Casanova

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Vor 300 Jahren wurde Giacomo Casanova geboren. Einfacher strukturierte Menschen sehen in ihm den Schürzenjäger und tun ihm dabei Unrecht. Tatsächlich ist er ein hervorragender Zeitzeuge und Berichterstatter der Oberschicht des 18. Jahrhunderts wie kein anderer.

 

Giacomo Casanova

 

https://www.youtube.com/watch?v=4rb636sLqkk

 

Roger Willemsen im Buch „Giacomo Casanova: Aus meinem Leben – herausgegeben von Roger Willemsen“:

„Als erfundener Held, als Figur eines Romans, wäre Giacomo Casanova (1725-1798) ganz unglaubwürdig. Hasardeur und Schwärmer, weitgereister Scharlatan und Intrigant, Alchimist und Glücksspieler, Astronom und Bodenreformer, Diplomat und Kolonisator, Komödiendichter, Unterhalter und Aphoristiker, Übersetzer der Ilias, Romancier, Philosoph und Altphilologe, Librettist und Geiger, Ökonom und Historiker, portugiesischer Gesandter, Freimaurer, venezianischer Spion und Mitbegründer der französischen Staatslotterie, ein Monstrum, Abenteurer, Höfling, Mediziner und Theologe, Börsenhändler, Kalenderreformer, Seidenfärber und – Verführer. Das ist mehr, als je eine fiktive Romangestalt vorgelebt hat, und doch ist Giacomo Casanova dies alles wirklich gewesen.

Ist es nicht nur gewesen, sondern hat sich auch noch für sehr viel mehr interessiert, hat sich für buchstäblich alles mit einer Neugier interessiert, die man kindisch oder manisch nennen mag, die ihn jedenfalls treibt, sich überall Einlass zu verschaffen, in Höfen und Parlamenten, Börsen und Bibliotheken, Boudoirs und Serails, Klöstern und Logen, Bordellen und Sakristeien, Spielhallen und päpstlichen Audienzsälen, Spelunken und Lustgärten.

Ein Chamäleon ist er, das sich allen Nationen, allen Schichten und Ständen assimilieren und mit ihren Zungen reden kann. Er hat mit mehreren Päpsten, Königen, Kaisern verkehrt, die russische Zarin hat ihn empfangen, Friedrich der Große ihn zum Erzieher machen wollen. Er hat mit Betrügern und Zuhältern, mit Passano und Cagliostro Umgang gehabt, aber auch mit Voltaire, Rousseau, d’Alembert, Winckelmann, Crébillon, Fürst de Ligne, da Ponte, Benjamin Franklin, Richelieu, Madame de Pompadour, Metastasio, Fielding, Mengs, Fontenelle, Voisenon, Carlin, Helvetius, Albrecht Haller, vermutlich mit Mozart, vielleicht auch mit Goethe und Wieland: ein Schaulustiger, ein Causeur, ein professioneller Augenzeuge, der einer Kutsche entsteigt, mit Koffern voll Kostümen, mit Perücken und Pomaden, mit Juwelen, Büchern, Spitzen, mit venezianischen Seidenschuhen und Orden am Revers: Giacomo Casanova, Chevalier de Seingalt, mit dem selbstgemachten Titel, ein großer Autor, ohne es zu wissen, der, dem wir die vollständigste und die farbigste Abbildung des 18. Jahrhunderts in der Weltliteratur verdanken.

Denn nicht genug, dass Casanova alle diese Rollen ausfüllen oder spielen, alle diese Ämter und Funktionen ausfüllen oder spielen konnte, er hat sie auch beschrieben: genau, facettenreich, intelligent, auch respekt- und skrupellos, von oben wie von unten, und meistens leidenschaftlich wie ein Schauspieler, der Kulissen und Attrappen als etwas Wirkliches, ja als das Wirklichste preist.“

 

Wenn nicht anders angegeben, stammen die folgenden Zitate aus dem Bildband „Ein Fest der Sinne – Casanova und sein Zeitalter“ von Eckart Kleßmann.

„Der 1725 in Venedig begonnene und 1798 im böhmischen Dux beendete Lebensweg Giacomo Casanovas nimmt seinen Anfang im ausgehenden Barock und findet sein Ende neun Jahre nach Ausbruch der französischen Revolution. Diese Epoche bezeichnet Höhepunkt und Zerfall des Ancien régime, Aufstieg und Auflösung des Zeitalters der Aufklärung.

In seiner rund 3.500 Druckseiten umfassenden Histoire de ma vie hat Casanova diese Epoche beschrieben, so wie er sie sah und sehen wollte in der verengten Perspektive des eigenen Lebens und Erlebens und einer Philosophie, die bestimmte Bereiche von vornherein ausschloß. Obwohl er selber als Sohn eines Schauspielerehepaars der Unterschicht angehörte, hat ihn das Leben dieses Stands nie sonderlich interessiert. Das hatte seinen Grund in der eigenen Herkunft, denn ihm selbst gelang fast mühelos der Aufstieg bis in die Kreise der Hocharistokratie, der er sich weit eher zugehörig fühlte als dem Milieu, dem er entsprossen war. In der Rückschau auf sein Leben interessierten ihn vornehmlich dessen für ihn angenehme Seiten, nicht das Dasein jener, die den überwiegenden Teil der Bevölkerung ausmachten.

Die Histoire de ma vie bricht mit dem Jahr 1774 unvermittelt ab. Bis zu welchem Zeitpunkt er sie fortzusetzen gedachte, wissen wir nicht; den Abbruch erzwang der Tod. Damit endete aber - soweit es schriftliche Zeugnisse betrifft - nicht die Teilnahme des Berichtenden, denn der unermüdlich Schreibende (13 Stunden täglich!), in der Vereinsamung seines Alters und in der Isolation des Orts, stand in Verbindung zur Welt durch eine intensiv geführte Korrespondenz und äußerte sich auf über 8.000 hinterlassenen Manuskriptseiten zu allen Fragen seiner Zeit, die ihn beschäftigten, natürlich auch zur verhaßten Revolution und dem gerade aufgehenden Gestirn Napoleon Bonaparte, der 1797 der über tausendjährigen ruhmvollen Geschichte Venedigs ein brutales Ende bereitet hatte, indem er die 'Serenissima' auflöste.

Casanova gehörte nicht zu jenen, die sich irgend etwas von der Zukunft erwarteten; im Gegenteil, trotz einer im Grunde optimistischen Lebenseinstellung konnte er sich von ihr - nicht nur seine persönlichen Umstände betreffend - etwas anderes als Niedergang nicht vorstellen. Er lebte in seiner ausschließlich auf sich selbst bezogenen Vergangenheit und betrauerte den Untergang einer Welt, die für ihn schon darum die beste sein mußte, weil er sich nur in ihr optimal hatte entwickeln können. Eine Persönlichkeit wie Casanova hat das 19. Jahrhundert nicht gekannt, sie wäre auch nicht vorstellbar gewesen.

Was ihn so geeignet erscheinen läßt, ihn in einigen Berichten seiner Epoche als einen Cicerone agieren zu lassen, war seine geistige wie körperliche Beweglichkeit und Unabhängigkeit, seine nicht zu stillende Reiselust und seine ungeheure Neugier auf das Leben. Selbst die herrschende Klasse seiner Zeit ist nicht annähernd so viel gereist wie er, der sich Vergleiche erlauben durfte; sein Charme, sein erzählerisches und somit unterhaltendes Talent, seine Unverzagtheit und natürlich auch seine Dreistigkeit und Gerissenheit, also sein unerschütterliches Selbstvertrauen machen ihn für die zugedachte Rolle tauglich. Zweitrangig ist die Frage, wie es denn um seine Glaubwürdigkeit bestellt ist. Die Forschung, die sich diesem in jedem Sinne merkwürdigen Mann seit vielen Jahrzehnten verschrieben hat und sich „Casanovistik“ nennt, hat erstaunliche Belege für seine Faktentreue ausfindig machen können. Aber das heißt natürlich nicht, es habe sich alles so zugetragen, wie er es einer oft sehr verwunderten Nachwelt erzählt oder glauben lassen will. Entscheidend in unserem Zusammenhang ist, daß seine Berichte über das Leben jener Jahre keine ernsthaften Widersprüche aufdecken; sie bestätigen andere Zeugnisse, ergänzen sie und verleihen Ihnen manchmal überhaupt erst das anschauliche Kolorit.

Keiner hat so farbenfroh und sinnlich seine Epoche erzählend vorgestellt wie Giacomo Casanova. Was ihm mit seinen Gedichten, Theaterstücken, Essays und dem voluminösen Zukunftsroman Icosameron (1790) nicht gelang - mit der Histoire de ma vie ist er in die Weltliteratur eingegangen als ein großer Erzähler, auch wenn die von zahllosen Entstellungen und massiven Eingriffen in den Text gereinigte Originalausgabe erst 1960 vollständig publiziert werden konnte, mithin sein Ruhm lange einer Überarbeitung gegolten hatte. Doch wie ein noch ungereinigtes, von Übermalungen versehrtes Gemälde durchaus einen Eindruck seiner Bedeutung vermitteln kann, so hat auch die alte, wie von einem trüben Firnis überzogene Fassung von Casanovas Lebensgeschichte immer wieder die Inspirationen der Schriftsteller geweckt.

Sie hat aber auch, ohne es bewußt zu wollen, einen kaum wiedergutzumachenden Schaden angerichtet. Die vielen geistlosen Bearbeitungen, die auf eine Handvoll Bettgeschichten reduzierten Auszüge, möglichst auch noch einschlägig illustriert, haben den Namen dieses Mannes zu einem Synonym für einen Schürzenjäger verkommen lassen. Tatsächlich bilden die erotischen Abenteuer in der Histoire de ma vie etwa ein Viertel des gesamten Textes, vielleicht sogar noch weniger, und sie sind in die Erzählung so hineinverwebt, daß sie sich nur gewaltsam herauslösen lassen und damit den ganz unerläßlichen Bezug zum Ganzen verlieren. Nun würde man freilich die Persönlichkeit Casanovas verfälschen, wollte man plötzlich das erotische Element in seiner Lebensgeschichte für unerheblich ansehen; das würde schon sein durch und durch erotisiertes Zeitalter allen Kolorits berauben.

