die Kundschafter kehren aus einem Territorium zurück, das erst 1800 Jahre später erneut erforscht werden wird. Sie erzählen von seltsamen Tieren wie Nashörnern, Papageien und Pavianen mit Hundegesichtern. Brachten sie auch Sagen von mißgestalteten Menschen, Zwergen ohne Ohren, mit einem fast zugewachsenen Mund, mit nach Rom, so deswegen, weil der Sitz der Fabelgeschöpfe stets jenseits der Grenzen des Bekannten, Beforschten, Besetzten liegt.

Unter Nero drangen Schiffe noch weiter vor, bis nach Sansibar. Im Norden kamen die römischen Emissäre bis ins Baltikum, das Nero interessierte, weil von dort der Bernstein kam, mit dem er die Requisiten seiner Schauspiele ausstattete. Auf seiner Reise nach Griechenland wird er den Ausoniussee ausloten lassen, weil dieser nach einer Sage keinen Grund haben sollte. Der Kaiser finanzierte lange Zeit auch Ausgrabungen in Karthago, um den Schatz der Königin Dido zu finden.

66 wurden Teile von Corbulos Truppen abkommandiert und als Kundschafter in den Kaukasus geschickt. Auf ihre Berichte gestützt, prüft Nero die Möglichkeit, eine Expedition auszurichten, weil er die Okkupation des getreidereichen Territoriums plante. Die regelmäßige Getreideversorgung war eines der größten Probleme Roms. Aus ausgesuchten Rekruten wurde eine neue Legion, die 1. Italica, gebildet. Das Projekt zerschlug sich jedoch nach Neros Tod.

Im letzten Jahr seiner Regierung plante der Kaiser, auf den Spuren Alexanders des Großen eine Expedition nach China zu unternehmen …

Entdeckungsreisen waren besser als Eroberungen, Diplomatie war besser als Krieg. Dieser war nur zu führen, wenn es für die Sicherung der Grenzen unumgänglich war. Ähnliche Prinzipien versuchte Nero auch in der Kulturpolitik zu verwirklichen.“

 

Kulturwende von oben

 

Nero als Künstler

 

„Die von Nero geprägte Epoche war eine Zeit echter künstlerischer Leistungen. Hierfür war in erster Linie der Geschmack des Kaisers verantwortlich. Skeptiker können sich die Münzen anschauen, die während seiner Regierungszeit geprägt wurden und um die Nero sich in allen Details kümmerte. Ihnen vertraute er einen Teil seiner Propaganda an. Nach Meinung von Experten sind es in künstlerischer Hinsicht die schönsten Münzen, die Rom hervorgebracht hat. Sie gehören zu den besten, welche die Welt je sah.“

„Tacitus unterstellt, Nero habe sich Gedichte von Leuten, die Geschick im Verseschmieden besaßen, aber keines, das auffiel, zusammenfügen lassen. Sueton widerlegt: „Es sind Schreibtafeln und Hefte von ihm in meine Hände gelangt mit einigen bekannten, von seiner eigenen Hand geschriebenen Versen; ihnen konnte man auf den ersten Blick ansehen, daß sie weder entlehnt noch nach dem Diktat eines anderen nachgeschrieben, sondern ganz wie von einem, der genau überlegt und aus Eigenem schafft, aufgesetzt sind. Soviel war darin getilgt oder durchgestrichen oder überschrieben.“

War Nero nun ein guter Dichter? Wir kennen sein Werk zu wenig, um gesicherte Aussagen machen zu können. Untersuchungen von Historikern, Philologen und Schriftstellern, die sich an das schwierige Unternehmen wagten, sind zu Ergebnissen gekommen, die für Nero schmeichelhaft sind …

Laut Seneca war Nero ein ausgezeichneter Dichter. Da der Philosoph jedoch ein professioneller Schmeichler war, ist diese Würdigung mit Vorsicht zu genießen. Vertrauenswürdiger ist Martial, der Nero nach dessen Tod als gebildeten Kollegen bezeichnet. Wahrscheinlich kommt dies der Wahrheit am nächsten.

Nach allem, was wir wissen, liebt Nero, der öffentlichen Anerkennung gegenüber nie gleichgültig, gewählte Wörter und pflegt das Exotische, Sensationelle. Er achtet auf einen leichtfüßigen Rhythmus und legt mehr Wert auf den Klang des Verses als auf dessen Inhalt.

Er verstand sein Geschäft, ein Genie war er nicht. Und er behielt sein Geheimnis für sich, bis ins fortgeschrittene Alter ein Kind bleiben zu können.

Wäre er nicht Kaiser gewesen, hätte Nero als Kitharöde kaum diesen Erfolg gehabt. Allerdings wäre seine künstlerische Betätigung auch nicht ins Lächerliche gezogen worden. Das hatte er genausowenig verdient.“

„Sosehr Neros künstlerische Auftritte von vielen verurteilt werden, so sehr versetzen sie die Menge in Verzückung. Selbst Tacitus muß, wenn auch mit Zurückhaltung, zugeben: „Und der Stadtpöbel jedenfalls, auch die Schauspieler bei ihrem Gebärdenspiel zu ermutigen gewohnt, klatschte in rhythmischem Takt geregelten Beifall. Man hätte meinen können, sie freuten sich, und vielleicht freuten sie sich wirklich in ihrer Unbekümmertheit um die öffentliche Schande“ …

Dabei liebte das Volk diesen Kaiser, weil er sich in seiner Mitte aufhielt, begeistert an seinen Vergnügungen teilnahm und sich großzügig zeigte. Nero begrüßte selbst die Ärmsten und kannte ihre Namen, undenkbar für einen Adligen, der solche Leute höchstens mit dem Stock berührt hätte. Außerdem ließ er sich nicht lange bitten. Einmal hatte er in Neapel lange gesungen und war daraufhin in die Thermen gegangen, um sich zu entspannen. Später kam er zurück und schlemmte mit den Musikern. Als die Menge eine Zugabe verlangte, rief er auf griechisch: „Erst will ich ein Schlückchen trinken, dann lasse ich vor euren Ohren was Schönes erklingen.“

Nero fühlt sich zu den Unverstandenen hingezogen, mit denen er sich identifizieren kann. Nach Aristoteles lassen sich die Menschen aus ihren Göttern erraten - und so wohl auch die Dichter aus ihren Helden, „die eben die ihm selber geschaffnen Götter sind. Die starkgeistigen Alten schilderten selten Schwächlinge; ihre Charaktere glichen den alten Helden, welche an den Schultern und an den Knien Löwenköpfe als Zierat hatten.“

Neros Helden im Epos vom Trojanischen Krieg sind weder Achilles noch Hektor, weder Ajax noch Odysseus, sondern der verachtete Paris. In dem schönen Paris, der sportlich, doch nicht kriegerisch ist, die Genüsse des Lebens liebt und als Künstler von richtigen Männern verachtet wird, sieht Nero nicht allein ein Vorbild, das er den Römern vorhalten kann, sondern sich selbst. In seiner tanzenden Phantasie nimmt er Rache an allen, die ihn falsch erzogen, falsch behandelt haben: Sein Paris besiegt die vielbesungenen griechischen und trojanischen Helden.“

„Altrom steht entsetzt: Künstlerische Veranstaltungen waren eines Römers, selbst eines Freigelassenen unwürdig. Tugenden waren woanders angesiedelt. Tacitus spricht mit Verachtung von denjenigen, die sich in Kampfspielen anstelle des Kriegs- und Waffendienstes üben. Männer, Söhne von echten Vätern verhalten sich anders: „Wird die Gerechtigkeit gefördert, werden die Ritter ihr Richteramt besser ausfüllen, wenn sie mit Kennerohren weibischen Klängen und süßlichem Wohllaut der Stimmen gelauscht haben?“

Römer sind richtige Männer und Väter. Das Schlimmste, was ihnen passieren kann, ist Verweichlichung. Sie bedeutet Feminisierung.

Ist Nero, wie ihm vorgehalten wird, ein femininer Mann? Kann er das Image des Muttersöhnchens abstreifen? Er kümmert sich kaum um solche Vorwürfe. Er sieht sich als Künstler aus Berufung.

Was bedeutet das? Ein Kaiser namens Nero, nicht mehr als ein Dilettant, beachtet die für Sänger und Spieler der Kithara geltenden Vorschriften ängstlich genau. Er setzt sich nicht, wenn er müde ist, spuckt nicht aus, trocknet den Schweiß nicht mit dem Ärmel ab, zeigt den Preisrichtern gegenüber Respekt, umschmeichelt sie als Männer von Geschmack und Bildung. Als ihm bei einem Auftritt ein Stab aus der Hand fällt, hebt er ihn flugs auf und ist voller Sorge, daß er wegen dieses Mißgeschicks vom Wettkampf ausgeschlossen werde.

Und er redet das Volk mit den seltsamsten Worten an: „Ihr Herren, schenkt mir geneigtes Gehör!“ Der Kaiser und das Volk: Ihr „Herren“? Eine Schande für den Adel, für das Kaiserhaus. Soll sich Rom einem Komödianten beugen, der das Knie vor Nichtsnutzen beugt?

Ist Nero mit seinem Vortrag fertig, empfiehlt er sich aufs neue, buhlt um die Gunst der Hörer, erwartet den Urteilsspruch. Die Folgen sind abzusehen. Der Kaiser auf Knien? Eine Schande für die Weltmacht.

Noch trifft jeden, der sich auf öffentlicher Bühne zur Schau stellt, um die Kurzweil des Volkes zu bedienen, bürgerliche Ehrlosigkeit, gleich dem unehrenhaft entlassenen Soldaten, dem Kuppler, Dieb, Betrüger.“

„Er hatte andere Interessen, die falschen. Öffentliche Schaustellungen galten als Genre für Menschen niedriger Herkunft. Künstlerische Veranstaltungen, ob Poesie, Theater, Tanz, waren eine Sache für Höflinge, Gaukler und Narren. Ein Adliger durfte solche Neigungen privat pflegen, falls ihm daran lag, was sich kein Mann vorstellen wollte. Pantomime und Tanz, die als verderbt galten, waren von vornherein verboten. Nie war es gestattet, mit einem als weibisch verdächtigten Gebaren an die Öffentlichkeit zu treten, seine lasterhafte Veranlagung damit zur Schau zu stellen, das Gesicht zu verlieren, den Stand zu verraten.

Nero, das Kind, der Jugendliche, der Kaiser, liebte dies alles, tat dies alles …

Obwohl er seine Kulturwende nur allmählich voranbringt, stoßen die Neuerungen bei einem Großteil der Aristokratie auf Ablehnung. Tacitus nennt die neuen Sitten im Sinne altrömischer Prinzipien „verachtenswert, entwürdigend, schändlich und degeneriert“. Auch Juvenal hält Nero nicht so sehr vor, daß er seine Mutter hatte ermorden lassen, sondern daß er Gedichte und Tragödien schrieb und sich als Sänger produzierte, eine „Singnutte auf fremden Bühnen“.“

 

Kaiser aller Völker

 

„Der von ihm favorisierte Kult des Apoll hatte politische und kulturelle Implikationen. Apoll stellte den strahlenden, ewig schönen und jugendlichen Gott dar. Was lag Nero, immer in den Zwanzigern, näher, als seine Regierung unter diesen Schutz zu stellen und noch mehr: sich selber - wie in der Dekoration seines späteren Neuen Palastes (domus aurea) - als einen so jungen Gott zu begreifen?

