Verzwergung auf sämtlichen Ebenen der Gesellschaft

Nachdem sie nun nicht gerade die Ideal-Besetzung war, ist Andrea Nahles vom Amt der SPD-Vorsitzenden und allen politischen Ämtern zurückgetreten.

Gut und schön – aber es gibt keine überzeugenden Führungs-Figuren als Nachfolger.

Ähnlich sieht es mit dem Spitzen-Personal in den anderen Parteien aus. Wer soll etwa Angela Merkel als Bundeskanzler beerben?

Vor 20 Jahren sah die Lage noch ganz anders aus. Zumindest die heute Älteren hätten damals mehr Ministerpräsidenten der einzelnen Bundesländer nennen können als heute.

Die Verzwergung der Führungskräfte auf sämtlichen Ebenen der Gesellschaft hat ihre Basis schon an der Basis. Gab es früher in jedem Dorf zahlreiche und in jeder Schulklasse mehrere „Originale“, gibt es heute kaum noch welche. Etwa seit dem Jahrgang 1965. Und das hat seine Gründe.

Der Wurm erinnert gerne an die um 1970 entstandene Serie „Königlich Bayerisches Amtsgericht“ https://www.google.com/search?q=k%C3%B6niglich+bayerisches+amtsgericht&source=lnms&tbm=vid&sa=X&ved=0ahUKEwjb3a7JzunjAhVEbFAKHRRgB6MQ_AUIESgB&biw=1455&bih=717 mit einer Vielzahl bayerischer Originale. Wie viele denkbare Schauspieler würden mensch einfallen, wenn die Serie heute gedreht würde? Auch nur ein einziger?

 

Andrea Nahles

 

Zuerst zu Andrea Nahles. Dass es mit dem Führungs-Personal der SPD nicht weit her war, war spätestens dann zu sehen, als Sigmar Gabriel ihr Vorsitzender wurde. In Martin Schulz konnte mensch anfangs vielleicht noch Hoffnung haben – in Andrea Nahles jedoch nicht. Allerdings wäre dem Wurm auch nichts Überzeugendes für die SPD eingefallen.

Jens Berger im Februar 2018: „Nach dem Wunsch der Parteiführung soll Andrea Nahles auf dem Sonderparteitag am 22. April in Wiesbaden zur nächsten SPD-Vorsitzenden gewählt werden. Dass ausgerechnet ein Apparatschik wie Nahles der Partei die wahrscheinlich ohnehin nicht mehr möglichen Impulse zu einem Neuanfang geben kann, darf jedoch getrost bezweifelt werden. Erst recht, wenn man sich die desolate Bilanz ihrer Arbeit im Arbeits- und Sozialministerium vor Augen hält. Liebe Genossen, meint Ihr tatsächlich, dass dieses Gesicht für eine glaubwürdige Neuorientierung steht?“

https://www.nachdenkseiten.de/?p=42504

Albrecht Müller im April 2018: „Es gibt viele gute Gründe dafür, Andrea Nahles den Zugriff zu beiden Spitzenpositionen der SPD zu verwehren. Der wichtigste: Sie wird total überfordert sein und wird nur einen Teil der möglichen SPD-Wählerschaft ansprechen und anziehen können. Damit läuft die SPD Gefahr, als Volkspartei aus der deutschen Geschichte auszuscheiden und demnächst vielleicht sogar von der AfD überholt zu werden.“

https://www.nachdenkseiten.de/?p=43616

Peter Mühlbauer am 31.05.2019: „Am Sonntagnachmittag machten Gerüchte die Runde, dass ein sehr schlechtes Abschneiden der deutschen SPD bei den Europawahlen in Verbindung mit einem Verlust der Position als stärkste Partei in Bremen zu einem Rücktritt von Andrea Nahles als SPD-Bundestagsfraktionsvorsitzende führen könnte. Tatsächlich meinte Nahles dann aber am Montag im ZDF (mit einer bemerkenswert schrägen Metapher), sie wolle "jetzt nicht die Klamotten hinwerfen", sondern sowohl den Fraktions- als auch den Parteivorsitz behalten. Personaldebatten seien nämlich "nicht sinnvoll", weil die SPD bei ihren zahlreichen Personalwechseln in der jüngeren Vergangenheit "nicht wirklich gewonnen" habe …

