Der Hass des Gutmenschen auf den Handke

Peter Handke wurde der Nobelpreis für Literatur zugesprochen.

Wie nicht anders zu erwarten, wurden über ihn von den Gutmenschen Kübel von Jauche ausgeschüttet.

Eigentlich gehört Peter Handke zu diesen Gutmenschen, weshalb sich die Begeisterung über ihn beim Wurm in Grenzen hält. Einmal jedoch hat er einen Standpunkt vertreten und ist bei diesem über die Jahre hinweg geblieben: er war gegen die Zerschlagung Jugoslawiens, die Verteufelung der Serben und die Bombardierung Jugoslawiens.

Das ist ihm nicht hoch genug anzurechnen, da er auch noch der Prominenteste war, der diese Meinung vertrat. Und ihm den geballten Zorn der Gutmenschen eingetragen hat.

 

Peter Handke und die Neue Innerlichkeit

 

Peter Handke in Paris - Ein Film von Georg Stefan Troller (1975)

 

https://www.youtube.com/watch?v=EVKoVvLLr_c

 

Peter Handke - Begegnung mit Gero von Boehm (2008)

 

https://www.youtube.com/watch?v=TWdA8Kx-Gh8

 

Diese beiden Filme zeigen, um wen es sich bei Peter Handke handelt: Ein mit sich selbst und der Sprache beschäftigter Mensch. Andere Menschen interessieren ihn relativ wenig; wenn er jedoch Ungerechtigkeit sieht, benennt er diese.

Aus „Wikipedia“: „Neue Subjektivität ist ein von Marcel Reich-Ranicki geprägter Begriff für eine neue Richtung der deutschen Literatur in den 1970er Jahren, die Themen wie persönliche Träume und Probleme des Privatlebens in den Mittelpunkt stellte. Sie bildete sich als Gegenbewegung zu einer politisch engagierten Literatur mit ihren systemkritischen und gesellschaftstheoretischen Implikationen, wie sie im Umfeld der 68er-Bewegung entstanden war; auch im Gegensatz zu literarischen Experimenten, die an die Literatur der klassischen Moderne anknüpfen wollten. Ziel war ein auf Innerlichkeit, Introspektion und Selbsterfahrung ausgerichteter Schreibprozess.

Mit ihrem Schreibstil setzten die Autoren auf einen subjektiven, privaten Ton und schrieben oft gefühlsbetonte, nicht selten auch autobiografische Texte, die teils bekenntnishaft, teils tagebuchartig sind. Hinzu trat eine Gesellschaftskritik, die häufig Themen der eben entstehenden Umweltbewegung aufgriff, den Nationalsozialismus oder die Unterdrückung der Frau thematisierte. Der Ton der Texte ist meist resignativ; oft werden unausweichliche Schicksale, unlösbare familiäre Verstrickungen oder auch unheilbare Krankheiten behandelt. Viele Werke der „Neuen Subjektivität“ fallen durch eine starke Anlehnung an die Alltagssprache auf. In manchen Fällen führt dies dazu, dass Gedichte der „Neuen Subjektivität“ vor allem durch ungewöhnlich platzierte Zeilenumbrüche von Prosatexten zu unterscheiden sind …

In Österreich fanden sich entsprechende Tendenzen in Werken von Peter Handke ...“

https://de.wikipedia.org/wiki/Neue_Subjektivit%C3%A4t

 

Im selben Jahr (1966) wurde Handkes Sprechstück Publikumsbeschimpfung in der Regie von Claus Peymann uraufgeführt. Die Verbundenheit mit Peymann als Freund und Regisseur blieb erhalten. Die Theaterkritik feierte das provokante, neuartige Stück. Handke war nun der Durchbruch als Autor gelungen, und sein Ruf als Enfant terrible wurde weiter genährt. Auch die früher geschriebenen Sprechstücke Weissagung (von 1964) und Selbstbezichtigung (von 1965) wurden 1966 unter der Regie von Günther Büch, dem anderen großen Förderer Handkes, am Theater Oberhausen uraufgeführt und durchweg positiv von der Kritik aufgenommen. Der dreiundzwanzigjährige Peter Handke war innerhalb von Monaten zu einer Art Popstar der deutschen Literaturszene geworden.“

https://de.wikipedia.org/wiki/Peter_Handke

 

Hier ist die „Publikumsbeschimpfung“. Zum Schluss wird Peter Handke auf die Bühne geholt.

 

https://www.youtube.com/watch?v=2jRPcQpOlwU

 

Da ist nun also der „Popstar der deutschen Literaturszene“ in den gesellschaftlich und politisch wildesten Zeiten, die dieses Land je erlebt hat. Und was macht dieser Popstar? Er setzt sich mit seinen eigenen Befindlichkeiten auseinander.

Was mensch von der literarischen Qualität von Peter Handkes Befindlichkeiten auch immer halten mag – die Bewohner des Erdreichs interessieren diese nicht, hätten sich aber brennend dafür interessiert, was der Popstar der deutschen Literaturszene zu den Themen der Zeit zu sagen gehabt hätte.

Sigrid Löffler im Jahr 2012: „Zum 70. Geburtstag von Peter Handke verrät die Kritikerin Sigrid Löffler, worum es dem Schriftsteller in seinem Werk geht – und welche seiner Bücher man unbedingt lesen sollte.

Ulrike Timm: Seine Titel entfalten ihre ganz eigene Kraft – „Publikumsbeschimpfung“, „Die Angst des Tormanns beim Elfmeter“, „Das Jahr in der Niemandsbucht“ oder aber „Versuch über den geglückten Tag“. Heute wird der Dichter, Dramatiker, Erzähler, der Weltreisende und der Wanderer Peter Handke 70 Jahre alt. Übers Schreiben hat er sich einmal so geäußert:

Peter Handke: Das Schreiben ist größenwahnsinnig, ja? Das muss man halt wissen. Ein Schriftsteller, wenn er das ernst nimmt, macht er etwas, auf was eigentlich eine Art Todesstrafe stehen könnte, das ist gefährlich. Die meisten folgen ja nur noch Rezepten vom Schreiben, und das ist natürlich nicht gefährlich. Im Schreiben muss die Suchbewegung drin sein. Es ist eine Einmannexpedition in unbekanntes Land, jedes Mal.

Timm: Peter Handke, heute feiert er seinen 70. Geburtstag, und die Literaturkritikerin Sigrid Löffler ist ins Studio gekommen, um mit uns über Peter Handke, über diesen so solitär in der Literaturszene stehenden Schriftsteller zu sprechen. Frau Löffler, ich grüße Sie!

Sigrid Löffler: Grüß Gott!

Timm: Wenn man sich den Handke mal anschaut, so klein, so schmächtig, Intellektuellenbrille, jemand, der das Alleinsein liebt, dann kann man sich schwer vorstellen, dass diese Karriere ja mal mit einem Knall begann. Was ist das für ein Mensch, der aus der Stelle heraus so viel Wirbel entfachen konnte?

Löffler: Ja, ich glaube, die Urszene war natürlich sein Auftritt in Princeton 1966 bei der Gruppe 47, da ist er einfach aufgestanden, ein völlig Unbekannter, und hat zu stottern begonnen – eigentlich ist nur ein Wort wirklich verständlich gewesen: Beschreibungsimpotenz. Aber das hat genügt, um die Gruppe 47 zusammenzufalten, und sie traf sich danach nie wieder, aber dieser junge Unbekannte war schlagartig berühmt, Peter Handke, einen Senkrechtstart hat er damit hingelegt, Literaturbeatle, Modeautor, dazu kam im selben Jahr die Uraufführung seines Stückes „Die Publikumsbeschimpfung“, und damit war er etabliert, hatte das Image weg als Bürgerschreck.

Timm: Das Scheue, das Sprachmächtige, auch das Trotzige, das pflegt er ja auch, sein eigenes Image. Aus welchen biografischen Erfahrungen speist sich das?

Löffler: Ich glaube, dass sein früher Ruhm ein bisschen ein Missverständnis war. Erinnern wir uns an den ständigen Satz in seinem Stück „Kaspar“, die Figur Kaspar sagt da immer: „Ich will ein anderer werden.“ Und Handke selbst ist ständig ein anderer geworden, um er selbst zu bleiben. Und ich denke, die große Krise war 1976, das war eine Gesundheitskrise, eine Herzattacke, und damit leitet er eigentlich auch seine persönliche, ästhetische und literarische Wende ein.

Er hat zum ersten Mal zugegeben, dass er eben nicht dieser hochmütige, antiautoritäre, weltläufige urbane Dandy ist, sondern in Wahrheit ein zergrübelter Kleinhäuslersohn aus dem bäuerlichen Proletariat in Kärnten, unehelicher Sohn einer Kärntner Slowenin, und in dem Augenblick eigentlich ist er auch aus der Mode geraten. Er geriet ins Abseits, aber er hat auch das Abseits als seinen eigentlichen Ort entdeckt, und er hat sich so ab ‘76 eine neue Schreibregel gegeben, eine neue Poetik für sich entworfen, ein bestimmtes Programm für sein Leben und für sein Schreiben, und bei dem ist er eigentlich geblieben bis heute.

Timm: Er ist ja auch ein Schriftsteller im politischen Spagat, er begann als literarischer Bürgerschreck, wurde dann regelrecht ja auch manchmal zur Hassfigur der Linken. Vor ein paar Jahren erst hatte es auch zwischen wohlmeinenden Freunden und Peter Handke sehr gekracht, als er kurz nach dem Jugoslawienkrieg umfassend für die serbische Seite Partei ergriff, sogar die Grabrede auf Milosevic gehalten hat. Was sagen uns solche Lebenskapitel über Peter Handke?

Löffler: Ja, der Komplex Jugoslawien, man muss das auch von seiner Biografie her sehen: Jugoslawien, das war sein persönliches Paradies, das war sein Modell eines Vielvölkerstaates, auch seine Herkunftswelt Slowenien, sein familiärer Mythos. Er hat sich identifiziert mit den ethnisch und sprachlich gedemütigten Kärntner Slowenen und war natürlich sehr getroffen davon, dass in den Sezessionskriegen dieses Land auseinandergefallen ist. Er hat sich dann natürlich auch dafür verkämpft, das muss man sagen, er ist auch viel missverstanden worden. Die Medienschelte, die er gegen die Gräuelgeilheit der Kriegsreporter angezettelt hat, hat ihm natürlich auch wieder viel Kritik eingetragen. Das hat ihn, glaube ich, zehn Jahre seines Lebens gekostet, diese jugoslawischen Zorngesänge, aber das liegt nun hinter ihm, und man sollte sich eigentlich eher auf sein Werk konzentrieren, das natürlich ganz anders ist, und in dem es auch um ganz andere Dinge geht. Es geht ihm, wenn ich es auf eine Formel bringen sollte, um Selbstbeobachtung und Selbstwahrnehmung, aber gleichzeitig aus der Selbstwahrnehmung heraus die Weltwahrnehmung.

Timm: Aber ist das auch typisch für Handke, dass er sich aus dieser Selbstwahrnehmung, aus dieser Selbstbezogenheit, vielleicht auch Weltferne manchmal auch gegen die ganze Welt in Stellung bringt, politisch?

Löffler: Ja, aber das ist ihm nicht das Wesentliche. Das Wesentliche ist, dass er das Jetzt beschreiben will, das Jetzt soll erzählbar werden, der jetzige Moment. Und der soll übergeführt werden in ein episches Präteritum. Das heißt, es sind lauter Übungen in Gegenwartsmetaphysik, wo es um die aktuelle Politik eigentlich gar nicht geht. Es ist ein sehr ernster Dienst an der Stille hinter dem Weltenlärm und hinter dem Allerweltsradau, mit dem will er ja gar nichts mehr zu tun haben. Es geht ihm um diese Intensitätsmomente, um die Momente der Begeisterung und der Erleuchtung. Man kann sagen, es geht ihm um profane Erleuchtung, und es ist doch ganz klar, dass in den Augen der dickfelligen Großstadtzyniker unter den Kritikern, dass er sich da nur lächerlich macht. Aber wer genauer liest, der erkennt natürlich die Einzigartigkeit dieses Autors und die Singularität dieses Werks. Er ist ein kanonischer Autor unserer Epoche.

Timm: Wir sprechen hier im „Radiofeuilleton“ mit Sigrid Löffler über den Dichter Peter Handke, der heute 70 Jahre alt wird. Von Ihnen, Frau Löffler, ist bekannt, dass Sie sein Werk sehr, sehr schätzen. Er gilt vielen als schwierig, kompliziert, stimmt das eigentlich?

Löffler: Nein, ich denke, wenn man mit offenen Augen und Ohren liest, dann ist er ganz leicht zugänglich. Ich würde drei Werke empfehlen: Ich denke, man sollte unbedingt „Wunschloses Unglück“ lesen, das ist die Geschichte vom Selbstmord seiner Mutter, aber gleichzeitig auch die exemplarische Geschichte eines Frauenlebens in der österreichischen Provinz. Dann sollte man eines seiner Hauptwerke lesen, „Die Wiederholung“, da geht es um eine Fußwanderung, in der sich Handke seine slowenische Heimat erobert hat und zugleich aber auch seine verschollene und verschüttete Familiengeschichte als Slowene. Und dann würde ich unbedingt empfehlen „Die morawische Nacht“, das ist Handkes großer Abgesang auf sein Lebensthema, also Traum und Trauma Jugoslawien. Das ist damit abgeschlossen, gleichzeitig ist es ein Resümee seiner Lebensreisen und seines Lebenswerkes und ein großer Befreiungsschlag, eine Neuorientierung ins Offene.