In der römischen wie in der hellenistischen Welt wurde Apoll (Phöbus) gleichermaßen als Gottheit verehrt. Mit der Anleihe in seinem geliebten Griechenland beabsichtigte Nero hervorzuheben, daß er sich selbst als Kaiser aller Völker sah, nicht nur als Herrscher Roms. Dieses sollte wahrscheinlich die Hauptstadt der Welt bleiben, doch die Provinzen hatten das Recht, mit gleicher Sorgfalt regiert zu werden. Außerdem war Apoll der Gott der Künste, der Medizin, der Gesundheit, der Harmonie und somit des Friedens.

Nero förderte eine friedliebende Einstellung, sei es durch Hofschriftsteller wie Calpumius Siculus, sei es durch die Gestaltung von Münzen, Inschriften und Statuen, die eine Form der Propaganda darstellten. Die Politik des Kaisers war Teil einer authentischen Kulturwende, die künstlerisch-sportliche statt roh-militärische Leistungen favorisierte.

Neros Friedensliebe spiegelte seinen Charakter. Es mag unglaubwürdig klingen, daß einer, der als Tyrann, als Herrscher in einem der unmenschlichsten Terrorsysteme der Geschichte gilt, nicht blutrünstig war. Doch Nero verachtete Krieg, grausame Spiele, Hinrichtungen.“

„Seit 58, das einen Wendepunkt in seiner Herrschaft markiert, verläßt Nero das überkommene Modell der Militärmonarchie und nähert sich einer Herrschaft hellenistischen Typs an. Nach und nach werden dem Senat die bereits ausgehöhlten Rechte genommen. Gleichzeitig setzt Nero seine Versuche fort, diesem Gremium in allen die Senatoren direkt betreffenden Fragen eine gewisse Autonomie zu erhalten. Ein dramatisches Ende findet die Politik der Verständigung erst 66 durch die Verschwörung des Vinicianus.

Wie die Geschichte zeigen sollte, war ein multinationales. multiethnisches Reich von der Größe des römischen auf eine zentrale Entscheidungsinstanz angewiesen, da es sonst unweigerlich zerfallen wäre. Um Kultur und Ansprüche vor allem der östlichen Provinzen zu berücksichtigen, war andererseits ein Paradigmenwechsel dringend erforderlich. Die traditionelle Denkweise mochte für die Beherrschung einer bäuerlich geprägten Gesellschaft taugen, nicht aber für ein Riesenreich, wie es inzwischen entstanden war.

Für diese Zusammenhänge fehlte den meisten Senatoren das Verständnis. Sie erschöpften sich in einer gereizten, reaktionären Polemik gegen alle, die sie nicht mochten: vor allem gegen die Freigelassenen und die Mitbürger, die Altrom des Philohellenismus verdächtigte.“

 

Kulturwende von oben

 

„Nichts rief mehr Hohn hervor als Neros öffentliche Auftritte als Musiker, Dichter, Schauspieler, Rennfahrer. Hinter dem Verhalten des jungen Kaisers verbirgt sich nicht nur Leidenschaft für die Künste, sondern ein politisches und pädagogisches Programm. Das macht alles noch schlimmer.

Nero wagt den Versuch einer Kulturwende von oben. Dieses Experiment läuft seiner Zeit weit voraus, scheitert und reißt seinen Schöpfer, der bald den Spitznamen Graeculus, kleines Griechlein, erhalten wird, mit ins Unglück. Trotzdem sehen manche darin Neros originelle Leistung; nicht umsonst wurde seine Regierungszeit als Neronismus bezeichnet …

Nero, ein Verlierer auf dem Thron, verfolgt ein Mammutprogramm. Er versucht nicht weniger, als die Mentalität der römischen Gesellschaft zu verfeinern und sie an die hellenistischen Sitten heranzuführen. Der Hellenismus war Rom längst bekannt - und bei Traditionalisten verpönt. Geradezu skandalös mußte es auf diese wirken, daß sich die verfemte Kultur Griechenlands mittlerweile  auf  einen römischen Kaiser stützen konnte.“

„60 organisierte Nero die ersten Spiele (Neronia), die wirklich als die seinen bezeichnet werden können und alle fünf Jahre gefeiert werden sollten. Außer einer Würdigung der Rhetorik hatten diese Neroneen nichts Römisches mehr. Sie orientierten sich an griechischen Vorbildern, vor allem an den Pythischen Spielen in Delphi, ohne den Einfluß anderer Kulturen des Reiches auszuschließen. Die Wettbewerbe wiesen drei Sparten auf: Musik, Poesie und Beredsamkeit; Athletik und Gymnastik; Wagenrennen.

Nero ließ ein Theater aus Stein bauen, das zum festen Austragungsort für Veranstaltungen dieser Art bestimmt war und die bisher üblichen provisorisch aufgeschlagenen Ränge und Bühnen ablöste, weil sie teuer und oft auch gefährlich waren. Außerdem weihte er auf dem Marsfeld eine Athletenschule (gymnasium) ein, die prächtigste in Rom.

Die Spiele verliefen ohne Zwischenfälle, weil Tänzer, die in der Vergangenheit Unruhen ausgelöst hatten, ausgeschlossen waren. Selbst ein griesgrämiger Tacitus muß zugeben: „Der Freude mehr als der Ausgelassenheit sind in ganzen fünf Jahren ein paar Nächte gewidmet, in denen sich bei dem hellen Fackelschein nichts Unerlaubtes verbergen kann.“

Patriarchale Moral, wie sie im Buche steht: Während Altrom Kriege, blutiges Abschlachten im Amphitheater, Mord und Totschlag ohne große Aufregung hinnimmt, gerät das Fest seiner Jugend unter Generalverdacht. Typisch für altrömische Mentalität: Kriege nutzen dem Landgewinn, mehren das Ansehen Roms, Ausgelassenheit und Freude müssen sich vor dem Tribunal der Kriegsgewinnler rechtfertigen. Werden Bürger, vor allem junge Bürger, ausgelassen, kommt der Patriarch ins Grübeln. Er kann so etwas nur passabel finden, wenn sichergestellt ist, daß nichts Unerlaubtes passiert. Im übrigen wird nur alle fünf Jahre gefeiert, und die Fackeln brennen hell.“

 

Nero auf dem Höhepunkt: Reise nach Griechenland

 

„Die Reise nach Griechenland sollte der krönende Abschluß jener Kulturwende werden, mit deren Hilfe er versucht hatte, die römischen Sitten im hellenistischen Sinn zu verändern. Selbst die geplante Länge seines Aufenthaltes war Programm. Sie sollte die Gleichberechtigung zwischen westlichen und östlichen Ländern unterstreichen und die universale Ausrichtung des Reiches und seines Kaisers bezeugen.

Es mußte Griechenland sein. Hier verehrten die Römer das Land, von dem alle Kultur ausgegangen war. Sie schätzten es wegen seines Alters, wegen seines Ruhms. Das historische Interesse der Römer übertraf jedes andere: Griechenlands Vergangenheit, seine Taten, Ereignisse, Sagen faszinierten.“

 

Isthmus von Korinth

 

„Nero kehrt nach Korinth zurück und beginnt ein grandioses Werk, das er schon lange plant - und von dem alle, die diesen Kaiser zu kennen glauben, so gut wie nichts wissen wollen: den Durchstich der Landenge von Korinth. Schon siebenhundert Jahre früher hatte Periandros, Tyrann von Korinth, mit dem Projekt geliebäugelt. Auch Caligula hatte nachgedacht. Es war nichts dabei herausgekommen.

Der Isthmus, die Wespentaille Griechenlands, ist nur sechs Kilometer breit; der südlich gelegene Peloponnes, ein gewaltig aufgeblasener Ballon, ist größer als das nordgriechische Territorium. Genau südlich der Landenge hatte Korinth Posten bezogen, unter wechselnden Namen, mit wechselnden Gestalten. Langsam mußte etwas geschehen, die berühmte Landenge ist ein Nadelöhr.

Zwar hat sich zwischen den beiden Meeren Korinths eine gepflasterte Bahn etabliert. Dieser Diolkos erlaubt es, leichtere oder zuvor entladene Schiffe auf flachen Rollen über den Landrücken zu ziehen. Doch das ist eine sehr mühselige Angelegenheit. Und je mehr der Schiffsverkehr zu Land zunimmt, desto eifriger wird die Idee eines Kanals diskutiert.

Caesar hatte Pläne ausarbeiten lassen. Ägyptische und römische Experten ließen das Vorhaben platzen: Der Wasserspiegel des korinthischen Golfs im Westen war höher als der des saronischen Golfs im Osten, und Caesars Fachleute befürchteten nach einem eventuellen Durchstich die Katastrophe. So werde die nahegelegene Insel Ägina unweigerlich von den Wasserfluten verschlungen werden. Also ließ Rom die Finger von dem Projekt.

Nero schert sich nicht um solche Ängste. Er läßt Ingenieure und Geologen nach Korinth kommen, um die Chancen des Projekts zu prüfen und den Verlauf des Kanals festzulegen. Um einen schiffbaren Kanal zu schaffen, wird es nötig sein, das Gelände auf einer Länge von sechs Kilometern bis auf eine Tiefe von achtzig Metern auszuheben. Das verspricht eine Sisyphusarbeit zu werden. Doch die Vorteile des Vorhabens liegen auf der Hand: Das Umschiffen der Peloponnes würde überflüssig, die Entfernung zum Osten sich verringern, der Handel profitieren.

Trotzdem hat das Projekt viele Gegner. Die einen schieben religiöse Gründe vor und argumentieren, wenn die Götter an dieser Stelle eine Landenge gewollt hätten und keinen Meeresarm, gebe es dafür sicher einen Grund. Andere graben die alten Befürchtungen aus, nach dem Ausheben des Kanals könne sich ein Meer ins andere ergießen und das Festland überfluten.

Und es gibt Leute, die am bestehenden Zustand, mit den beiden Häfen und dem Diolkos, viel Geld verdienen. Käme der Kanal, wäre diese stetig fließende Quelle von heute auf morgen versiegt. Daher stimmen die Besitzer der Lagerhäuser und Geschäfte an den beiden Häfen, einflußreiche Ratsherren, gegen den Plan des Kaisers.

Was tun? Nach damaligem Wissensstand geht Nero davon aus, daß alle Meere auf dem gleichen Niveau liegen, und nach letzten Beratungen mit seinen Technikern läßt er beginnen. Vespasian muß sechstausend Kriegsgefangene schicken. Dazu kommen Prätorianer und einige Tausend zur Strafarbeit Verurteilte, die Nero aus allen Winkeln des Reiches hat kommen lassen. Insgesamt sind es an die zehntausend Arbeitskräfte.

Der Kaiser tut den ersten Spatenstich, standesgemäß mit einem goldenen Spaten, und trägt die ausgegrabene Erde publikumswirksam in einem Korb auf seinen Schultern weg.

