Der Staatsphilosoph

 „Neben Karl Marx hat wohl kein anderer Philosoph der vergangenen zwei Jahrhunderte eine so große politische Wirkung erzielt wie Karl Raimund Popper. Während aber das Imperium, das sich auf das Marxsche Gedankensystem berief, 1989/90 unterging, sind die Ideen Poppers von ebenjener demokratischen Revolution, die es zum Einsturz brachte, eindrucksvoll bestätigt worden.“

http://www.zeit.de/2002/31/200231_popper.xml

 

Dies war der Beginn eines Artikels der „Zeit“ aus dem Jahr 2002 zum 100. Geburtstag von Karl Popper. Mittlerweile sind ein paar Jahre vergangen und der Wurm ist so frech zu behaupten, dass einige Ideen Poppers falsifiziert wurden.

Vor 20 Jahren starb Karl Popper und er kann von sich behaupten, dass ohne ihn die Welt anders aussehen würde, dass die Menschheit anders denken würde. Möglicherweise sähe die Welt ohne ihn in manchen Punkten schlechter aus. Allerdings – auch,  wenn das so nicht seine Absicht war - hatte sein Denken verheerende Auswirkungen auf die heutige Gesellschaft.

Vor allem in zweierlei Hinsicht:

1) Egoismus und in letzter Konsequenz wirtschaftlicher Neoliberalismus, der zu mehr oder weniger großer Verelendung der Massen führt zugunsten von wenigen reichen Privatmenschen und Firmen.

2) die weit verbreitete Ansicht, dass mensch nichts wissen kann, es keine absoluten Wahrheiten, vor allem nicht in der Wissenschaft gibt und dem entsprechend alles erlaubt ist – mit der Konsequenz von allgemeiner Verblödung, Verdummung und Hinwendung zu Religion bzw. Esoterik. Selbstverständlich gibt es auch dort keine absoluten Wahrheiten und deshalb wird das so zusammen gebastelt, wie mensch es gerade der entsprechenden Zeitströmung für richtig hält. Jegliches in-die-Welt-hinausposaunen von Blödsinn, auch wenn er noch so abstrus ist, ist in Ordnung und darf nicht kritisiert werden.

Der Wurm versucht, einige für ihn interessante Punkte von Karl Poppers Denken nachzuvollziehen.

 

Wenn nicht anders angegeben, stammen die Zitate bzw. Passagen aus seinem Buch „Alles Leben ist Problemlösen – Über Erkenntnis, Geschichte und Politik“ oder aus „Wikipedia“:

http://de.wikipedia.org/wiki/Karl_Popper

http://de.wikipedia.org/wiki/Kritischer_Rationalismus

 

Anti-Intellektualismus

„Es gibt eine Tradition, eine ungeheuer starke Tradition der intellektuellen Unbescheidenheit und Unverantwortlichkeit. Ich habe ungefähr im Jahre 1930 einen Spaß gemacht. Ich habe gesagt: Viele der Studenten gehen an die Universität nicht mit der Einstellung, daß da ein großes Reich des Wissens ist, von dem sie vielleicht ein kleines Stück erfassen können, sondern sie gehen an die Universität, um zu lernen, wie man unverständlich und eindrucksvoll redet. Das ist die Tradition des Intellektualismus. Ich habe das damals als Spaß gesagt. Wie ich aber dann selbst Universitätslehrer geworden bin, habe ich zu meinem Entsetzen bemerkt, daß das Wirklichkeit ist. Es ist so, leider.“

http://www.kritik-relativitaetstheorie.de/2011/10/nobelpreise-%E2%80%93-lohn-fur-die-siegreiche-mafia/

 

„Ein größerer Teil der Hegelschen Schriften sei – so Popper – zudem absichtlich unverständlich formuliert, um Kritik unmöglich zu machen. Mit diesem Versuch, durch unverständliche Sprache tatsächlich fehlende inhaltliche Substanz vorzutäuschen, habe Hegel in der Philosophiegeschichte eine neue Epoche eingeleitet, die nicht auf Gedankenaustausch und Argumentation, sondern auf Beeindruckung und Einschüchterung ausgerichtet gewesen sei. Dieser ‚Jargon‘ habe zunächst intellektuelle und dann auch moralische Verantwortungslosigkeit nach sich gezogen.“

Wo er Recht hat, hat er Recht. Dass sich seit Hegels und Poppers Lehrzeiten diesbezüglich nichts verbessert, eher verschlechtert hat, hat auch schon der Wurm bemerkt: http://www.ansichten-eines-regenwurms.de/39-leben-im-elfenbeinturm.html

Da es sich beim Philosophieren oft um komplexe Themen handelt, ist nicht immer alles leicht nachzuvollziehen. Dafür ist Popper relativ leicht zu lesen.

Ein lesenswerter Artikel über die Machenschaften des Wissenschafts-Betriebes (es gibt allerdings noch richtig gute und idealistische Wissenschaftler) beginnt so: „Bereits Karl Popper und Konrad Lorenz beschrieben in ihrem Buch ‘Nobelpreise – Lohn für die siegreiche Mafia’ einen Zustand …“

http://denkbonus.wordpress.com/2011/12/21/denn-sie-wissen-was-sie-tun/

 

Antikommunismus

Bei allem, was gegen den real existierenden Sozialismus zu sagen war: Karl Popper war alles andere als objektiv. Unter anderem beschreibt er seit dem 1. Weltkrieg die Propaganda der Sowjetunion, die in den westlichen Ländern wirkte, die Einverleibung mehrerer Länder im Verlauf des 2. Weltkriegs und kurz danach in den „Ostblock“, die martialische Bewaffnung und militärische Bedrohung anderer Länder nach dem 2. Weltkrieg.