Wer gewohnt ist, Casanova einzig unter dem Aspekt des Lebemanns, Spielers, Glücksritters oder Erotomanen zu betrachten, mag sich über die Stationen seines Lebenswegs und dessen vielfältigen Vernetzungen wundern. Denn der Mann, der am Ende seines langen Weges bekannte: „Meine eigentliche Berufung wäre das Studium der Medizin und später die Ausübung dieses Berufs gewesen, zu dem ich große Neigung verspürte; aber man hörte nicht auf mich“ - hat immer wieder versucht, dem Freischwebenden, Flüchtigen seiner Existenz einen Halt zu geben, und es ist möglich - auch wenn er das nicht ausdrücklich formuliert -, daß er darin so etwas wie den großen Kontrapunkt seines Lebens sah. Immer wieder drängt es ihn zu einer gesicherten Existenz, in der er es aber nie lange aushält, denn der Wunsch nach Ziellosigkeit und einem Dasein, ganz aus dem Augenblick heraus gestaltet, bringen die Konflikte in seine Biographie. Er läßt sich zum Priester ausbilden, wird 1740 Abate und empfängt 1741 die vier niederen Weihen, scheitert aber schon bei seiner Antrittspredigt als Seelsorger. Dafür studiert er dann die Rechtswissenschaften an der Universität Padua, wo er 1742 - mit 17 Jahren - zum Doctor iuris utriusque promoviert wird. Von 1744 bis 1745 steht er in Rom im Dienst des Kardinals Troyano Francisco Acquaviva d’Aragona, schlägt sich 1746 in Venedig als Orchestergeiger am Theater durch, gründet 1757 in Paris die französische Staatslotterie, bereist 1757/58 im halboffiziellen Auftrag der französichen Regierung die Niederlande in geheimer Mission, gründet 1759 in Paris eine Manufaktur für Seidenstoffe mit chinesischen Dessins, verdingt sich im Alter als Geheimagent der venezianischen Inquisition, versucht sich 1780/81 als Impressario und Herausgeber einer monatlich erscheinenden Zeitschrift, die sechs Ausgaben nicht überdauert, und endet für die letzten 13 Jahres seines Lebens als Bibliothekar im böhmischen Dux.

Als Schriftsteller, der sich auf allen Gebieten und in allen Formen auskannte, entsprach er der Vielseitigkeit, die seine Zeit von einem geistvollen Mann der Gesellschaft erwartete. Ganz außerordentlich dagegen war sein Engagement in den Naturwissenschaften. Ihn beschäftigte zeitlebens die Medizin, und seine wiederholt geäußerte Skepsis über die Erkenntnisse und die Grenzen der zeitgenössischen Heilkunst sowie sein intuitives Einfühlungsvermögen in die Psyche anderer lassen vermuten, dass er wohl kein schlechter Arzt geworden wäre. Die Beschäftigung mit Chemie und noch mehr mit der Alchimie entsprach ganz dem herrschenden Zeitgeist. Weniger aber, daß er sich bemühte, die Zarin Katharina II. von Rußland zu überzeugen, wie wichtig für ihr Reich eine Reform des alten Kalenders sei. Bis an sein Lebensende interessierten ihn mathematische Probleme, etwa das Problem der Verdopplung des Würfels, worüber er auch eingehend geschrieben hat. Auf vielen Blättern hat er neben alchimistischen Rezepturen Berechnungen notiert, etwa über die Wahrscheinlichkeit von Gewinnen in der von ihm mitgegründeten französischen Staatslotterie, aber auch Schrulligkeiten, wie groß etwa das Ringzelt gewesen sein müsse, in dem König Augias seine 3.000 Ochsen untergebracht hatten, deren Mist aus 30 Jahren Herakes in nur drei Tagen zu räumen hatte. Auch beschäftigte ihn die Technik des Chiffrierens und Dechiffrierens.

Aber das war längst noch nicht alles. Selbstbewußt bewarb er sich 1767 bei der kurpfälzischen Regierung in Schwetzingen: „Ausfuhr, Einfuhr, günstige Handelsbilanzen, wirklicher, unsicherer und nur scheinbarer Reichtum, Luxus, Geldzins, Eingangs- und Ausgangszoll und Steuern sind Gebiete, die ich ausreichend beherrsche, um einem Fürsten zu Diensten zu sein, der mich der Klugheit und Einsicht eines Ministers wie Eurer Exzellenz unterstellen würde … Ich weiß über Bergwerke, Mineralien, Salz Schwefel und fast alles, was diesen Bereich betrifft, Bescheid. Ich selbst bin weder Ingenieur noch Wasserbauer, aber ich weiß, was dazu nötig ist. Jener Bereich der Chemie, der die Farben betrifft, ist mir vertraut, und ich verstehe Baumwolle, Leinen und Hanf mit geringen Kosten färben zu lassen. Ich habe Manufakturen für Kupfer, Malachit und Salpeter gebaut. Ich habe einen Plan, die Züchtung von Schafen zu verbessern um ihre Wolle zu vervollkommnen.“

Seine Seidenmanufaktur in Paris, über deren unternehmerische Organisation er ausführlich berichtet, wurde 1759 ein Opfer der schlechten Konjunktur: „Ich hatte 400 Ballen bemalten Stoff auf Lager, aber es bestand kaum Aussicht, sie vor Ende des Krieges zu verkaufen; da der so ersehnte Friede nicht zustande kam, mußte ich Klarheit schaffen“. Beim Herzog von Kurland in Mitau agierte er 1764 als Experte für den Bergbau, wobei ihm schon insofern das Glück günstig war, als er zuvor in Berlin einen Diener namens Lambert engagiert hatte, der Mathematiker und im Vermessungswesen kundig war: „Nach meiner Anweisung steckte Lambert die Anlage im Gelände tadellos ab, maß die Höhen, zeichnete die Schleuse und die Räder und versetzte selbst die Richtpfähle für die Erdanschüttungen links und rechts vom Kanal bis zu seiner Wiedereinmündung in den Fluß. Mit Hilfe verschiedener anderer Kanäle legte ich in meinem Plan große Täler trocken, damit Schwefel und Sulfate, die in den von uns untersuchten Gebieten reichlich vorkameni in größerem Umfang abgebaut werden konnten“. Der Herzog lohnte ihm die Untersuchung mit 200 Dukaten.

Kanäle: Eine Reisenotiz von 1783 bringt den Entwurf eines riesigen Kanals längs der Pyrenäen, der den Golf von Lyon mit dem Golf von Gascogne verbinden soll. Im Auftrag des Herzogs von Lorada plante Casanova 1767 den Bau einer Tabakfabrik in Madrid. Sechs Jahre später machte er sich darüber Gedanken, warum die von Friedrich II. von Preußen 1769 gegründete „Emdener Heringskompagnie“ nicht florieren wollte, und empfahl als Grundvoraussetzung die Schaffung einer großen preußischen Handelsflotte. Für Katharina II. verfaßte er einen Vorschlag zur Anpflanzung von Maulbeerbäumen und Einführung der Seidenerzeugung in Rußland. Dem König von Polen verbreitete er ein Projekt zur Gründung einer Seifenfabrik in Warschau, und der Republik Venedig empfahl er den Bau einer Färberei.

„Projektemacher“ nannte man solche Leute im 18. Jahrhundert. Gewiß, manches davon war ein bißchen hochgestapelt und geprahlt, aber schiere Betrügerei ist in Casanovas Plänen nie im Spiel gewesen. Er besaß eine lebhafte Phantasie, und die ließ ihn Realitäten sehen, die sich bei der praktischen Umsetzung seiner Ideen vermutlich als weniger greifbar dargestellt hätten. Aber er setzte auf sein starkes Selbstvertrauen und seine Überzeugungskraft. Jene Epoche verlangte nicht das Spezialistentum, sondern eine weitumfassende Bildung und vielseitige Interessen, und da ihm beides in reichem Maß zu Gebote stand, gelang es Casanova sehr leicht, sich überall Zutritt zu verschaffen.

Wäre er nur ein Abenteurer gewesen, dann hätte er nicht die Achtung und zuweilen auch die Bewunderung der Besten seiner Zeit gefunden. Als Gesprächspartner von den Zelebritäten seiner Epoche gewürdigt zu werden, darauf durfte er sich schon etwas einbilden. Mit einem Dummkopf und Prahlhans hätten sich weder die kluge Zarin noch Benjamin Franklin abgegeben. Die Anerkennung durch einen der geistvollsten Männer des Jahrhunderts - Fürst Charles Joseph de Ligne - konnte für so etwas wie einen Ritterschlag gelten, hätte sich Casanova nicht selbst durch den angenommenen Namen „Chevalier de Seingalt“ längst zum Ritter befördert. „Jedes seiner Worte ist eine Offenbarung“, schwärmte de Ligne, der sonst Casanovas Schwächen und Schrullen sehr ironisch zu kommentieren verstand, „und jeder Gedanke ein Buch“.

Casanovas immense Belesenheit und ein stets präsentes überdurchschnittliches Gedächtnis, seine Geistesgegenwart und sein offenbar unwiderstehlicher Charme öffneten ihm alle Türen.

Nein, ein Mann von tiefgründiger Bildung war er nicht, aber man täte ihm Unrecht, wollte man ihn einen Halbgebildeten schelten oder einen trickreichen Blender. Nur seine rasche Auffassungsgabe und die so leicht zu entzündende Phantasie vermitteln den Eindruck, Casanova habe sich stets nur an der Oberfläche bewegt. Für seine Epoche stand Casanova durchaus auf der Höhe seiner Zeit. Einen geistvolleren Cicerone dieser Epoche würde man ohnehin nicht finden. Daß er sich am Ende seines Lebens selbst überlebt hatte, diesen Gedanken ließ er nicht gern an sich heran, aber er ahnte, daß es sich so verhielt. Auch darin ist er ein Repräsentant seines Jahrhunderts geblieben.