Die Lästerzungen verstummen jedoch nicht. Es ist wie beim großen Brand. Cassius Dio behauptet später, Nero habe das Projekt aus Langeweile betrieben. Doch seit 64 war die Realisierung großer Bauvorhaben Bestandteil von Neros Politik. Der Bau des Kanals von Korinth liegt auf dieser Linie. Ihn auf eine Grille oder, schlimmer noch, auf Langeweile oder auf Größenwahn zurückzuführen, ist ungerecht.

Andere Quellen sind objektiver als Cassius Dio. Flavius Philostratos hielt das Kanalprojekt für die wichtigste Entscheidung aus der Regierungszeit Neros, Philostratos aus Lemnos betonte die zu erwartenden Handelserleichterungen, selbst Sueton bedenkt das Projekt „mit nicht geringem Lob“, und Plinius d.Ä. († 79 u.Z.), als Naturwissenschaftler eine besondere Autorität, hielt das Vorhaben sogar für notwendig. Auch heutige Historiker nennen den Plan „genial und nützlich“.

Mit dem Durchstich wird im Westen beim Hafen von Lechaion begonnen. Ein Fünftel des Kanals wird ausgehoben. Neros Tod bricht alles ab. Seine Nachfolger lassen das Projekt fallen. 1800 Jahre ruht der Plan. Dann werden die Arbeiten, die von 1881 bis 1893 dauern, an der gleichen Stelle wiederaufgenommen, an der Nero begann. Der Kanal, sechs Kilometer lang, fünfundzwanzig Meter breit, acht Meter tief, an einer Stelle von sechzig Meter hohen Wänden flankiert, nimmt den Verlauf, den Neros Techniker vorgesehen hatten.“

 

Unabhängigkeit Griechenlands

 

„Mitte November schickt Nero ein Rundschreiben an alle griechischen Städte, damit sich möglichst viele Bürger in Korinth versammeln: Er hat große Dinge zu verkünden. Am 28. November 67 erscheint der Kaiser im überfüllten Stadion von Korinth und erklärt Griechenland für unabhängig. Diese Entscheidung macht Geschichte. Es war schon vorgekommen, daß hier und da einer Stadt die Unabhängigkeit verliehen wurde, doch nie einer ganzen Provinz.

Es handelte sich nicht um die vollständige Freiheit, die Außenpolitik unterstand weiterhin Rom. Doch es war auch keine bloße Geste, denn kaum wurde Vespasian Kaiser, hatte er nichts Eiligeres zu tun, als Neros Entscheidung rückgängig zu machen.

Nach der Unabhängigkeitserklärung durch Nero unterstand Griechenland nicht länger einem römischen Statthalter und brauchte keine Abgaben mehr zu zahlen. Wie verarmt das Land sein mochte, es blieb ideelles Zentrum der östlichen Welt. Rom sollte dies offiziell anerkennen und sich für das große Erbe der Griechen bedanken. Nero stärkte den Prozeß der Hellenisierung des Reiches, an der er nach Kräften arbeitete.

Der Text von Neros Rede ist auf einer Bronzetafel erhalten, die in Karditsa in Böotien nordöstlich von Athen gefunden wurde. Der wichtigste Absatz: „Unerwartet, Männer von Griechenland, ist das Geschenk, das ich euch machen will - mag auch einer Freigebigkeit wie der meinen Unerwartetes fremd sein -, unerwartet und so groß, daß ihr nie hättet hoffen können, darum zu bitten. Oh, hätte ich euch meine Gunst erzeigen können, da Hellas noch in seiner Blüte stand, auf daß sich noch mehr von euch an meiner Gnade freuen könnten! Nicht aus Mitleid indes, allein aus Wohlwollen erweise ich euch nun diese Wohltat, und euren Göttern sei Dank, deren Schutz und Geleit ich allzeit erfahren habe zu Wasser und zu Lande, daß sie mir Gelegenheit geben zu solcher Wohltat. Andere Kaiser haben Städte freigelassen: Nero allein eine ganze Provinz.“

Die Entscheidung fand in Griechenland und der östlichen Welt enthusiastische Zustimmung. Auf griechischen Münzen wurde der Kaiser zum Befreier Jupiter proklamiert. Münzen aus Apollonia am Ionischen Meer grüßten den Schutzherrn Griechenlands. In Alexandria wurde er mit Apoll, Poseidon und dem olympischen Jupiter verglichen. Die nachhaltige Dankbarkeit bei griechischen Intellektuellen auch späterer Zeit war diesem Kaiser sicher.

Wie Plutarch und Pausanias belegen, wurde das Andenken des andernorts verfluchten Nero von den Griechen stets in Ehren gehalten. Nero hatte einen beachtlichen diplomatischen Erfolg erzielt, der die Treue der östlichen Völker zu ihm und zum Reich festigte. Die Unabhängigkeit Griechenlands kostete Rom wenig und war für die Griechen vorteilhaft: „Die Provinz war arm und brachte nur geringe Erträge; doch für die Griechen war die Abgabenfreiheit alles andere als unbedeutend.““

 

Rom brennt

 

Der Brand

 

„Als der Brand aufflammte, hielt Nero sich in seiner Geburtsstadt Antium auf. Dort fühlte er sich wohl, dort konnte er ein raffiniert verfeinertes Leben führen, wie ein Grieche leben, Gedichte lesen, Theater spielen. Jetzt war geschehen, womit niemand gerechnet hatte. Noch in der gleichen Nacht ließ sich der Kaiser die sechzig Kilometer nach Rom bringen, um erste Vorkehrungen zu treffen und die Rettungseinsätze zu organisieren. Die Feuerwehrleute (sifonarii, aquarii) mit ihren Pumpen und Eimern konnten gegen die sich riesig mehrende Feuersbrunst nicht ankommen. Geschwader von Feuerwehrleuten schaffen es nicht, die Lage zu entschärfen. Auch die heutige Technik hätte nicht ausgereicht, einen solchen Megabrand zu stoppen.

Rom, die einzige Millionenstadt des Reiches, drohte unterzugehen …

Wahrscheinlich war der Brand durch Fahrlässigkeit entstanden Es war Hochsommer. Das Feuer brach in einem verrufenen Viertel zwischen Quirinal, Viminal und Esquilin, der Subura, aus. Hier fanden sich Läden, Buden, Kneipen, hier wurde leichtfertig mit Kohlebecken, Öfen, Lampen und Fackeln hantiert. Dabei genügte ein Funke, um Läden und Hütten in Brand zu setzen. Die Wände waren mit Vorrichtungen aus Holz abgestützt.

Ein Feuer barg unter diesen Umständen die am meisten gefürchtete Gefahr.

Katastrophale Brände kannte nicht nur Rom. In einer seiner ersten Reden hatte sich Nero für Bologna eingesetzt, das 53 durch einen Brand zerstört worden war. Lugdunum (Lyon), Hauptstadt Galliens, wurde an einem einzigen Tag ein Raub der Flammen. Der Kaiser hatte Hilfe und beträchtliche Geldsummen zur Verfügung gestellt. Da es diese Unterstützung nicht vergessen hatte, revanchierte sich Lugdunum 64 mit einer Summe von vier Millionen Sesterzen und schloß sich 68 dem Aufstand gegen Nero nicht an.

Rom selbst hatte mehrere Großbrände erlebt, wenn auch nicht von so katastrophalem Ausmaß wie 64. Unter Augustus war die Stadt im Jahr 6 durch Brände derart heimgesucht worden, daß der Kaiser sich veranlaßt sah, eine Feuerwehr mit 700 Mann einzurichten. Unter Tiberius brannte 27 das Caeliusviertel, 36 der Aventin, 54 unter Claudius die Bebauung rund um das Marsfeld.

Die Straßen sind voll von hinfälligen Greisen, Kranken, Kindern. Nero sorgt für Notunterkünfte: In den Gärten des Kaisers werden Massenlager errichtet … Die Beschaffung von Lebensmitteln für die Tausende, die auf der Straße saßen, wird jedenfalls geregelt. Die Gefahr einer Hungersnot ist beseitigt. Die auf dem Tiber treibenden Leichen werden eingesammelt und verbrannt; sie waren rasch verwest und hatten die Luft mit üblem Geruch erfüllt. Eine Seuche war befürchtet worden; sie trat nicht ein.

Wir kennen ähnliches aus den Bildberichten gegenwärtiger Katastrophenzentren, etwa nach verheerenden Erdbeben. Nicht zuletzt dank der weitläufigen Anlage, die Nero dem Neuen Rom gab, wiederholten sich so umfassende Großbrände nicht mehr.“

 

Schuldig oder nicht?

 

„Die Ansicht, Nero sei für den verheerenden Brand verantwortlich, ist aufgegeben. Kein ernstzunehmender Historiker unter den Klassikern und erst recht nicht unter den Modernen behauptet, Nero habe Rom angezündet. Selbst Tacitus beschränkt sich auf die Wiedergabe des in Rom umgehenden Gerüchts, das Feuer sei von Männern des Kaisers gelegt worden. Zudem ist dieses XV. Buch der Annalen nur in einer späten Fassung aus dem 11. Jahrhundert erhalten, als sich die Legende vom Brandstifter Nero bereits eingebürgert hatte. Deshalb kann nicht ausgeschlossen werden, daß die Abschrift manipuliert wurde. Im Verlauf des Berichts wird zudem deutlich, daß Tacitus davon ausgeht, daß der Brand zufällig ausgebrochen ist.

Zeitgenössische Schriftsteller und Historiker, selbst so kritisch eingestellte Autoren wie Cluvius Rufus, Flavius Josephus und Martial, weisen Nero ebenfalls keine Schuld zu.“

„Die Behauptung, Nero sei der Brandstifter gewesen, wird erst siebzig Jahre nach dem Brand durch den Nicht-Historiker Sueton aufgebracht und ein weiteres Jahrhundert später durch den ebensowenig als Historiker schreibenden Cassius Dio bekräftigt.

Bisher ist kaum aufgefallen, daß die Berichte der antiken Historiker immer genauer, ausführlicher und eindeutiger ausfallen, je weiter das Ereignis zurückliegt. Was für Tacitus ein Gerücht war, wird für Sueton zur Gewißheit: „Denn unter dem Vorwand, daß ihm die Häßlichkeit der alten Bauwerke und die engen und krummen Straßen zuwider seien, zündete er die Stadt an.“

Für Cassius Dio liegt die Absicht dann klar auf der Hand: „Nero wollte einfach seinen alten Plan realisieren, Rom und das Reich noch zu seinen Lebzeiten zu zerstören.“ Ein alter Plan Neros? Gewiß nicht. Doch ein Plan des Cassius Dio, diesen Kaiser zu diskreditieren.

Die frühesten christlichen Schriftsteller übergehen die Geschichte vom Brand- und Unruhestifter Nero, obwohl sie daran hätten interessiert sein müssen. Einige Jahrzehnte nach Neros Tod, noch vor Tacitus und Sueton, berichtet der römische Bischof Clemens (88-97) der Gemeinde in Korinth über die erlittene Verfolgung, über Nero als Brandstifter verliert er kein Wort. Auch Tertullian und Lactantius, beide schreiben nach Tacitus, schweigen zu diesem Punkt, obwohl sie sich ausführlich mit Neros Regierungszeit beschäftigen und ihn beschuldigen, der erste Christenverfolger gewesen zu sein.