Timm: Er gilt als Sprachkünstler, aber auch als Sprachtüftler, der in den ganz kleinen Dingen oft die große Welt findet. Also es gibt Handtexte, ich habe mal geguckt in sein Gedicht „Gedicht an die Dauer“: „Je unscheinbarer, desto ergreifender“, heißt es da, und er spricht dann über Teekannen, über Bleistifte, über Blätter, über Nüsse, die er in der Natur findet. Zeigt sich in diesen scheinbaren Kleinigkeiten der ganze Handke-Blick aufs Leben?

Löffler: Ja, es geht ihm um diese unscheinbaren Dinge, und diese unscheinbaren Dinge, die offenbaren sich, in denen sieht er eigentlich das eigentliche Leben und die eigentliche Welt. Wenn man so will, sucht er im Unscheinbaren den Vorschein des Utopischen, er will die Offenbarung der Dinge vorantreiben, das ist ihm wichtig. Und das ist ein ernster Dienst an der Sprachgestalt. Und das Schöne an seinem Werk ist, es ist offen, es ist durchlässig, gleichzeitig aber arbeitet Handke beharrlich an diesem literarischen Kosmos weiter, er verfeinert und variiert und er reichert ihn mit neuen Werken an, erweitert ihn, baut an dieses Werk an und bleibt eigentlich beständig dran. Er lässt nicht nach, und das ist ein großes Exerzitium in Selbstdisziplin und ein sehr ernster Dienst.

Timm: Sie haben uns ein paar Titel eben im Siebenmeilenstiefeltempo durch das Werk von Handke genannt. Er hat unendlich viel geschrieben – in welchen Werken zeigt er sich vor allen Dingen als dieser Sprachtüftler, und in welchen ist er vielleicht auch für jemanden, der ihm spontan begegnen möchte und ihn noch nicht so gut kennt, ganz gut fassbar?

Löffler: Ja, ich denke, diese Sprachtüftelei war natürlich auch in gewisser Weise ein Sprachkrampf, das zeichnet sein Jugendwerk aus, da war er noch ein sehr steriler Formalist, das hat er aber überwunden in dem Maße, in dem er eigentlich auch seine Autobiografie beschreibbar und erzählbar gemacht hat. Und dadurch ist er natürlich auch viel lesbarer geworden.

Das Wichtige ist, dass er ein Fußwanderer ist. Die Wanderung, das ist seine narrative Struktur. Wandererzählungen, das sind aber immer zugleich Lebenserzählungen, säkulare Pilgerfahrten, wenn man so will, der Wanderweg ist immer auch ein Lebensweg und ein Erzählweg. Und das zieht sich durch alle seine Bücher durch, „Mein Jahr in der Niemandsbucht“ – „In einer dunklen Nacht ging ich aus meinem stillen Haus“ –, „Bildverlust oder Durch die Sierra de Gredos“, die „Morawische Nacht“, alle diese Bücher sind eigentlich Lebenswanderungen und große Wandererzählungen.

Timm: Peter Handke wird heute 70, er lebt in einem ganz kleinen Dorf bei Paris. Ist das eigentlich ein Mensch, dem Sie zutrauen, dass er feiert?

Löffler: Ich denke, er wird gefeiert werden von den Leuten, von dem stillen Volk seiner Bewunderer, und er hat eine Gemeinde, die wird ihn feiern, und ich glaube, dem entgeht er nicht.

Timm: Was wünschen Sie ihm?

Löffler: Ich wünsche ihm, dass er bei seiner Sache bleibt, aber das braucht man ihm nicht wünschen, das tut er sowieso.“

https://www.deutschlandfunkkultur.de/ein-kanonischer-autor-unserer-epoche.954.de.html?dram:article_id=230201

Volker Weidermann: „Peter Handke bekommt den Literaturnobelpreis 2019 - trotz aller Verklärungen, trotz aller Gegner, die sich der Österreicher gemacht hat. Er hat ihn sich verdient mit seinem wahrhaftigen Werk. Eine Gratulation.

Den hat er sich jetzt echt erwandert, erschrieben und erkämpft, den Preis. Der Österreicher Peter Handke, seit über 50 Jahren schreibt und schreibt und wandert er, immer auf der Suche nach der "wahren Empfindung", dem einen Wort, das die Welt neu beschreibt.

Während der Jugoslawienkriege, als er sich entschlossen auf die Seite der Serben stellte, hat er es, so schien es, mit der ganzen westlichen Welt aufgenommen, mit den Journalisten vor allem, seinen Lieblingsfeinden. "Ihr alle glaubt zu wissen, was die Wahrheit ist?", schrieb er den Berichterstattern entgegen. Und setzte seine selbst beobachtete und seine empfundene Wahrheit dagegen.

In Kärnten, ganz in der Nähe des alten, noch vereinten Jugoslawien, war er aufgewachsen. Das Traumland jenseits der Grenze. Er hat es verklärt, bereist und seine poetische Kraft gegen jede journalistische Wirklichkeit in vielen Büchern in Stellung gebracht. Bis zum Schluss. Noch zur Beerdigung Slobodan Milosevics reiste er an. "Mit mulmigem Gefühl", wie er im Gespräch später sagte. Aber mit dem Tod dieses Mannes habe er auch seinen eigenen, vergeblichen Kampf beendet: "Ich habe geträumt, es ist jetzt zu Ende. Indem ich zum Begräbnis gehe, habe ich es beerdigt."

Wie kommt die Nobel-Akademie dazu, so jemandem ihren Preis zu verleihen? Und das nach all den Skandalen im Umfeld der Akademie, die sogar dazu führten, dass der Preis ein Jahr lang gar nicht vergeben wurde. Sind die verrückt? Übermütig? Jetzt dem Sänger des Hoheliedes eines wahrscheinlich verantwortlichen, nicht verurteilten Massenmörders den Nobelpreis zu verleihen?

Heißt es nicht in den Statuten, jeder Nobelpreis solle an Menschen gehen, die "der Menschheit den größten Nutzen" gebracht haben? Wo ist der Nutzen des Werks von Peter Handke? Der, ohne dass er das Wort je benutzt hätte, der schärfste literarische Kritiker sogenannter Fake News der vergangenen Jahrzehnte in Europa gewesen ist. Fake, Fake, Fake - ist alles, was die Journalisten schreiben. Schon in jedem ersten Satz lese er die Tendenz. Und wenn er "Tendenz" lese, sei es aus. Er sei für das Offene. Für den Versuch zumindest, offen und urteilsfrei zu schreiben.

Das war und das ist das Experiment Peter Handkes. Dass er seinem eigenen Wollen zur Zeit des Krieges in Jugoslawien selbst nicht gerecht wurde, hat er in ruhigen Stunden selbst eingesehen. Die Übermacht der Bescheidwisser erschien ihm übermächtig. Er wollte, er musste laut und ungerecht sein. So sah er es.

Und heute, im Angesicht dieses - trotz aller Skandale so ruhmreichen - Ehrenpreises, muss, nein, kann man sagen: dass er diesen Preis mit seinem literarischen Werk, diesem Koloss aus annähernd hundert Büchern, verdient hat. Er hat ihn verdient für viele, viele andere Bücher.

Lesen Sie unbedingt und zum Beispiel "Wunschloses Unglück", das Abschiedsbuch von seiner Mutter, die Selbstmord beging. Wer so ein wahrhaftiges, trauriges, sich selbst öffnendes, großartige Buch geschrieben hat, hat den Nobelpreis sofort verdient. Oder seine schwebenden Notate in "Gewicht der Welt", seine Theaterstücke, die damals, als sie zuerst auf die Bühne kamen, die Zuschauer wirklich noch schockiert haben. "Publikumsbeschimpfung" zum Beispiel. Und dann auch wieder das ganz andere, poetische Stück: "Die Stunde, da wir nichts voneinander wussten". Ein Stück ohne Worte, voller neuer Ideen vom Menschen und seinen Sehnsüchten und Boshaftigkeiten.

"Das Mädchen" hatten sie ihn am Anfang genannt, alle, die ihn nicht ernst nehmen wollten, dieses bleiche Hänschen mit der dünnen Pilzfrisur und der großen Brille, das ein starker Atem umzuhauen schien. "Das Mädchen", damals auf der Tagung der Gruppe 47 in Princeton. Da saß er in einer der vorderen Reihen, hielt sich den Zeigefinger unter die Nase - ein wenig wie "Wickie, der Wikinger", wenn er wieder eine Idee hat -, neben ihm Teofila Reich-Ranicki.

Und er dachte sich: Wie mach ich's? Wie mache ich's, dass ich berühmt werde, und zwar sofort? Sein Verleger Siegfried Unseld hatte ihn eigentlich gewarnt: "Werden Sie bloß nicht übermütig", hatte er gesagt, nachdem sein erstes Buch "Hornissen" in der "FAZ" gelobt worden war.

Doch Handke war von Anfang an zum Übermut bereit. Und er stand auf, in Princeton, das gesamte literarische Establishment der Bundesrepublik war da. Die Kritiker. Die Dichter. Die Stars. Und er sagte, das tauge ja alles gar nichts hier. Und er erfand das schöne Wort der "Beschreibungsimpotenz". Schlappe Männer mit schlappen Texten. Hier kommt Handke. Grass zum Beispiel fand es lächerlich. Auf einer Party danach schrieb er dem bleichen Österreicher auf die Hutkrempe: "Ich bin der Größte." Und legte in einem Zeitungstext nach, den er so überschrieb: "Bitte um bessere Feinde".

Sie wurden nicht besser. Er war schon der beste. Und der vom Nobelpreiskomitee ausgezeichnete "Größte" war zuerst tatsächlich der Feind von damals, Günter Grass. Und heute erst bekommt der Spötter recht. So sehr im Recht wollte er gewiss nie sein. Er ist wirklich auch der Größte geworden. Mit dem Nobelpreis nobellitiert. Herzlichen Glückwunsch!“

https://www.spiegel.de/kultur/literatur/literaturnobelpreis-2019-fuer-peter-handke-der-bessere-feind-a-1290913.html

 

Jugoslawien und der Zorn der Gutmenschen

 

Bernd Reinhardt im Juli 1999: „Während viele deutschsprachige Künstler während des Kosovo-Kriegs die Deckung suchten, hat der österreichische Schriftsteller Peter Handke von Beginn an die NATO-Aktionen scharf als Verbrechen verurteilt. "Moral ist ein neues Wort für Willkür", entgegnet er schließlich am 15. Mai in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung all denjenigen, die wie die Schriftsteller Günter Grass, Stefan Heym, Hans Magnus Enzensberger, die Kabarettistin Ellen Tiedtke oder der Sänger der bekannten Kölner Rockgruppe BAP Wolfgang Niedekken die Bombardierung des Kosovo aus Gründen der Moral unterstützten, schwiegen oder für ein Eingreifen der UNO eintraten.

"Mit Bildern und Worten kann man am meisten schwindeln und am meisten verdienen", hält er an anderer Stelle den offiziellen Medienberichten über die "Massenabschlachtungen" der Serben vor: "Niemand weiß, was im Kosovo passiert, denn niemand kann hinein... Die Flüchtlinge sagen doch alle das gleiche. Muß das deshalb glaubhaft sein?" Handke drehte den Spieß der offiziellen Rechtfertigungen für die Bombenangriffe um, indem er erklärte, die NATO hätte kein neues Auschwitz verhindert, sondern ein neues Auschwitz geschaffen. "Damals waren es Gashähne und Genickschußkammern; heute sind es Computer-Killer aus 5000 Meter Höhe."

Handke trat bereits zwei Tage nach den ersten Bomben mit einem Offenen Brief an die Öffentlichkeit, in dem von "grüne(n) Schlächter(n)" die Rede ist und fordert schließlich "den deutschen Tötungsminister" (Scharping), der ihm noch vor Monaten zum Geburtstag gratuliert hatte, auf, "er möge mir meine Bücher zurückschicken". Handke greift den Soziologen und Philosophen Jürgen Habermas für dessen moralische Unterstützung des Krieges an, unternimmt mehrere kurze Reisen nach Serbien und gibt den 1973 an ihn verliehenen Büchnerpreis, die höchste Auszeichnung für deutschsprachige Schriftsteller zurück.

Die Medien überschütten ihn mit Schmähungen. Nicht nur deutschsprachige Schriftstellerkollegen wenden sich von ihm ab. "Es gibt Intellektuelle, die sich nach seinen Äußerungen über den Jugoslawienkrieg geschworen haben, nie wieder ein Buch von ihm in die Hand zu nehmen", meldet Susan Sonntag aus New York, während der französische Philosoph Alain Finkielkraut in Handke ein "ideologisches Monster" sieht, aus dem das "germanische schlechte Gewissen" spreche und die "Überzeugung, ein unangreifbares Genie zu sein".

Einen Höhepunkt erreicht die Kampagne, als sich Mitte Mai die Schauspielerin Marie Colbin mit einem Offenen Brief zu Wort meldet, in dem sie private, scheinbar auch handgreifliche Auseinandersetzungen in ihrem früheren Zusammenleben mit Handke hervorkramt, um ihn als gewaltverherrlichenden, machthungrigen Menschen und "eitlen Schreiber,... der sich sonnt in der Rolle des ‚einsamen Rufers‘" der Öffentlichkeit zu repräsentieren, und ihr Fazit zu ziehen: "Du bist ein Ideologe des modernen Balkanfaschismus."