Als er 1797 die Vorrede zu seiner Histoire de ma vie formulierte, worin er seinen Lesern Sinn und Zweck seiner umfangreichen Erinnerungen erläutert, schreibt er: „Mißlingt mir aber mein Bemühen zu gefallen, so würde mir das eingestandenermaßen leid tun, freilich nicht so sehr, daß mich das Schreiben reute, denn auf jeden Fall habe ich mich dabei unterhalten. Grausame Langeweile! Es kann nur auf Vergeßlichkeit beruhen, wenn die Dichter sie unter dem Höllenqualen nicht angeführt haben. - Ich muß jedoch gestehen, daß ich mich der Angst, ausgepfiffen zu werden, nicht erwehren kann. Sie ist zu natürlich, als daß ich es wagen dürfte, mich darüber erhaben zu dünken; ich finde auch keinerlei Trost in der Hoffnung, daß ich nicht mehr am Leben sein werde, wenn meine Erinnerungen erscheinen. Ich kann mir nicht ohne Grauen vorstellen, daß ich gegenüber dem Tod, der mir verhaßt ist, irgendeine Verpflichtung einginge. Ob glücklich oder unglücklich, das Leben ist der einzige Schatz, den der Mensch besitzt; und wer es nicht liebt, ist seiner nicht wert … Der Tod ist ein Ungeheuer, das einen aufmerksamen Zuschauer aus dem Welttheater vertreibt, noch bevor das Stück, das ihn ungemein fesselt, zu Ende ist.“

Als Giacomo Casanova am 4. Juni 1798 im Schloß des Grafen Waldstein zu Dux starb, war zwar das Stück noch nicht zu Ende gespielt, aber der ihm erspart gebliebene Rest hätte ihn auch nicht mehr interessiert.“

 

18. Jahrhundert

 

Der Wurm hat sich relativ viel mit Personen und Ereignissen des 18. Jahrhunderts beschäftigt. Wer sich dafür näher interessiert, kann gerne in den älteren Beiträgen stöbern:

 

Daniel Defoe (1660 – 1731)

http://www.ansichten-eines-regenwurms.de/index.php/632-pleiten-pest-und-pranger

 

Jonathan Swift (1667 – 1745)

http://www.ansichten-eines-regenwurms.de/index.php/555-ad-usum-delphini

 

Johann Joachim Winckelmann (1717 – 1768)

http://www.ansichten-eines-regenwurms.de/index.php/556-winckelmann-und-seine-jahrhunderte

 

Maria Theresia von Österreich (1717 – 1780)

http://www.ansichten-eines-regenwurms.de/index.php/527-maria-theresia

 

Jeanne-Antoinette Poisson, dame Le Normant d’Étiolles, marquise (Markgräfin) de Pompadour, duchesse (Herzogin) de Menars (1721 – 1764)

http://www.ansichten-eines-regenwurms.de/index.php/771-perfektion-in-person

 

Adam Smith (1723 – 1790)

http://www.ansichten-eines-regenwurms.de/index.php/1323-wohlstand-der-nationen

 

Moses Mendelssohn (1729 – 1786)

http://www.ansichten-eines-regenwurms.de/index.php/810-nach-wahrheit-forschen-schoenheit-lieben-gutes-wollen-das-beste-thun

 

Wilhelm Herschel (1738 – 1822)

http://www.ansichten-eines-regenwurms.de/index.php/807-planet-herschel

 

Donatien Alphonse François, Comte de Sade, bekannt als Marquis de Sade (1740 – 1814)

http://www.ansichten-eines-regenwurms.de/index.php/416-der-sadist-im-menschen

 

Maximilien de Robespierre (1758 – 1794)

https://www.ansichten-eines-regenwurms.de/index.php/1382-gutmenschen-an-der-macht

 

„Die Leiden des jungen Werthers“ (1774)

https://www.ansichten-eines-regenwurms.de/index.php/1388-werther-lebt

 

E. T. A. Hoffmann (1776 – 1822)

http://www.ansichten-eines-regenwurms.de/index.php/800-hoffmanns-erzaehlungen

 

Die Welt der Bühne

 

„Auch Casanovas Zeit übte die farbenprächtige Inszenierung des Daseins und die Selbstinszenierung des Einzelnen, allerdings mit dem wichtigen Unterschied, daß die Grenzen des Standes durchlässig geworden waren, am stärksten jene zwischen Adel und Bürgertum. Anders wäre den Abenteurern der Aufstieg nicht möglich gewesen, anders hätte aber auch der weitaus bedeutendere, die Gesellschaft immer mehr veränderte Fortschritt des Bürgertums und seiner Freiheiten keine Entfaltungsmöglichkeiten gehabt.“

 

Äußeres

 

„Casanovas Persönlichkeit und äußere Erscheinung müssen Eindruck gemacht haben. Schon durch seine Körpergröße (1,87 m) überragte er die meisten seiner Zeitgenossen. Er sei „ein sehr schöner Mann“, bemerkte König Friedrich II. von Preußen bei einem Gespräch mit Casanova im Park von Sanssouci. Seine Gestalt war kräftig und imponierend, sein Teint dunkel, sein Auftreten selbstbewußt. Wo es nottat, machte er von seiner Körperkraft auch Gebrauch, und aus allen Duellen ging er als Sieger hervor. Seine Kleidung wählte er sorgfältig und überlegt, dabei hielt er stets auf erste Qualität. Die Accessoires, die er nach dem Geschmack der Zeit bei sich trug, wiesen ihn als einen wohlhabenden Mann aus. „Meine Aufmachung war eindrucksvoll“, schreibt er nicht ohne Selbstironie. „Meine Ringe, meine Tabaksdosen, die Ketten meiner diamantbesetzten Uhren, dazu mein mit Diamanten und Rubinen geschmücktes Kreuz, das ich an einem blutroten Band um den Hals trug, machten mich zu einer bedeutenden Persönlichkeit“.

Die gesellschaftlichen Umgangsformen beherrschte er so perfekt wie nur irgendein Aristokrat. Man schätzte ihn als einen vorzüglichen Erzähler und galanten Causeur, bewunderte seine Schlagfertigkeit, seinen Charme, seinen Einfallsreichtum. Er verfügte in reichem Maße über den Esprit, ohne den niemand im 18. Jahrhundert in der Gesellschaft zu reüssieren vermochte. Dazu kam eine ganz außerordentliche Belesenheit und ein phänomenales Gedächtnis, das ihm nicht nur erlaubte, ganze Gespräche in Erinnerung zu behalten, sondern die Konversation mit einem Dutzend Zitaten aus der klassischen und neueren Literatur zu bereichern, ja das Werk des von ihm so besonders geliebten Horaz konnte er ganz auswendig. Gelegenheitsverse gingen ihm mühelos von der Hand, und seine vielseitigen Interessen erweckten den Eindruck eines versierten Experten, wozu besonders seine Fähigkeit beitrug, sich Zahlen und mathematische Prozesse mühelos merken zu können. Ohne dieses gerade phantastische Zahlengedächtnis wären ihm seine okkulten Kunststückchen, mit denen er auch intelligente Menschen verblüffte, nicht so überzeugend gelungen. Allerdings verstand er sich auch auf die Fähigkeit, auf andere suggestiv zu wirken und stets vertrauens- und glaubwürdig zu erscheinen.“

 

Musik

 

„Wichtig war nur, immer wieder neue Musik hören zu können. Dem 18. Jahrhundert wäre die uns so selbstverständiche Pflege alter Musik völlig unbegreiflich gewesen, man hätte sich ja schließlich auch nicht antiquiert gekleidet oder eingerichtet. Daher war auch der Bedarf an neuen Opern groß und unschwer zu erfüllen, da man für deren Komposition selten länger als vier Wochen brauchte und fünf oder sechs Proben genügen mußten.“

 

Nicht vergessen werden sollte, dass dies die Zeit der Kastraten war. Für einige Wenige der Opfer bedeutete dies Glanz, für die große Mehrheit Tragik bis hin zum Tod.

 

Rollen-Tausch

 

„Gerade das 18 Jahrhundert ist voll von Beispielen, daß Männer wie Frauen vorgeben, einem anderen Geschlecht anzugehören als dem, worin sie geboren wurden. Aber ein solcher Wechsel blieb stets zeitlich begrenzt und währte niemals – wie bei d’Eon - Jahrzehnte und wurde auch nur vorgenommen, um entweder dadurch Vorteile zu erlangen oder Nachteilen zu entgehen. Zumeist wechselnden Frauen in die Rolle von Männern, seltener umgekehrt, da der weibliche Status stets eine soziale Benachteiligung mit sich brachte.“

 

Einblicke in das Privatleben

 

„Besonders deutlich zeigte sich das in der Malerei. Der Mensch erscheint nicht länger als der Repräsentant wie im Barock, er gewährt Einblick in sein Privatleben. Sah ihn der Künstler vordem auf dem Theater des Lebens gemäß der ihm aufgetragenen Rolle, so will es nun scheinen, als blicke der Maler wie ein indiskreter Zeuge durch eine spaltbreit geöffnete Tür. Personen agieren nicht mehr, sie lassen sich heimlich beobachten und überraschen.“

 

Gesellschaftlicher Aufstieg der Frauen

 

„Eines der Lieblingssujets der Maler und Zeichner ist die Lesende. Ob Brief oder Buch: Die Lesende ist ganz mit sich allein, einzig konzentriert auf die Lektüre in einer Aura der Stille und Sammlung. Es ist kein Zufall, daß im 18. Jahrhundert die Zahl der Analphabeten merklich sinkt und die Produktion von Büchern und Zeitschriften steigt. Auch ist das 18 Jahrhundert eine Epoche der Briefkultur; es sind vor allem die Frauen, die eingehende Korrespondenzen führen, in denen sie sich ihrer Empfindungen vergewissern und sie rückhaltlos aussprechen, wie ja auch die großen Salons in Frankreich durchweg von Frauen ins Leben gerufen und geleitet werden.

Eine von Frauen dominierte Geselligkeit hatte es schon vereinzelt zur Zeit Ludwigs XIV. gegeben, sie wurde aber in der Mitte des 18. Jahrhunderts zur Regel. Der Salon bestimmte den Umgangston, die Manieren, die gesellschaftliche Form und trug damit zu einer Verfeinerung der Geselligkeit bei, die nicht mehr mit dem groben Ton zu vergleichen war, der noch hundert Jahre zuvor in der französischen Gesellschaft geherrscht hatte. Der Salon war nicht die Stätte leidenschaftlicher Debatten, sondern der Ort geistvoller Unterhaltung über Kunst, Literatur, Philosophie und Wissenschaften …

Aber die Frauen, die ihn (Casanova) besonders beeindruckten, waren durchweg kluge und selbstbewußte Persönlichkeiten. Es ist wohl auch nicht ganz zufällig, daß untrennbar zu seinen erotischen Genüssen die Bedingung gehörte, sich mit der Partnerin unterhalten zu können, „denn ohne Worte verliert die Liebe mindestens zwei Drittel ihres Reizes“ …

Wenn auch das Zeitalter Casanovas noch weit davon entfernt war, die Gleichberechtigung der Geschlechter durchzusetzen, die ohnehin von nur ganz wenigen gefordert wurde, so ist doch fraglos ein weibliches Selbstbewußtsein auszumachen, das es in dieser Form vorher nicht gegeben hatte. Vor allem ist die lesende Frau die zugleich auch eine belesene ist, also eine ihre Kenntnisse, Intelligenz und Sprache bildende Frau ein Charakteristikum dieses Zeitalters und wahrscheinlich auch in keiner anderen Epoche so oft von Malern und Zeichnern dargestellt worden. Was die Frauen im 18. Jahrhundert gewonnen hatten, wurde ihnen allerdings im 19. Jahrhundert wieder genommen.“