Sueton galt als wenig zitierfähig, zumal bei den Christen. Der Autor der Kaiserbiografien zählte die (angebliche) Verfolgung der Christen zu Neros wenigen Verdiensten.

Der erste christliche Historiker, der Nero die Brandstiftung zur Last legt, ist Sulpicius Severus. In seiner Chronica schreibt er zu Beginn des fünften Jahrhunderts: »Er (Nero) schob seine schreckliche Schuld auf die Christen, die fürchterliche Leiden ertragen mußten, obwohl sie unschuldig waren.“ Diese Interpretation des Severus ist vermutlich von Kopisten in den Text des Tacitus eingefügt worden. Eine bewußte Verleumdung, eine gewollte Fälschung, nicht die erste und nicht die letzte in der christlichen Literatur.

Die Nero unterstellten Beweggründe sind erfunden. Es wird behauptet, der Kaiser habe für seinen phantastischen Palast, die domus aurea, Platz schaffen und die ganze Stadt nach seinen Geschmack neu gestalten wollen. Hier werden Ursache und Wirkung vertauscht. Als Beweis für seine Schuld wird Nero zur Last gelegt, was sein Verdienst war. Der Kaiser ließ nämlich die Stadt nach städtebaulich rationalen und funktionalen Kriterien wiederaufbauen. Hätte er Platz schaffen wollen für seine domus aurea, hätte er das Feuer kaum an einer anderen, entlegeneren Stelle legen lassen …

Der Brand zerstörte außer den Besitzungen des Tigellinus auch den kaiserlichen Palast auf dem Palatin, dessen Umgestaltung nach Neros Wünschen eben erst beendet worden war. Selbst wenn Nero seinen alten Palast loswerden wollte, statt ihn in die geplante neue Anlage zu integrieren, hätte er auf jeden Fall die dort befindliche einzigartige Sammlung griechischer und römischer Kunstschätze in Sicherheit gebracht, an der ihm sehr viel gelegen war und die er nun über Nacht verloren hatte.

In der Nacht, als das Feuer ausbrach, war Vollmond. Das war der schlechteste Augenblick für jemanden, der ungestört Feuer legen und dabei weder gesehen noch erkannt werden will.

Das entscheidende Argument ist jedoch, daß Nero der letzte gewesen wäre, der an einer derartigen Katastrophe Interesse haben konnte .Für das römische Volk war der Princeps bekanntlich eine Art Schutzgott. Ihm konnte alles Gute, alles Schlechte zugeschrieben werden, das der Stadt und ihren Bewohnern widerfuhr. Daher konnte das Gerücht entstehen, er sei am Brand schuldig. Nero wußte, daß er auf jeden Fall für ein derartiges Vorkommnis verantwortlich gemacht würde. Im glimpflichsten Fall hätte es geheißen, er bringe Unglück über die Stadt, was seine Popularität gefährden mußte. Das hätte ihm bei der Lage der Dinge gerade noch gefehlt. 64 hatte Nero mit dem Senat gebrochen. Er konnte sich nur auf die Gunst des Volkes stützen. Diese Gunst aus einer sinn- und ziellosen Laune heraus aufs Spiel zu setzen, wäre einer Selbsttötung gleichgekommen.

Auch das in verschiedenen Fassungen auf uns gekommene infame Gerücht vom singenden Kaiser hat keine reale Basis. Sueton, ein Zeuge vom Hörensagen, macht den Auftritt an einem Turm des Maecenas-Palastes am Esquilin fest. Cassius Dio schmückt aus, Nero habe, in das Gewand des Kitharöden gekleidet, vom höchsten Punkt des Palatins die Feuersbrunst besungen. Dabei stand der Palatin in Flammen, Nero hätte sich nicht dort aufhalten können, ohne in Lebensgefahr zu geraten. Die mittelalterliche Legende verlegt den angeblichen Auftritt auf die Spitze des sogenannten Soldatenturmes (Torre delle Milizie). Diesen gab es zu Zeiten Neros noch nicht.

Alle drei Legenden wissen nichts. Um so eifriger behaupten sie, ein gleichgültiger Nero habe den Brand genossen.

Tacltus liefert unfreiwillig ein anderes Bild von Neros psychischer Verfassung in jenen Tagen. In seinem Bericht über die Verschwörung des Piso von 65 erwähnt er, einer der Verschwörer sei schon ein Jahr zuvor während des Brandes versucht gewesen, Nero zu töten, als er ihn ohne Wache und verrückt vor Angst nachts zwischen den Flammen hin und her irren sah.

Der Brand, von M. Fini zu Recht als Betriebsunfall bezeichnet, fügte sich keineswegs „trefflich in seine, Neros, Wirtschaftspolitik“. Er verdarb vielmehr ein Jahr, in dem Nero endlich die ersten Früchte seiner eigenen Politik ernten konnte: „Das Jahr 64 war eines der herausragendsten, vielleicht das erfolgreichste Jahr in Neros Herrschaft überhaupt ... In diesem Jahr war die gesamte Schwarzmeerküste vollständig besetzt worden; die Bevölkerung der Maritimen und der Kottischen Alpen hatte das römische Bürgerrecht erhalten; zur gleichen Zeit begann es sich langsam auszuzahlen, daß das Meroitische Äthiopien erschlossen worden war und durch die Entdeckung der Monsunwinde neue Seewege zum Indischen Ozean eröffnet werden konnten.

Zu jener Zeit wurde auch mit dem Bau des schiffbaren Verbindungskanals zwischen dem claudischen Handelshafen Ostia und dem augusteischen Militärhafen am Avernersee begonnen. Da sein finanzieller und ökonomischer Handlungsspielraum dank der Währungsmaßnahmen und der Eroberung neuer Versorgungsgebiete erheblich gewachsen war, sah es ganz so aus, als könne Nero Haß und Antipathie gegen seine Person mit den einsetzenden Erfolgen kompensieren.“

War der Brand von Rom für alle ein schweres Unglück, so stellte er für Nero eine Katastrophe dar. Und doch „ist die Vorstellung eines Kaisers, der singt, während Rom in Flammen steht, den unhaltbaren Gerüchten und den insgesamt tendenziösen Berichten über den Brand zum Trotz zu faszinierend und paßt zu gut in die volkstümliche Phantasie, als daß sie leicht auszurotten wäre“. Gerade Nero zog Getuschel und Geflüster an. Er war ein esoterisch wirkender Mann, ein Kaiser, der sich kaum mit einem Vorgänger vergleichen ließ. Bei ihm war mit allem zu rechnen.

Soweit die Phantastereien. Tatsache ist: Die von Nero eingeleiteten Rettungsmaßnahmen standen einem modernen Katastrophenschutz kaum nach. Tacitus: „Als Trost für die obdachlose, umherirrende Bevölkerung gab er das Marsfeld und die Bauwerke des Agrippa frei und ließ Behelfsbauten errichten, die die hilflose Menge aufnehmen konnten; man schaffte Lebensmittel aus Ostia und den benachbarten Landstädten herbei, und der Preis für das Getreide wurde bis auf drei Sesterzen heruntergesetzt.“ Zudem sah Nero zur Aufnahme der Obdachlosen das Pantheon vor, die Thermen, die Portikus des Vipsanius und die Saepta lulia, einen in der Via Lata, dem heutigen Corso, gelegenen, 420 Quadratmeter großen Raum.

Der Kaiser ordnete schließlich die Bewachung der zerstörten Stadtteile durch Soldaten an, um den Plünderern Einhalt zu gebieten. Diese waren schon während des Brandes am Werk gewesen und hatten die Rettungsarbeiten behindert.“

 

Wiederaufbau

 

„Nero ließ Rom energisch, ohne Rücksicht auf die Folgeschäden einer massiven Geldentwertung und unter städtebaulichen Gesichtspunkten wieder aufbauen, denen Fachleute Bewunderung zollen.

„Die Stadtviertel, die die Palastanlage übrigließ, wurden nicht, wie nach dem Gallischen Brand, ohne jede Besonderheit und planlos bebaut, sondern mit sorgsam ausgemessenen Häuserzeilen die Höhe der Häuser, ließ Innenhöfe frei und fügte Säulengänge an, die die Vorderseite der Mietshäuser beschatten sollten. Diese Säulengänge versprach Nero aus eigenen Mitteln zu errichten und die Bauplätze den Besitzern abgeräumt zu übergeben. Auch setzte er Preise entsprechend dem Stand jedes einzelnen und seinen Vermögensverhältnissen aus und begrenzte die Zeit, innerhalb deren sie dies nach Fertigstellung der Paläste oder Mietshäuser erhalten konnten.

Zur Aufnahme des Trümmerschutts bestimmte er die Sümpfe von Ostia; die Schiffe, die das Getreide den Tiber stromauf schafften, sollten mit Schutt beladen zurückkehren; die Gebäude selbst sollten zu einem bestimmten Teil ohne Balken aus gediegenem Gabiner- oder Albanergestein errichtet werden, weil dieser Stein feuerfest ist; ferner wurden, damit das von Privatpersonen nach Gutdünken angezapfte Wasser um so reichlicher und an mehr Stellen für die Öffentlichkeit fleße, Aufseher bestellt; Geräte zum Feuerlöschen mußte jeder in seinem Vorhof haben; schließlich durften die Gebäude keine gemeinsamen Wände haben, sondern jeweils eigene Mauern ringsum.

Was Tacitus schildert, ist erstaunlich modern. Wir könnten Neros Regeln weithin den heutigen Brandschutzbestimmungen entnehmen: das Verbot der Holzbauweise „zu einem bestimmten Teil“ der Häuser, die Vorschrift, feuerfeste Materialien zu verwenden und Feuerlöscher in jedem Haus zu halten, die Errichtung von Brandmauern, die öffentliche Sorge um Löschwasser.“

 

Christentum unter Nero

 

Geistiger Brandstifter

 

Aus einem früheren Beitrag des Wurms:

„Denn der christliche Glaube äußert sich in keinster Weise negativ zum Krieg, in dem ja bekanntlich Menschen getötet werden. Das Alte Testament schildert seinen Gott als Kriegsgott und das Neue Testament ist entgegen aller Propaganda alles andere als pazifistisch.

Jesus erzählt kriegerische Gleichnisse (Lukas 14; 31) und als ihn Soldaten fragen, was sie tun sollen, ruft er nicht zur Abkehr vom kriegerischen Beruf auf, sondern, dass sie mit ihrem Sold zufrieden sein sollen (Lukas 3; 14). Er hat bewaffnete Begleiter (Matthäus 26; 51), ruft auf zum Waffenkauf (Lukas 22; 36) und sagt folgende Sätze:

„Ihr sollt nicht wähnen, daß ich gekommen sei, Frieden zu senden auf die Erde. Ich bin nicht gekommen, Frieden zu senden, sondern das Schwert“ (Matthäus 10; 34) oder „Ich bin gekommen, daß ich ein Feuer anzünde auf Erden; was wollte ich lieber, denn es brennete schon!“ (Lukas 12;49)

Solche Sätze sind weder von frühen noch von späten Christen pazifistisch verstanden worden.