Dabei übersieht Karl Popper einige Dinge:

- es hat massive kapitalistische Propaganda in den sozialistischen Ländern gegeben (etwa durch das West-Fernsehen), die einen großen Beitrag zum Sturz des Sozialismus geleistet hat

- die Einverleibung mehrerer Länder in den eigenen Machtbereich hat in erster Linie etwas mit Imperialismus eines Landes und nicht einer Ideologie zu tun (Russland bzw. die Sowjetunion hätte wohl genau so ohne Sozialismus gehandelt)

- die martialische Bewaffnung war in großen Teilen eine Reaktion auf die Waffensysteme der USA und ihrer Verbündeter – und führte von Anfang bis Ende immer noch zu einer deutlichen militärischen Unterlegenheit der sozialistischen Staaten

- getreu Churchills Devise, der Bolschewismus müsse „bereits in der Wiege erwürgt werden“, gab es massive westliche Unterstützung der reaktionären Kräfte („die Weissen“) im Bürgerkrieg nach der erfolgreichen Revolution 1918/19

Poppers Zorn gegen die sozialistischen Staaten mag ja durchaus berechtigt gewesen sein und bei etwas mehr Objektivität wären seine Argumente dagegen auch nicht viel schwächer gewesen. Das schadet seiner Glaubwürdigkeit - aber die Tatsache, dass Karl Popper ein kompromissloser „Kommunistenfresser“ war, wird ihm bei den westlichen Regierungen von großem Nutzen gewesen sein.

 

Historizismus

„Popper vertrat den Standpunkt, dass Voraussagen des Marxismus bzw. Kommunismus über die Zukunft (z. B. in Form der sozialistischen Revolution) nicht eingetroffen und die zugrundeliegenden Thesen damit falsifiziert worden seien. Statt sie deshalb aufzugeben, sind sie aus seiner Sicht mit ‚verschärften Dogmen‘ angereichert worden und haben so pseudowissenschaftlichen Charakter bekommen.“

„Als Historizismus bezeichnete Popper die Auffassung, dass der Lauf der Geschichte unabhängig von handelnden Menschen von Gesetzmäßigkeiten bestimmt wird und dass ein großer Denker diesen Lauf vorhersehen kann. Die Idee Platons, dass ein vollkommener (von Philosophen regierter) Staat erreichbar ist, die Vorstellung eines auserwählten Volkes, der Sinn der Geschichte als Zweck Gottes, aber auch die Geschichtsnotwendigkeit im Marxismus (Teleologie) sind solche historizistischen Theorien. Teleologie in der Geschichte ist ebenso wenig möglich wie die sichere Erkenntnis einer absoluten Wahrheit. Aus der Geschichte kann man lernen. Aber sie ist heute zu Ende, und die Zukunft ist offen und von den Entscheidungen der Menschen abhängig. Für diese Entscheidungen sind sie selbst verantwortlich.

Mit der teleologischen Geschichtsdeutung verbunden ist die Bestimmung eines Ideals, auf das die Geschichte zustrebt. Die Ideologen, die dieses Ideal vertreten, bestehen oft auf der Forderung, dass alles Mögliche getan werden soll, um das Ideal zu erreichen. Eine solche Position vertritt in Poppers Augen der Marxismus, der seinen philosophischen Ausgangspunkt bei Hegel hat. Neben dem Vorwurf, mit der Sprache jongliert und verbalen Nebel verbreitet zu haben, hielt Popper Hegel insbesondere eine preußische Staatsphilosophie vor, in der der regierende König immer das Recht auch gegen das Volk auf seiner Seite hat. Das humanistische Anliegen von Marx (die Aufhebung der Klassengegensätze, Bekämpfung des Arbeiterelends) kommentierte Popper durchaus mit Sympathie, kritisierte aber massiv die politische Ideologie und den im historischen Materialismus enthaltenen Glauben an die Notwendigkeit des Gangs der Geschichte. Wenn man Menschen mit Gewalt in die Richtung eines Ziels, so gut es auch sei, zwingen will, ist damit die Ausübung von Macht und Intoleranz verbunden; und wenn diese nicht unter demokratischer Kontrolle steht, führt sie in einen Totalitarismus, sei es der nationalsozialistische, sei es der stalinistische. In dieser These ist sich Popper u. a. einig mit Ernst Cassirer und Hannah Arendt. Alle drei entwickelten die Hypothese im Exil unabhängig voneinander.

Als einzig rationale und damit sinnvolle Alternative sah Popper eine offene Gesellschaft, in der die Demokratie institutionalisiert ist. Aus seiner Sicht ist der hierbei wesentliche Aspekt der Demokratie weder Herrschaft des Volkes als Souverän noch Legitimation der Herrschenden durch das Volk, sondern dass sie die Abwahl der Regierung ermöglicht und deren Verantwortlichkeit gewährleistet.“

Karl Popper hat Recht. Der Wurm schätzt zwar die marxistische Geschichtsschreibung (siehe http://www.ansichten-eines-regenwurms.de/113-fruehbuergerliche-revolution-in-deutschland.html ), hält aber wenig von der marxistischen Zukunftsschreibung.

Sich die Zukunft zurecht zu biegen, nur weil eine „Autorität“ aus der Vergangenheit die Zukunft anders prophezeit hatte, ist Unfug. Ähnliches gibt es übrigens beim frühen Christentum, das die baldige Wiederkehr von Jesus erwartete und Paulus der Verzweiflung nahe brachte:

„Denn es wird geschehen, daß des Menschen Sohn komme in der Herrlichkeit seines Vaters mit seinen Engeln; und alsdann wird er einem jeglichen vergelten nach seinen Werken. Wahrlich ich sage euch: Es stehen etliche hier, die nicht schmecken werden den Tod, bis daß sie des Menschen Sohn kommen sehen in seinem Reich.“  Matthäus 16; 27-28

http://www.bibel-online.net/buch/luther_1912/matthaeus/16/#1

 

„Die Jesusbewegung war von einer starken Naherwartung geprägt. Man erwartete das Kommen Jesu nahezu stündlich. Die erste Generation der Christen lebte in der Hoffnung, noch im eigenen Leben das Kommen des Reiches Gottes zu erleben (1 Thess 4,13-17 EU). Dass einige Christen schon gestorben sind, bevor die Parusie eingetreten ist, ist für Paulus zunächst die Ausnahme. Da die Zahl der Todesfälle anstieg, musste Paulus reagieren. In 1 Kor 15,51f geht er wohl schon davon aus, dass die meisten vor der Parusie sterben werden, dass einige sie aber wohl noch erleben werden. In 2 Kor 5,1-10 EU scheint eine zunehmende Verzögerung ins Bewusstsein zu rücken. Daraus entwickelt Paulus die Vorstellung, dass jeder Christ bei seinem Tod einen verwandelten Leib erhält und dass das Kommen Jesu in eine fernere Zukunft rückt.“

http://de.wikipedia.org/wiki/Parusie

http://www.bibelcenter.de/bibel/studien/d-std108.php

http://www.bibel-online.net/buch/luther_1912/1_thessalonicher/4/#1

http://www.bibel-online.net/buch/luther_1912/1_korinther/15/#1

http://www.bibel-online.net/buch/luther_1912/2_korinther/5/#1

 