Die Berliner Zeitung unterstreicht die Abgehobenheit und Weltfremdheit Handkes, kritisiert das literarische Werk des international anerkannten Autors als "narzißtisch versponnen", als Versuch, an einem "poetischen Paralleluniversum" zu arbeiten, "das er in den vergangenen Jahren zunehmend zur Trutzburg gegen die wirkliche Welt ausgebaut hat". Der Schweizer Schriftsteller Laederach bezeichnet Handkes jüngste Äußerungen zum Kosovo-Krieg als Fall "fortschreitender geistiger Umnebelung", während das Deutsch-Schweizer PEN-Zentrum, in ihm einen "verblendeten Elfenbeinbewohner" sieht, aus dessen "proserbischen Entgleisungen", wie laut BZ ihr Generalsekretär in Zürich hinzufügt, ein "besonders unerträglicher Zynismus" spreche.

Nichts aus Handkes öffentlichen Äußerungen läßt indes darauf schließen, daß er ein Anhänger des serbischen Nationalisten Milosewic und seiner Politik ist. Wer seine Veröffentlichungen der letzten Jahre verfolgt hat, kann sich davon überzeugen. In dem neuen, von Claus Peymann im Juni am Wiener Burgtheater uraufgeführten Handke-Stück über den Jugoslawienkrieg Die Fahrt im Einbaum oder Das Stück zum Film vom Krieg ist ebenfalls keine Spur von Serbenverherrlichung zu entdecken.

Handke hatte zunächst gegenüber dem österreichischen Magazin News erklärt, Milosewic sei "der gewählte Präsident des Landes" und habe "das Territorium seines Landes zu verteidigen". "Jeder an seiner Stelle in den letzten zehn Jahren hätte genauso handeln müssen wie er. Ihm blieb keine Wahl." In dem bereits oben zitierten Interview der SZ sagt er eindeutig: "Ich bin mit dem serbischen Volk, nicht mit Milosewic. Wer nicht prononciert antiserbisch ist, der hat als ‚Pro-Serbe‘ verschmäht zu werden. Wer bei ‚Milosewic‘ nicht unverzüglich hinzufügt: ‚Schlächter‘, ‚Hitler des Balkan‘, ‚Gottseibeiuns‘, der ergreift Partei für ‚Milosewic‘...", und fügte in diesem Zusammenhang polemisierend hinzu: "Pro-Serbe ist für mich heute ein Ehrentitel."

Schon vor einigen Jahren trat Handke öffentlich gegen die einseitige Verteufelung der Serben im Bosnien-Krieg auf und reiste im Herbst 1995 "in das Land der allgemein so genannten Aggressoren", weil, wie er erklärte, die vielen Berichte und Artikel bei ihm den Drang auslösten "hinter den Spiegel" zu blicken, denn: "Was weiß der, der statt der Sache einzig deren Bild zu Gesicht bekommt... ?" Als die SZ seinen Reisebericht Gerechtigkeit für Serbien im Januar 1996 veröffentlichte, wurde er von den Medien heftig attackiert und ihm eine "proserbische" Haltung vorgeworfen.

Doch im Gegenteil. Dem aufmerksamen Leser dieses Textes konnte nicht entgehen, daß Handke selbst, in Auseinandersetzung mit dem jungen französischen Schriftsteller Patrick Besson, seine Bedenken äußerte, auf die pauschale Aburteilung aller Serben durch die Medien mit dem entgegengesetzten Extrem, einer ebenso pauschalen "Serbenverteidigung" zu reagieren, denn: "... es könnte die Gefahr solcher Gegenläufigkeiten sein, daß in ihnen sich etwas äußere, was vergleichbar wäre mit den Glorifizierungen einst des Sowjetsystems durch manche Westreisende der dreißiger Jahre."

Ein Grund für die haltlosen Anschuldigungen gegen Handke liegt auf der Hand. Das Eingreifen der NATO mit den Verbrechen der Nazis zu vergleichen, stellt eine Provokation und vernichtende Kritik gegenüber der antifaschistischen 68er Nachkriegsgeneration dar, die seit Jahrzehnten in unzähligen moralischen Appellen betont hatte, von deutschem Boden dürfe nie wieder ein Krieg ausgehen. Nun, wo sie selbst zum Krieg aufgerufen haben, braucht es schon einen zweiten Hitler zu ihrer Rechtfertigung.

Wichtiger scheint aber folgende Überlegung zu sein: Wird Handke als "Pro-Serbe" abgestempelt, weil er im Gegensatz zur vorherrschenden Meinung in Europa, insbesondere in Deutschland, die unter dem Deckmantel von Selbstbestimmungsrecht und Demokratie betriebene Kleinstaaterei auf dem Balkan als unsinnig ablehnt, oder sogar als "absolut kindisch", wie eine burgenländische Online-Zeitung entrüstet Handkes Auffassung zu den "Befreiungsversuche(n) der Kosovo-Albaner" zitiert?

Denn - wurde nicht schon zu Titos Zeiten die Politik vor allem in Belgrad gemacht?

Offenbar sieht Handke in der Aufsplitterung des Balkan keine positive Entwicklung. 1991 spricht er sich in seinem Buch Abschied des Träumers vom neunten Land gegen die Lostrennung Sloweniens von Jugoslawien aus.

In Handkes Reisebeschreibung Gerechtigkeit für Serbien, auf die seine Kritiker immer wieder zurückkommen, ist Trauer über das Auseinanderbrechen Jugoslawiens spürbar, und Handke äußert in der SZ sein Bedauern darüber, daß, was er selbst als "Reformkommunismus" bezeichnet, in Jugoslawien "tragisch gescheitert" sei. Sein Reisebericht endet mit einer Textstelle aus dem Abschiedsbrief eines ehemaligen Tito-Partisanen, der 1992 aus Verzweiflung Selbstmord beging. "Der Verrat, der Zerfall und das Chaos unseres Landes, die schwere Situation, in die unser Volk geworfen ist, der Krieg... in Bosnien-Herzegowina, das Ausrotten des serbischen Volkes und meine eigene Krankheit haben mein weiteres Leben sinnlos gemacht..." Über seine Frau, bei der Handke zu Gast ist, schreibt dieser: "Und sie würde bis an ihr Lebensende eine durchdrungene - nicht serbische, sondern jugoslawische Kommunistin sein;... - auch heute noch galt ihr das als die einzige, die einzig vernünftige Möglichkeit für die südslawischen Völker: vor dem deutschen Einfall 1941 habe es, in dem Königreich, einige wenige gegeben, welchen fast alles gehörte und neben ihnen nichts als himmelschreiende Armut, und jetzt, in diesem serbischen Sonderstaat - dessen Machthaber, wie in den anderen Neustaaten, ‚Verräter‘ - wiederhole sich das mit den paar allesraffenden Kriegsgewinnlern und dem frierenden Habenichtsvolk."

Gerechtigkeit für Serbien richtet sich, wie Handke uns am Schluß mitteilt, nicht nur an den deutschsprachigen Leser, sondern sei "genauso dem und jenem in Slowenien, Kroatien, Serbien zugedacht..." Handke will die Völker des ehemaligen Jugoslawien daran erinnern, daß sie eine gemeinsame Vergangenheit haben. Er begibt sich dazu nicht an die aktuellen Kriegsschauplätze. Er ruft unspektakuläre, unscheinbare, alltägliche Begebenheiten der Gemeinsamkeit, über die man früher nicht nachgedacht hat wieder ins Bewußtsein, wenn er beispielsweise in Erinnerung ruft, wie die Schwimmer früher im Sommer zwischen bosnischem und serbischem Ufer hin und her schwammen, daß man muslimische Freunde hatte, daß Kosmetik aus Slowenien in Serbien beliebt war, auch das Obst aus Bosnien, welches über die Drina geschifft wurde, daß die Busse von Bajina Basta einmal nach Tuzla und Srebrenica fuhren und es nichts besonderes war, im Gegensatz zu heute, in Slowenien ein Auto aus Skopje/Mazedonien parken zu sehen.

Der Leser erhält einen Eindruck davon, mit welcher Selbstverständlichkeit die verschiedenen Sprachen und Dialekte auf dem Balkan nebeneinander existierten, sich unbewußt im Alltag durchdringend - bis heute. Als Sladko, Handkes serbischer Reisebegleiter aus Deutschland, die Eltern in seinem Dorf besucht, "verstand ich trotz angestrengten Zuhörens rein gar nichts mehr - war das überhaupt noch Serbisch? Nein, die Familie war unwillkürlich übergegangen in das Rumänische, die Unterhaltungs- oder Vertraulichkeitssprache der meisten Dorfbewohner; als eine solche Sprachinsel war Porodin auch bekannt. Aber ob sie dann überhaupt sich als Serben fühlten? ‚Natürlich - was denn sonst?‘"

"Warum solch ein Tausendfachabschlachten?" fragt Handke. "Wer also war der Aggressor ? War derjenige, der einen Krieg provozierte, derselbe, wie der, der ihn anfing? Und was hieß ‚anfangen‘?"

Er kann, im Gegensatz zu den offiziellen Medienberichten Westeuropas und der USA, eine "serbische Paranoia" nicht entdecken und gibt zu verstehen, daß nicht dort, auf dem Territorium, wo "drei Völkerschaften... kunterbunt, nicht bloß in der meinetwegen multikulturellen Hauptstadt, sondern von Dorf zu Dorf, und in den Dörfern selber von Haus zu Hütte, neben- und durcheinanderlebten", "Legendensandkörner... vergrößert wurden zu Anstoßsteinen" des Krieges, sondern in "unseren Dunkel-kammern".

"Wie verhält sich das wirklich mit jenem Gewalttraum von ‚Großserbien‘?" fragt er.

"Hat sich... am Ende nicht eher ein ‚Groß-Kroatien‘ als etwas ungleich Wirklicheres oder Wirksameres oder Massiveres, Ent- und Beschlosseneres erwiesen, als die legendengespeisten, sich nie und nirgends zu einer einheitlichen Machtidee und -politik ballenden serbischen Traumkörnchen?"

Er schreibt in bissigem Ton über die neue staatliche Unabhängigkeit Sloweniens: "Jetzt... traf ich das bewährte Hotel ‚Zlatorog‘... hinten am Talschluß vollends ausgerichtet auf die Deutschsprachigkeit, und am Eingang waren die gerahmten Photos vom einstigen Besuch Titos entfernt worden - nicht gerade schade darum - und ersetzt durch entsprechende Willy Brandts... Und im staatlichen Fernsehen - sonst fast nur deutsche und österreichische Kanäle - wird dann wieder und wieder eine ausländische Handels- oder Wirtschaftsdelegation von strikt einheimischer Folklore angesungen, mit Hinzutritt schließlich des slowenischen Staatspräsidenten, eines einstmals doch tüchtigen und stolzen Funktionärs?, der jetzt aber in der Haltung eines Kellners, fast Lakaien, den Ausländern sein Land andient, so, als wollte es tüpfchengenau jener Aussage eines deutschen Unternehmers und Auftraggebers entsprechen, die Slowenen seien nicht dies und das, vielmehr ‚ein fleißiges und arbeitswilliges Alpenvolk‘." Die erste Frage eines Kunden, die Handke im neuen Supermarkt vernimmt, lautet: "Ist Bild schon da?"

Auf seiner Reise im April diesen Jahres geißelt Handke "die fette deutsche, höfisch-verlogene französische und Raum... verdrängende amerikanische" Sprache der Verhandlungen, die er durch das Fernsehen im Hotel verfolgt, und die Angriffslogik der NATO, "wonach auch ein Maisfeld und ein Hühnerstall bombardiert werden können, weil Mais, Hühnerfleisch und Eier als Proviant für die feindliche Soldateska dienen..." "Selber schuld? Der Schuldige, die Schuldigen, das sind doch die Leute hier im Land... Was sagt das Land? - Das Land sagt gar nichts, es liegt nur noch stummer, weit stummer, und so sagt es zwar nichts, aber - was nachhaltiger ist - es bedeutet; Nein, nicht selber schuld."

Im vergangenen Jahr hielt die österreichische Kulturjournalistin Sigrid Löffler einen Vortrag am Goethe-Institut in Montevideo unter der Überschrift: Peter Handke und die Kontroverse um seine Streitschrift ‚Gerechtigkeit für Serbien‘. Sie stellt sich hinter Handke und führt die Ursache für die anhaltenden, gehässigen Angriffe der Presse auf eine grundsätzliche Frage zurück, die durch Handke provoziert worden sei: "Wer wird dem Krieg in Jugoslawien wirklich gerecht?"

"Der Sturm der Entrüstung, der sich nach der Veröffentlichung von Gerechtigkeit für Serbien in den Medien erhob,... ist nur zu begreifen, wenn man sich vor Augen hält, welche tollkühne Provokation der Dichter hier unternimmt, durch nichts legitimiert als durch die schiere Eigenmächtigkeit des Künstlers. Der Dichter will nicht nur die herrschende Medienpraxis kritisieren und grundsätzlich in Frage stellen. Er will vielmehr seine poetische Erfahrung, seinen Dichterblick, dem Bild entgegensetzen, das die Medien weltweit von den Serben entworfen haben. Er will gegen die Übermacht der Medienmeinung über diesen Krieg sein dichterisches Sprechen in Stellung bringen. Gegen die gesamte Weltpresse tritt ein einzelner an: Der Dichter an und für sich. Und der erdreistet sich zudem, die Frage, welche Seite Schuld trage an den jugoslawischen Sezessionskriegen, neu zu stellen."