Wurm ist es gewohnt, von den Menschen nicht ernst genommen zu werden. Deshalb hier die Stellen, um in aller Ruhe nachzulesen:

http://bibel-online.net/buch/luther_1912/lukas/14/#1

http://bibel-online.net/buch/luther_1912/lukas/3/#1

http://bibel-online.net/buch/luther_1912/lukas/22/#1

http://bibel-online.net/buch/luther_1912/matthaeus/26/#1

http://bibel-online.net/buch/luther_1912/matthaeus/10/#1

http://bibel-online.net/buch/luther_1912/lukas/12/#1

 

http://www.ansichten-eines-regenwurms.de/26-die-katholiban-und-das-leben.html

 

Apocalypse Now

 

„Als die Zeit ins Land ging und der Gerichtsherr Jesus nicht so schnell kam, wie es erwartet worden war, als sich Zweifel mehrten, Resignation, Spott, Zwist, wurden mehr und mehr Stimmen von jenen Radikalen laut, die das Ganze selbst in die Hand nehmen, die Wartezeit abkürzen wollten. Jesus und seine Jünger hatten kein abstraktes Jenseits, keinen Zustand der Seligkeit im Himmel erhofft, sondern das unmittelbare Eingreifen Gottes und eine völlige Umgestaltung der Dinge auf Erden. Wie sich die Christen verhalten sollten, als ihr Gott partout nicht handeln wollte, blieb umstritten.

Kaum sind die ersten christlichen Gemeinden gegründet, gibt es Streit. Die Toleranz Roms in Angelegenheiten der Religion und der Religionen ist für Christen ein Fremdwort. Sie bedrohen, für Römer ein Greuel, ein Skandal, Andersgläubige mit ewigem Feuer. Eine Religion wie das Christentum, dem es seit Anfang um die wahre Lehre, um Orthodoxie und Häresie, um mehr oder weniger radikales Denken und Handeln geht, wird sich aufsplittern …

In Rom war es nicht anders gewesen. Gewiß gab es Christen, die nicht gar so radikal waren wie andere. Doch sie galten bald als lau, kompromißlerisch, wenig engagiert. Wer richtig überzeugt zu sein glaubte, dachte anders - und berief sich zäh auf seinen Gott. Gewaltbereite Gruppierungen erwarteten in der Nachfolge des Jesus von Nazareth das Ende der Welt …

Genug Christen sehnten sich glühend nach der Wiederkunft des Herrn und dem Ende der Welt. Für sie waren diese Ereignisse gleichbedeutend mit Bestrafung der Bösen und Belohnung der Guten. Und sie glaubten, das Ende stehe kurz bevor. Die Welt, in der sie lebten, erschien ihnen zu korrupt, als daß sie fortzubestehen verdiente. Gott war drauf und dran, alles von Grund auf zu ändern. Oder zögerte er?

Fanatismus ist die einzige Willensstärke, zu der auch Schwache und Unsichere gebracht werden können. Für die Radikalsten, die nicht mehr warten wollten, wurde das kaiserliche Rom bevorzugte Zielscheibe. Die Hauptstadt hatte sich nach ihrer Meinung unter Nero weitgehend an Babylon angeglichen. Rom galt als Sodom und Gomorrha. Die Verleumdung durch Fanatiker stand in keinem Verhältnis zur Wirklichkeit: Der Haß dieser Zukurzgekommenen war übermächtig.

Haß traf die Hauptstadt der Welt, die zu erobern die Christen träumten, diese Mitglieder einer aufstrebenden Sekte, der überall widersprochen worden sein soll (Apg 28,22). Vor dieser Eroberung, die eine Neuordnung von Stadt und Weltkreis im Sinne christlicher Militanz nach sich ziehen würde, mußte das alte, das „heidnische“ Rom - und ein ebenso glänzender wie bestialischer Kaiser - vernichtet sein, und das nicht nur verbal …

Auch ein Abschnitt bei Tacitus, einer der widersprüchlichsten der gesamten Annalen, läßt Raum für Interpretationen. Tacitus behauptet, Nero habe einige Christen zu Schuldigen gestempelt, um die Gerüchte, die ihn der Brandstiftung bezichtigten, zu ersticken. Wenig später berichtet er, die ersten Verhörten hätten nicht nur Geständnisse abgelegt, sondern gestanden, bevor sie verhaftet waren.

Wie sahen die Geständnisse aus? Gaben die Verhörten zu, Christen zu sein, oder gestanden sie, den Brand gelegt zu haben? Eigentlich konnten sie nur die Brandstiftung gestehen, denn darauf lautete die Anklage. Nur dafür wurden sie zur Rechenschaft gezogen, nur dafür verurteilt. Nero bestrafte sie, weil er sie, ob nun zu Recht oder zu Unrecht, für die Brandstifter hielt, und auch nur diejenigen, die bei den Prozessen, ob zu Recht oder zu Unrecht, schuldig gesprochen wurden. Es hätte keinen Sinn ergeben, den christlichen Glauben zu gestehen.

Warum die Selbstbezichtigungen? So konnten Fanatiker handeln, die nach Märtyrerruhm strebten. Möglich, daß sie eine Schuld gestanden, die sie nicht auf sich geladen hatten, und in der Erregung durch die Katastrophe die Schuld für den Brand auf sich nahmen, weil sie ihn als Zeichen für das Ende der Welt sahen.

Es ist genausogut möglich, daß die Fanatiker Geständnisse ablegten, weil sie das Verbrechen tatsächlich begangen hatten. Die Spontaneität der ersten Geständnisse läßt vermuten, daß etwas Wahres daran gewesen sein wird. Waren extremistische Christen die Täter, ergibt auch der Angriff auf den Besitz von Nero und Tigellinus einen Sinn. Hatten sie die Absicht, das neue Sodom zu treffen, ist es logisch, daß Nero und Tigellinus in ihren Augen als Symbolfiguren für dieses galten.

Im Gegensatz zu den Verschwörern des folgenden Jahres hatten Menschen, die für ihren Glauben zu allem bereit waren, keine Angst vor Repressalien. Sie waren erpicht darauf.

Doch war das Feuer nicht infolge von Fahrlässigkeit ausgebrochen? Wozu die Überlegungen über eine Brandstiftung? Uber Brandstifter? Wahrscheinlich liegt die Wahrheit in der Mitte: Das Feuer brach ohne ihr Zutun aus, die christlichen Ultras taten jedoch alles, um die Löscharbeiten zu behindern, alles in der frommen Absicht, der Hand des Herrn, die sich zur Bestrafung des neuen Sodom erhoben hatte, zu Hilfe zu kommen. Unabhängig von der Plünderungsthese würde das auch jene mysteriös gebliebenen Figuren erklären, die nach Tacitus während des Brandes umherstreiften, das Feuer neu entfachten und die Rettungsmannschaften behinderten.“

„Frühe Christen standen mit Feuer „zumindest theoretisch auf vertrautem Fuß“. Hatte Jesus von Nazareth gelitten, war er gestorben, um eine Welt zu erlösen, schien sein Leiden und Sterben den Radikalen bald zu wenig zu ergeben. Es mußte mehr sein: Feuer galt nicht nur als Symbol der endzeitlichen Reinigung (Katharsis), die alle Sünde der Welt ein für allemal ausmerzen würde. Feuer war mehr als ein Symbol. Das Böse, die Bösen mußten real brennen.

So äußern sich, zwei Beispiele von vielen, die Verfasser, die sich unter dem Namen des Petrus (2 Pt 3,7) und des Johannes (Apk 14,10; 17,6; 19,20; 20,9) verbergen. Selbst Jesus von Nazareth soll wirkliches Feuer gemeint haben; so wird es ihm später in den Mund gelegt (Mt 3,10; 13,40; 18,8). Und radikaler Höllenglaube geht bis heute von einem realen Brand aus, nicht nur von seelischen Schmerzen. Leiden ist zu wenig, alles muß weg.

Wären die Fanatiker des Weltuntergangs für die Katastrophe verantwortlich gewesen, würde das erklären, warum Tertullian und Lactantius keine Verbindung zwischen dem Brand von Rom, über den sie sich ausschweigen, und den Verfolgungen durch Nero herstellen. Sie behaupten, daß diese zu einem anderen Zeitpunkt eingesetzt hätten.

Möglicherweise hatten sie ein schlechtes Gewissen und waren nicht davon überzeugt, daß ihre Glaubensbrüder mit dem Brand nichts zu tun hätten. Auffällig ist, daß im Zusammenhang mit der sogenannten Verfolgung durch Nero kein einziger christlicher Märtyrer namentlich genannt wird.

Vielleicht hat ein kleiner Teil der christlichen Gemeinde Roms den Brand als gerechte Strafe für das neue Sodom angesehen. Darüber hinaus gingen radikale Fanatiker vermutlich so weit, ihre Zufriedenheit mit Hymnen, Gesängen und Triumphgeschrei zu äußern. Die Auftritte nahmen solche Formen an, daß Tigellinus einschritt.“

Gerne verweist der Wurm in diesem Zusammenhang auf „moderne“ Apokalyptiker: http://www.ansichten-eines-regenwurms.de/151-weltenende.html

 

Keine Christen-Verfolgung unter Nero

 

„Gegen die neue Sekte einen Prozeß wegen ihres Atheismus zu führen kam Nero nicht in den Sinn. Die meisten Kaiser hatten eine Scheu vor solchen Verfahren. Von Tiberius stammte der Ausspruch, ein Vergehen gegen die Götter sei Angelegenheit der Götter selbst (deorum iniuriae diis curae).“

„Die üble Nachrede, die aus Nero einen Christenschinder, ein Scheusal sondersgleichen macht, hat sich zweitausend Jahre gehalten. Nero hat jedoch mit einer Christenverfolgung nichts zu tun. Was er durchführen ließ, waren reguläre Prozesse gegen Brandstifter, ein stadtrömisches Ereignis. Tacitus und Sueton haben die Verfahren als gerecht und vernünftig beurteilt. Das Christentum stand nicht zur Diskussion. Religiöse Motive spielten nicht einmal eine Nebenrolle. Zudem waren die Christen in Rom zu gering an der Zahl und zu unbedeutend in der riesigen Stadt, als daß ihre Hinrichtung zur Angelegenheit öffentlichen Interesses hätte werden können. Nero war - wie viele seiner Nachfolger - zu stark, um ernsthaft gegen die neue Sekte kleiner Leute einschreiten zu müssen.

Nero, dessen Andenken in Rom „verblüffend gut“ blieb, verurteilte die Christen nicht wegen ihres Glaubens, sondern wegen einer Straftat. Da diese in Rom begangen worden war, beschränkte sich die sogenannte Verfolgung auf die Hauptstadt. In den Provinzen wurde keinem Christen ein Haar gekrümmt. Die angebliche - und bis in die Gegenwart hinein gern geglaubte - Verfolgung blieb räumlich und zeitlich begrenzt und fand mit den Verurteilungen und Hinrichtungen im Jahr 64 ihr Ende.

Allerdings haben spätere Christen sogenannte Märtyrerakten reihenweise gefälscht, Sie sollten belegen, daß Nero auch im übrigen Italien sowie in Gallien blutig verfolgt hatte. Doch sind diese Akten „geschichtlich ohne Wert“.