 

Körper und Hygiene

 

„Es ist bestimmt kein Zufall, daß eine Zeit, die sich der Pflege der geistigen und körperlichen Individualität widmet, plötzlich auch über die körperliche Hygiene nachzudenken beginnt und sich somit gleichsam der eigenen Körperlichkeit bewußt wird …

Unter körperlicher Hygiene verstand man das häufige Anliegen von frischer Wäsche, den exzessiven Gebrauch von Parfums und Pomaden und die beständige Zufuhr erlesener Düfte in den Räumen, erzeugt durch das Räuchern mit aromatischen Stoffen, durch Blumen und die so sehr beliebten Potpourris. Diese wurden hergestellt durch Blütenblätter, die mit aromatischen Ölen beträufelt und in eigens dafür gefertigten Vasen gesammelt wurden. Ja, man parfümierte sogar Speisen. Den Geruch ungewaschener Körper, vor allem, wenn viele Menschen auf engem Raum beieinander waren, nahm man als unumgänglich hin. Nicht, daß unangenehme Körperausdünstungen unbemerkt geblieben wären, aber sie signalisierten in der Mentalität jener Epoche eher ungebrochene Vitalität und mithin Gesundheit.“

 

Die Freuden des Eros

 

„Das 18. Jahrhundert zeichnete sich durch erotische Freizügigkeit aus. Die Sexualität und ihre Befriedigung galt als ein ganz natürliches und selbstverständliches Grundbedürfnis und verlangte auch nicht nach einer ideologischen Überhöhung. Daß die Ehe nicht hoch im Kurs stand und ohne Bedenken gebrochen wurde, galt später vielen als Beweis für die moralische Verderbtheit des Ancien régime. Da aber Ehen zumeist reine Zweckbündnisse waren, kamen die Emotionen darin eher zu kurz …

Ungewöhnlicher als die allgemeine Laxheit in Fragen ehelicher Treue erscheint die Unbefangenheit des erotischen Miteinanders. Die Nacht ganz ungezwungen zu dritt zu verbringen, kann damals so selten nicht gewesen sein, anders würden die daran beteiligten jungen Frauen nicht so bereitwillig auf einschlägige Aufforderungen eingegangen sein …

Es ist gerade diese Unbefangenheit und Selbstverständlichkeit, mit der Sexualität verbalisiert und praktiziert wird, als handle es sich dabei um eine Notwendigkeit wie Essen und Trinken, die solchen geschilderten Szenen jegliche Peinlichkeiten nimmt …

Wir als Erben des sittenstrengen 19. Jahrhunderts, das sich über Casanovas Freimütigkeit empörte, mögen eine solche Szene befremdlich finden und überlesen dabei allzu leicht den Hinweis auf den „stets kindischen Amor“ und „dessen Verspieltheit und Lachen“. Der Mensch des 18. Jahrhunderts, der noch Körper und Geist als Einheit und nicht als Gegensatz verstand, empfand seine Sexualität und deren Organe und Funktionen als Teil einer Unversehrtheit seines Ganzen. Diese Sexualität wurde weder im Positiven noch im Negativen als etwas Eigenständiges angesehen wie im 19. und 20. Jahrhundert. Sie diente vor allem der Fortpflanzung; daß sie ihm auch Lust bereitete, war eher nachgeordnet, aber ganz gewiß nicht Selbstzweck.

Darum hat man Casanova nie ärger mißverstehen können, als ihn zu einem Erotomanen zu erklären. Niemandem wäre es im 18. Jahrhundert eingefallen, aus seinen Memoiren (hätten sie vorgelegen) Extrakte herzustellen, die sich auf erotische Episoden beschränken. Denn die Welt des Eros ist im Zeitalter Casanovas die ganz gewöhnliche Alltagswelt, in der jeder Mensch nach kleinen Daseinsfreuden sucht, von denen er als Selbstverständlichkeiten erzählt, allerdings am Ende seines Jahrhunderts doch auch wissend, daß die kommende Zeit ihn der Unmoral zeihen wird. Der Erzähler Casanova interessiert sich am wenigstens für die Schilderung des sexuellen Vollzugs; ihn fasziniert die erotische Spannung und ihr allmähliches Wachsen, alles, was Geist und Sinne eng verschwistert und endlich unauflöslich erscheinen läßt.

Casanova hat die Frauen geliebt und dazu gehört es, daß er - von wenigen Ausnahmen abgesehen - darauf achtet, seine Partnerinnen nicht zu schwängern. Er ist der einzige Autor seines Zeitalters, der sich in seiner Histoire de ma vie Gedanken über Empfängnisverhütung macht, während andere eher darauf stolz sind, ihre Eroberung geschwängert zurückzulassen als Frucht billiger Triumphe. Natürlich begegnet uns auch im Leben Casanovas hier und da ein „Kind seiner Laune“, wie es der Ochs von Lerchenau im Rosenkavalier nennt. Für gewöhnlich aber hat er die capote Anglaise im Reisegepäck; wenn nicht, schickt die Geliebte die Zofe fort, das Gewünschte zu besorgen. „Die Zofe kehrt mit dem Päckchen zurück. Ich stelle mich entsprechend hin und verlange, sie solle mir einen gut passenden aussuchen; schmollend beginnt sie zu prüfen und zu messen“.

Kondome sind seit dem 17. Jahrhundert bekannt, werden auch so genannt. In Frankreich bezeichnet man sie auch als capote Anglaise, in England als French letter und Casanova nennt sie einmal „traurige Futterale“. Sie wurden aus Tierdärmen hergestellt und waren mit einem rosa Band versehen, das vor Benutzung zugebunden werden mußte. Zur Empfängnisverhütung bedient er sich sonst vorzugsweise des coitus interruptus und verwendet einmal im Liebesspiel mit drei Mädchen eine goldene Kugel mit der Behauptung: „Es genügt, wenn während des Gefechtes die Kugel in der Tiefe der Liebeskammer liegt. Das Metall besitzt eine Abwehrkraft, die jede Empfängnis verhindert“. Am Ende durfte dann jede ihre aus zwei Unzen reinen Golds gefertigte Kugel zum Andenken daran behalten, daß ihnen ein anderes Andenken erspart getrieben war, wovon sich ihr Liebhaber bei einem späteren Aufenthalt überzeugen konnte. Den nicht begüterten drei Mädchen Geld für ihre Gunst zu schenken, wäre verletzend gewesen, also wählte Casanova den Umweg über die Kugel mit passender Gebrauchsanweisung: „Ich wußte bereits, auf welche Weise ich sie ihnen zum Geschenk machen konnte, ohne sie zu beschämen“. Ein nicht seltenes Beispiel seines Taktgefühls und seiner Phantasie.

Bis zum Überdruß hat man Casanova mit Don Juan verglichen. Im Blick auf Da Pontes Libretto für Mozarts Don Giovanni versteigt sich Paul Nettl gar zu der Behauptung: „Der alte Abenteurer muß von dem Libretto tief beeindruckt gewesen sein. Wir können uns vorstellen, daß er, wenn er die ‚Register-Arie‘ hörte oder wenn er da Pontes Text las, sein eigenes Leben wie eine Vision aus seiner Zeit vor sich auftauchen sah. Lorenzos Text paßte ja so gut auf ihn selbst! …  Und mit Angst und Schrecken mochte der alte Sünder im Ende Don Giovannis sein eigenes Ende widergespiegelt sehen“.

Nichts davon trifft zu. Der „alte Sünder“ hat sich in keiner Minute seines Lebens als ein solcher gefühlt, zumal Da Pontes Text mit ihm und seinem Leben nicht das geringste zu tun hatte. Denn Don Juan verachtet die Frauen, sie sind für ihn einzig Trophäen, die zur Strecke gebracht wurden, um sie zu demütigen. Casanova hingegen liebte die Frauen, und das Geschenk ihrer Hingabe erfüllte ihn mit lebenslanger Dankbarkeit. Nicht nur, daß er dies selber betont; seine ganze Lebensgeschichte handelt davon, und die hinterlassene Korrespondenz zeigt, wie viele Frauen sich auch seiner im Alter dankbar erinnerten. Über seine erste Liebesnacht mit der jungen M.M. bemerkt er: „Jede Entdeckung beschwingte mein Herz zur Liebe, die mir neue Kräfte schenkte, um ihr meine Dankbarkeit zu zeigen“.“

 

Reisen durch Europa

 

„Die Fahrt auf der Brenta 1734 ist Casanovas erste Reise gewesen; jene von Dux nach Berlin und Thüringen 1795 die letzte. Dazwischen lagen 61 unstete Jahre, in denen dieser wißbegierige, von Lust auf Abenteuer der Sinne und des Geistes erfüllte Mann Europa durchquerte: von Madrid bis Moskau, von Martirano bis Korfu, von Konstantinopel bis London, von Paris bis Petersburg, dazu kreuz und quer durch Italien, Frankreich, Deutschland, Österreich, Polen. So wenig er sich an einen Menschen zu binden vermochte, so wenig an einen Ort. Es sei das Prinzip seines Lebens gewesen, resümierte er an dessen Ende, „daß ich nie auf ein bestimmtes Ziel zusteuerte und deshalb nur dem System folgte - wenn es überhaupt eines ist -, mich dahintreiben zu lassen, wohin der Wind blies“ …

Gereist wurde zu Fuß, zu Pferd, im eigenen oder gemieteten Wagen. Die Straßen befanden sich überwiegend in miserablem Zustand; eine Steinpflasterung war noch nicht einmal in allen Großstädten selbstverständlich. Schneller als sechs bis sieben Kilometer in der Stunde kam niemand voran, das entsprach nicht ganz einer deutschen Postmeile (7,5 km). Daniel Chodowiecki brauchte für seine Reise von Berlin nach Danzig (etwa 450 km) im Sommer 1773 acht Tage, die er zu Pferd zurücklegt; das galt für überdurchschnittlich schnell.

Jede Reise war durch vielfaches Ungemach ein Abenteuer sui generis. Daß man im Sand, Schlamm oder Schnee steckenblieb, daß ein ungeschickter Kutscher den Wagen umwarf oder ein Achsbruch zu unvorhersehbarem Aufenthalt führte, durfte für normal gelten, und man konnte sich glücklich schätzen, wenn man beim Umwerfen des Wagens von herabfallenden Gepäckstücken nicht getötet oder verletzt wurde, was gar nicht so selten vorkam.