Handke bescheinigt dem Gros der Kriegsberichterstatter, daß sie "ihren Schreiberberuf mit dem eines Richters oder gar mit der Rolle eines Demagogen verwechseln und... auf ihre Weise genauso arge Kriegshunde sind wie jene im Kampfgebiet." Ihre Reden seien "von einer im voraus gespannten Schnüffelleine" diktiert, statt Ausforschung der Ursachen zähle nur "der nackte, geile, marktbestimmte Fakten- und Scheinfakten-Verkauf".

Die Wahrheit über den Krieg verläuft für Handke nicht gradlinig und eindimensional, wie die Medien glauben machen wollen. "Das Problem - nur meines? - ist verwickelter, verwickelt mit mehreren Realitätsgeraden oder -stufen, und ich ziele, indem ich es klären will, auf etwas durchaus ganz Wirkliches, worin alle die durcheinanderwirbelnden Realitätsweisen etwas wie einen Zusammenhang ahnen ließen."

Die beiden Filmregisseure aus Handkes Theaterstück Fahrt im Einbaum müssen das ebenfalls erfahren. Letztlich geben sie ihr gemeinsames Filmprojekt über den Jugoslawienkrieg auf. Zu verwirrend und befremdlich stellt sich ihnen das Geschehen vor Ort dar, als daß sie in der Lage wären, daraus eine nach bewährtem Muster einfachgestrickte, publikumswirksame Story zu produzieren, wo alles "schön der Reihe nach" abläuft, wie sie das eigentlich vorhatten.

Einst besetzten Studenten in Berlin, bevor sie später Schriftsteller, Rechtsanwälte und Politiker wurden, aus Protest gegen eine "totale Manipulierung" die Zentrale des Medienkonzerns Axel Springer, des Herausgebers des Boulevardblattes Bild. Das war 1968. Heute üben sie in der Regel Nachsicht mit sich, betrachten zwar noch mit etwas Nostalgie, aber zunehmender Verständnislosigkeit ihren damaligen Kampf gegen die "Macht der Medien".

Handke gehört offensichtlich nicht dazu, geht seinen eigenen Weg, kritisch und unbeeindruckt von der vorherrschenden Meinung. Dem hohen Anspruch sich als "Reisender in Sachen Wahrheit" zu verstehen, wie ein Redakteur der Berliner Zeitung herablassend bemerkte, und dafür seine ganze internationale Autorität als Künstler in die Waagschale zu werfen, gebührt Hochachtung.

Daß er zur Zeit dabei das Bild eines isolierten Einzelkämpfers abgibt, unterstreicht die rasante Rechtsentwicklung des intellektuellen und politischen Milieus, aus dem Handke selbst stammt und das in vergangenen Zeiten einmal kritische Geister hervorbrachte, wie Habermas, Heym oder Grass. Der Vorwurf an Handke, er werfe sich eitel und geltungssüchtig in die Rolle des "einsamen Rufers", ist nur deshalb überhaupt möglich, weil der Schriftsteller tatsächlich auf einsamem Posten steht.“

https://www.wsws.org/de/articles/1999/07/hand-j22.html

 

Der Heine-Preis wird nicht an Peter Handke verliehen

 

Aus dem Jahr 2006:

23. Mai: Die Jury des Heinrich-Heine-Preises kündigt an, dass sie auf Vorschlag von Sigrid Löffler die mit 50.000 Euro dotierte Auszeichnung an Peter Handke verleihen will. Dass mit dieser Entscheidung weniger der Schriftsteller, als der Jugoslawien-Polemiker Handke geehrt werden soll, erhellt die Begründung des Votums: »Eigensinnig wie Heinrich Heine verfolgt Peter Handke in seinem Werk seinen Weg zu einer offenen Wahrheit. Den poetischen Blick auf die Welt setzt er rücksichtslos gegen die veröffentlichte Meinung und deren Rituale.« Damit steht fest, dass es ein öffentliches Spektakel geben wird. Auch erhofft sich der Vorsitzende der Jury, der Düsseldorfer Oberbürgermeister Joachim Erwin (CDU), von der Preisentscheidung allen Ernstes »eine Debatte darüber, welche Rolle der vom Haager Gerichtshof nicht verurteilte Milosevic im Balkan-Krieg gespielt hat«. Handke, der nach den Anfeindungen gegen ihn seiner Haltung im Jugoslawienkrieg wegen erklärt hatte, nie mehr einen Preis akzeptieren zu wollen, nimmt den Heine-Preis an.

In den folgenden Tagen trifft die Entscheidung der Jury auf geteilte Reaktionen und insbesondere in Düsseldorf auf Kritik. Handkes literarisches Schaffen wird einmütig anerkannt, seine politische Haltung während des Balkankrieges ist jedoch umstritten. Dem Rat der Stadt wird nahe gelegt, in einer Abstimmung, die allerdings lt. Preissatzung gar nicht vorgesehen ist, dem Juryspruch die politische Bestätigung zu versagen. Denn Handke entspreche nicht den Anforderungen des Preises: Er soll Persönlichkeiten ehren, »die durch ihr geistiges Schaffen im Sinne der Grundrechte des Menschen, für die sich Heinrich Heine eingesetzt hat, den sozialen und politischen Fortschritt fördern, der Völkerverständigung dienen oder die Erkenntnis von der Zusammengehörigkeit aller Menschen verbreiten.« Die entsprechende Ratssitzung ist auf den 22. Juni terminiert. Juror Christoph Stölzl berichtet im Kölner Stadtanzeiger von einer »tief gespaltenen Jury«. Im Deutschlandradio Kultur macht er entgegen allen Gepflogenheiten sein Votum öffentlich: »Handke war nicht mein Kandidat«. Die Jury-Mitglieder Julius H. Schoeps und Marit von Ahlefeld, Ratsvertreterin der Grünen, verstärken die sich abzeichnende Polarisierung und distanzieren sich gleichfalls von der Mehrheitsentscheidung ihrer eigenen Jury. Die Wahl war mit zwölf gegen fünf Stimmen auf Handke gefallen.

28. Mai: NRW-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU) bemerkt, dass die Stimmung umschlägt, und kritisiert Vergabe des Preises an Handke.

29. Mai: Der Staatssekretär für Kultur und Leiter der Staatskanzlei NRW, Hans Heinrich Grosse-Brockhoff (CDU), der als stimmberechtigtes Mitglied weder an der Jury-Sitzung teilgenommen noch einen Vertreter geschickt hatte, erklärt, dass er Handke für nicht preiswürdig halte. Handke engagiere sich für den serbischen Diktator Milosevic und relativiere den Holocaust. Seine Nicht-Teilnahme an der Sitzung begründet er sachfremd, nämlich mit der »nachhaltig fehlenden Bereitschaft des Oberbürgermeisters (…), mit dem Land partnerschaftlich zusammen zu arbeiten.«

Günter Kunert, der den Heine-Preis 1985 erhalten hatte, zieht im Deutschlandradio Kultur in Erwägung, den Heine-Preis zurückzugeben. Heine habe durch Handke »ein paar schwarze Flecken bekommen«.

30. Mai: In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung erwidert Handke einem dort erschienen Kommentar, um »einige Richtigstellungen zu den der Zeitung unterlaufenen Irrtümern zu versuchen«. Er erklärt, nie »eins der Massaker in den Jugoslawienkriegen 1991–95 geleugnet, oder abgeschwächt, oder verharmlost, oder gar gebilligt zu haben.« Auch sei nirgendwo bei ihm nachzulesen, dass er Milosevic als ein oder das Opfer bezeichnet habe. Hingegen habe er sich »anläßlich des okzidentalen Diktats gegen Jugoslawien von Rambouillet« im Februar 1999 »vor der Kamera des Belgrader Fernsehens verhaspelt, wobei herauskam, in meinem Französisch, die Serben seien noch größere Opfer als die Juden«. Dies habe er öffentlich schriftlich korrigiert. Die Fraktionen von SPD, FDP und Grünen im Düsseldorfer Stadtrat teilen mit, dass sie die Vergabe des Preises an Handke verhindern wollen. Auch in der CDU-Fraktion ist eine Mehrheit für Handke fraglich. Die Schriftsteller Robert Menasse, Marlene Streeruwitz und später auch die Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek verwahren sich dagegen, dass Stadtpolitiker die von der unabhängigen Jury getroffene Entscheidung aufheben wollen. Streeruwitz bezeichnet dies als »das Ende der Kunst, wie wir sie kennen, das Ende der Aufklärung.«

31. Mai: Gegenüber der tageszeitung erklärt der kulturpolitische Sprecher der Grünen im Landtag, Oliver Keymis, man beschädigte Preis und Schriftsteller, wenn der Rat der Stadt die Entscheidung der Jury rückgängig mache. Auf die Frage, ob die Grünen im Stadtparlament gegen die Preisvergabe stimmen werden, sagt er: »Das grüne Mitglied in der Jury hatte sich ja schon vorher gegen Handke entschieden, das ist also konsequent. Eine andere Frage ist, ob der Rückholbeschluss politisch in Ordnung ist.« Die Frage, ob eine solche Haltung nicht schizophren sei, stellt die tageszeitung nicht.

1. Juni: Handke nimmt in der Süddeutschen Zeitung zu den Vorwürfen gegen seine proserbische Position Stellung und erklärt, warum er zur Beerdigung Milosevics nach Pozarevac gereist sei und dort eine »Mini-Rede« gehalten habe. Nicht die Loyalität zu Milosevic habe ihn dazu veranlasst, sondern sein Wunsch nach Sprachkritik am offenen Grabe: nämlich seine Wut auf die veröffentlichte, Milosevic-kritische Sprache und seine Loyalität zu »jener anderen, der nicht journalistischen, der nicht herrschenden Sprache«. Der Düsseldorfer Kulturausschuss spricht sich für eine Denk- und Gesinnnungspause aus. Kulturdezernent Hans-Georg Loher zufolge habe es noch keine ernsthafte Debatte um den Autor Handke gegeben.

1. Juni: Botho Strauß ergreift in der FAZ einerseits Partei für Handke, stellt ihn andererseits in eine Reihe mit dem Mussolini-Sympathisanten Ezra Pound, mit Carl Schmitt, dem Kronjuristen des Dritten Reichs, sowie mit dem NS-Sympathisanten Martin Heidegger.

2. Juni: Die Jury-Mitglieder Sigrid Löffler und Jean-Pierre Lefèbvre erklären ihren Austritt aus der Heine-Preis-Jury: »Einer Stadt, die unabhängige Fach-Juroren beruft und sie dann politisch desavouiert, können wir nicht mehr zur Verfügung stehen.« An die sich auf die Bestimmungen des Preises berufenden Kritikern adressieren sie: »Keinem einzigen der Ausgezeichneten wurde der Heine-Preis zugesprochen, weil er oder sie, wie es in den Statuten heißt, ›den sozialen und politischen Fortschritt gefördert‹ oder ›der Völkerverständigung gedient‹ hätten. Vielmehr wurden sie alle ausdrücklich für ihr literarisches Werk ›im Sinne Heinrich Heines‹ geehrt.« Vorherige Preisträger waren allerdings keineswegs nur Schriftsteller, sondern auch Persönlichkeiten wie Richard von Weizsäcker oder Sebastian Haffner.

6. Juni: Es zeichnet sich ab, dass womöglich gar keine juristische Grundlage existiert, die dem Düsseldorfer Stadtrat erlaubte, die Entscheidung der Jury anzufechten. Ein Sprecher der Stadt Düsseldorf kündigt an, es werde in der Frage Handke keine eindeutigen Rats- Mehrheiten und keinen Fraktionszwang geben.

8. Juni: Ein auf den 2. Juni datierter Brief Handkes an OB Joachim Erwin wird bekannt, in dem Handke auf den Preis verzichtet, auch um sich bzw. »dem durch die Öffentlichkeit (?) geisternden Phantom meiner Person« und seinem Werk, »welches ich nicht wieder und wieder Pöbeleien solcher wie solcher Parteipolitiker ausgesetzt sehen möchte«, die Ratssitzung zu ersparen. Joachim Erwin wiederum antwortet Handke am 7. Juni im Stil der jugoslawischen Freiheitskämpfer, die Handke so verehrt: »Kein Picknick für Hasenfüße (…). Kein Pardon für solche, die mit großen Brocken hoffen, medienwirksam Löcher einzuebnen (…). Lieber Peter Handke, ich bin tief betroffen und verärgert über die unglaublichen Geschehnisse. Welch eine Chance wurde vertan in der zweifelhaften Manier, um jeden Preis und alles in der Welt politically correct dazustehen. (…) Offenbar fehlt es den meisten an Schneid, die Auseinandersetzung mit einer literarischen Sprache zu suchen, die mit Gewinn wagt, vieldeutig aufzutreten, um Schlaglichter aus unterschiedlichen Perspektiven auf die Wirklichkeit zu werfen. (…) Grüßen Sie Heine, wenn Sie sein Grab besuchen.« Erwin verkündet, dass der Heine-Preis 2006 nicht vergeben wird. Handke bedauert, seine für die Preisverleihung geplante Rede zum Verhältnis von journalistischer und literarischer Sprache nun nicht halten zu können. Warum er dieses Desiderat nicht längst schon erfüllt hat, schreibt Handke nicht.