Von einer „ungeheuren Menge“, die Neros Massenhinrichtungen zum Opfer gefallen sein soll, kann keine Rede sein. Da die junge Christengemeinde bescheidene Zahlen aufzuweisen hatte, dürfen wir uns die Menge „nicht gar zu groß vorstellen“, wie christliche Autoren einräumen. Auch in Rom wurde nicht die gesamte christliche Gemeinde verfolgt, sondern nur die Gruppe, die der Brandstiftung verdächtigt wurde. Die anderen, die Mehrheit, wurden in Ruhe gelassen, und zwar nicht etwa, weil es ihnen gelungen wäre, zu entkommen und unterzutauchen. Paulus hielt sich 64 vielleicht in Rom auf, hätte vermutlich den Behörden als Christ bekannt sein können, wurde jedoch nicht angeklagt.

Ohne ausführlich auf das Thema eingehen zu wollen: Während Neros Christenverfolgung mehr als zweifelhaft ist, steht fest, daß Paulus, früher Saulus, Christen verfolgt und ihre Verfolgung gebilligt hat. Das Neue Testament nennt ihn, aus welchen Gründen auch immer, ausdrücklich einen mörderischen Verfolger (Apg 9,21; 26,10f.) - und er sich selbst auch (1 Ko 15,9; Gal 1,13). Im übrigen fanden seine Verfolgungen lange vor Neros Zeiten statt.“

 

Paulus und römisches Gesetz

 

„Ein Beleg dafür, wie ein Christ unter Nero behandelt wurde, ist die Geschichte des Mannes, der vielleicht - nach dem römischen Grundsatz der drei Namen (praenomen, nomen, cognomen) - Lucius Aemilius Paulus geheißen haben könnte.

Dieser ist seinerzeit vom Pferd gefallen und hat sich dabei verletzt. Die out-of-body-experience und weitere von ihm geschilderte Symptome stützen die Deutung heutiger Hirnforscher: Infolge einer „Beschädigung des rechten Temporallappens und der Amygdala oder zumindest ihrer corticalen Eingänge aufgrund einer Verletzung, eines Schlaganfalls oder eines epileptischen Anfalls“ hat er eine tiefgreifende Persönlichkeitsveränderung erfahren. Diese wurde, nachdem aus dem Christenverfolger Saulus der Apostel Paulus geworden war, als sein Bekehrungserlebnis bei Damaskus gedeutet (Apg 9,3-7; 22,6-11; 26,14).

Dieser Missionar, bekannt für Eifer, Zorn, Haß, hatte bereits in Lystra (Zoldera in der südöstlichen Türkei) Probleme gehabt. Hier war er, eher prüde, als Hagestolz lebend, als Fanatiker der Enthaltsamkeit profiliert, ausgerechnet für den Gott Hermes (Merkur) gehalten worden (Apg 14,12), der wie kein zweiter als das Symbol männlicher Potenz und Zeugungslust galt. Auch Saloniki, Korinth und Philippi bereiteten Paulus Schwierigkeiten. Die römischen Behörden verfolgten die Klagen jedoch nicht.

Paulus hielt sich 58 in Jerusalem auf. Mitglieder der christlichen Gemeinde, welche die Lage besser einschätzten als er, hatten ihn zur Vorsicht aufgefordert. Doch er ließ sich nicht davon abbringen, im jüdischen Tempel zu predigen. Von Juden umringt, die ihn lynchen wollten, hätte er sein Leben gelassen. Die Soldaten des Tribuns Claudius Lysias entrissen ihn der wütenden Menge (Apg 23,10).

Paulus ist ein außergewöhnlicher Gefangener. Er ist hellenistisch gebildet und kennt sich im römischen Recht aus: „Dürft ihr einen römischen Bürger wirklich ohne Urteil geißeln lassen?“ (Apg 22,25) fragt er fast beiläufig einen Centurio. Dieser läuft zum Tribun, und der erfährt erstmals von der Tatsache, daß Paulus von Geburt an Roms Bürgerrechte genießt, die er selbst, der Tribun, teuer kaufen mußte. Jetzt graut es diesem: Es macht ihm Angst, daß er an eine Geißelung gedacht hat.

So streng sind Roms Sitten - unter Nero.

Lysias, mittlerweile vorsichtig, hat die Priester des Hohen Rates, die Führer der Juden, nach dem Vergehen dieses Paulus gefragt. Und nichts kapiert. Daraufhin läßt er Paulus, wenn solchen Zahlenangaben zu trauen ist, unter dem Schutz einer überdimensionierten Eskorte von zweihundert Soldaten, zweihundert Bogenschützen und siebzig Reitern zur Residenz des Antonius Felix in Caesarea bringen (Apg 23,23 f.). Ein Komplott droht. Sein Ziel: Paulus den Römern abzujagen (Apg 23,13).

Felix läßt die Altesten der jüdischen Gemeinde rufen, um die Anklage zu klären. Als zwischen dem Hohenpriester Ananias, einigen Ältesten und dem Anwalt Tertullus auf der einen und Paulus auf der anderen Seite ein endloser Disput entbrennt (Apg 24), sieht sich Felix mit einer Auseinandersetzung konfrontiert, die für einen Römer unverständlich bleiben muß. Ähnlich werden die Evangelien über den Prozeß Jesu berichten: Mit innerjüdischen Glaubensstreitigkeiten konnten die Ankläger Jesu dem Pontius Pilatus nicht kommen, daher verklagen sie ihn als Missetäter. Pontius Pilatus nimmt den Prozeß so neutral auf, wie es das römische Recht gebietet (Jo 18,28-19,16).

Da es in Jerusalem zu Tumulten kommt, hält Felix diesen Paulus fest, einerseits, um Zeit zu gewinnen, andererseits, um das Leben des Häftlings zu retten, denn die Menge hätte ihn in Stücke gerissen, hätte Rom ihn freigesetzt. So bleibt Paulus in militärischem Gewahrsam (custodia militaris), einer Haft, die im Vergleich mit der strengen allgemeinen (custodia publica) relativ milde ist. Gefangene können Besucher ihrer Wahl empfangen und ein beinahe normales Leben führen (Apg 24,27).

Da Felix, Bruder des unter Kaiser Claudius mächtigen Pallas, korrupt ist, läßt ihn Nero 60 durch Portius Festus ablösen (Apg 24,27). Dieser greift bereits eine Woche nach seinem Amtsantritt den ererbten Fall auf, läßt die Priester aus Jerusalem kommen und hört ihre Anklagen gegen den Dauerhäftling Paulus an.

Er muß auf die jüdische Gemeinde Rücksicht nehmen. Beim wiederholten Verhör, in dem er zu begreifen sucht, worum es eigentlich geht, hilft ihm schließlich der Gefangene selbst aus der Verlegenheit, indem er an den Kaiser appelliert (Apg 25,12). Paulus, im kleinasiatischen Tarus geboren, ist römischer Bürger (civis romanus).

Römischer Bürger, ein privilegierter Titel, darf sich ein Mann heißen, der privatrechtlich mit seinesgleichen nach den Regeln des römischen Rechtes agieren kann, bei Eheschließungen, Käufen und Verkäufen, Darlehen, Prozessen. Und er ist in der res publica Angehöriger des römischen Volkes. Als solcher genießt er politische Rechte wie das Wahlrecht und den Anspruch auf ein Gerichtsverfahren.

Paulus hat das Recht, sich in höchster Instanz an den Kaiser selbst zu wenden (ius provocationis). Die Eigenschaft als Bürger Roms erlaubt es, nach Bedarf jenen Schutzschild aufzurichten, den römische Bürger im Reich beanspruchen dürfen. Das steht nicht nur auf dem Papier. Der Rechtssinn Roms garantiert das unverbrüchliche Privileg.

Und nochmals: Auch unter Nero.

Festus war zufrieden: „An den Kaiser hast du appelliert, zum Kaiser sollst du ziehen.“ (Apg 25,12) Der Kaiser, Nero, ist zum rettenden Stichwort geworden. Festus hat nichts dagegen, und Paulus erst recht nicht. Offensichtlich hat er keine Angst, in Rom verhört zu werden. Ein so weit gereister Mann, der Tag für Tag auch vom Kaiser gehört haben muß, ein Missionar, der Tausende von Kilometern auf Roms Straßen gewandert ist und gewiß tausend Begegnungen hinter sich hat, zeigt nicht die geringste Angst vor Nero.

So bestialisch kann dieser Kaiser nicht gewesen sein. Von Paulus kein Wort.

Gemeinsam mit anderen Gefangenen wird Paulus nach Italien eingeschifft, vom Centurio Julius bewacht, einem altgedienten Soldaten. Insgesamt sind 276 Menschen auf dem Getreideschiff (Apg 27,1-28,14). Der Centurio schließt mit dem interessanten Gefangenen Freundschaft, behandelt ihn respektvoll.

Die Reise verläuft so abenteuerlich wie die Odyssee des Homer, nach deren Vorgaben sie konstruiert ist. Das Schiff wird gewechselt, es kommt einmal zum Schiffbruch, und erst Ende 60 langt Paulus, wenn überhaupt, in Rom an. Dort mietet er, falls es sich nicht um eine Legende handelt, eine Wohnung und wartet auf seinen Prozeß. Er steht unter Hausarrest, kann aber Besucher empfangen und mit allem Freimut predigen (Apg 28,30f.).

Neros Herrschaft ließ das zu.

Zwei Jahre lang soll Paulus dieses Leben geführt haben, dann bricht die Erzählung der Apostelgeschichte abrupt ab. Hört mit dem Ende des biblischen Berichtes auch das wissenswerte Leben des Paulus auf? Dann hätte er einen „fahleren, beiläufigeren Abgang“ als jede andere bedeutende Person der Antike. Immerhin findet sich keine Silbe mehr. Leeres Papier, Schweigen überall: Kein Missionsvorhaben, keine Reisepläne, kein Martyrium, kein Tod in Rom. Spätere Berichte, Paulus sei in Spanien tätig geworden und endlich nach Kleinasien zurückgekehrt, sind legendär …

Von den Legenden einmal mehr zu den Fakten: Die bis in die Gegenwart hinein politisch heikle und geschichtlich folgenreiche Passage aus dem sogenannten Römerbrief des Paulus (13,1-7) zeigt, daß Nero keineswegs christenfeindlich eingestellt war. Die Meinung, der genannte Brief des Apostels enthalte eine Kampfansage an Nero, zumal Paulus hier so stark wie nirgends sonst die königliche Abstammung Jesu betone und auch sonst mit „imperatorischen Zuschreibungen“ nicht geize, ist nicht zu halten. Paulus greift Nero zum einen nicht an, es sei denn sehr verklausuliert. Zum anderen entwickelt er eine politische Theologie anderer Art, und dies keineswegs verklausuliert: Er fordert ohne Wenn und Aber zum Gehorsam gegen die Obrigkeit und damit gegen Nero auf.“

 

Peter und Paul

 

„Von einem Tod des Paulus in Rom, von einer Exekution gar, womöglich durch das Richtschwert eines - in Griechenland weilenden - Nero, wird in zeitgenössischen Quellen nicht berichtet. Doch während die Zeitgenossen schweigen, fertigt die fromme Überlieferung aus dem Apostel einen Märtyrer. Bis heute hat sich nichts daran geändert.