Überfälle durch Räuberbanden kamen im 18. Jahrhundert zwar nicht mehr so oft vor, aber die Unsicherheit blieb, weswegen der Reisende sich für gewöhnlich mit zwei Pistolen versah. Deren Anschaffung lohnte schon deshalb, weil die Gasthäuser, in denen man übernachtete, Diebsgesindel anlockten. Deswegen wurde empfohlen, eigene Türschlösser mitzunehmen, da die Zimmertüren oft kein eigenes Schloß besaßen. Die Pistolen legte man vor dem Schlafengehen neben das Kopfkissen, und wegen der nicht immer sauberen Unterlage empfahl es sich, in den eigenen Mantel gehüllt zu bleiben.

Wenn auch der Reisende in den europäischen Großstädten mit guten und gepflegten Hotels rechnen durfte – Reise- und Hotelführer gab es schon seit dem 17. Jahrhundert -, so bot die Beherbergung auf dem Land mancherlei Probleme. Da Gästezimmer kaum existieren, kampierten die Reisenden dichtgedrängt auf dem Fußboden der Gaststube. Wegen der unhygienischen Verhältnisse, des Ungeziefers und der ständigen Gefahr, im Schlaf bestohlen zu werden, quartierte sich mancher lieber im Stall bei den Pferden ein oder übernachtete im Wagen. In seinen besten Jahren konnte Casanova sich eine eigene Karosse leisten. Die meisten derjenigen, die überhaupt eine Reise bezahlen konnten, saßen dichtgedrängt im engen Miet- oder Postwagen und litten tagelang nicht nur unter dem Geruch der Insassen. Der Wagenkasten ließ Staub durch und war im Winter natürlich auch nicht zu beheizen. Die unzulängliche Federung teilte die Erschütterung durch Schlaglöcher den stundenlang Durchgeschüttelten unbarmherzig mit. Hinzu kam die Bürokratie an den Grenzen. Wer im 18. Jahrhundert ins Ausland fuhr, benötigte nicht allein den Paß seines Heimatlandes. Man brauchte zusätzlich noch einen Paß des Gastlandes, und wenn der die Papiere ausfertigende Behördenchef dem Antragsteller nicht wohlwollte, konnte dieser Schwierigkeiten jener Art bekommen, wie sie Casanova 1768 in Madrid widerfuhren.

Solange Casanova sich den Luxus des Alleinreisens leisten konnte und ein oder zwei Diener sich um Gepäck und Quartier kümmerten, nutzte er die Reisestunden zur Lektüre und zur Ausarbeitung seiner zahlreichen Schriften. Für seine Rußlandreise 1764/65 bediente er sich eines von sechs Pferden gezogenen „Schlafwagens“, also einer Kutsche, deren Inneres man in ein großes Bett verwandeln konnte. Da er von Riga nach Petersburg im Dezember fuhr, diente der Schlafwagen auch der nötigen Erwärmung. Gefahren wurde Tag und Nacht („ohne meinen Schlafwagen je zu verlassen“), und Casanova schaffte die Strecke in 60 Stunden. Bei der Rückreise ein Jahr später begleitete ihn die französische Schauspielerin Valville: „Da ich in meinen Schlafwagen eine gute Matratze und Decken gelegt hatte, schlief ich darin mit der Valville, die diese Art des Reisens ebenso angenehm wie unterhaltsam fand, denn eigentlich lagen wir im Bett“. Für die Fahrt bis Riga im September 1765 brauchte er – „da der Regen die Straßen aufgeweicht hatte“ - acht Tage und von Riga bis Königsberg vier Tage. Da die Valville von hier allein nach Berlin weiterreiste, verkaufte Casanova den Schlafwagen und fuhr - ihm war das Geld ausgegangen - gemeinsam mit drei Polen in einem Mietwagen nach Warschau in sechs Tagen.

Obwohl Casanova viele Länder gesehen hat, findet man bei ihm keine Naturschilderungen, keine Landschaftsbeschreibungen. Der Natur galt sein Interesse allenfalls, wenn sie sich ihm als kultivierter Park darbot. Aber auch die Schönheiten einer Gartenanlage beschränken sich für ihn auf Bassins und Pavillons oder grüne Lagerstätten, die für erotische Freiluftvergnügen geeignet sind. Reiseziele sind die großen Städte oder Persönlichkeiten wie etwa Voltaire, der sich selbst spöttisch den „Herbergsvater Europas“ nannte. Wer etwas auf sich hielt, machte ihm in der Nähe Genfs seine Aufwartung: Diderot, d’Alembert, James Boswell, Benjamin Franklin, Edward Gibbon, der Fürst de Ligne und natürlich - 1760 – Casanova. Und selbstverständlich schrieben auch alle darüber.

Das 18. Jahrhundert hatte eine Vorliebe für Reisebeschreibungen und Romane. Einschließlich der Übersetzungen erschienen allein in Deutschland damals über 10.000 Titel. Die meisten Menschen konnten sich größere Reisen nicht leisten und kamen zeitlebens aus dem engeren Umkreis ihrer Heimat nicht hinaus. Künstler und Handwerker waren unterwegs, um sich fortzubilden. Der junge Herr aus großem Haus wurde auf die obligate Bildungstour geschickt, die bis zu drei Jahre dauern konnte, damit er europäische Kultur und somit ein weltmännisches Gepräge bekam. Der Hamburger Kaufmannssohn und spätere Lyriker Barthold Hinrich Brockes bereiste 1703/04 für zwei Jahre Italien, Frankreich, die Schweiz und die Niederlande. Montesquieu lernte 1726 Deutschland, Ungarn, Italien, die Schweiz, die Niederlande und England kennen. Aber in den Genuß solcher Freuden gelangte nur eine winzige Minderheit. Deswegen las man so gern Reiseberichte, wobei schon ein Buch über Italien Nachrichten aus einem fernen Land verhieß. Um wie viel mehr aber Werke über Länder und Völker in Afrika und Asien! Wie wenig wußte man von China, dessen Kunstwerke – vor allem sein Porzellan - gesammelt wurden und Statussymbole bedeuteten. In den Schlössern richtete man chinesische Kabinette ein, Schloß Drottningholm bei Stockholm bekam 1753 chinesisches Dekor. Lakaien wurden chinesisch gekleidet, Stücke mit chinesischen Sujets waren auf dem Theater beliebt, und Christoph Willibald Gluck begeisterte 1754 auf Schloßhof die Zuhörer mit der kleinen Kammeroper Le Cinesi (Libretto von Pietro Metastasio), über deren Uraufführung der anwesende Carl Ditter von Dittersdorf bemerkte: „Es war nicht das liebliche Spiel der brillanten Sinfonie allein, die stellenweise von kleinen Glöckchen, Triangeln, kleinen Handpauken und Schellen und dergleichen bald einzeln, bald zusammen begleitet wurde, welche die Zuhörer gleich anfangs, ehe noch der Vorhang aufgezogen war, in Entzücken versetzte; die ganze Musik war durch und durch Zauberwerk“. 20 Jahre später griff Gluck noch einmal ein chinesisches Motiv auf mit dem Ballett L’Orfano della Cina, dessen Vorlage auf Voltaires beliebte Tragödie L’Orphelin de la Chine (1755) zurückging.“

 

Gut im Geschäft

 

„… Zur gleichen Zeit arbeitete Casanova, der an der Gründung einer florierenden französischen Staatslotterie namhaften Anteil hatte, im Auftrag der französischen Regierung als deren Geheimagent in den Niederlanden, was ihm zusätzlich beträchtliche Mittel gewährte. Immerhin muß er dem Außenministerium in Paris als seriös und vertrauenswürdig erschienen sein, und man war dort mit den gelieferten Ergebnissen zufrieden. Da er zugleich damit beschäftigt war, in den Niederlanden eine französische Staatsanleihe zu plazieren, kam er in Kontakt mit den Bankiers in Amsterdam und den Haag. Selbst bei diesen erfahrenen Finanzexperten gelang es ihm, mittels seiner „kabbalistischen“ Berechnungen Eindruck zu machen, wenngleich ohne jede betrügerische Absicht. Doch das Glück blieb ihm gewogen: Casanova zog aus den Geschäften im Auftrag der französischen Regierung einen Reingewinn von 100.000 Gulden und konnte weitere Summen in den Niederlanden zu überaus günstigen Konditionen anlegen. Selbst ohne die großzügigen Zuwendungen der Marquis d‘Urfé wäre er damals ein reicher Mann gewesen, und ein rechtes Glückskind des Lebens blieb er dazu.“

 

Wissen der Zeit

 

„Ein wahrlich epochal zu nennendes Unternehmen, dem sich Voltaire als Mitarbeiter verbunden fühlte, war die von dem Schriftsteller Denis Diderot und dem Mathematiker und Physiker Jean le Rond d‘Alembert herausgegebene Encyclopédie ou Dictionnaire Raisonné des Sciences, des Arts et des Métiers, deren erster Band 1751 und deren letzter, 35. Band, 1765 erschien. Man wird im ganzen 18. Jahrhundert in Europa kein monumentaleres Werk finden, das den Mut bewies, gleichsam die Summe alles abendländischen Wissens zu ziehen, und erschöpfend Auskunft gibt über die Bilanz der Wissenschaften, Künste und das Handwerks, der Philosophie und der Literatur, kurz über alles, was das eindrucksvolle Geistesgebäude jener Epoche ausmachte. Mehr als 180 Persönlichkeiten haben daran mitgearbeitet, neben den beiden Herausgebern auch Helvétius, Marmontel, Montesquieu, Rousseau und Voltaire, doch versicherte sich Diderot für die Beiträge über das Handwerk auch der Mitarbeit von Gerbern, Seiden- und Zinnarbeitern. Aus der Encyclopédie sprach der Geist des Rationalismus, der Toleranz, der Freiheit, der Aufklärung schlechthin, doch ihr unendliches Bemühen ist den Herausgebern und Mitarbeitern wenig gedankt worden. Denn anders als das von Heinrich Zedler in Deutschland zwischen 1731 und 1754 herausgegebene Universallexikon wollte die Encyclopédie nichts Geringeres als Einfluß nehmen auf das Denken der Menschen und sich nicht auf die bloße Information beschränken.

Genau das aber weckte das Mißtrauen und schon bald die Verfolgung durch die französischen Behörden und den aufgeschreckten Klerus. Das Heilige Offizium setzte das verhaßte Werk 1759 auf den Index; jedem, der die Encyclopédie las oder besaß, drohte die Exkommunikation. „Diese Arbeit“, so schrieb Diderot 1762 an seine Freundin Sophie Voland über die Encyclopédie, „wird sicherlich mit der Zeit eine geistige Revolution hervorbringen, und ich hoffe, es soll den Tyrannen, den Unterdrückern, den Fanatikern und den Unduldsamen schlecht dabei ergehen. Wir dienten der ganzen Menschheit, aber wir werden längst kalter und fühlloser Staub sein, ehe man uns etwas Dank dafür weiß“.