12. Juni: Die Berliner Akademie der Künste kündigt eine Diskussionsveranstaltung zur gescheiterten Vergabe des Heine-Preises an. Die Meinungen zum Kasus gehen laut Akademie-Präsident Klaus Staeck innerhalb der Organisation weit auseinander.

17. Juni: In einem langen Interview in der „Neuen Zürcher Zeitung“ bekennt sich Handke erneut in einer Mischung aus Moralisieren und Ratlosigkeit, sich dumm Stellen und Aggression, kritiklos-unbeirrbarer Serbien-Verehrung und Kritik an der Schwarz-Weiß-Malerei gleichgeschalteter Medien als Jugoslawien-Verehrer, der tief gekränkt ist durch dessen bösartig von außen herbeigeführten Zerfall. Wieder folgt Handke seiner schon zuvor erprobten Strategie zu erklären, dass das, was er nie gesagt habe, immer richtig war. Erneut stellt er Milosevic, aber auch dessen General Mladic ein Unschuldszeugnis aus, erneut relativiert der das Massaker von Srebrenica – eine Ohrfeige ins Gesicht seiner treuen Verteidiger. Aber die Karawane ist schon weiter gezogen, niemand regt sich mehr auf. Die Fußballweltmeisterschaft hat begonnen.

17. Juni: In Berlin rufen der Intendant des Berliner Ensembles, Claus Peymann, die Schauspieler Käthe Reichel, Rolf Becker und andere eine Initiative zur Verleihung eines »Berliner Heinrich-Heine-Preises für Peter Handke« ins Leben. Die Gruppe behauptet, die Haltung des Düsseldorfer Stadtrates sei ein »Angriff auf die Freiheit der Kunst« und kündigt an, Spenden für die Finanzierung des Preisgeldes in Höhe von 50.000 Euro einzusammeln. Ob der Preis einmalig bleiben soll, ist unbekannt. Ebenso, ob die Initiative einen Anspruch von Künstlern auf Preise gesetzlich verankern will.

22. Juni: Handke sieht endlich ein, dass er schneller ziehen muss, und lehnt den Berliner Heine-Preis ab, noch bevor er auf der Welt ist.“

https://kulturwest.de/inhalt/der-heine-preis-wird-nicht-an-peter-handke-verliehen/

 

Kurt Gritsch 2012 zum 70. Geburtstag von Peter Handke

 

„Für seine Kritik an der westlichen Berichterstattung über die jugoslawischen Zerfallskriege (Bosnien 1992-1995, Kosovo 1999) wurde der Schriftsteller geächtet. Dabei hatte er in der Hauptsache recht.

Wer im Fall von Konflikten vermitteln will, gerät in Gefahr, selbst zur Zielscheibe zu werden – zumindest dann, wenn sich das Gros der Massenmedien bereits auf eine Seite geschlagen hat. Das musste im April dieses Jahres Günter Grass erfahren, als er in seinem Gedicht „Was gesagt werden muss“ vor der Kriegsgefahr warnte, die von der gegenwärtigen israelischen Regierung ausgeht. Am Ende schien nicht mehr der Erhalt des Friedens, sondern das vermeintliche Versagen des Intellektuellen zum Hauptthema der Debatte geworden zu sein. Der Versuch, den einstmals hoch geschätzten Schriftsteller intellektuell zu entmündigen, ähnelt in mancherlei Hinsicht jener Hinrichtung auf Raten, die dem Schriftsteller Peter Handke vor allem in deutschsprachigen Feuilletons widerfahren war. Der Grund: Handke hatte ab 1996 wiederholt die einseitige Parteinahme maßgeblicher westlicher Medien gegen Serbien mit den Mitteln eines Dichters hinterfragt.

Gerechtigkeit für Serbien
, am 5./6. und 13./14. Januar 1996 vorab in der Wochenendbeilage der Süddeutschen Zeitung veröffentlicht, war auch über die Grenzen des deutschen Sprachraumes hinaus der Literaturskandal des Jahres 1996. Der Kärntner Autor Peter Handke hatte in Prolog und Epilog seines Reiseberichtes aus der Republika Srpska die antiserbische Berichterstattung westlicher Printmedien angeprangert und unter anderem einige Schriftstellerkollegen und Intellektuelle, die sich zum Jugoslawien-Krieg geäußert hatten, für ihr Engagement zugunsten von Kroaten und bosnischen Muslimen gerügt. Dabei war der Schriftsteller darum bemüht, die medial geschürten Feindbilder gegenüber den Serben aufzulösen und nach Wegen der Versöhnung zu suchen. Handkes Kritik an Zeitungen wie FAZ, Le Monde und Spiegel konnte bei diesen aber nur auf Ablehnung stoßen – jede zustimmende Rezension im Feuilleton wäre einem Eingeständnis des eigenen Versagens, einer journalistischen Bankrotterklärung, gleichgekommen. Auffallend ist jedoch, dass sich recht bald eine Phalanx von Printmedien gegen Handkes Thesen bildete, die von bürgerlichen bis hin zu linken Medien reichte. Bereits nach wenigen Wochen war klar, dass „Gerechtigkeit“ nicht nur für Serbien, sondern auch für den österreichischen Dichter in immer weitere Ferne rückte. Die mediale Ablehnung, die dem Werk widerfuhr, indem sich die Vorwürfe von „politisch indiskutabel“ über die Denunzierung des Autors als „Spinner“ bis zur Negierung des poetischen Anspruches – Handkes Werk sei keine Kunst, sondern Kitsch – erstreckten, reichte so weit, dass Peter Handke, als „Serbenfreund“ verschrien, zur Persona non grata stigmatisiert wurde – und mit ihm zugleich jene Wenigen, die sich noch getrauten, dem Chor der Verdammung zu widersprechen. Feuilletonisten lehnten eine Auseinandersetzung mit den Gründen für Handkes proserbische Haltung ab. Der Vorwurf ideologischer Intention, der absichtlichen Irreführung wurde gegen den Dichter dabei gerade von jenen erhoben, die ihrerseits die traditionelle Interpretation des Jugoslawien-Krieges mit beinahe militanter Vehemenz verteidigten: Serbien sei der Aggressor, Slowenen, Kroaten, Bosnier die Opfer – eine Sichtweise, die inzwischen in der Wissenschaft längst vom Konzept wechselseitiger Verantwortung für die Kriege abgelöst worden ist. Doch obwohl seit Beginn des Jugoslawien-Konfliktes immer wieder auch Stimmen laut geworden waren, die der gängigen These westlicher Berichterstattung, wonach Serben die „neuen Nazis“ waren, widersprachen, reagierten die deutschsprachigen Feuilletons auf Peter Handkes Reisebericht äußerst gereizt. So wurden nicht nur Handkes Thesen, denen zufolge die Verantwortung für die Kriege bei verschiedenen Akteuren innerhalb und außerhalb Jugoslawiens lag – eine Sichtweise, die von jüngsten Forschungsergebnissen bestätigt wird – abgelehnt, sondern auch der Schriftsteller als Künstler und Person. Dies ging so weit, dass Handke unterstellt wurde, er wolle das Massaker von Srebrenica leugnen, und man ihn schließlich sogar in die Nähe von Auschwitz-Leugnern rückte, eine Strategie, die Folgen zeigte: Der gegen Gerechtigkeit für Serbien erhobene Vorwurf der Demagogie wurde schließlich von der überwältigenden Anzahl der Printmedien kolportiert, sodass seine Widerlegung kein Gehör finden konnte. Ein ähnliches Schicksal war Erich Fried und seinem Gedichtband und Vietnam und dreißig Jahre zuvor widerfahren.

Fried wurde in den 1990er Jahren von der Geschichtswissenschaft rehabilitiert, die Handke-Debatte dauerte indes an. Drei Jahre nach Gerechtigkeit für Serbien, mit Ausbruch des „Kosovo-Krieges“, gegen den der Dichter erneut seine Stimme erhob, erwies sich die Situation des Kärntner Schriftstellers desolater denn je: Vom Gros der deutschsprachigen Literaturkritik wurde Handke kurzerhand für politisch unzurechnungsfähig erklärt. Im Spiegel wartete Peter Stolle mit einer für die Handke-Berichterstattung des Magazins nicht untypischen Verleumdung auf. So habe der Schriftsteller „mit heißem Herzen, aber betrüblich schwach bei Verstand“ immer wieder Serbien bereist und Widerspruch bei öffentlichen Diskussionen mit dem Ausspruch „Sie können sich Ihre Leichen in den Arsch stecken“ beschieden. Wiewohl der Artikel suggerierte, dass Peter Handke solche Aussagen öfter gemacht hätte, stellte dies nicht den Höhepunkt an Einseitigkeit dar, auch nicht die Tatsache, dass der Satz aus dem Zusammenhang gerissen worden war, sondern die Verdrehung des Zitierten. Die korrekte Aussage war eine wütende Replik auf die Frage des News-Journalisten Karl Wendl nach der Betroffenheit Handkes angesichts der Leiden in Bosnien gewesen und hatte wie folgt gelautet: „Stecken Sie sich von mir aus Ihre Betroffenheit in den Arsch!“ Andernorts wurde nicht mit gefälschten Zitaten, sondern mit der Unterstellung „gearbeitet“, dem Schriftsteller ginge es vor allem um PR für sein damals gerade neu erschienenes Stück Die Fahrt im Einbaum oder Das Stück zum Film vom Krieg (Frankfurt a.M. 1999), ein Theaterstück über die unterschiedlichen Interpretationen des „Jugoslawien-Krieges“. Auch auf Nazi- und Stalin-Vergleiche glaubten manche Kritiker Handkes nicht verzichten zu können. Im Berliner Tagesspiegel wurde Handke am 8. April 1999 von Autor Hans-Christoph Buch in die Riege der Faschismus verherrlichenden Dichter Ezra Pound (für Mussolini) und Louis-Ferdinand Céline (für Hitler) eingereiht. Pound – Céline – Handke, angesichts der damaligen westlichen Propaganda (Mussolini) – Hitler – Milošević ein nachvollziehbarer, wenngleich insbesondere für einen Intellektuellen fragwürdiger Vergleich. Wie ungenau im Feuilleton gelesen wurde, verdeutlichte der österreichische Standard: Dass Handke den auf Kosovo-Flüchtlinge und Vertriebene (aus heutiger Sicht faktisch zu Unrecht) angewandten Begriff „Deportierte“ als „eine Entwertung des Judenelends“ kritisiert hatte, hinderte Hans Rauscher nicht daran, dem vermeintlichen „Wiederholungstäter gegen humanes Denken“ (Standard, 14. Mai 1999) vorzuwerfen, das Niveau von Holocaust-Verharmlosern oder „die moralisch-intellektuelle Verrottung jener Intellektuellen erreicht zu haben, die Stalin und Mao für die Schaffung eines ‚neuen Menschen’ priesen“. Kaum einmal wurde versucht, Handkes Motivation zu verstehen – man zweifelte im Gegenteil seine Glaubwürdigkeit und Integrität an. Frauke Meyer-Gosau meinte 1999 in der Literaturzeitschrift text + kritik gar, beim Dichter einen Komplex auszumachen. Dieser setze sich zusammen aus Relativierungsstrategien, der Manier der Abwehr von Schuld und Mitschuld und schließlich dann der Zuflucht zu den Kinder-Bildern, die alle Jugoslawien-Texte von Peter Handke prägen. Manch einer schreckte auch nicht davor zurück, den Geisteszustand des Schriftstellers infrage zu stellen. Marcel Reich-Ranicki empfahl dem Dichter angesichts der wütenden Medienschelte, „sich möglichst schnell in die Obhut eines Sanatoriums zu begeben“. So wurde Handkes Kritik an der medialen Inszenierung realen Leides als „Verhöhnung der Opfer“ ausgelegt, obwohl die Medienwissenschaft die Sichtweise des Schriftstellers bestätigt.

Die später geführte Diskussion über die Rolle der deutschen Massenmedien während des „Kosovo-Krieges“ zeigte zudem ob ihrer selbstkritischen Töne, dass der Schriftsteller mit seinem Standpunkt so falsch nicht lag. Angesichts des vor allem in deutschen Printmedien weit verbreiteten prointerventionistischen Standpunktes musste Handkes Meinung auf Ablehnung stoßen. Dass der Dichter dabei auch noch die Moral für seine Argumentation in Anspruch nahm, musste auf Kritiker geradezu blasphemisch wirken, denn die Moral war innerhalb der Kriegserzählung ausschließlich Interventionisten vorbehalten: Die NATO führte, so die Befürworter des Angriffes auf Jugoslawien, eine „humanitäre Intervention“ zur Rettung der Albaner im Kosovo durch. Den Krieg als unmoralisch darzustellen, musste damit zum Ausschluss aus der Erzählgemeinschaft führen. Entscheidend war dabei der auf Glauben und Meinung beruhende Konsens unter den großen deutschen und deutschsprachigen Massenmedien. Denn auf der Ebene der Fakten war Handkes Kritik durchaus gerechtfertigt: Menschenrechtsfragen spielten im „Kosovo-Krieg“ nur eine untergeordnete Rolle, das Hauptmotiv war die Wandlung der NATO im fünfzigsten Jahr ihres Bestehens vom Verteidigungs- zum globalen Interventionsbündnis. Schlussendlich lenkte aber die Aufregung um Handke von der Frage nach Recht- und Verhältnismäßigkeit des NATO-Einsatzes ab und wirkte dadurch beruhigend auf zweifelnde Interventionsbefürworter. In seiner dezidierten Parteinahme für Serbien fand der Dichter bei den großen deutschen Zeitungen keine Zustimmung. Verständnis wurde allenfalls seinem poetischen Anliegen entgegengebracht, ebenso gab es vereinzelte Versuche, die provokanten Interview-Aussagen vom literarischen Werk zu trennen. Am meisten Ablehnung kam von Spiegel, FAZ und taz. Die Zeit ließ immerhin auch Handke-Verteidiger zu Wort kommen, und die am stärksten dem Rechtfertigungsdiskurs der NATO-Propaganda erlegene Süddeutsche Zeitung veröffentlichte zumindest den Reisebericht des Dichters. Seine Medienkritik lehnten jedoch alle diese Zeitungen ab. Mit dem Ende der Luftangriffe gegen Serbien wurde es dann auch um den österreichischen Autor ruhiger. Die Einseitigkeit vieler Presseorgane hielt aber auch über den Krieg hinaus an. Zwar berichtete Handke 2002 für die Süddeutsche Zeitung über den Milošević-Prozess in Den Haag, doch tauchten die alten Vorwürfe anlässlich der geplanten Verleihung des Heine-Preises 2006 wieder auf.