Was aber, ein ketzerisch klingender Gedanke, wenn dieser Paulus schlicht im Bett gestorben wäre? Einfach so wie andere Menschen auch? Dann wären zweitausend Jahre christliche Märtyrergeschichte entlarvt. Dann könnten die dem angeblichen Märtyrer zugelegten Symbole, so das ominöse Schwert des römischen Henkers, wie es in abertausend Abhandlungen und Abbildungen der christlichen Hagiographie erscheint, als das erkannt werden, was sie sind: Erfindungen einer späteren Zeit, ein erklecklich frommer Betrug.

Die in Rom noch immer gezeigten Schauplätze und Reliquien, die sich auf Paulus beziehen, sind als unecht zu bezeichnen. Sie gehören auf den Schuttberg der sogenannten Apostellegenden, die fromme Seelen, doch nicht die historische Forschung befriedigen können: das angebliche Grab des Paulus in der römischen Hauptkirche S. Paolo fuori le mura, die Kirche S. Paolo alle tre fontane, die im 5. Jahrhundert über dem angeblichen Schauplatz der Enthauptung errichtet wurde, die Säule, an der Paulus angebunden gewesen sein soll …

Die Gräber des Petrus wie des Paulus, über die so viel geschrieben worden ist, daß eine Bibliothek gefüllt werden könnte, werden von einer frommen Überlieferung in Rom lokalisiert. Für ihre Existenz gibt es jedoch - wie für die Hinrichtung der beiden unter Nero - noch immer keine Beweise. Nur die höchst umstrittenen Berichte des ersten Kirchenhistorikers Eusebios von Caesarea († 319 u.Z.) oder der römische Festkalender von 354 wollen sie - zweihundert Jahre später - kennen.

Ob Petrus in Rom war, bleibt fraglich. Sein Aufenthalt in der Hauptstadt ist noch nicht bewiesen. Um so kritischer ist den Berichten zu begegnen, die nicht nur seine Gemeindeleitung in der Metropole, sein Amt als „erster Papst“, seine Exekution im Circus in den Vatikanischen Gärten behaupten.

 

Flasche leer: Nero hat fertig

 

Zur zeitlichen Einordnung:

 

Nero wird im Jahr 37 unserer Zeitrechnung geboren

54 wird er Kaiser.

64 brennt Rom.

66 ist die große Griechenland-Reise.

Im Jahr 68 endet Neros Leben.

 

Ausgebrannt

 

„Er hat den Zenit überschritten, den Orgasmus des Triumphs genossen. Und er scheint das zu ahnen, nachdem wieder Ruhe eingekehrt ist. Jetzt machen sich vermehrt die Anzeichen eines Burnout-Syndroms bemerkbar. Nero erscheint nicht nur krank, er ist mehr als krank, er ist müde. Er spürt offenbar das enorme Gewicht seines Lebens in seinem Körper. Und er ist müde geworden, gegen das wirkliche Leben in ihm anzukämpfen. Er hat kaum mehr die Energie, diesen einmaligen Roman zu Ende zu leben.

So erschöpft, energielos und seltsam ausgebrannt kennen ihn die Seinen nicht. Von außen betrachtet, wirkt er reizbar, deprimiert, unzufrieden. Er leidet unter Panikattacken, schrickt schon durch eine laute Vogelstimme auf, bricht immer wieder zusammen.

Wer die Symptome nicht einschätzen kann, spricht leicht von Grausamkeit, nimmt Defizite an, die für einen ausgemachten Gewalttäter sprechen: Hyperaktivität, mangelnde Impulskontrolle, tiefe innere Unsicherheit, Gefühl der Bedrohtheit, ausgesprochen niedrige Frustrationsschwelle.

Das alles trifft nicht zu. Grausam ist Nero vor allem sich selber gegenüber. Das rächt sich.

Solange Nero er selbst sein konnte und wollte, lebte er beherzt, toll, achtete wenig auf Gesundheit, Leben, Ehre. Auf einmal fühlt er sich verlassen wie als Kind. Ebenso plötzlich fallen Einsamkeit, Furcht, Unlust auf ihn. Nero leidet an allem Erlebten und Nichterlebten, eine Kreatur, die sich vor einem Geraschel, einem Schatten fürchtet.

Das Bum-out-Syndrom lässt sich nicht auf eine einzige Ursache zurückführen und entwickelt sich über einen längeren Zeitraum hinweg. Ausschlaggebend ist das Persönlichkeitsprofil des betroffenen Menschen und eine Vielzahl von Aufgaben. Im Falle Neros handelte es sich um zwanghaft übernommene Verantwortlichkeiten: zum einen als Kaiser, zum anderen als Künstler In beiden Fällen mußte er der Beste sein. Im ersten Fall hatte es die Mutter gewollt, im zweiten er selbst. Die Doppelbelastung, die Bürde der höchsten Macht und die seines künstlerischen Anspruchs, kann er auf Dauer nicht tragen. Erschöpfung wird ihn einholen und seinen Tod beschleunigen.“

Da braucht Horst Herrmann gar nicht groß zu psychologisieren – das Gefühl des Ausgebranntseins durch starke Überlastung in Beruf und/oder Familie kennen Millionen. Dazu braucht es keine tief schürfenden Erklärungs-Versuche.

Auf jeden Fall benötigt Nero viel Ruhe, die er nicht hat und nicht bekommen wird.

„Nero ist abgedreht. Er hat den Kontakt zur Realität verloren, zieht sich auf sich selbst zurück, weist immer typischere Symptome auf: Antriebsschwäche, Unlust und die Neigung, sich auf und davon zu machen, einen anderen Beruf zu ergreifen. Es sieht aus, als handle es sich um einen zunehmenden Erschöpfungszustand, um depressive Verstimmungen, um eine Reaktion auf anhaltende schwere Belastungen, welche die Kompensationsmöglichkeiten dieses Menschen erschöpft haben.

Mediziner nehmen ein Phasenmodell zu Hilfe, um auf das Vorliegen eines solchen Erschöpfungssyndroms schließen zu können. Meist sind intelligente und engagierte Menschen betroffen. Anfangs bestimmen Enthusiasmus und Ideenreichtum, hohe Erwartungen und Selbstbestätigung durch Leistung das Bild. Die Engagierten brennen für ihre Sache, wollen alles, was sie als ihre Aufgabe begreifen, perfekt machen. Nach dem Abklingen der ersten Begeisterungswogen, manchmal nach Jahren, nach Jahrzehnten, wächst die Erkenntnis, nicht alles erreichen zu können, was geplant war.

Trotz Stagnation und Frustration glaubt der Betroffene, seine Aufgaben mit verstärktem Einsatz bewältigen zu können. Er entwickelt einen Tunnelblick: Nichts mehr scheint den Gefährdeten wirklich zu interessieren. Mit Ausnahme seiner eigenen Aufgabenstellung. Er nimmt am Leben nur noch physisch teil, beteiligt sich nicht innerlich. Er vernachlässigt Familie und Freunde, kapselt sich ab. Dabei verspürt er Hoffnungslosigkeit und Apathie. Das Gefühl der inneren Leere wird unerträglich. Vereinsamung und »wie abgestorben sein« sind vorherrschende Gefühle. Depression breitet sich aus.“

 

Aufstand und Ende

 

Nero hatte wahrlich genug Feinde und bereits mehrere Verschwörungen gegen sich erlebt. Diesmal bricht ein Aufstand in Gallien aus, der niedergeschlagen wird, aber noch am Köcheln ist. Neros Feinde sind zögerlich; er selbst anfangs halbherzig und mehr und mehr apathisch. Es wäre ein Leichtes gewesen, den Aufstand niederzuschlagen. Nero ist jedoch lustlos und macht es somit seinen Anhängern schwer, sich für ihn einzusetzen.

Im Nachhinein ist es einfach, Gründe für Neros Scheitern zu bestimmen. Ja, durch seine Politik, die dem gesamten Volk und dem Gemeinwohl diente, hat er sich zahlreiche und mächtige Feinde geschaffen. Ja, durch seine Kulturpolitik hat er die Traditionalisten vor den Kopf gestoßen.

Ein tatkräftiger Nero hätte jedoch seine Politik weiter durchziehen können.

Horst Herrmann beschreibt Neros Ende folgendermaßen:

„Ein Bote bringt die Nachricht, der Kaiser sei vom Senat zum Hochverräter und Staatsfeind (hostis populi romani, hostis patriae) erklärt worden und alles suche nach ihm, um nach dem Brauch der Vorfahren die Strafe zu vollziehen. Um den Mut zum Freitod zu finden, läßt sich Nero erklären, worin diese Strafe besteht. Als er erfährt, daß das Opfer nackt mit dem Hals in eine Gabel geschlossen und mit Ruten zu Tode gepeitscht werde, ergreift er den Dolch, prüft die Schneide, steckt ihn zurück und meint, seine Stunde sei noch nicht gekommen. Was hatte Vergil gedichtet, auf dessen Verse sich Rom stützt? Einmal stirbt jeder, doch es muß zu seiner eigenen Stunde sein (stat sua cuique dies).

Da sprengen Reiter heran, die Nero lebend fangen sollen. Als er sie hört, zitiert der Kaiser den Vers des Homer: „Von schnellfüßigen Pferden trifft der Hufschlag mir die Ohren.“ Dann spricht er sich in geradezu altrömischer Diktion Mut zu: „Mit Schimpf und Schande lebe ich! Das schickt sich nicht für Nero, das schickt sich nicht. Es gilt, den Verstand zu gebrauchen. Auf, ermanne dich!“

Der Akt des Sterbens ist weniger bedeutend, als es die Pietät behauptet. Der Sterbende hat in seinem Leben meist wichtigere Dinge verloren, als er hier drangeben muß.

Der Dreißigjährige greift zum Dolch, stößt ihn halb in die Kehle. Epaphroditus vollendet den Stoß. Ein Centurio stürzt herein. Er sieht Nero liegen und versucht, die Wunde zu verbinden, um den Kaiser lebend zu fangen. Dieser mißdeutet die Geste: „Treue (fides)l Zu spät!“

Der 9. Juni 68.“

 

Üble Nachrede

 

„Infolge der nach Neros Tod verhängten Löschung des Andenkens (damnatio memoriae), gegen die der Partherkönig protestieren wird, wurde das Werk dieses Kaisers schlecht geredet und vernichtet. Keine nerofreundliche Geschichtsschreibung hat sich erhalten. Was wir von ihm wissen, stammt von seinen Kritikern, Gegnern, Feinden. Von daher gesehen, kann keine Biographie Neros objektiv sein. Wir stehen mit fast leeren Händen da.“

„Tacitus, auf dessen Berichte fast alle Meinungen zurückgehen, die sich über Nero haben bilden lassen, ist kein objektiver Beobachter. Er bleibt Partei. Er gehört jener Klasse an, die Nero bekämpfen wird. Der Grundgedanke, der das Werk des Tacitus beherrscht, läßt sich auf einen Begriff bringen: Prinzipat und Freiheit. Da er unter Freiheit die des Senats versteht, kann er sich zu einem Verächter und Knebler des Senats wie Nero nur negativ äußern. Freilich wäre auch die Mehrheit der Senatoren kritikwürdig gewesen: Sie hat sich lange, hündisch unterworfen, geschmeichelt, wo sie hätte offene Worte finden sollen, gedienert, wo Widerstand gefragt war.