Kritischer Rationalismus

„Der Kritische Rationalismus setzt sich mit der Frage auseinander, wie wissenschaftliche oder gesellschaftliche (aber prinzipiell auch alltägliche) Probleme undogmatisch, planmäßig (‚methodisch‘) und vernünftig (‚rational‘) untersucht und geklärt werden können. Dabei sucht er nach einem Ausweg aus der Wahl zwischen Wissenschaftsgläubigkeit (Szientismus) und der Auffassung, dass wissenschaftliches Wissen auf positiven Befunden aufbauen muss (Positivismus) auf der einen Seite, sowie andererseits dem Standpunkt, dass Wahrheit vom Blickwinkel abhängig ist (Relativismus) und dass Wissen der Willkür preisgegeben ist, wenn Beweise unmöglich sind (Wahrheitsskeptizismus).

Der Kritische Rationalismus übernimmt die im Alltagsverstand selbstverständliche Überzeugung, dass es die Welt wirklich gibt, und dass sie vom menschlichen Erkenntnisvermögen unabhängig ist. Das bedeutet beispielsweise, dass sie nicht zu existieren aufhört, wenn man die Augen schließt. Der Mensch aber ist in seiner Erkenntnisfähigkeit dieser Welt durch seine Wahrnehmung begrenzt, so dass er sich keine endgültige Gewissheit darüber verschaffen kann, dass seine Erfahrungen und Meinungen mit der tatsächlichen Wirklichkeit übereinstimmen (Kritischer Realismus). Er muss daher davon ausgehen, dass jeder seiner Problemlösungsversuche falsch sein kann (Fallibilismus). Das Bewusstsein der Fehlbarkeit führt einerseits zu der Forderung nach der ständigen kritischen Prüfung von Überzeugungen und Annahmen, andererseits zum methodischen und rationalen Vorgehen bei der Lösung von Problemen (Methodischer Rationalismus).

Der Kritische Rationalismus fragt also zum Beispiel nicht, wie man eine naturwissenschaftliche Theorie beweisen kann, sondern wie man herausfinden kann, ob und wo sie fehlerhaft ist, und was man tun sollte, wenn man einen Fehler gefunden hat. Ein starkes Argument dafür, die Suche nach Beweisen für eine Theorie aufzugeben, ist die Ablösung der Gravitationstheorie von Isaac Newton durch die Relativitätstheorie von Albert Einstein. Newtons Theorie war nach ihrer Entdeckung 200 Jahre lang durch Beobachtung immer wieder ausnahmslos bestätigt worden. Hätte man also überhaupt von einer bewiesenen naturwissenschaftlichen Theorie sprechen können, dann wäre es mit großem Abstand die newtonsche gewesen. Dennoch ließ sich Einstein nicht davon abhalten, die Richtigkeit dieser Theorie anzuzweifeln und ihr eine eigene Theorie gegenüberzustellen. Newton hatte dieser neuen Theorie zufolge zwar auf einem beschränkten Bereich näherungsweise recht gehabt, außerhalb dieses Bereichs war seine Theorie aber fehlerhaft und verbesserungsbedürftig. Sie wäre dann also nicht mehr als Beispiel für eine sichere Theorie zu sehen, sondern eher als Beispiel für die grundsätzliche Fehlbarkeit auch des am sichersten geglaubten menschlichen Wissens. Statt seinerseits nun zu behaupten, Verfahren zum Beweis der eigenen Theorie angeben zu können, schlug Einstein anspruchsvolle Experimente zu ihrer Überprüfung vor und gab an, unter welchen Gegebenheiten er sich gezwungen sehen würde, sie wieder zu verwerfen.

Die von Einstein empfohlene Herangehensweise deutet an, wie wissenschaftliche Probleme mittels Versuch und Irrtum gelöst werden können: Hätte seine Theorie die vorgeschlagenen Prüfungen nicht bestanden, so hätte man eine andere ausprobieren können. Vor Einsteins Revolution der Physik war die Ansicht weit verbreitet, dass Beweise von wissenschaftlichen Theorien durch die Methode der Induktion möglich seien. Das ist die Verallgemeinerung eines Sachverhalts ausgehend von einzelnen Beobachtungen. Die wissenschaftstheoretischen Grundaussagen des kritischen Rationalismus sind daher die Verneinung der Möglichkeit einer solchen Induktionsmethode und der Gegenvorschlag der Methode der Falsifikation. Das ist der Versuch, durch Experimente und Beobachtung Gegenbeispiele zu finden.“

 

Beweislosigkeit

„Trotz der Schlussfolgerung, dass man nie wissen kann, ob man die absolute Wahrheit gefunden hat, hält der Kritische Rationalismus an ihrer Existenz fest und lehnt den Relativismus, also die Abhängigkeit der Wahrheit vom Blickwinkel, ab. Man kann also die Wahrheit gefunden haben und einen wahren Satz aussprechen, aber man kann nicht beweisen, dass er wahr ist. Das trifft für alltägliche Behauptungen ebenso zu wie für die Theorien der Wissenschaft.“

Bei etwas einfacheren Gemütern heisst das dann „keiner hat Recht, jeder kann sagen und machen, was er will“. Und wenn der Blödsinn des Gesagten auch noch so groß ist.