Die Düsseldorfer Lokalpolitikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP) unterstellte dabei dem Dichter, „Mord, Vertreibung, Massenfolter und Vergewaltigung“ relativiert zu haben. Und während Düsseldorfs Oberbürgermeister Joachim Erwin (CDU) für die Verleihung des Heine-Preises an Peter Handke eingetreten war, opponierte sein Parteikollege Jürgen Rüttgers, der damalige nordrhein-westfälische Ministerpräsident, dagegen mit der Behauptung: „Die Landesregierung ist der Meinung, dass für den Heine-Preis nicht preiswürdig ist, wer den Holocaust relativiert.“ Holocaust- oder Srebrenica-Relativierer? Hier ist vorab eine Klärung der Sachverhalte nötig: Handke war und ist trotz aller Parteinahme für Serbien kein Srebrenica-Leugner, und selbst dann wäre er noch nicht automatisch jemand, der die Shoah relativiert. Der Hintergrund ist folgender: Die Annahme eines Genozids an den bosnischen Muslimen im „Bosnien-Krieg“, das von der US-amerikanischen PR-Agentur Ruder Finn verbreitete Synonym „Serben = Nazis“ sowie das in Den Haag als Genozid bezeichnete Massaker von Srebrenica spielen in der Jugoslawien-Debatte vor allem unter Befürwortern westlicher Interventionspolitik eine zentrale Rolle. Problematisch ist neben der UN-Definition von Genozid, die auf zahlreiche Kriegsverbrechen weltweit anwendbar wäre, dass die Bezeichnung „Völkermord“ gerade im deutschen Sprachraum mit der planmäßigen Vernichtung der europäischen Juden durch die Nationalsozialisten assoziiert wird. Nicht der Vergleich, sondern die suggerierte Gleichsetzung der realen Völkermorde des Zweiten Weltkrieges oder, in anderer und auch zahlenmäßig abgeschwächter Form, von Ruanda 1994 mit dem behaupteten Völkermord an den bosnischen Muslimen sowie dem Massaker von Srebrenica führte erst zu jenen fragwürdigen Revisionismus-Unterstellungen, die in der Handke-Debatte bei Kritikern allgegenwärtig sind. Wer den bosnischen Genozid leugnet, leugnet Srebrenica, und wer das abstreitet, leugnet also auch den deutschen Völkermord, lautet die Schlussfolgerung. Dabei hat Peter Handke wiederholt auf die Gefahr der Relativierung der Shoah hingewiesen. Ihm vorzuwerfen, er habe „den Holocaust relativiert“, ist absurd. Während der Schriftsteller seine mit Bedacht gewählten Fragen reflektiert und Versöhnung anstrebt, geht es NS-Revisionisten um Hass, Ausgrenzung und Intoleranz sowie um die Reinwaschung Deutschlands von seiner historischen Schuld. Wo Letztere Fakten abstreiten, stellt Handkes Relativierung der angeblichen Alleinschuld Serbiens eine Differenzierung in der Wahrheitssuche dar. Serbische Verbrechen waren und sind weder qualitativ noch quantitativ mit den nationalsozialistischen vergleichbar. Vor allem aber sind die Vorfälle juristisch nicht annähernd so akribisch untersucht worden wie der deutsche Genozid.

Wogegen sich Handke stellt, ist die Vorverurteilung, und dort leistet sein Werk Wesentliches für den Anspruch auf Gerechtigkeit. Während Journalisten von „Brennpunkten“ berichten (müssen), erforschte der Dichter das Dritte, „dieses Nebendraußen, jenes neben den Brennpunkten des Kriegstheaters Existierende“. Auf der literarischen Ebene eckten seine um Nuancen bemühten Worte, die er der mehrheitlich stereotypen Sprache vieler Journalisten gegenüberstellte, schon deshalb an, weil sie zu Relativierungen führten, wo in den Medien Absolutheit herrschte. Seine der Eindeutigkeit journalistischer Erzählung entgegengehaltene Mehrdeutigkeit stellte lieb gewonnene Sicherheiten infrage und kratzte am Selbstverständnis jener, die mit Entschlossenheit an einer Politik festhielten, die in Serbien und Milošević das alleinige Übel erblickte. Des Weiteren provozierte der Schriftsteller durch seine zugespitzten Interview-Aussagen, in denen er sich bisweilen dem sachlichen Gespräch entzog und stattdessen mit Polemik, Ironie und Sarkasmus reagierte. Für zusätzliche Aufregung sorgten seine mitunter fragwürdigen Handlungen, angefangen bei seinen Reisen nach Serbien über sein Auftreten als Trauzeuge eines in Deutschland als Kriegsverbrecher verurteilten Serben bis zu seiner Rede beim Begräbnis von Slobodan Milošević im Mai 2006. Damit und mit manchen polemischen Äußerungen fügte der Dichter sich und seinem Anliegen letzten Endes mehr Schaden als Nutzen zu. Trotzdem entband dies niemanden von einer fairen Beurteilung. Vielleicht war diese aber auch von Anfang an nicht gewünscht. Stand zu Beginn der Diskussion noch die mangelnde oder vorhandene Gerechtigkeit gegenüber Serbien bzw. serbischen Bevölkerungsteilen im ehemaligen Jugoslawien im Vordergrund, ging es am Ende fast nur mehr darum, sich für oder gegen Handke zu positionieren, ohne dass sein Werk noch als Diskussionsgrundlage gedient hätte. Dies spricht für die These, nach der die Handke-Auseinandersetzung als Sündenbockstrategie, als Zielscheibe zur Ablenkung der Medien von berechtigter Kritik an der Berichterstattung im Umgang mit einem europäischen Konflikt wie Jugoslawien interpretiert wird. Zu seiner Einschätzung dieser These befragt, wies der ARD-Korrespondent Detlef Kleinert, der in den 1990er Jahren wiederholt Serbien als Hauptschuldigen dargestellt hatte, sie ohne weitere Begründung mit dem Satz zurück: „Diese These ist dummes Zeug!“

https://www.hintergrund.de/medien/keine-gerechtigkeit-fuer-peter-handke/

 

Der Nobelpreis

 

Die meisten finden den Nobelpreis wg. Handkes Innerlichkeit verdient - aber Jugoslawien stört. Für die Einen hat sich Peter Handke verrannt und die Sache ist lange her; für die Anderen gehört Peter Handke zumindest moralisch vernichtet. Wie schafft mensch das?

Mensch hätte meinen können, die Fronten seien geklärt. Der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder hat öffentlich zugegeben, mit der Bombardierung Jugoslawiens gegen das Völkerrecht verstoßen zu haben, siehe http://www.ansichten-eines-regenwurms.de/88-bruch-des-voelkerrechts.html, die ARD hat nachgewiesen, dass zumindest der damalige Kriegsminister Rudolf Scharping massiv gelogen hat (unter anderem wg. dem erfundenen „Hufeisen-Plan“) und allem anderen, was in der Zwischenzeit offiziell aufgedeckt wurde, siehe http://www.ansichten-eines-regenwurms.de/379-die-moerder-sind-unter-uns.html

Aber die Gutmenschen und humanitären Bombardierer von damals sind die Unbelehrbaren von heute und meinen, alles und alle vernichten zu müssen, das sich ihnen in den Weg stellt.

 

Mediale Vernichtung

 

Tobias Riegel: „Dem österreichischen Dichter Peter Handke wurde der Nobelpreis für Literatur verliehen. Der Akt hat infame Reaktionen in zahlreichen großen Medien hervorgerufen – diese Reaktionen haben wenig mit Literatur und viel mit Politik und Propaganda zu tun. Denn Handke ist nicht nur einer der bekanntesten zeitgenössischen deutschsprachigen Autoren, der den Preis nach künstlerisch-intellektuellen Kriterien eindeutig verdient hat – vor allem hat er es gewagt, vor den völkerrechtswidrigen Jugoslawienkriegen in den 1990er Jahren Einspruch gegen die damals fast monolithische Pro-Kriegs-Meinungsmache westlicher Medien und Politiker einzulegen …

Diese Wellen der Verachtung schlagen nun anlässlich der Preisverleihung ein zweites Mal über dem Dichter zusammen. Mutmaßlich aus zwei Gründen: Die betreffenden Redakteure wollen einerseits die Rehabilitation der Person des Kritikers verhindern, um ihn als pazifistischen Kronzeugen weiterhin kaltzustellen. Andererseits soll der Inhalt von Handkes Kritik am NATO-Krieg diffamiert werden, um die emsige Mitarbeit vieler Medien an der damaligen Kriegstreiberei weiterhin als „gerechtfertigt“ erscheinen zu lassen. Das weitgehende Verstummen der deutschsprachigen Intellektuellen zum Komplex Krieg und Frieden, zur Sozialen Frage und zum forcierten West-Ost-Konflikt machte und macht die (anscheinende) Isolation Handkes und seiner Thesen noch einfacher.

Das fatale Verstummen zahlreicher deutschsprachiger Künstler und Intellektueller zu wichtigen gesellschaftlichen Themen haben die NachDenkSeiten kürzlich etwa in diesem Artikel beschrieben. Handke ist eines der ganz wenigen Gegenbeispiele. Ihm gegenüber stand in den 1990er Jahren eine Vielzahl an Künstlern und Intellektuellen, die sich – motiviert durch durchschaubare moralische Kampagnen für die „Freiheit“ und gegen „Diktatoren“ – mehr oder weniger intensiv vor den propagandistischen NATO-Karren haben spannen lassen, wie etwa dieser Artikel beschreibt. Betrachtet man die bis heute andauernden fatalen Folgen des illegalen NATO-Kriegs, so ist schon verwunderlich, dass sich bis in die Jetztzeit noch immer der Kritiker verteidigen muss – und nicht die Unterstützer der Bombardierungen.

Handkes Widersprüche gegen eine breitflächige NATO-Propaganda mögen von ihm nicht immer in angemessener Klarheit vollzogen worden sein. Wäre er Medienprofi und nicht Schriftsteller, er hätte sich strategisch klüger verhalten können. Auch kann man Handkes Interventionen – neben zahlreichen guten politischen Gründen – auch eine Motivation aus biografischen und anderen Motiven unterstellen. Und man kann und soll an seinen Einlassungen natürlich (konkrete!) inhaltliche Kritik üben. Andererseits muss man Handkes damaligen Akt des Widerspruchs als ein mutiges und bis heute wichtiges Symbol bezeichnen. Und auch inhaltlich müssen viele von Handkes damaligen Feststellungen als weitgehend zutreffend bezeichnet werden – und je mehr Distanz zur damals entfachten Propaganda entsteht, umso klarer werden diese Handke „entlastenden“ Befunde. Dass diese Befunde nun (weiterhin) geleugnet werden, ist nur möglich durch eine Gemeinschaftsleistung vieler großer Medien – damals und heute. In dieser Gemeinschaftsleistung wird die Person des Kritikers (weiterhin/erneut) diffamiert, wahrscheinlich, um gemeinsam begangene mutmaßliche Medien-Verfehlungen (NATO-Propaganda) vor der restlosen Enttarnung zu schützen.