Es ist der Protektion der Marquise de Pompadour zu verdanken, daß die Encyclopédie trotz aller Widrigkeiten überdauern konnte. Angeblich, glaubt man einer Anekdote Voltaires, hätten die Pompadour und einige andere bei einem Abendessen Ludwig XV. darauf hingewiesen, daß einzig dieses so überaus nützliche Nachschlagewerk viele aktuelle Fragen beantworten könne und nun durch das Verbot nicht mehr zu konsultieren sei. „Ach, das schöne Buch“, habe die Marquise zum König gesagt: „Mein Herr, Sie haben also dieses Magazin aller nützlichen Dinge beschlagnahmt, um es allein zu besitzen und um der einzige Gelehrte ihres Königreiches zu sein“.

Die Pompadour habe damit nicht nur die Aufhebung des Verbots der Encyclopédie durchgesetzt, sondern bei dieser Gelegenheit auch bei Ludwig XV. eine Pension für d‘Alembert verlangt, indes sie Diderot diskret zu mehr Vorsicht und Mäßigung geraten habe …

Immer stärker beanspruchten die Naturwissenschaften die Interessen der Gebildeten im 18. Jahrhundert. Den ersten Sternenatlas mit mehr als 3.000 Fixsternen veröffentlichte der Engländer John Flamsteed 1725 in seinem Catalogue Britannique, die Klassifizierung der Pflanzen betrieb der Schwede Carl von Linné in seinen Werken Fundamenta Botanica (1736), Genera Plantarum (1737) und Philosophia Botanica (1751); für die Tierwelt schuf Entsprechendes der Franzose Georges Leclerc de Buffon in seiner Histoire Naturelle Générale et Particulière (36 Bände, 1749/1788) Die Funktionen in den pflanzlichen und tierischen Körpern beschrieb Albrecht von Haller in seiner achtbändigen Elementa Physiologiae (1757/1766). Dampfkraft und Elektrizität, die moderne Chemie und der Ballonflug sind ebenso Entdeckungen des 18. Jahrhunderts wie die zahlreichen Verbesserungen auf dem Gebiet der Optik, der Physik und des Industriewesens. Johann Friedrich Böttger entdeckte gemeinsam mit den Physiker Tschirnhaus die Herstellung des Porzellans (1709); Le Blon erfand den Dreifarben-Kupferdruck (1710); René Réamur baute 1730 erstmals einen Weingeistthermometer; 1735 wurde erstmals - durch Abraham Darby - Eisenerz im Kokshochofen geschmolzen und 1736 durch James Watt die Dampfmaschine erfunden. Benjamin Franklin baute 1752 den ersten Blitzableiter; 1783 unternahmen die Brüder Montgolfier den ersten Aufstieg eines Heißluftballons - auf allen Gebieten der Medizin, Chemie, Physik und der industriellen Fertigungsverfahren sind fast Jahr um Jahr neue Entdeckungen und Erfolge zu verzeichnen.“

 

Bücher-Welten

 

„Sein ganzes Entzücken weckten - neben den klugen Schönen - am meisten die Bibliotheken. Bücher riefen in ihm geradezu zärtliche Empfindungen wach, und wenn er es auch nicht beschreibt, so kann man sich doch gut vorstellen, daß seine Hände so manches Buch geradezu liebkost haben müssen. So wenig man ihn ohne Frauen sich vorstellen mag, so doch noch viel weniger ohne Bücher und am Ende waren ihm ja auch nur diese treu geblieben - und er ihnen, denn bei Büchern vergaß er seine Bindungsscheu …

Anders erging es ihm 1764 während eines Aufenthalts in Braunschweig, als er einen Abstecher nach Wolfenbüttel beschloß. „Dort wollte ich acht Tage bleiben und war sicher, mich nicht zu langweilen, denn dort befand sich die drittgrößte Bibliothek von Europa. Ich hatte schon lange den lebhaften Wunsch, sie in Muße zu besichtigen“. Casanova war überwältigt: „In den acht Tagen, die ich dort verbrachte, verließ ich sie nur, um in mein Zimmer zu gehen, und verließ dieses nur, um in die Bibliothek zurückzukehren. Erst am achten Tag, eine Stunde vor meiner Abreise, sah ich den Bibliothekar wieder, um ihm zu danken. Ich lebte dort in vollkommenem Frieden, dachte weder an die Vergangenheit noch an Zukunft und vergaß über der Arbeit die Gegenwart. Heute weiß ich, daß nur das Zusammentreffen ganz unbedeutender Umstände nötig gewesen wäre, um mich in dieser Welt zu einem wahrhaft Weisen zu machen, denn die Tugend hat mich stets mehr angezogen als das Laster. Wenn ich mich einmal schlecht aufführte, tat Ich es nur aus Übermut“ …

… doch das Glück des Alters fand Casanova in der Welt der Bücher, als Lesender und Schreibender. In der Abgeschiedenheit von Dux, wo er seit 1787 eine Bibliothek von 40.000 Bänden betreuen durfte, vollendeter er zuerst ein höchst phantastisches Unternehmen, das Casanovas Vorstellung lange in Anspruch genommen hat …“

 

Un-Wissen

 

Es ist gut und schön, wenn sich Menschen vom religiösen Wahn befreien. Leider gehen die meisten nicht den Weg der Vernunft, sondern verfallen dem esoterischen Wahn und der Sternen-Gläubigkeit. Hier ein besonders schönes Beispiel.

„Doch hatte sich ihm früh eingeprägt, wie leichtgläubig die Menschen waren und wie gern sie sich prellen ließen, wenn ihnen okkulte Phantasmagorien den Verstand benebelten; von dieser Erkenntnis profitierten ja auch Cagliostro und Saint-Germain. Von kleinen harmlosen Schwindeleien abgesehen, gelang Casanova der wahre Fischzug in dem Augenblick, als er 1757 in Paris Jeanne Marquise d’Urfé kennenlernte. Sie besaß nicht nur eine der größten und kostbarsten Bibliotheken Frankreichs, sondern unterhielt ein eigenes Laboratorium, „das mich wirklich in Erstaunen setzte“, worin die damals 52 Jahre alte Marquise ernsthafte chemische Experimente betrieb. Allerdings galten ihre Interessen mehr der Alchimie als den seriösen Naturwissenschaften, und wenn sie auch die Entwicklungen auf diesen Gebieten sehr aufmerksam verfolgte, so faszinieren sie alle okkulten Phänomene doch weitaus mehr. Als sie die Bekanntschaft Casanovas machte, wußte sie sofort, daß er der Mann sein würde, ihren eigentlichen Herzenswunsch zu erfüllen: Sie bildete sich ein, nur ein Mann könne den Stein der Weisen erlangen und über die Fähigkeiten verfügen, unmittelbar mit Elementargeistern zu verkehren. Um dieser Gaben teilhaftig zu werden, müsse ihre Seele in den Körper eines neugeborenen Knaben übertragen werden, und Casanova - daran glaubte sie fest – sei der einzige, der diese Verwandlung bewirken könne. Sehr rasch hatte sie sich von seinen beachtlichen alchimistischen Kenntnissen überzeugen lassen, hatte er ihr doch seine Begabung demonstriert, chiffrierte Handschriften in ihrem Besitz mühelos zu dechiffrieren. Gegenüber der Marquise, deren natürliche Intelligenz von okkulten Wahnvorstellungen befangen war, besaß Casanova einen unschätzbaren Vorteil: Seine Kenntnisse in Alchimie und okkulter Literatur standen den ihren in nichts nach, doch anders als sie glaubte er nicht daran, sondern hielt das alles für puren Humbug. Nein, er befand sich nicht im Besitz des Steins der Weisen, mit dem man alles zu Gold verwandeln kann, aber er besaß nun in Gestalt dieser „prachtvollen Verrückten“ das Huhn, das ihm jahrelang die schönsten goldenen Eier legen würde.

„Wenn ich auf die verrückten Ideen dieser Dame einging, glaubte ich nicht, sie irrezuführen, denn das war bereits geschehen; es wäre mir auch keinesfalls gelungen, sie von ihrem Wahn zu befreien. Selbst wenn ich ihr in ehrlicher Offenheit gesagt hätte, daß alle ihre Ideen Hirngespinste seien, hätte sie mir nicht geglaubt, und so zog ich es vor, mich treiben zu lassen. Mir konnte es nur angenehm sein, von einer Dame, die mit den größten Persönlichkeiten Frankreichs in Verbindung stand und die durch ihre Wertpapiere noch reicher war als durch die 80.000 Francs Rente, die sie aus Grundbesitz und Häusern in Paris bezog, auch weiterhin für den bedeutendsten aller Rosenkreuzer und den mächtigsten aller Menschen gehalten zu werden. Ich erkannte klar, daß sie mir gegebenenfalls nichts verweigern konnte, und obwohl ich keinerlei Plan entwarf, um mich ihrer Reichtümer ganz oder teilweise zu bemächtigen, fühlte ich mich andererseits nicht stark genug, auf diese Macht zu verzichten“.

Sieben Jahre lang bediente Casanova mit allen Mitteln, die seiner blühenden Phantasie zu Gebote standen, die Wahnideen der Marquise d’Urfé. Als er die Beziehungen zu ihr abrupt abbrechen ließ, weil der Punkt erreicht war, an dem er dieser Frau sein Unvermögen hätte eingestehen müssen, ihre Seele in einen neugeborenen Knaben zu verpflanzen, hatte er ihr - zur Empörung ihrer Verwandtschaft - etwa eine Million Francs aus der Tasche gezogen, ohne ihren materiellen Besitz erheblich geschmälert zu haben. Ob die Marquise noch so viel Intelligenz besaß, den jahrelangen Betrug zu erkennen, den er an ihr verübt hatte, ist nicht bekannt; immerhin hatte er ihrem Spleen sieben Jahre lang Nahrung geliefert und sich selber jene Epoche seines Lebens vergönnt, in der ihm das Geld niemals ausging.“

 

„Aus meinem Leben“:

„Dies schien mir nicht möglich, denn es war kein äußeres Anzeichen von Schwangerschaft an ihr zu entdecken; aber immerhin konnte es doch sein. Da ich einen Entschluß fassen mußte, um die Pläne der beiden Spitzbübinnen zu vereiteln, so entfernte ich mich, ohne ein Wort zu sagen, und schloß mich mit Frau von Urfé ein, um das Orakel wegen der Operation zu befragen, die sie glücklich machen sollte.