Religion

„Popper vertrat einen Gläubigen gegenüber respektvollen Agnostizismus“

„Popper äußerte sich nur selten über Religion. Über seine Sichtweisen ist jedoch das sogenannte „verlorene Interview“ von 1969 bekannt. Demnach beschrieb er sich selbst als Agnostiker und lehnte für sich den seiner Ansicht nach arroganten Atheismus ebenso ab wie den jüdischen und den christlichen Glauben. Er äußerte jedoch Respekt vor den moralischen Lehren beider Religionen. Paul Feyerabend bezeichnete ihn als „Nachzügler der Aufklärung“.“

Der „Respekt vor den moralischen Lehren beider Religionen“ sei ihm gegönnt. Ein großer Denker hätte aber auch die unmoralischen Lehren beider Religionen sehen müssen. Gerne verweist der Wurm auf „Denn sie wissen nicht, was sie glauben“ von Franz Buggle und dem Mitschnitt eines Vortrages von ihm: https://www.youtube.com/watch?v=YMV6IrU5Qls

 

Pseudowissenschaft

„Hier beschrieb er auch, wie er seine Abgrenzungsüberlegungen seit den 1920er Jahren entwickelt hatte, als er zunächst „Pseudowissenschaft“ von „Wissenschaft“ unterscheiden wollte. Als Beispiele für Pseudowissenschaften nannte er u. a. die Psychoanalyse und den Marxismus, als Beispiel für Wissenschaft Einsteins Relativitätstheorie.“

Dass Karl Popper Psychoanalyse und Marxismus als Pseudowissenschaften einstuft, ist verständlich. Jedoch: wie hält er es mit der Religion? Kritik der Religion ist die Voraussetzung aller Kritik. Schauen wir weiter:

 

Offene Gesellschaft

„Mit seiner Grundauffassung, dass alle Menschen fehlbar sind, wendet sich der Kritische Rationalismus gegen alle Positionen, die von der Möglichkeit einer Letztbegründung (beispielsweise im Hinblick auf moralische Normen) ausgehen. Er befürwortet eine offene pluralistische Gesellschaft, die tolerant gegenüber allen friedlichen Menschen ist, die Konflikte durch rationale Diskussion und mit Hilfe der aufrichtigen Wahrheitssuche löst; in der die Menschen frei sind, ihrem Leben einen individuellen Sinn zu geben und ihren Weg in einer offenen Zukunft suchen zu können. Dies aber nicht verstanden als gesellschaftliche Utopie, sondern als Verteidigung der real existierenden westlichen Demokratien gegen zynischen Gegenwartspessimismus ebenso wie gegen real existierende totalitäre Staaten. In diesem Sinne bekämpft er jede Form von Bevormundung durch Autoritäten, Intoleranz und Ideologie, Totalitarismus und Irrationalismus.“

Wenn etwas „Bevormundung durch Autoritäten, Intoleranz und Ideologie, Totalitarismus und Irrationalismus“ darstellt, dann doch wohl die Religion. Wenn der Staatsphilosoph nichts gegen Religion sagt, ist er in letzter Konsequenz nicht ernst zu nehmen.

 

„Meister Popper macht Köpfe und Staaten sauber“

So lautet der Titel eines Flugblattes anläßlich der Verleihung des „Dr. Leopold-Lucas-Preises“, verliehen von der Evangelisch-theologischen Fakultät in Tübingen 1981. Fritz Erik Hoevels hat dieses Flugblatt in seinem Buch „30 Jahre Ketzer“ dokumentiert. Herausgeber des Flugblattes ist die MRI (Marxistisch-Reichistische Initiative), heute BGA (Bund gegen Anpassung) http://www.bund-gegen-anpassung.com/de/index.htm - also die Vertreter der „Pseudowissenschaften“ Marxismus und Psychoanalyse. Der Wurm möchte dieses Dokument seinen Lesern nicht vorenthalten:

„Heute mittag wird in Tübingen der berühmte ‚Sir‘ Popper sprechen, gefeiert von den Medien, beweihräuchert von den Lehrstühlen, geadelt von der Queen und vor allem: zum offiziellen Staatsphilosophen in der BRD erhoben. Mindestens zwei Berufsverbote wurden schriftlich damit begründet, daß die betroffenen Uni-Assistenten Herrn Poppers Lehre angegriffen hatten (!) – und sogar Kanzler Schmidt, der sonst bekanntlich nicht oft zur Feder greift, hat höchstpersönlich ein bekenntnishaftes Vorwort zu einer Popper’schen Sammelausgabe verfaßt und dessen Lehre als die Staatsphilosophie seiner Partei propagiert. Wer ist dieser Mann, den Thron und Altar einträchtig auf den Schild heben?

Sich selbst bezeichnet Popper als ‚kritischen Rationalisten‘. Wir merken auf: das muß ja verteufelt subversiv sein! Wie kann die Kirche so jemandem einen Preis geben, wo doch auch nur ein bißchen Kritik oder Rationalität ihre ganze Lehre zu Staub zerfallen lassen (wie dies schon vor über 200 Jahren die wirklichen Rationalisten, nämlich die klassischen Aufklärer von Meslier bis d’Holbach – komisch, daß die keiner kennt! – zwingend demonstriert haben). Und nicht nur Rationalist, nein, auch noch ‚kritischer‘! Was ist denn nur mit diesem Wort gemeint – gibt es etwa unkritische Rationalisten, oder meint auch Popper, doppelt hält besser? – Nein, es hat schon einen Sin: Popper kritisiert die Rationalität und deshalb ist seine Selbstbezeichnung verständlich, ebenso wie die Begeisterung von Staat und Kirche für ihn und seine Lehre.

Leute wie ihn, deren Ziel Freud treffend mit den Worten entlarvt: ‚die Wissenschaft mit eigenen Mitteln zum Selbstmord drängen‘, gibt es schon lange. Der erste der sogenannten ‚Empiriokritizisten‘ (‚Wirklichkeitsbezweifler‘) war der englische Bischof Berkeley, und seit dieser auftrat, hat er Nachfolger gefunden, deren modernster eben Popper ist. Die Besonderheit an diesem ist, daß er sich im Gegensatz zur Mehrheit seiner Vorgänger äußerlich aus dem Dunstkreis der Kirche lösen konnte und infolgedessen als seine Hauptfeinde nicht mehr die klassischen Aufklärer ansieht, sondern deren Nachfahren – Marx und Freud. Aus diesem Grunde ist er auch als Staatsphilosoph so geeignet und erst in zweiter Linie Eideshelfer der Kirche. Dementsprechend vermeidet er auch ein paar allzu grobe Extreme seiner Vorläufer (z.B. Berkeley, Carnap oder Mach), etwa die pauschale Leugnung der Außenwelt, sondern propagiert nur die Ansicht, diese sei in ihren Zusammenhängen unverkennbar (d.h., man könne keine Naturgesetze aufstellen bzw. nachweisen, da immer irgendwo eine unbekannte Ausnahme existieren könne). Das ist sein ganzes Geheimnis.