Stattdessen zog sie die eigentlich erst im September fällige Wahl des Fraktionsvorsitzenden auf nächste Woche vor ...“

https://www.heise.de/tp/features/Bekommt-Nahles-noch-einen-Herausforderer-4436097.html

Das war reine Taktiererei, um zu verhindern, dass sich die innerparteiliche Opposition auf einen Gegen-Kandidaten einigen könne.

Nun, es wurde ihr auch ohne Gegen-Kandidaten deutlich genug gesagt, dass sie für die beiden Ämter nicht geeignet sei.

Die Wortwahl mag teilweise etwas scharf geraten sein, aber das Mitleid des Wurms hält sich in Grenzen. Schließlich ist Andrea Nahles erfahren in innerparteilichen Machtspielen, wie der Rücktritt von Franz Müntefering aus dem Jahr 2005 zeigt: „Am 31. Oktober 2005 setzte sich Nahles im Parteivorstand in einer Kampfabstimmung um die Nominierung zur Generalsekretärin mit 23 zu 14 Stimmen gegen Kajo Wasserhövel durch, der vom damaligen Parteivorsitzenden Franz Müntefering vorgeschlagen worden war. Deswegen kandidierte Müntefering nicht mehr für den Parteivorsitz. Nahles wurde von Teilen der SPD heftig kritisiert; sie verzichtete schließlich auf die Kandidatur zur Generalsekretärin und lehnte auch das Amt der stellvertretenden Parteivorsitzenden ab, für das Matthias Platzeck sie vorgeschlagen hatte.“

https://de.wikipedia.org/wiki/Andrea_Nahles

 

Gesellschaftlicher Wandel

 

Der Wandel lässt sich erkennen bei den ab Mitte der 1960er Jahre Geborenen. Das ist nicht auf Deutschland allein bezogen, auch nicht auf die westlichen Länder, sondern auf alle industrialisierten (also auch die sozialistischen) Länder.

 

Vorbilder nicht mehr aus der Realität, sondern aus dem Fernsehen

 

Vor der großen Zeit des Fernsehens kamen die Vorbilder aus der näheren Umgebung. Bei Familien-Feiern waren die geistig Unabhängigsten die Beliebtesten: der Onkel, der die besten Witze erzählen konnte, die Tante, die ein loses Mundwerk hatte, derjenige, der eine besondere Fähigkeit hatte, etwa ein Musik-Instrument spielen.

Mit dem Aufkommen des Fernsehens kommen die Vorbilder von dort und immer weniger aus der Realität.

 

Weniger Reibungspunkte

 

Wer 1965 und danach geboren wurde, dessen Eltern wurden selbst in den 1940er Jahren geboren, was ein sehr großer Unterschied darstellt im Vergleich zu in den 1920er Jahren geborenen Eltern: bei denen waren Kinder zu einem großen Teil nichts anderes als „Puppen“, die zu gehorchen haben; über die eigene Vergangenheit wurde kaum geredet, erst recht nicht über solche Dinge wie „Schuld“. Kommunikation wurde oft verweigert.

Die jüngeren Eltern dagegen hatten oft Verständnis für ihre Kinder. Wenn etwas nicht klappte, fragten sie sie „warum“? Zumindest konnte kind mit diesen Eltern über wesentlich mehr und wesentlich besser reden als die mit deren Eltern.

Anders ausgedrückt: es gab kaum „Reibungspunkte“ und damit kein Zwang, sich von den Eltern abzuwenden und seinen eigenen Weg gehen zu müssen.