Nachdem das Orakel eine Menge Antworten gegeben hatte, welche dunkler waren als die Weissagungen der Pythia auf dem Dreifuß von Delphi, und deren Auslegung ich infolgedessen meiner armen betörten Frau von Urfé überließ, fand sie selber – und ich hütete mich wohl, ihr zu widersprechen –, daß die kleine Lascaris wahnsinnig geworden wäre. In dieser Befürchtung bestärkte ich sie, und es gelang mir, sie aus einer kabbalistischen Zahlenreihe die Antwort finden zu lassen: die Prinzessin habe den Erwartungen nicht entsprechen können, weil sie durch einen dem Rosenkreuzerorden feindlichen schwarzen Dämon befleckt sei; und da sie einmal so schön auf dem Wege war, so fügte sie aus eigenem Antrieb hinzu, das junge Mädchen müsse mit einem Gnomen schwanger gehen.

Hierauf bildete sie eine andere Zahlensäule, um zu erfahren, wie wir uns benehmen müßten, um unser Ziel sicher zu erreichen, und dank meiner Leitung fand sie die Antwort, sie müsse an den Mond schreiben.

Dieser Unsinn, der sie hätte zur Vernunft bringen müssen, erfüllte sie mit höchster Freude. Sie war vor Begeisterung ganz verzückt, und ich gewann die Überzeugung, daß alle meine Mühe vergeblich gewesen wäre, selbst wenn ich ihr die Nichtigkeit ihrer Hoffnungen hätte dartun wollen. Sie hätte höchstens geglaubt, ein feindlicher Genius habe mich beherrscht und ich sei kein vollkommener Rosenkreuzer mehr. Ich dachte jedoch nicht daran, eine Heilung zu versuchen, die für mich so unvorteilhaft gewesen wäre, ohne ihr zu nützen. Ihre Chimäre machte sie glücklich, und die Wahrheit würde sie ohne Zweifel unglücklich gemacht haben.

Sie empfing also den Befehl, an den Mond zu schreiben, mit um so größerer Freude, da sie den Kultus, der diesem Planeten gefällt, und die Zeremonien, die dabei erforderlich waren, genau kannte; sie konnte jedoch die Vorschriften nur mit dem Beistand eines Adepten ausführen, und ich wußte, daß sie auf mich rechnete. Ich sagte ihr, ich stände vollkommen zu ihrem Befehle; wir müßten jedoch die erste Phase des nächsten Mondes abwarten – was sie ebensogut wußte wie ich. Es war mir sehr angenehm, Zeit zu gewinnen, denn da ich im Spiel viel Geld verloren hatte, so war es mir unmöglich, Aachen vor dem Empfang einer Summe zu verlassen, die ich durch einen Wechsel auf Herrn d'O. in Amsterdam gezogen hatte. Unterdessen kamen wir überein, daß wir auf alles, was die Lascaris in ihren Wahnsinnsanfällen sagen würde, nicht achten wollten; denn da ihr Geist sich in der Gewalt eines bösen Geistes befände, der sie besessen hielte, so wurden ihre Worte ihr ja von diesem eingeflößt.

Da jedoch ihr Zustand bemitleidenswert sei, so beschlossen wir, um ihr Los so erträglich wie möglich zu machen, sie auch in Zukunft mit uns essen zu lassen; abends jedoch sollte sie sofort nach Tisch und im Zimmer ihrer Gesellschaftsdame zu Bett gehen.

Nachdem ich auf diese Weise den Geist der Frau von Urfé dahin bearbeitet hatte, daß sie von allen Mitteilungen, die die Corticelli ihr etwa machen konnte, nichts glaubte, sondern sich nur mit dem Brief beschäftigte, den sie dem Geiste Selenis, der den Mond bewohnt, schreiben sollte, beschäftigte ich mich erstlich mit den Mitteln, das verlorene Geld wiederzugewinnen, was nicht auf dem Wege der Kabbala geschehen konnte …

Wütend auf mich, hatte die Corticelli unterdessen der Frau von Urfé alles entdeckt; sie hatte ihr eine Beschreibung ihres Lebens und unserer Bekanntschaft gegeben und ihre Schwangerschaft mitgeteilt. Aber je mehr Wahrheit ihre Erzählung enthielt, desto fester bestärkte die gute Dame sich in dem guten Glauben, daß das Mädchen wahnsinnig sei. Sie lachte mit mir nur über den vermeintlichen Wahnsinn meiner Verräterin und setzte ihr ganzes Vertrauen auf die Unterweisungen, welche Selenis ihr in seiner Antwort geben würde.

Da mir jedoch das Benehmen des Mädchens nicht gleichgültig sein konnte, so beschloß ich, sie künftighin im Zimmer ihrer Mutter essen zu lassen. So blieb ich allein mit Frau von Urfé, der ich versicherte, wir würden leicht ein anderes ausgewähltes Gefäß finden, da die Lascaris wegen ihres Wahnsinnes durchaus nicht imstande sei, an unseren Mysterien teilzunehmen.

Von der Not getrieben, sah d'Achés Witwe sich bald gezwungen, mir ihre Mimi abzutreten; aber ich versöhnte sie durch freundliches Benehmen und rettete im Anfang den Schein, so daß sie tun konnte, wie wenn sie nichts merkte. Ich löste alle von ihr versetzten Sachen aus; mit ihrem Verhalten zufrieden, obgleich ihre Tochter sich noch nicht meiner Glut ganz hingegeben hatte, beschloß ich, die beiden Damen mit Madame d'Urfé nach Colmar zu begleiten. Um die Dame zu diesem guten Werke zu bestimmen, ohne daß sie etwas von dem Beweggrund bemerkte, kam ich auf den Gedanken, sie diesen Befehl in dem Briefe empfangen zu lassen, den sie vom Mond erwartete; ich war gewiß, daß sie alsdann blindlings gehorchen würde.

Den Briefwechsel zwischen Selenis und Frau von Urfé brachte ich folgendermaßen zustande.

Am Tage des Vollmondes speisten wir zusammen in einem Garten vor der Stadt zu Abend. Ich hatte in einem Zimmer zu ebener Erde alles vorbereitet, was für den Kultus notwendig war. In meiner Tasche hatte ich den Brief, der vom Monde herabschweben sollte, um den von Frau von Urfé mit großer Sorgfalt vorbereiteten Brief zu beantworten, den wir an seine Adresse befördern wollten. Dicht neben dem Zimmer, wo die Feierlichkeit stattfand, hatte ich eine große Badewanne aufgestellt, die mit lauem Wasser gefüllt war und von würzigen Kräutern duftete, wie sie dem Gestirn der Nacht gefallen. In dieses Wasser sollten wir gemeinsam hineinsteigen, sobald der Mond unterging. Dieser Untergang fand an jenem Tage um ein Uhr nach Mitternacht statt.

Nachdem wir die würzigen Kräuter verbrannt und die Essenzen versprengt hatten, die dem Kultus des Gottes Selenis angemessen sind, sagten wir die geheimnisvollen Gebete. Dann zogen wir uns vollständig aus. Meinen Brief in der linken Hand verborgen haltend, führte ich mit der rechten in feierlichem Ernst Frau von Urfé bis an den Rand der Badewanne, in welcher sich eine Alabasterschale voll Wacholdergeist befand. Ich zündete diesen an, indem ich kabbalistische Worte sprach, die ich nicht verstand und die sie wiederholte, indem sie mir den an Selenis geschriebenen Brief gab. Diesen Brief verbrannte ich an der Wacholderflamme, auf die der Mond mit vollem Schein fiel, und die gläubige Frau von Urfé versicherte mir, sie habe die von ihrer Hand geschriebenen Buchstaben auf den Strahlen des Gestirns zum Himmel emporschweben sehen.

Hierauf stiegen wir in die Badewanne, und der in meiner Hand verborgen gehaltene Brief, der mit silbernen Buchstaben im Kreise auf grünes Glanzpapier geschrieben war, erschien zehn Minuten später auf der Oberfläche des Wassers. Sobald Frau von Urfé ihn sah, ergriff sie ihn salbungsvoll und verließ mit mir das Bad.

Nachdem wir uns abgetrocknet und parfümiert hatten, zogen wir unsere Kleider wieder an. Sobald wir in anständiger Verfassung waren, sagte ich der gnädigen Frau, sie könne den Brief lesen; sie hatte diesen auf ein parfümiertes weißes Atlaskissen gelegt. Sie gehorchte, und eine sichtbare Traurigkeit bemächtigte sich ihrer, als sie las, ihre Mannwerdung sei bis zur Ankunft Querilints verschoben, den sie im Frühling des nächsten Jahres bei mir in Marseille sehen würde. Der Genius schrieb ihr außerdem, die junge Lascaris könne ihr nur schaden und sie müsse meine Anordnungen befolgen, um sich ihrer zu entledigen. Zum Schluß befahl ich ihr, mich zu bitten, ich möchte eine Frau, die ihren Mann verloren hätte, nicht in Aachen lassen; diese Frau habe eine Tochter, die von den Genien bestimmt sei, unserem Orden große Dienste zu leisten. Sie solle sie nebst ihrer Tochter nach dem Elsaß befördern und sie bis zu ihrer Ankunft nicht aus den Augen lassen, damit unser Einfluß sie vor den Gefahren schütze, die ihnen drohen würden, wenn sie sich selber überlassen blieben.

Frau von Urfé war, abgesehen von ihrer Verrücktheit, sehr wohltätig; sie empfahl mir diese Witwe mit aller Wärme fanatischer Leichtgläubigkeit und menschlicher Teilnahme und war sehr ungeduldig, ihre ganze Geschichte zu erfahren. Ich sagte ihr in kühlem Ton so viel, wie mir gut schien, um sie in ihrem Entschluß zu bestärken, und versprach ihr, die Damen sobald wie möglich vorzustellen …“

https://www.projekt-gutenberg.org/casanova/band04/chap17.html

 

Ganz unten

 

„Man wird seinem Zeitalter nicht gerecht, wollte man die sozialen Verhältnisse jener Epoche nach unseren Maßstäben beurteilen. Das Interesse an diesen Verhältnissen ist neu, zu Casanovas Zeiten fast unbekannt, denn die herrschenden Schichten nahmen die unteren überhaupt nicht wahr und behandelten sie keineswegs als gleichberechtigt.“

 

Giacomo Casanova berichtet über sein Leben und jenes der Oberschicht. Die unteren Schichten werden kaum erwähnt.