Nun ist auch diese Lehre nicht neu: schon der hl. Augustinus sagt sehr treffend, es könne nicht zugleich Naturgesetze und einen Gott geben – deshalb, so folgert er, gebe es keine Naturgesetze. Popper drückt sich da etwas vorsichtiger aus, aber auch er möchte natürlich – mit seinem albernen Beispiel von den schwarzen Schwänen – dem himmlischen Rauschebart ein Hintertürchen offenhalten (In Wahrheit bringt er einfach Wesen und Erscheinung durcheinander: für Schwäne wesentlich ist nicht die Federfarbe, sondern Anatomie und Genstruktur). Dennoch gilt sein Haß bei weitem nicht in erster Linie den Funden der Physik und Biologie – sondern denen von Marx und Freud, die eben Gesetze auf einem noch brisanteren Felde gefunden haben. Übrigens unterstellt ihnen Popper mehr, als er eigentlich an ihnen kritisiert – er fälscht auf weite Strecken.

Wer wissen will, ob unsere Einschätzung stimmt, soll den Staatsphilosophen ruhig anhören. Wer kein Konformist bleiben will, soll sein seichtes Geschwätz durchschauen, und sei es auch in einschmeichelndstem Wiener Dialekt vorgetragen.“

Mensch muss nicht derselben Meinung sein, aber sie gibt ganz gut einen Teil des Konfliktes um Karl Popper wider. Allerdings: auch, wenn ein hohes intellektuelles Niveau angegeben wird, kommen die Flugblattschreiber nicht umhin, ins Persönliche gehen zu müssen. Der „einschmeichelndste Wiener Dialekt“ hätte genauso gut unterbleiben können. Persönliches als Argument zu gebrauchen, zeugt von keinem hohen moralischen Niveau.

 

Theorie der Demokratie

Karl Popper hat einen ausführlichen Vortrag „Freiheit und intellektuelle Verantwortung“ gehalten und in Kurzform zum gleichen Thema den bemerkenswerten Essay „Zur Theorie der Demokratie“ geschrieben: http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-13523345.html

Der Wurm möchte daraus zwei Passagen zitieren:

„Worauf kommt es denn wirklich an? Es gibt eigentlich nur zwei Staatsformen: Solche, in denen es möglich ist, die Regierung ohne Blutvergießen durch eine Abstimmung loszuwerden, und solche, in denen das nicht möglich ist.“

An anderer Stelle bezeichnet er die beiden Staatsformen als „politisch frei“ bzw. „politisch unfrei“.  Der „Regierungswechsel“ greift für den Wurm allerdings zu kurz: wäre es vorstellbar, dass es in den „politisch freien“ Staaten einen Systemwechsel, welcher Art auch immer, ohne Blutvergießen geben könnte? Wie verhalten sich diese „politisch freien“ Staaten gegenüber denjenigen, die (gewaltlos) diesen Systemwechsel herbeiführen wollen?

„Mir scheint eine Form, die das Zweiparteiensystem möglich macht, die beste Form der Demokratie zu sein. Denn sie führt immer wieder zur Selbstkritik der Parteien. Wenn eine der beiden großen Parteien in einer Wahl eine richtige Schlappe erlitten hat, dann kommt es gewöhnlich zu einer radikalen Reform innerhalb der Partei. Das ist eine Folge der Konkurrenz und des eindeutigen Verdammungsurteils der Wähler, das nicht übersehen werden kann. So werden die Parteien durch dieses System von Zeit zu Zeit gezwungen, von ihren Fehlern zu lernen oder unterzugehen.“

Gut und schön – was ist aber, wenn diese beiden Parteien Verabredungen treffen über gewisse Grundsätze, die nicht unbedingt Volkes Willen repräsentieren? Wo es praktisch nur „Schaukämpfe“ vor den Wahlen gibt und es aus Sicht des Volkes mehr oder weniger egal ist, welche von den beiden Parteien an der Regierung ist?

Dass es mehr oder weniger viele „gekaufte“ Abgeordnete geben könnte – auf diese Idee scheint er nicht zu kommen. Von der Idee der „Volksabstimmung“, wie sie etwa in der Schweiz praktiziert wird, hat der Wurm bislang auch noch nichts von ihm vernommen (siehe http://www.ansichten-eines-regenwurms.de/97-hassobjekt-schweiz.html )

 

Dass es Menschen gibt, die einzelne Gedanken von Karl Popper aufgreifen und nach ihrem Geschmack verwenden, wie es ihnen gerade passt, zeigen folgende Passagen aus den Jahren 2003 bzw. 2010:

„Die gewaltige Propagandamaschinerie der Medienkonzerne, auf die sich die herrschenden Eliten ansonsten verlassen, verfehlte unversehens ihre Wirkung. Die Lügen, von denen die Kriegsvorbereitungen gegen den Irak begleitet werden, wurden schlichtweg nicht mehr geglaubt.

Kein Wunder also, dass dies in einigen Redaktionstuben Frustration und Ärger auslöste. Da sich die überwältigende Opposition gegen einen Krieg nicht leugnen ließ, verlegte man sich darauf, den Politikern Mut zu unpopulären Maßnahmen zu machen. Das Flaggschiff der konservativen deutschen Presse, die FAZ, warnte "vor der allzu wörtlichen Übersetzung des griechischen Begriffs Demokratie ins Deutsche". Unter Berufung auf den Philosophen Karl Popper verkündete sie: "Demokratie war nie Volksherrschaft, kann es nicht sein, soll es nicht sein.... Wo sich mehr oder weniger demokratisch an die Macht gekommene Führer zu Vollstreckern des Volkswillens aufschwingen, herrscht alsbald die Diktatur."

Während solche Töne aus dem konservativen Lager zu erwarten waren, mutet es befremdlich an, dass Ähnliches auch aus ehemals liberalen Kreisen erklingt.“

http://www.wsws.org/de/articles/2003/02/gior-f26.html

 

„Der russische Präsident Dmitri Medwedew legte am 10. September auf dem World Political Forum in Jaroslawl seine Ansichten über die Bedeutung der Demokratie dar. Wie schon frühere Erklärungen des Präsidenten über die "Modernisierung" des Landes, unterstreichen seine jüngsten Aussagen den rechten und arbeiterfeindlichen Charakter seiner Politik. Dabei bewegt sich Medwedews Demokratie-Definition ganz im Trend der allgemeinen Rechtswende in der offiziellen europäischen Politik.