So bezeichnet die „FAZ“ Handke aktuell als „Barde des Balkankriegs“. Unter dem Titel „Wider den Literaturnobelpreis für Peter Handke“ schreibt die Zeitung:

Niemand hat die Massaker, den Krieg und das Leid auf dem Balkan so ausdrucksstark zur Petitesse erklärt wie Peter Handke. Für die Opfer birgt die Stockholmer Entscheidung eine erschütternde Botschaft.“

Der „Tagesspiegel” zitiert diverse Handke-Kritiker, so zum Beispiel auch Wolfgang Ischinger, der behauptet:

Deutschland hat (unter SPD-Kanzler Schröder) gegen den von Handke geehrten Milosevic 1999 Krieg geführt, mit sehr guter humanitärer Begründung. Und jetzt ehren wir den Apologeten des Diktators mir nichts, dir nichts?“

Die „Frankfurter Rundschau“ praktiziert die aktuell verbreitete Marotte, bereits das Stellen von Fragen zu diffamieren. Denn Handke würde – wie „Verschwörungstheoretiker“ das eben so machen – „Fragen stellen, um Fakten zu beugen“. Diese absurde Feststellung aus dem Munde von Journalisten muss man erst einmal verdauen. Die Zeitung fährt fort:

Mit dem, was Peter Handke zu den Kriegen und Massakern in Kroatien, Bosnien-Herzegowina und im Kosovo schrieb, hat der soeben mit dem Literaturnobelpreis geehrte Schriftsteller bis heute die Propaganda des Miloševic-Regimes übernommen. Im Diskurs von Verschwörungstheoretikern werden oft rhetorische Fragen aneinander gereiht, aber nicht beantwortet. Diese Fragen dienen dazu, angebliche Manipulationen aufzudecken. Genauso machte es Handke in seinem im Jahr 1996 erschienenen Text ‘Eine winterliche Reise zu den Flüssen Donau, Save, Morawa und Drina oder Gerechtigkeit für Serbien’.“

Laut „taz“ ist die Wahl Handkes als Preisträger „Eine unzivilisierte Wahl“. Der Preis für Handke sei „ein Schlag ins Gesicht Betroffener der Massaker in Bosnien – und aller, die an Menschenrechte und Fakten glauben“. Ein Leser der „taz“ sieht das anders – weil sein Kommentar im Forum einiges auf den Punkt bringt, sei er hier zitiert:

Wer sich mit dem Werk Peter Handkes beschäftigt hat, kann nicht ernsthaft glauben, Handke sei ein Apologet von Völkermord und Genozid. Diese Anschuldigungen machen mich fassungslos.

Ja, Serben, waren die Täter beim Massaker von Srebrenica. Aber eine einfache Täter-Opfer-Zuschreibung ist in den Bürgerkriegen im Zuge der Auflösung Jugoslawiens nicht möglich. Handkes Parteinahme für Serbien fand vor dem Hintergrund einseitiger Beschuldigungen, Medienkampagnen und Kriegsvorbereitungen des Westens statt, sie hat biografische Gründe, und sie steht im Zusammenhang mit der Geschichte Nazideutschlands und Österreichs und ihrer “Serbien-Politik” Und selbstverständlich wurden auch vom Westen “Fake-News” gegen Serbien verbreitet (Hufeisenplan, Zweites Auschwitz Verhindern etc.) daran könnte an dieser Stelle durchaus einmal erinnert werden.

Die Verleihung des Literaturnobelpreises an Peter Handke ist richtig. Sie ist richtig, weil sein Werk und seine Sprache für die Weltliteratur von großer Bedeutung ist.

Der Literaturnobelpreis ist im Übrigen kein Friedensnobelpreis, der ja sogar an einen amerikanischen Präsidenten verliehen wurde, trotz Drohnenmorde, völkerrechtswidriger Kriege, Foltercamps und Todesstrafe.“

Während manche interessierte Zeitgenossen den für eine moralische Einordnung von Preisverleihungen angemessenen Vergleich mit Barack Obama als „Whataboutism“, also als unredliche Relativierung abtun, stellt die „FAZ“ eben jenen Vergleich an. Die Zeitung verkündet erleichtert:

Wenigstens kein Friedensnobelpreis“.

https://www.nachdenkseiten.de/?p=55611

 

Ein „Opfer“ Handkes wird in Stellung gebracht

 

Der Schriftsteller Saša Stanišić hetzt seit Vergabe des Nobelpreises gegen Peter Handke. Unter anderem mit Folgendem:

Klatschpresse feiert ihn. Und Politiker, die damals mit Milošević marschierten. Ernstzunehmende Künstler und Intellektuelle schütteln den Kopf.“

Ich halte Handke auch außerhalb des Bosnien/Serbien-Komplexes für einen schlechten Autor und nicht preiswürdig. Wenn er aber nur für diese alten Texte ausgezeichnet wäre, wäre mir das egal. Weil die harmlos sind und halt vor sich hinplätschern & hineiteln & in sich aber stimmen.“

https://twitter.com/sasa_s

Damit ist klar: in dem Moment, wo Saša Stanišić die große Bühne geboten wird, wird er sich massiv gegen Peter Handke äußern. Die Verleihung des Deutschen Buchpreises war demnach dazu gedacht, Peter Handke eins auszuwischen.

Im Folgenden die heute Abend im Frankfurter Römer gehaltene Dankesrede des neuen Trägers des Deutschen Buchpreises, Sasa Stanisic, im Wortlaut.

... Es gab aber einen anderen Preis, der diese Konzentration gestört hat, und der etwas, eine kleine Spur wichtiger ist. In Schweden, in Stockholm. Und den hat nun einer bekommen, der mir diese Freude an meinem eigenen ein bisschen vermiest hat, und deswegen bitte ich Sie um Nachsicht, wenn ich diese kurze Öffentlichkeit dafür nutze, mich kurz zu echauffieren. (Applaus) Über die 50 Prozent des Preises.

Ich tu’s auch deswegen, weil ich das Glück hatte, dem zu entkommen, was Peter Handke in seinen Texten nicht beschreibt. Dass ich hier heute vor ihnen stehen darf, habe ich einer Wirklichkeit zu verdanken, die sich dieser Mensch nicht angeeignet hat, und die in seine Texte der 90er Jahre hineinreicht. Und das ist komisch, finde ich, dass man sich die Wirklichkeit, indem man behauptet, Gerechtigkeit für jemanden zu suchen, so zurechtlegt, dass dort nur noch Lüge besteht. Das soll Literatur eigentlich nicht.

In seinem Text, der über meine Heimatstadt Visegrad verfasst worden ist, beschreibt Handke unter anderem Milizen, die barfuß nicht die Verbrechen begangen haben können, die sie begangen haben. Diese Milizen und ihren Milizenanführer, der Milan Lukic heißt und lebenslang hinter Gittern sitzt, wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit, erwähnt er nicht. Er erwähnt die Opfer nicht. Er sagt, dass es unmöglich ist, dass diese Verbrechen geschehen konnten. Sie sind aber geschehen. Mich erschüttert so was, dass so was prämiert wird. Ich stehe nicht allein mit dieser Erschütterung da, und das freut mich auch. Die katholische Kirche hat Handke schon gratuliert. Die katholische Kirche hat dem Handke gratuliert und ihm zu einer Ehrung jenseits der politischen Korrektheit gratuliert – die katholische Kirche! Passt ja eigentlich.

Ich stehe hier, um eine andere Literatur zu feiern. Ich feiere die anderen 50 Prozent. Ich feiere Olga Tokarczuk. Ich feiere eine Literatur, die alles darf und alles versucht, auch gerade im politischen Kampf mittels Sprache zu streiten. Ich feiere Literatur, die dabei aber nicht zynisch ist, nicht verlogen und die uns Leser nicht für dumm verkaufen will, indem sie das Poetische in Lüge verkleidet, und zwar freiwillig, Fakten, an denen scheitert. Ich feiere die anderen Autoren, ich feiere Olga Tokarczuk. Und lassen sie mich zum Schluss auch sagen, dass ich gerne auch Literatur feiere, die die Zeit beschreibt, und diese Zeit ist so, wie Handke sie im Falle von Bosnien beschreibt, nie gewesen.“

https://orf.at/stories/3140837/

 

Über Persönliches in den Dreck ziehen

 

Margarete Stokowski: „Darf man noch Filme von Roman Polanski, Harvey Weinstein oder Woody Allen sehen? Darf man zu Michael Jackson tanzen, R. Kelly hören, über Louis C.K.s Witze lachen? Darf man Peter Handke einfach nur für einen großen Literaten halten? Natürlich darf man, rein juristisch. Die Frage ist, ob es etwas gibt, was den Konsum der Kunst, ihre Rezeption, ihre Würdigung nachhaltig beeinflusst, wenn man bestimmte Dinge über die Menschen weiß, die sie geschaffen haben.

Bei manchen Künstlern - Künstlerinnen nicht mitgemeint - hat man das Gefühl, sie haben irgendwann eine magische Grenze überschritten, jenseits derer ihre Bewunderer ihnen jeden erdenklichen Fehler verzeihen: Witze auf Kosten von Minderheiten? Freiheit der Kunst, er kennt keine Tabus! Eklige Sprüche über Frauen? Herrlich verschroben, so kauzig! Übergriffe gegen Journalisten? Ein Enfant Terrible! Ehefrau verprügelt? Hach, Genie und Wahnsinn! Mit Diktatoren gekuschelt? Ein widerständiger Charakter, ein Lebemann, der polarisiert, ein ewiger Provokateur, der sich von niemandem etwas sagen lässt …

Handke ist ein Autor, der sich äußerst abfällig über Frauen und #MeToo äußerte, ein Autor, der zugegeben hat, einen Kritiker geschlagen zu haben. Ein Autor, der in einem Gespräch mit dem Journalisten André Müller sagte, er fühle sich "dem Hitler als Mensch" gelegentlich "sehr nahe", er fühle außerdem manchmal eine "tiefe, perverse Sympathie für die faschistische Gewalt, die aus der Verzweiflung kommt". Und ein Autor, der auf der Trauerfeier für einen Diktator eine Rede hielt …

Dabei geht es nicht darum, ob man einzelne Fehler oder Ausrutscher verzeiht oder ausblendet - die natürlich auch Künstlern passieren können -, sondern darum, ob man gewillt ist, aus einem Menschen, der gewalttätig ist oder Opfer von Gewalt verhöhnt, diese Seiten gewissermaßen herauszurechnen, um ihm weiterhin in Ruhe huldigen zu können.

Was daran am unangenehmsten ist, ist nicht, dass es Leute gibt, die diese Kunst dann noch konsumieren wollen, sondern der räudige Trotz, mit dem sie dieses Bedürfnis rechtfertigen, diese Mischung aus Unterwürfigkeit (gegenüber dem Künstler) und Überheblichkeit (gegenüber seinen KritikerInnen) …

Würden Leute, die da auf einer strikten Trennung von Werk und Künstler bestehen, sich auch ein Landschaftsgemälde von Hitler an die Wand hängen, wenn es ein richtig gutes Bild wäre? Und wenn nicht: Nur aus Angst vor Ächtung - oder doch aus einer inneren Überzeugung, dass die eigenen ästhetischen Bedürfnisse nicht in jedem Fall der einzig gültige Maßstab für die Bewertung von Kunst sein können?“

https://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/peter-handke-und-der-nobelpreis-perfide-muelltrennung-a-1291617.html

 

Stellungnahme von Henrik Petersen, Mitglied des Nobelpreiskomitees

 

Es sind Fragen aufgekommen, wie die Schwedische Akademie und das Nobelkomitee über den Fall Peter Handke und das Verhältnis von Literatur und Politik denken. Ich werde Handkes heftig debattierte Haltung zu den Jugoslawienkriegen kommentieren, aber auch darauf eingehen, ob Handke ein ideologischer Autor ist. Der Deutlichkeit halber: Ich tue dies in meiner Funktion als einzelnes Mitglied des externen Nobelkomitees und nicht als offizieller Sprecher der Schwedischen Akademie.

Ist Handkes Auseinandersetzung mit dem faschistischen Deutschland seiner Elterngeneration in Büchern wie Langsame Heimkehr, Die Lehre der Sainte-Victoire, Der Chinese des Schmerzes und Die Wiederholung "politisch"? Viele würden diese Frage mit Ja beantworten. Es werden Themen wie Erinnerung, Gewissen, Trauer und Zorn verhandelt, und zwar von einem Schriftsteller, der nicht nur deutschsprachiger Österreicher, sondern auch Mitglied einer Familie ist, die zur slowenischen Minderheit in Österreich gehört. Meines Erachtens ist es sinnvoll, eine klare Grenze zwischen einem politischen, ideologiekritischen, ethisch suchenden Diskurs und der Beschreibung und Gestaltung einer persönlichen Erfahrung zu ziehen. Zumal der Begriff "Politik" im gegenwärtigen literarischen Kontext häufig unpräzise und abstrakt verwendet wird.

Lassen Sie mich mit einigen persönlichen Anmerkungen beginnen. Für mich ist entscheidend, dass Handke den Jugoslawienkrieg bedauert hat, dass er eine friedliche Lösung der Konflikte bevorzugt hätte. So etwas ist schnell dahingesagt, aber ebendieser Umstand führt uns zu einer ungemein wichtigen Diskussion: Hätte der Krieg verhindert werden können, wenn ja, wie, und warum ist stattdessen das genaue Gegenteil eingetroffen? In gewisser Weise lässt sich damit auch Handkes Haltung zu Serbien im Balkankonflikt erklären, die für jeden, der nicht im Thema ist, schwer greifbar zu sein scheint. Allein die Tatsache, dass Handke slowenische Wurzeln hat und dennoch für die Serben Partei ergriffen haben soll, dürfte vielen Kopfschmerzen bereiten, ebenso wie die dem Balkankonflikt zugrundeliegende zersplitterte Rechts-Links-Skala. Slowenien, das Land, zu dem er eine starke persönliche Verbindung hatte, befand sich während der dem Konflikt vorausgegangenen Krise in einer wirtschaftlich deutlich günstigeren Lage als Serbien, so Handke am 17. Juni 2006 in der Neuen Zürcher Zeitung. In dem Interview erklärt er außerdem, der Bruch mit der Föderation sei in der damaligen Situation unsolidarisch gewesen. Er machte deutlich, dass er sich eine Vermeidung des Bürgerkriegs gewünscht hätte. Wie schnell die EU Slowenien und Kroatien als selbständige Staaten anerkannte, sah Handke äußerst kritisch. Sein Standpunkt ist mit dem vergleichbar, den heute viele zum Referendum über die Unabhängigkeit Kataloniens einnehmen; zumal Handke Katalonien andeutungsweise als Referenz in Mein Jahr in der Niemandsbucht anführt, wenn im Hintergrund der Erzählung ein fiktiver deutscher Bürgerkrieg stattfindet. Kurzum - schon früh in seinem Schaffen sprach Handke sich unmissverständlich für Frieden und nicht für Krieg aus, und er vertritt einen grundlegend antinationalistischen Standpunkt.