Diese leben (zumindest in den Städten) unter katastrophalen hygienischen Verhältnissen, die nicht selten zu Epidemien führen. Trotz hoher Kinder-Sterblichkeit wächst die Bevölkerung, auch durch Zuzug vom Land – was zu erhöhter Bettelei und Kriminalität führt.

Rücklagen für Alte, Kranke oder Arbeits-Unfähige gibt es kaum. Giacomo Casanova ist ein hervorragender Zeitzeuge – aber nur für seine Schicht. Das Leben der großen Masse läuft sehr viel anders ab.

 

„Das Verhökern von Menschen wurde nicht als schändlich empfunden, der Soldatenstand im 18. Jahrhundert beweist es. Der Landgraf von Hessen-Kassel, der Herzog von Braunschweig und der Herzog von Württemberg vermieteten ihre Armeen gewinnbringend an die Engländer. Das berühmteste und berüchtigtste Beispiel bot Landgraf Ludwig Wilhelm IX. von Hessen-Kassel, ein begnadeter Finanzier unter den Fürsten, der 1803 zum Kurfürsten avancierte. Zur Niederschlagung der nordamerikanischen Unabhängigkeitsbewegung vermietete er den Engländern 2.400 Soldaten, von denen etwa 500 starben und einige desertierten, aber die meisten kehrten in ihre Heimat zurück. Aus diesem Geschäft zog der Landgraf einen Reingewinn von 11 Millionen Talern. Nach dem Ende des Krieges bot sich 1787 noch einmal ein ähnlich gutes Geschäft: Hessen verpflichtete sich, der Krone Englands 12.000 Soldaten auf vier Jahre zur Verfügung zu stellen. Allein für deren Bereitstellung bekam der Landgraf jährlich 150.000 Taler, im Bedarfs-,  sprich Kriegsfall würden jährlich 450.000 Taler zu zahlen sein. Da dieser Bedarfsfall dann doch nicht eintrat, verblieben dem geschäftstüchtigen Landgrafen 600.000 Taler allein für die gute Absicht.

In allen Staaten Europas gehörten die Soldaten zu den verachteten Menschen. Überwiegend rekrutierte man sie aus der Bauernschaft; es meldeten sich aber auch Arbeitslose und zuweilen sogar gescheiterte Studenten freiwillig. Einen beträchtlichen Teil beschafften Werbeoffiziere, die ihre arglosen Opfer in Wirtshäusern betrunken machten und dann eine Verpflichtung unterschreiben ließen. Für jeden Angeworbenen erhielten die Werber eine Erfolgsprovision. Die Soldaten wurden miserabel ernährt und schlecht gekleidet (die preußische Infanterie besaß noch 1806 keine Mäntel), da für beides die Regimentschefs aufzukommen hatten und an beiden zu sparen suchten. Sie schliefen zu zweit in einem Bett, oft aneinandergebunden, um die Flucht zu verhindern. Deserteure wurden nur selten hingerichtet, man bevorzugte als eine weit wirksamere Abschreckung das Auspeitschen. Dies geschah durch das Spießrutenlaufen. Dabei stellten sich bis zu 600 Soldaten links und rechts mit Stöcken auf, der Delinquent mußte langsam durch diese Gasse gehen (ein vor ihm schreitender Unteroffizier richtete dabei sein scharfgeschliffenes Sponton auf die Brust, damit der Verurteilte nicht schneller ging) und wurde blutig geprügelt. Diese Prozedur konnte bis zu achtmal hintereinander wiederholt werden und wurde manchmal sogar noch einmal am folgenden Tag exekutiert. Dabei wurde der mögliche Tod des Gemarterten von vornherein einkalkuliert. Tatsächlich haben diese und andere barbarische Strafen die Desertionsquote gesenkt; in Frankreich, wo man etwas humaner verfuhr, lag denn auch die Anzahl der Desertationen wesentlich höher; zwischen 1747 und 1752 standen hier 30.000 Deserteure vor einem Kriegsgericht …

Die medizinische Betreuung der Soldaten verdiente diese Bezeichnung nicht; der größte Teil der Schwerverwundeten überlebte nach einer Schlacht ohnehin nicht. Die Sterblichkeit in den Lazaretten war überdurchschnittlich hoch. Es fehlte an Personal zur Versorgung, vor allem mangelte es empfindlich an Verpflegung. Wer sich - wie in den Gefängnissen - nicht selbst ernähren konnte, weil er über Bargeld verfügte, hatte nur geringe Überlebenschancen, da das Pflegepersonal an der Ernährung der Verwundete verdiente und sich dabei rücksichtslos bereicherte. Wegen der katastrophalen hygienischen Verhältnisse in den Lazaretten brachen ständig Epidemien aus, die dann auch auf die Zivilbevölkerung übergriffen.

Invalidenhäuser existierten nur in geringer Zahlen, und Kriegskrüppel waren auf Betteln angewiesen, wollten sie überleben. Eine staatliche Versorgung dieser Soldaten existierte nicht, genausowenig kannte man die Sorge um die Soldatenwitwen. Manchmal schuf der Staat Freistellen in Kadettenhäusern für die Söhne gefallener Soldaten. Aber nicht nur die Invaliden, auch gesunde Soldaten waren in Friedenszeiten darauf angewiesen, sich durch Gelegenheitsarbeiten und Betteln am Leben zu halten, denn der ausbezahlte Sold war nicht zur Ernährung gedacht: „Mein Sold ging meist für Wäsche, Puder, Schuhwar‘, Kreide, Schmirgel, Öl und anderes Plunderzeug auf“, berichtet der Schweizer Ulrich Bräker, ein Opfer preußischer Werber und ein Chronist der damals praktizierten Militärwillkür. Eine perfide Besonderheit kannte England, wo sogenannte press gangs nachts auf der Straße ihre Opfer überfielen und zum Dienst in der Kriegsmarine zwangen, ob sie wollten oder nicht, auch Handwerker und Männer aus bürgerlichen Berufen entgingen solchem Schicksal nicht.“

 

Revolution

 

„Nur ein einziges Mal in seiner umfangreichen Histoire de ma vie kommt Casanova der Gedanke, das französische Volk könne vielleicht doch einen Grund zur Revolution gehabt haben. Im Zusammenhang mit der geheimen Mission, mit der man ihn in die Niederlande geschickt hatte, bemerkt er:

„Dieser Auftrag kostete das Marineministerium 12.000 Francs. Der Minister hätte alles, was ich ihm in meinem Bericht mitteilte, leicht erfahren können, ohne einen Sou auszugeben. Jeder junge Offizier hätte ihm dazu dienen können und hätte sich mit ein wenig Verstand bei diesem Auftrag Verdienste erworben. Aber so verhielten sich unter der monarchischen Regierung alle französischen Ministerien. Sie verschwendeten das Geld, das sie nichts kostete, an ihre Kreaturen und an jene, die Liebkind waren. Sie herrschten despotisch, das Volk wurde mit Füßen getreten, der Staat war verschuldet, die Finanzen so zerrüttet, daß der unausbleibliche Bankrott ihn zum Sturz gebracht hätte; eine Revolution mußte kommen. Das sind die Worte der Volksvertreter, die heute in Frankreich regieren und sich als die getreuen Diener des Volkes ausgeben, von dem alle Gewalt in der Republik ausgeht. Armes Volk! Einfältiges Volk, das an Hunger und Elend stirbt oder sich überall in Europa hinschlachten läßt, um jene zu bereichern, die es betrogen haben“.“

 

Zum Schluss

 

Am Ende seines Lebens ist Giacomo Casanova ein trauriger Mensch. Er ist weit weg vom Glanz früherer Tage, außer in Brief-Korrespondenzen interessiert sich kaum jemand für ihn, die Erotik und seine Zähne sind dahin, die „Spitzbuben“ des Schlosses ärgern ihn.

Ein Mensch hat keine zwei Gedanken gleichzeitig. Und so beschäftigt er sich mit seinem früheren Leben. Diese Gedanken bereiten ihm Freude und vertreiben die Traurigkeit.

Den Namen „Casanova“ kennt heute jeder – aber ausschließlich durch die niedergeschriebenen Erinnerungen am Ende seines Lebens. Ohne diese Erinnerungen wüsste heute niemand mehr von ihm.

https://www.projekt-gutenberg.org/autoren/namen/casanova.html

 

Was mensch auch immer von ihm halten mag: Er hat sein Leben optimal genutzt. Ein ruhiges Leben in einem Ort, mit einem Beruf, mit einem festen Partner wäre für diesen unsteten Geist viel zu langweilig gewesen.

Sein unendliches Interesse an der Welt, am Leben, an den Frauen hat er gestillt wie nur Wenige vor oder nach ihm und so ziemlich alle, die mit ihm zu tun hatten, hatten mit ihm ihre Freude.

 

 

Ich bin Philanthrop, Demokrat und Atheist. Rupert Regenwurm

 

 

Das Böse verlachen

- Satire, Realsatire, ernst Gemeintes -

 

Wochenkommentar von Ferdinand Wegscheider | 29.03.

Es lebe der unabhängige ORF! - Im neuen Wochenkommentar geht es heute um die Vorteile, in der EU zu sein, um die neue Meinungsfreiheit und wie in Österreich Schmuddel-TV bekämpft wird.

https://www.servustv.com/aktuelles/v/aash8p6b6hwb1sxrg5f6/

 

Strack-Zimmermann und die Zahlen

https://www.youtube.com/watch?v=NPuD4nHBeXg

 

Noch lange nicht vorbei

https://www.youtube.com/watch?v=kNMSHYTPCKw

 

Hasstalavista - Serdar reagiert auf Klodia Brot

https://www.youtube.com/watch?v=l-YaAVMlqjA

 

Hasstalavista - Serdar reagiert auf Julia Glockner (Damaged)

https://www.youtube.com/watch?v=G90Yn5tyqxk

 

Simone Solga: Sie lügen halt so gerne | Folge 158

https://www.youtube.com/watch?v=ETuEYD4kEWc

 

Am Ende des Tages / Steimles Aktuelle Kamera / Ausgabe 183

https://www.youtube.com/watch?v=KIpjlUOxpWg

 

HallMack  Aktuelle Kamera 122 - Großer Sprung nach vorn

https://www.frei3.de/post/69cce611-18ce-4ca4-b2ab-4643b7a57b18

 

HallMack  HallMack - Whatever It Takes

https://www.frei3.de/post/95dece88-b699-4b59-bf02-cb0fa7a509df

 

HallMack  Aktuelle Kamera 123 - Freiheitsdienst

https://www.frei3.de/post/8279ebbd-a8aa-46b8-8a9e-6302a1828d4b