Der russische Präsident betonte, dass das politische System, das heute in Russland existiert, demokratisch sei und zu dem Land passe, es müsse nichts "radikal verändert werden" …

Medwedew behauptete, "repräsentative Demokratie" sei für Russland nicht akzeptabel, und schloss deshalb Redefreiheit, Versammlungsfreiheit, das Recht zu wählen, die Freiheit der Presse, die Trennung von Staat und Kirche und die anderen Grundrechte der bürgerlichen Demokratie von seinen fünf Prinzipien aus …

In seiner Rede zitierte Medwedew Karl Popper und Seymour Lipset, zwei Ideologen des Imperialismus und Ikonen der neokonservativen Bewegung, welche die offizielle amerikanische Politik seit Jahrzehnten dominiert.“

https://www.wsws.org/de/articles/2010/10/russ-o01.html

 

Ethik

„Ebenso verzichtet er auf dem Gebiet der Ethik und der Gesellschaft auf eine Begründung für Normen und konzentriert sich stattdessen auf die Frage, wie schlechte Regeln erkannt und verbessert werden können. Ethik ist für den Kritischen Rationalismus also das Problemlösen auf sozialem Gebiet. Auch hier fordert er ein kritisch-rationales Vorgehen und den Verzicht auf jegliches Dogma. Wie in der Wissenschaft findet man neue, bessere Lösungen nach dem Prinzip von Versuch und Irrtum. Um schwerwiegende negative Auswirkungen von Versuchen in diesem Bereich zu vermeiden, spricht sich der Kritische Rationalismus für eine Politik der kleinen Schritte („piecemeal-engineering“ – „Stückwerkstechnik“) aus.“

 

Politik: Konzentration auf’s Machbare

„Der Standpunkt des Kritischen Rationalismus zur Politik ist seinem Standpunkt zur Wissenschaft sehr ähnlich. Hier ist nicht ausschlaggebend, wie man im Voraus den besten Herrscher findet oder was man tun sollte, um für ideale Verhältnisse zu sorgen. Stattdessen ist viel wichtiger, wie schlechte Herrscher unblutig abgesetzt und Missstände beseitigt werden können.“

„In der Sozialphilosophie wird das Modell der Problemlösung analog angewendet. Soziale Institutionen sind Problemlösungsversuche. Politik muss sich darauf konzentrieren, die größten Übel abzuschaffen. Neue Lösungen werden in der gesellschaftlichen Praxis geprüft. Wenn sie Verschlechterungen mit sich gebracht hat oder fehlerhaft ist, wird sie verworfen oder korrigiert. Damit politische Entscheidungen revidierbar sind, empfiehlt der Kritische Rationalismus bei der Lösung gesellschaftlicher Probleme ein iteratives Vorgehen in kleinen, überschaubaren Schritten (piecemeal social engineering).

Auch in der Sozialphilosophie gelten somit die kritisch rationalen Prinzipien. Der Konsequente Fallibilismus findet sich in der Position wieder, dass jeder gesellschaftliche Zustand kritisierbar ist, da alle politischen Meinungen und Entscheidungen mit Fehlern behaftet sein können. Jeder Dogmatismus in der Politik ist daher konsequent abzulehnen. Dem Methodischen Rationalismus entspricht die Haltung, dass soziale Konflikte Probleme sind, die gelöst werden müssen. Hierzu bedarf es einer kritisch rationalen Diskussion, in der der Pluralismus der Meinungen toleriert und beachtet wird. Die Freiheit des Einzelnen ist daher so weit wie möglich sicherzustellen. Gewalt muss möglichst vermieden werden. In dieser Hinsicht ergänzt der Kritische Rationalismus den Liberalismus. Der Kritische Realismus schließlich spiegelt sich im Standpunkt wider, dass radikale Utopien zu Unterdrückung und gewaltsamer Revolution führen. Daher muss sich die Politik auf das Machbare konzentrieren. Priorität haben immer die größten gesellschaftlichen Übel. Daher muss Politik auf der Seite der gesellschaftlich und wirtschaftlich Schwachen stehen. Diese Haltung Poppers wird als negativer Utilitarismus bezeichnet.“

Damit spricht sich Karl Popper gegen ein positives Staatsziel aus. Mit der merkwürdigen, aber stimmigen Begründung, dass viele Menschen, die sich auf der Seite des Guten wähnen, bereit sind, für die Durchsetzung des angeblich „Guten“ gewalttätig zu werden. Vor allem dann, wenn sie in ihrer Kindheit oder Jugend indoktriniert wurden: durch Religion, rechts- oder linksgerichtete Ideologien.

Karl Popper führt dazu ein Beispiel an:

„Und dann Andrej Sacharow, der Vater der russischen Wasserstoffbombe … Aus seinen Lebenserinnerungen (Mein Leben) erfuhr ich jedoch zu meinem Erstaunen, wie fest er noch im Alter von 40 Jahren von der offiziellen kommunistischen Doktrin überzeugt gewesen war. Als Stalin gestorben war, hatte Sacharow, so berichtete er, Tränen über den Tod dieses großen Menschenfreundes vergossen; er hatte geglaubt, die Revolution müsse notwendigerweise kommen, und die Grausamkeiten, die dieser große Menschenfreund begangen hatte, seien notwendig gewesen. Dies war, zumindest 1961, als er 40 war, seine feste Überzeugung gewesen. Später sollte seine Denkweise sich grundlegend ändern.“

Ein sehr schönes Beispiel dafür, dass wurm bei jedem Menschen vorsichtig sein sollte. Auch wenn der Blödsinn noch so groß ist, auch wenn der Mensch noch so gebildet sein sollte – es gibt keinen Schwachsinn, den er nicht glauben könnte, kein Verbrechen, das er nicht gutheissen könnte. Alles für das aus seiner Sicht „Gute“. Trau jedem Wurm, aber keinem Menschen.

Kein positives Staatsziel zu haben, heisst allerdings auch, dass der Staat bzw. die regierenden Parteien und Abgeordneten für den handeln, von dem sie am meisten bezuschusst bzw. beeinflusst werden. Es heisst auch, dass diejenigen Einzelpersonen, die sich früher noch für ihre Mitmenschen eingesetzt haben, jetzt sich ausschließlich ihrem eigenen Egoismus hingeben.