Diskutiert man seine Haltung, ist es noch viel wichtiger, sich in Erinnerung zu rufen, welch entscheidendes Symbol Jugoslawien für ihn auf persönlicher Ebene geworden war. Dieser Umstand spiegelt sich auch in seinem Werk wider. Dieses Thema ist für viele problematisch, da es mit einer starken Idealisierung einhergeht: Kritiker unterstellen Handke oft, Slowenien und Jugoslawien zu verklären, und dabei als Österreicher und nicht als Slowene zu sprechen. Aber wir können uns dem Thema auch von einer anderen Seite nähern, nämlich, indem wir Handkes Bücher lesen und ihn als Schriftsteller kennenlernen.

Im Gegensatz zu vielen, die sich in den letzten Tagen über ihn geäußert haben, wollen wir uns auf der Suche nach Antworten seinen Texten zuwenden - und dort werden wir die antifaschistische Haltung entdecken, die sein gesamtes Oeuvre durchzieht. Dazu gehört die Auseinandersetzung mit dem Erbe des Nationalsozialismus. Hier können wir Parallelen zu anderen deutschsprachigen Schriftstellern ziehen; auf eine Weise zu Thomas Bernhard, auf eine andere zu Paul Celan. Das Besondere bei Handke ist der introspektive Gewissensdiskurs in Büchern wie Langsame Heimkehr, Die Lehre der Sainte-Victoire oder Der Chinese des Schmerzes: Selbstkritisch setzt der Autor sich mit der Idee auseinander, dass geerbte Ideologien in seine Sprache und seine Sicht auf die Welt eingeschrieben sind. Richten wir unseren lesenden Blick anschließend auf das Schlüsselwerk Die Wiederholung, erkennen wir, wie viel emotionales Kapital Handke in den Befreiungskrieg Jugoslawiens gegen die nationalsozialistischen Besatzungsmächte investiert hat. Das ist der persönliche Hintergrund, vor dem Handke erklärt hat, die Regionen hätten wie Geschwistervölker zusammenhalten müssen, Seite an Seite.

In Die Wiederholung diente ein Onkel mütterlicherseits als Vorbild für den Bruder, nach dem sich der Erzähler auf die Suche begibt und die ihn bis in den Karst in Slowenien führt. In der Familie heißt es, der Bruder sei aus der deutschen Armee desertiert und habe sich den jugoslawischen Partisanen angeschlossen, um für die Befreiung von den Nazis zu kämpfen. Außerdem ist in den familiären Hintergrund - des fiktiven Erzählers - die Verwandtschaft mit einer führenden politischen Figur des achtzehnten Jahrhunderts eingewoben, die einen Bauernaufstand gegen den Kaiser von Österreich angeführt haben soll und denselben Namen wie der Erzähler trägt. In Wirklichkeit fiel der Onkel an der Ostfront, wo er gezwungen wurde, für ein Nazideutschland zu kämpfen, mit dem er sich - nicht zuletzt aufgrund seiner slowenischen Herkunft - nie identifiziert hatte. Darüber schreibt Handke in seinem wohl biographischsten Werk Wunschloses Unglück, dem liebevollen Portrait seiner Mutter, die sich selbst das Leben genommen hat. Die fiktive Geschichte des gegen die Nazis kämpfenden Onkels findet sich auch im Traumspiel Immer noch Sturm. Ein weiteres zentrales Motiv ist Slowenien gegen die deutschsprachige Herrschaft, das auch Handkes Reflexionen über die slowenische Sprache in Die Wiederholung begleitet. Vor dem Hintergrund, dass Slowenien historisch von größeren Reichen beherrscht wurde und machtlos war, zeichnet Handke ein Bild politischer "Unschuld"; ein nicht ganz unproblematisches Thema, das jedoch an Klarheit gewinnt, wenn wir mit der Lektüre fortfahren.

Das Thema Sprachkritik durchzieht Handkes gesamtes Oeuvre. Langsame Heimkehr und Die Lehre der Sainte-Victoire, in denen er sich mit der deutschen Sprache und ideologischem Ballast auseinandersetzt, habe ich bereits erwähnt. Ferner finden sich in den Texten Spuren von Handkes vielschichtiger Faszination für den Philosophen Martin Heidegger - ein weiterer Anlass, ihn mit dem rumänisch-jüdischen Lyriker Paul Celan zu vergleichen. Aber ist das Thema "politisch"? Eine Definitionsfrage. Ich selbst vertrete die gegenteilige Meinung: Handke ist ein radikal unpolitischer Autor, was sich am deutlichsten am Motiv der Sprachkritik belegen lässt. Handkes Werk prägt eine ideologiekritische, ethisch fragende Haltung, ein politisches Programm wird dabei nicht propagiert. In vielen Texten versucht das erzählende Ich, sich aktiv vom Ideologischen, von der Welt der Werte, tradierten symbolischen Ordnungen und "der Welt der Namen" (wie es in Langsame Heimkehr heißt) zu distanzieren, um in der Literatur neue private, subjektive oder mythische Ordnungen zu schaffen. Dieser Ansatz wird Handke häufig als subjektive Träumerei angekreidet - aber genauso lässt er sich als radikale, ideologiekritische Poetik lesen.

Ausschlaggebend war Handkes Begegnung mit dem französischen Maler Paul Cézanne. Dieser stellte in seiner späten Landschaftsmalerei auf kritische - und Handke zufolge äußerst gegenwartsrelevante - Weise sämtliche vorgefassten Meinungen darüber auf den Prüfstand, was sich hinter den Begriffen "Natur" und "Landschaft" verbirgt. Und so sind wir abermals an einem Punkt angelangt, der politisch gelesen werden kann, ausgehend von gegenwärtigen paradigmatischen Definitionen des Wortes im Verhältnis zur Literatur. Dabei berührt es doch eine noch viel tiefere, fundamental menschliche Dimension: Zum einen geht es darum, wie wir die Welt durch unsere Wahrnehmungen und Sinneseindrücke erleben, zum anderen darum, wie wir diese Eindrücke - freiwillig oder unfreiwillig - durch Sprache bewerten. Mittels einer für ihn typischen Hyperbel beschreibt Handke, wie Cézanne ihm "als ein Menschheitslehrer - ich wage das Wort: als der Menschheitslehrer der Jetztzeit" erscheint. In seinen eigenen Landschaftsbeschreibungen wiederum sucht Handke, die Gleichrichtungen der Sprache und der gesamten symbolischen Ordnung zu unterlaufen - von Geschichtsdarstellungen und Städtemythen bis hin zu jeglichen vorgefertigten Erklärungsmodellen zum Verständnis der Welt. Handke ist der große Antitourist der Literatur. Und auch vor dem Hintergrund der Globalisierung hat das Thema keineswegs an Bedeutung eingebüßt; es kehrt in Handkes späterem großem Epos Der Bildverlust oder Durch die Sierra de Gredos wieder.

Wer den sprachkritischen Handke trotzdem politisch lesen will, findet genau hier - in seinem Unwillen, ideologisch zu sein - eine Stärke. Ein Beispiel: Handkes Landschaftsbeschreibungen in Langsame Heimkehr und nicht zuletzt in Mein Jahr in der Niemandsbucht ließen sich durchaus als neue Tradition des Nature Writing lesen und sich in diesem Kontext politisch deuten oder anwenden. Doch politische Propaganda kommt in den Texten nirgends vor.

In der Balkanfrage vollführte Handke eine Art politisches Kamikazemanöver, vermutlich in vollem Bewusstsein über die Risiken. Seine Grundthese war, in der deutschen und österreichischen Berichterstattung über die Jugoslawienkriege komme die serbische Seite nicht zu Wort. Die Art und Weise, wie Handke seine Kritik artikulierte, war prekär, plump und führte bisweilen zu regelrecht widersinnigen Vergleichen. Diese Texte sind in mehrerlei Hinsicht problematisch und nur bedingt zitierbar, da sämtliche Aussagen eng mit Argumentationen verknüpft sind, von denen Handke hofft, dass sie als Gesamtheit gedeutet werden.

In ihrem Artikel Justice for Peter Handke? von 2013 analysiert Dr. Karoline von Oppen, Senior Lecturer in Politics, Languages & International Studies an der University of Bath einen Essay, der in politischen Handke-Diskussionen häufig zitiert wird. Die Rede ist von Eine winterliche Reise zu den Flüssen Donau, Save, Morawa und Drina oder Gerechtigkeit für Serbien. Dieser Text wurde im Januar 1996 an zwei aufeinanderfolgenden Sonntagen in der Süddeutschen Zeitung veröffentlicht und immer wieder als - skandalöse - Parteinahme für Serbien im Bosnienkrieg gedeutet. Von Oppen setzt in ihrer Analyse an, dass der Essay nach Kriegsende veröffentlich wurde und seine literarischen Mittel im deutsch-österreichischen Kontext und vor dem Hintergrund einer Mitte der neunziger Jahre in Deutschland aktuellen Debatte als polemisch und provokativ zu lesen sind. Kurzum, der Essay ist in einem spezifischen Zusammenhang verfasst worden und erhält eine völlig andere Bedeutung, wenn er davon losgelöst diskutiert wird.

2007 gewann Handke eine Klage gegen die französische Zeitung Le Nouvel Observateur, die ihm nach seinem Besuch der Trauerfeier für Slobodan Milosevic die Billigung ("approuver") eines Genozids unterstellt hatte. Doch dies hat die schwedische Zeitung Dagens Nyheter keineswegs davon abgehalten, vor ein paar Tagen einen Artikel zu veröffentlichen, in dem der dänische Schriftsteller Carsten Jensen Handke als "offenen Fürsprecher von Völkermord und Säuberungen" bezeichnet. Weiterhin befürworte Handke "Blutvergießen", so Jensen, der im Übrigen damit prahlt, keines von Handkes Büchern je gelesen zu haben. Der Artikel ist nichts anderes als Kolportage. In den letzten Tagen wurde Handke vielfach verurteilt und als Ideologe und Kriegshetzer dargestellt.

Es ist ganz offensichtlich, dass Handke in einigen Artikeln über die Jugoslawienkriege gar nicht erst versucht, als glaubwürdiger politischer Kommentator aufzutreten. Und obwohl er geradezu reflexartig gegen alles zu schießen scheint, was er als unerschütterlichen Konsens auffasst, lassen sich einige dieser Manöver schlichtweg nicht verteidigen. Aber ein Kriegshetzer ist Peter Handke deshalb nicht. Er ist kein Ezra Pound.

Wer mehr darüber erfahren möchte, was Handke tatsächlich über Jugoslawien gesagt hat, dem empfehle ich Lothar Strucks Ausführungen in "Der mit seinem Jugoslawien". Peter Handke im Spannungsfeld zwischen Literatur, Medien und Politik von 2013 und weitere Artikel des deutschen Literaturwissenschaftlers.

So wie von Olga Tokarczuk liegen auch von Handke Essays vor, die das Nobelkomitee zwar gelesen und kommentiert hat, die jedoch in den eingehenden Werkdiskussionen keine Rolle gespielt haben. Dort standen andere Einzeltexte im Vordergrund. Auch in den zentralen Werken - einige habe ich angeführt -, die die Grundlage der Diskussionen bildeten, thematisiert Handke schwere Themen wie Geschichte und Gewalt. Und zwar auf literarisch grandiose Weise. Eine harte Welt braucht Schriftsteller, die es mit ihr aufnehmen können. Große Literatur muss belohnt werden.

Am Tag der Verkündung sagte Ulrika Milles im öffentlich-rechtlichen Schwedischen Fernsehen, in Zeiten der Desinformation sei es eine Schande, Peter Handke den Literaturnobelpreis zu verleihen. Meines Erachtens ist das Gegenteil der Fall; gerade in einer von Desinformation geprägten Zeit hat sich der Nobelpreis an Peter Handke als überaus zeitgemäße Wahl erwiesen. Eines Tages werden die Reaktionen auf Handkes Nobelpreis Gegenstand einer historischen Abhandlung sein.

Vor einigen Wochen war ich in der Galerie im Börshuset, wo die Portraits aller Literaturnobelpreisträger hängen, und hielt unwillkürlich vor dem Portrait von Samuel Beckett inne. Mir fiel auf, dass Beckett vor genau einem halben Jahrhundert, 1969, den Nobelpreis bekommen hat. In fünfzig Jahren, wenn jemand in derselben Galerie vor Handkes Bild steht, wird Handke - genau wie Beckett - zu den selbstverständlichsten Preisträgern gehören, die die Schwedische Akademie je ausgezeichnet hat. Davon bin ich überzeugt.“

https://www.spiegel.de/kultur/literatur/peter-handke-stellungnahme-akademie-mitglied-petersen-a-1292062.html

 

 

Ich bin Philanthrop, Demokrat und Atheist. Rupert Regenwurm