Tacitus, konservativ bis reaktionär, trauert den vergangenen Zeiten der Republik nach. Neros Politik ist ihm zuwider. Der junge Kaiser versucht, die Gesellschaft Roms umzugestalten. Sie soll den Dimensionen eines Reiches angepaßt werden, das inzwischen fast ganz Europa, Nordafrika und einen großen Teil des Nahen Ostens umfaßt.

Tacitus verachtet solche Pläne. Und er mag ihren Urheber nicht.“

„Christliche Historiker haben sich kaum die Mühe gemacht, den persönlichen und politischen Hintergrund der Autoren zu berücksichtigen. Über Tacitus habe ich bereits gesprochen. Und Sueton gehörte zum römischen Rittertum. Als unermüdlicher Sammler von Skandalgeschichten, deren Wahrheitstreue von Fall zu Fall überprüft werden muß, war er kaum zu überbieten. Dabei fehlte ihm jede Voraussetzung zum angemessenen Verständnis für die Tragweite einer Politik, wie Nero sie zu verwirklichen suchte. Seine Mittelstandsideale reichen nicht hin.

Was Sueton und Tacitus über Nero schreiben, wird oft in jedem Detail für bare Münze genommen. Schreiben sie jedoch mit der gleichen Unbekümmertheit auch den Christen, jener Haß provozierenden Schande für das Menschengeschlecht (odium humani generis) jede Art von Schändlichkeit zu (per flagitia invisos, wegen ihrer Schandtaten verhaßt), wird ihre Glaubwürdigkeit in Frage gestellt.

Quer durch die Jahrhunderte hält sich die Verdammung dieses einen Kaisers Nero. Niemand widerspricht der Verleumdung; niemand widmet dieser Aufgabe eine Schrift. Alles scheint sich an das überkommene Urteil gewöhnt zu haben. Vollends ruiniert wurde Neros Image durch einen in dreißig Sprachen übersetzten Roman des Polen H. Sienkiewicz, ein literarisch wenig bedeutsames, heutzutage in Dutzenden von Romanen mit Leichtigkeit übertroffenes Werk.

Der Verfasser, geübt im Lagerdenken, bedient spekulativ die Klischees, die sein Publikum von ihm erwartet: den Kontrast zwischen dem in seinem Stolz befangenen, dekadenten „Heidentum“ und einer demütigen Christengemeinde, die am Schluß nicht nur einen moralischen Sieg davonträgt, den Kontrast zwischen den schlichten Aposteln Petrus und Paulus und dem größenwahnsinnigen Kaiser, den Kontrast zwischen einem gekrönten Dilettanten und den siegreichen Missionaren des Glaubens. Effektvolle Schilderungen fehlen nicht: Der - von Nero gelegte und besungene - Brand, die Verfolgung der Christen, die blutigen Szenen in Circus wie Amphitheater, wo Tausende von Märtyrern gemeuchelt werden oder, noch Kinder und Jungfrauen, als lebende Fackeln dienen.

Das Fazit des Romanciers, sein definitives Klischee: „So zog Nero vorüber, wie Sturm, Feuersbrunst, Krieg und Pest vorüberziehen, aber die Basilika des Petrus herrscht noch von den Höhen des Vatikan über Rom und die Welt.“

Dieser Roman, „ein neues Evangelium für Köchinnen“, wurde 1905 mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnet. Er schlug damit die Kandidaten L. Tolstoi, R. Kipling, S. Lagerlöf aus dem Feld, eine damals wie heute außerhalb bestimmter Kreise nicht nachzuvollziehende Ehrung. Anatole France, 1921 selbst Nobelpreisträger, bezeichnet den Roman als „stumpfsinnigen Ausdruck des polnischen Neuchristentums“. Mehr war er in der Tat nicht. Die Bewußtseinsindustrie der Epoche tat freilich ihr Möglichstes: Restaurants, Krawatten, Schuhe, Bonbons, Hüte wurden nach dem Roman des H. Sienkiewicz benannt: „Quo vadis?

Auf der Strecke blieb die geschichtliche Wahrheit. Auf diesem Fundament ruhen die Verfilmungen des Stoffes: 1901 durch den Franzosen F. Zecca, 1912 durch E. Guazzoni, der den bis dahin aufwendigsten Stummfilm der Welt inszeniert, 1925 eine Fassung mit E. Jannings als Nero. 1951 erreicht Hollywood den vorläufigen Höhepunkt in seinem Sandalenfilm Quo vadis?, der in Peter Ustinov die traditionelle Perspektive auf den Kaiser liefert.

Unter solchen Umständen verwundert es kaum, daß Nero weithin als Brandstifter angesehen wird, als ein Gangster, der Mutter, Bruder, Ehefrau und Lehrer auf dem Gewissen hat und wer weiß wie viele andere noch. Sein Ruf, ein aussichtsloser Fall zu sein, beeindruckt. Warum sollte Nero nicht en canaille behandelt werden?“

„Die Geschichtsschreibung zeichnet inzwischen ein ausgewogeneres Bild des „schrecklichen Kaisers“. Sie hat Person und Leistung Neros einer kritischen Überprüfung unterzogen. Zumindest was sein öffentliches Wirken betrifft, kommt sie zu einem anderen, den gängigen Einschätzungen entgegengesetzten Urteil …

Wie können Forscher sich von diesen Traditionen abwenden und zu neuen Erkenntnissen über Nero kommen, wenn die Quellen, wie immer sie gedreht und gewendet werden mögen, stets die gleichen sind? Also Sueton, Tacitus und in geringerem Umfang auch Cassius Dio, die alle drei befangen sind? …

Bei der Aufgabe, gleich „Staatsanwälten der Geschichte“ auf die Suche nach der Wahrheit zu gehen und womöglich Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Zeugen zu begründen, kommt uns allenfalls die Quellenkritik zu Hilfe. Sie ordnet die Autoren in den Zusammenhang ein, in dem ihre Schriften entstanden, arbeitet die persönliche Einstellung der Verfasser heraus und listet die ihren Werken immanenten Widersprüche auf. Was kommt heraus? Bei Tacitus und Cassius Dio, zu schweigen von Sueton, wimmelt es von Entstellungen.

Widersprüche in den Aussagen solcher Autoren aufzuspüren ist Pflichtübung des wie ein Kriminalist forschenden Suchers. Er kann zudem andere Quellen heranziehen: Münzen, archäologische Funde, Inschriften, Rundschreiben, die von Rom in die entferntesten Provinzen geschickt wurden. Auch literarische Texte, die sich direkt oder indirekt auf den jeweiligen Untersuchungszeitraum beziehen, werden berücksichtigt. Schließlich konzentriert sich die Forschung auf die Resultate, die der Kaiser durch seine Politik tatsächlich erzielte. Wird Neros Lebenswerk einer solchen Überprüfung unterzogen, schneidet er nicht schlecht ab. Wer sich hingegen nur auf die Gerüchte Suetons oder die Parteilichkeit des Tacitus verläßt, landet bei der Legende vom Ungeheuer.

Nero war ein Staatsmann, der sich nicht vor anderen Kaisern verstecken muß. Zudem war er ein Visionär, der zu groß für seine Zeit dachte und eine Welt nach seinen Vorstellungen zu gestalten versuchte. Psychisch war er freilich nicht sehr gefestigt, zunächst von einer autoritären Mutter erdrückt, später von der Last, die ihm früh aufgebürdet wurde, nur weil seine Mutter es so gewollt hatte, während er einem Leben für die Kunst vielleicht den Vorzug gegeben hätte. Und er war ein Träumer, der, als die Welt über ihm zusammenbrach und sein Tod geplant war, immer noch glaubte, sich als Künstler seinen Lebensunterhalt verdienen zu können.

Ein Kaiser, der sich als Kitharöde, Schauspieler, Wagenlenker betätigte, an wissenschaftlich-technischen Dingen interessiert war, sich für Entdeckungsreisen begeisterte, grandiose Projekte bewunderte und entwarf, war eine originelle Persönlichkeit. Die ökonomischen und intellektuellen Eliten seiner Zeit hatten kein Verständnis für ihn, oder sie verstanden ihn nur zu gut, jedenfalls bekämpften sie ihn erbittert.“

 

Nero ist überall

 

Wer an einem Hebel der Macht sitzt (und sei es nur bei einem Dorf-Verein), hat zwei Möglichkeiten: Er dient der Sache, versucht also so zu entscheiden, dass alle mit seinen Entscheidungen leben können – oder er richtet sich nach den bisher einflussreichen Menschen und Personen-Gruppen.

Wenn diese Einflussreichen gar nicht damit einverstanden sind, dass eine Politik für alle gemacht wird, werden sie massiv gegen den Entscheider vorgehen.

Das geht hin bis zur physischen Vernichtung. Und weit darüber hinaus. Bei einem solch menschen-freundlichen und zumindest in kultureller Hinsicht äußerst bedeutenden Herrscher wie Echnaton geht das so weit, dass alleine seine Existenz aus dem Gedächtnis der Menschheit gelöscht wird. Erst weit über 3000 Jahre nach seinem Tod werden er und seine Leistungen wieder entdeckt.

Der Wurm war nicht dabei und kann nichts auf Richtigkeit überprüfen. Jedoch deutet bei Nero einiges darauf hin, dass er dem Ideal eines Herrschers ziemlich nahe kam. Nicht auf Einzel-Interessen bedacht, sondern auf die Interessen des Staates und der überwältigenden Mehrheit seiner Einwohner. Dieser wird mit einer beispiellosen Verleumdungs-Kampagne überzogen, die knapp 2000 Jahre später noch voll wirksam ist.

Wer eine menschenfreundliche Politik betreibt und nicht so spurt, wie es ihm gesagt wird, kann davon ausgehen, gnadenlos fertig gemacht zu werden. Wie solch aktuelle Verleumdung gebraucht wird, wird unter anderem in einem Kultur-Beitrag des SWR ab Minute 3:45 bemerkbar: „Auch knapp 2000 Jahre nach Nero leben sie wieder, die autokratischen Machthaber: in Syrien, Russland, der Türkei und so weiter.“

https://www.youtube.com/watch?v=I8cSb4t9B18

 

 

Dada

 

Eine Webseite mit teilweise dadaistischen Werbeinhalten bietet die Firma KIND Hörgeräte.

https://www.kind.com/de/startseite.html

Vor allem die Kampagne zur Gewinnung von Auszubildenden („Hörzubis“) hat es dem Wurm angetan:

 

 

https://www.hoerzubi.de/index/

 

 

 

 

 

Tja, so etwas Ähnliches hatte der Wurm schon vorher (am Ende von http://www.ansichten-eines-regenwurms.de/239-der-letzte-seiner-art.html ).

Auch den Trierer Dadaisten (hier im Rheinischen Landesmuseum) ist nichts heilig!