 

Neoliberal

Milton Friedman und Friedrich August von Hayek, die beiden Vordenker des wirtschaftlichen Neoliberalismus (der in den 1980ern in Großbritannien unter Margaret Thatcher und in den USA unter Ronald Reagan so richtig loslegte), sind maßgeblich vom Denken Karl Poppers beeinflusst (und umgekehrt). Es liegt nahe, ihn für die heutzutagigen Auswüchse verantwortlich zu machen. Zumal er von den Neoliberalen abgöttisch verehrt wird. Aber:

„Die normativen Aspekte von Poppers Gesellschaftstheorie beurteilen Linke seit dem „Positivismusstreit“ vorwiegend als neoliberal, während Wirtschaftsliberale ihn als Sozialisten einstufen. Popper kann politisch zunächst als radikaler Sozialist, später als gemäßigter Sozialist und schließlich – vor allem unter Hayeks Einfluss – als gemäßigter Liberaler eingestuft werden. Trotz seiner Mitgliedschaft in der Mont-Pelerin-Society unterschied er sich nach Auffassung von Gebhard Kirchgässner jedoch entschieden von der neoliberalen Marktideologie, die heute von dieser Gesellschaft vertreten werde.“

„Poppers Philosophie beinhaltet auch eine Kritik am Laissez-Faire-Liberalismus. Dieser ist insofern eine Ideologie, als er den ‚freien Markt‘, der alles zum Guten regelt, als empirisches Naturgesetz oder als Ergebnis der Wissenschaft auffasst. Aber weder die Wissenschaft noch die Natur können sagen, was das Gute ist:

‚Well, I still do believe that in a way one has to have a free market, but I also believe that to make a godhead out of the principle of the free market is nonsense.’

Zwar wurde Popper, der Gründungsmitglied der Mont Pelerin Society war, aufgrund seiner Betonung des Individualismus gelegentlich als ein früher Neoliberaler eingeordnet, gleichzeitig jedoch seine komplexe humanitäre Einstellung selbst für den frühen Neoliberalismus nicht als typisch betrachtet.“

Alles andere als typisch für einen Neoliberalen ist folgende Passage:

 

Bekämpfung von Armut und Arbeitslosigkeit

„Dank der Technologie ist die Welt – zumindest potentiell – reich genug, um die Armut abzuschaffen. Und auch reich genug, um die Arbeitslosigkeit auf ein erträgliches Mindestmaß zu reduzieren. Volkswirtschaftler mußten die Erfahrung machen, daß dies sehr schwierig ist – und das ist es zweifelsohne auch. Ziemlich plötzlich (etwa 1965) kamen sie davon ab, dies als ihr vordringliches Ziel zu betrachten, wie dies früher der Fall gewesen war: Das Problem scheint aus der Mode gekommen zu sein. Viele Nationalökonomen tun so, als gebe es einen Beweis, daß dieses Problem unlösbar ist. Es gibt jedoch, ganz im Gegenteil, mehr als einen Beweis dafür, daß das Problem sehr wohl lösbar ist, auch wenn  es sich als sehr schwierig erweisen könnte, gewisse Eingriffe in die freie Marktwirtschaft zu vermeiden. Aber wir mischen uns ständig in die freie Marktwirtschaft ein, vermutlich weit mehr als nötig. Die Lösung dieses Problems ist dringlich, und es ist empörend, daß es unmodern geworden ist. Falls die Wirtschaftsfachleute nicht mit besseren Methoden aufwarten können, müssen wir ganz schlicht und einfach zu öffentlichen Arbeitsmaßnahmen greifen. Dazu zählen insbesondere privatisierte öffentliche Aufgaben, etwa der Straßenbau, der Bau von Schulen, die Lehrerausbildung und so weiter …“

 

Bekämpfung der Bevölkerungsexplosion

„Mit der Erfindung der Abtreibungspille, die andere Methoden der Geburtenkontrolle ergänzt, hat die biochemische Technologie einen Stand erreicht, auf dem Aufklärung über Bevölkerungskontrolle weltweit realisiert werden könnte …

Dieser Punkt ist von größter Dringlichkeit und sollte auf der Tagesordnung aller Parteien mit einem humanistischen Programm ganz obenan stehen. Denn alle unsere sogenannten Umweltprobleme lassen sich letztlich auf die Bevölkerungsexplosion zurückführen; ein Augenblick des Nachdenkens dürfte genügen, um jedermann davon zu überzeugen. Beispielsweise mag es zwar durchaus zutreffen, daß unser Energieverbrauch pro Person steigt und eingeschränkt werden sollte. Wenn dies jedoch der Fall ist, dann ist es nur um so dringlicher, die Ursachen der Bevölkerungsexplosion zu bekämpfen, die ganz offensichtlich mit Armut und Analphabetismus in Zusammenhang stehen. Zudem müssen wir, aus Gründen der Menschlichkeit, darauf hinarbeiten, daß nur erwünschte Kinder geboren werden, denn es ist grausam und führt allzuoft zu psychischer wie auch physischer Gewalt, wenn man ein unerwünschtes Kind in die Welt setzt.“

Das passt auch nicht so richtig zur konservativen Klientel des Staatsphilosophen und wird deshalb gerne verschwiegen. Sehr zum Ärger der Konservativen ist auch jener Satz, den der Wurm gerne wiederholt:

„Zudem müssen wir, aus Gründen der Menschlichkeit, darauf hinarbeiten, daß nur erwünschte Kinder geboren werden, denn es ist grausam und führt allzuoft zu psychischer wie auch physischer Gewalt, wenn man ein unerwünschtes Kind in die Welt setzt.“

Es gibt zwei Länder auf der Welt, die das Problem der Bevölkerungsexplosion aktiv und mit großem Erfolg angehen und gelöst haben und in dem es fast nur „Wunschkinder“ gibt. Genau deswegen werden diese Länder in Misskredit gebracht (China) bzw. die erstaunlichen Erfolge werden totgeschwiegen (Iran). Gerne erinnert der Wurm daran: http://www.ansichten-eines-regenwurms.de/24-arabischer-winter.html

 

Wissenschafts- und Technik-Gläubigkeit

Bei aller Kritik an den Wissenschaften ist Karl Popper überraschenderweise so richtig wissenschafts- und technologiegläubig. Hier ein anschauliches Beispiel:

„Aber sobald der neue Wohlstand geschaffen war und im Westen alles gut ging, da begann das große Geschrei und Geschimpfe der Intellektuellen auf unsere böse Zeit, auf unsere Gesellschaft, auf unsere Zivilisation, auf unsere Umwelt. Es begannen die furchtbaren Übertreibungen über die Zerstörungen und die Verschmutzungen, die wir angeblich aus Gewinnsucht angerichtet haben, um die Überreste einer einst so schönen Welt so schnell wie nur möglich ganz zu vernichten. Wahr ist, daß alles Leben immer gefährdet ist. Wir alle, so vermute ich, werden wohl sterben, früher oder später. Gefahr gab es immer, immer seit dem Ursprung des Lebens, auch für die Umwelt.