 

Konsum

 

Konsum wurde immer selbstverständlicher. Jene Eltern, die selbst Mangel erlitten hatten (also so ziemlich alle) wollten, dass es ihren Kindern besser ginge und oft bekamen diese alles oder zumindest vieles, was sie sich wünschten. Was manchmal etwas zu viel des Guten war.

Was früher selbst erreicht oder erarbeitet wurde, wurde einem nun geschenkt oder war halt da.

Und wenn mensch etwas hat, will er immer mehr davon: mehr Ich, mehr Geld, mehr Konsum, mehr Position.

Es wird also immer weniger für die Gesellschaft gemacht, immer weniger wird bei der Berufswahl seinen eigenen Neigungen nachgegangen: wichtig werden das zu erzielende Gehalt und die entsprechende Position.

Und damit eine gewisse „Normalität“ im Verhalten.

 

Auswirkungen auf Politik und Wirtschaft

 

Wer 1965 geboren wurde, ist 1983 erwachsen.

Grob gesagt, geht seit dieser Zeit das gesellschaftliche Engagement zurück. In Parteien, Gewerkschaften, Kirchen, Vereinen.

Wer dort jetzt den Ton angibt, sind meistens seelenlose Apparatschiks oder Selbstdarsteller, denen es nicht um die eigene Meinung geht, sondern um selbst glänzend dastehen zu können. Siehe http://www.ansichten-eines-regenwurms.de/286-extrem.html

In der Öffentlichkeit haben so gut wie alle Medien-Berater, die dafür sorgen, dass alles glatt geschliffen rüber kommt. Selbst bei Fußballern gibt es kaum noch authentische Aussagen.

Das kritisieren viele – aber wehe, wenn einer tatsächlich aus dem ihm vorgegebenen Schema ausbricht. Aus einem früheren Beitrag des Wurms:

Lustig sind die Meinungen der Menschen über Politiker. Dauernd schimpfen sie darüber, dass es keine „Typen“ mehr gibt. Niemand sage das, was er denkt, alle redeten belangloses Zeug daher. Wenn es doch bloß mal so einen gäbe, der anders ist.

Nun, so einen gab es. Mensch mag von Peer Steinbrück, seiner Politik oder seiner Partei halten, was er mag – auf jeden Fall hatte der ein etwas loseres Mundwerk und redete oft Klartext. Wie war die Reaktion darauf? „Das darf er doch nicht sagen“, „der muss doch viel diplomatischer sein“. Sie sagen zwar, dass die Politiker Klartext reden sollen – aber wehe, wenn das einer tatsächlich tut.

Was ist das Resultat? In der Politik wie im richtigen Leben - mensch verstellt sich und sagt das, was die Leute gerne hören wollen. Besonders beliebt, auch wg. dieser Eigenschaft, ist die Bundeskanzlerin Angela Merkel. Sie hat ihre Lektion gelernt. Im Bundestagswahlkampf 2005 hat sie noch Klartext geredet und ist dafür gnadenlos abgestraft worden. Ihre große Beliebtheit kommt daher, dass sie eben keinen Klartext mehr redet. Bloß nicht anecken.“

http://www.ansichten-eines-regenwurms.de/36-steinbrueck-und-der-typus-typ.html

Mensch konnte sich früher oft zu Recht über die Führungskräfte und deren Entscheidungen in Wirtschaft und Politik aufregen. Konnte sich aber sicher sein, dass diese noch einen Bezug zur Basis und zur Realität hatten.

Heutzutage werden Entscheidungen über die Köpfe der Betroffenen gefällt von mehr oder weniger austauschbaren Führungskräften, die ihren Wohnsitz im Elfenbeinturm haben. Siehe auch http://www.ansichten-eines-regenwurms.de/39-leben-im-elfenbeinturm.html

 

 

Ich bin Philanthrop, Demokrat und Atheist. Rupert Regenwurm