Wir sind, dank der Naturwissenschaft und der Technologie und der Industrie, zum ersten Mal seit der Erschaffung unseres Sonnensystems in der Lage, etwas für die Umwelt zu tun, und alle Naturwissenschaftler und Techniker bemühen sich darum. Aber sie werden beschuldigt, die Natur zu zerstören. Inzwischen wurden schon längst der wunderschöne Zürchersee  und auch der ungeheure Lake Michigan, an dem Chicago liegt, in aller Ruhe gerettet. Das Leben in diesen Seen wurde gerettet durch die Zusammenarbeit der Wissenschaft, der Technologie und der Industrie. Es war wohl die erste derartige Leistung in der Geschichte dieses Sonnensystems seit der Erschaffung des Lebens.“

Mensch muss aber auch nicht alles erst kaputt machen, um es hinterher wieder „retten“ zu können. Vor allem dann nicht, wenn Individuen oder gar ganze Arten unwiederbringlich vernichtet sind. Wenn er folgenden Satz sagt:

"Jede Tierart, jede Pflanze, jede Bakterienart beeinflußt die Umwelt aller anderen Arten“,

steht das im Widerspruch zur Rettung „durch die Zusammenarbeit der Wissenschaft, der Technologie und der Industrie“.

 

Frieden

Für Karl Popper, der zwei Weltkriege mitgemacht hatte, ist Frieden das alleroberste Ziel. Allerdings kommt von ihm ein Spruch, den der Wurm von einem besonders intelligenten Menschen so nicht erwartet hätte:

„Aber da ich davon spreche, muß ich es ganz klar machen, daß ich im Interesse des Friedens ein Gegner der sogenannten Friedensbewegung bin. Wir müssen aus unseren Erfahrungen lernen; und zweimal schon hat die Friedensbewegung dazu beigetragen, den Aggressor zu ermutigen. Kaiser Wilhelm II. erwartete, daß England sich trotz seiner Garantie für Belgien aus pazifistischen Gründen nicht zum Krieg entschließen würde; und ganz analog dachte Hitler, trotz Englands Garantie für Polen.“

Sind eingehaltene Garantien oder Bündnisverpflichtungen abwegig? Ist die Friedensbewegung schuldig an den beiden Weltkriegen? Auch große Philosophen können großen Blödsinn daher reden.

 

Überwindung der Irrationalität durch Rationalität

„Nachdem der Kritische Rationalismus eine Letztbegründung in der Erkenntnistheorie ablehnt, wehrt er sich auch gegen alle Auffassungen, absolute Werte oder ein höchstes Gut als archimedischen Punkt anzunehmen. Im Sinne des Abgrenzungskriteriums ist Ethik keine Wissenschaft, da Werte nicht einer empirischen Überprüfung durch Beobachtung und Experiment unterzogen werden können:

"Die Ethik ist keine Wissenschaft.“

Dennoch haben Popper und Albert ethische Positionen vertreten und Stellung zu ethischen Fragen genommen. Dieser scheinbare Widerspruch löst sich auf, weil der Kritische Rationalismus als Philosophie – dies steckt programmatisch in der Bezeichnung – eine (logisch nicht begründbare) Entscheidung für Rationalität ist. Es ist ein bewusst gewählter Weg zwischen Dogmatismus, der als logisch nicht haltbar ausgeschlossen wird, und Relativismus, der Irrationalismus und Laissez-faire möglich macht. Irrationalität kann nach Popper durch Rationalität überwunden werden. Zur Rationalität gehört insbesondere:

- Kritische Einstellung mit Nachdruck auf Argument und Erfahrung

- Akzeptanz, dass jeder Fehler machen kann (Fallibilismus)

- Bereitschaft zur kritischen Fehlersuche (Falsifizierbarkeit)

- Idee der Unparteilichkeit

- Schluss von der eigenen Vernunft auf die Vernunft des Anderen

- Ablehnung von Autoritätsansprüchen

- Bereitschaft, aus Fehlern zu lernen (Erkenntnisfortschritt)

- Bereitschaft, die Argumente anderer zu hören und zu prüfen

- Anerkennung des Prinzips der Toleranz

Die Entscheidung zur Rationalität (Vernunft) ist eine ethische Grundentscheidung, die Popper für die einzige Alternative hält, die bei der Lösung von Konflikten nicht in irgendeiner Form zu Gewalt führt.“

Da hat der Popper Recht. Leider sind die wenigsten Menschen vernünftig. Wie sollte nach Poppers Meinung ein rationaler Wurm mit einem irrationalen Menschen umgehen, der nicht die Bereitschaft hat, „die Argumente anderer zu hören und zu prüfen“?

 

Zuguterletzt

http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-13682439.html

„Der Philosoph Karl Popper hat gesagt: ‚Die Zukunft ist weit offen. Sie hängt von uns ab, von uns allen.‘ Lassen Sie uns in diesem Sinne mit Ideen, mit Neugier, mit Leidenschaft und mit dem Blick für den Nächsten die Lösung neuer Aufgaben anpacken.“

Na, wer könnte das gesagt haben? Es war Angela Merkel bei ihrer Neujahrsansprache auf das Jahr 2011: http://www.welt.de/politik/deutschland/article11906500/Angela-Merkels-Neujahrsansprache-fuer-2011.html

Mit seinem Denken hat Karl Popper Einfluss auf die heutigen Menschen. Ob mensch das gut findet oder nicht – er wird tagtäglich mit dem Ergebnis konfrontiert, auch wenn er von ihm noch nie etwas gehört hat. Wie wohl jeder Mensch das denkt, was schon andere vor ihm gedacht haben (siehe http://www.ansichten-eines-regenwurms.de/53-die-meme-des-eriugena.html und http://www.ansichten-eines-regenwurms.de/111-pax-romana.html )

Zum Schluss Karl Popper im Original:

„Haben Sie den Mut, sich über Moden hinwegzusetzen, und werden sie mit jedem Tag ein wenig verantwortungsbewußter. Das ist wohl der beste Beitrag, den Sie für die Freiheit leisten können.“