Der Gefangene von Landsberg

Am 29. Februar wird Uli Hoeneß vorzeitig und auf Bewährung aus der Haft entlassen. Bei einem geschätzten Vermögen von 300 Millionen Euro stellt sich die Frage, warum er überhaupt so viel Geld hatte und ob sein Reichtum für seine Branche unüblich ist. Kurzum: nein.

 

Der Fall Hoeneß

 

„Am 30. Juli 2013 erhob die Staatsanwaltschaft München II Anklage gegen Hoeneß. Das Landgericht München II ließ die Anklage am 4. November 2013 zu …

Die öffentliche Hauptverhandlung begann am 10. März 2014 vor der 5. Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts München II; es wurden vier Verhandlungstage im Münchner Justizpalast angesetzt.

Die Anklageschrift warf Hoeneß die Hinterziehung von 3,5 Millionen Euro Steuern aus Kapitalerträgen vor. Weitere Steuerschulden aus Währungswetten bezifferte die Verteidigung am ersten Prozesstag auf mindestens 15 Millionen Euro. Die zuständige Steuerfahnderin bezifferte die Steuerschuld am zweiten Prozesstag anhand von Bankunterlagen auf 27,2 Millionen Euro, mit Solidaritätszuschlag ergab sich daraus eine Steuerschuld von 28,5 Millionen Euro. Die Steuerschuld wurde am dritten Prozesstag von Hoeneß' Verteidiger Hanns Feigen anerkannt, verbunden mit dem Hinweis, dass sämtliche Zahlen bereits in der Selbstanzeige aus dem Januar 2013 enthalten gewesen seien. Dem widersprach der Sprecher der Staatsanwaltschaft.

In den Schlussplädoyers am 13. März 2014 stufte zunächst die Staatsanwaltschaft Hoeneß' Selbstanzeige als unwirksam ein und forderte eine Haftstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten. Hoeneß' Verteidiger argumentierte am letzten Verhandlungstag hingegen, dass „eine wirksame Selbstanzeige nur knapp verfehlt“ worden sei und plädierte dafür, dass maximal eine Bewährungsstrafe verhängt werden solle.

Mit dem am vierten Prozesstag verkündeten Urteil sprach die Strafkammer des Münchner Landgerichts Hoeneß der Steuerhinterziehung in sieben Fällen (für die Jahre 2003 bis 2009) in Höhe von 28,5 Millionen Euro für schuldig und verurteilte ihn zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten. Sie stufte seine Selbstanzeige als ungültig ein. Am 30. Oktober 2014 veröffentlichte das Landgericht München II die anonymisierte und unter dem Vorbehalt des Steuergeheimnisses gekürzte Urteilsbegründung. Das 50-seitige Dokument listet die in den Jahren 2003 bis 2009 steuer- und strafrechtlich relevanten Gewinne aus Devisentermingeschäften sowie die jährlichen Beträge der Steuerverkürzung auf und gibt einen Überblick über den zeitlichen Ablauf der Steueraffäre, soweit dieser gerichtlich feststellbar war.

Hoeneß erklärte am 14. März 2014, keine Revision einlegen zu wollen. In einer persönlichen Erklärung sprach er vom „Fehler meines Lebens“, dessen Folgen er sich nun stelle, da das seinem „Verständnis von Anstand, Haltung und persönlicher Verantwortung“ entspreche …

Am 2. Juni 2014 trat Uli Hoeneß seine Haft in der Justizvollzugsanstalt Landsberg an, laut einem Presseartikel zu Beginn in der Krankenabteilung der JVA. Dies beinhalte u. a. weniger strenge Haftbedingungen hinsichtlich Verpflegung und Unterbringung. Wegen einer Herzoperation verbrachte Hoeneß einige Tage in einer Klinik. Danach wurde er in den normalen Vollzug eingegliedert, dieser beinhaltet u.a. Arbeit in der Kleiderkammer der Vollzugsanstalt. Er beglich seine restliche Steuerschuld in Höhe von 30 Millionen Euro. Am 20. September 2014 wurde Hoeneß erstmals ein Tag Hafturlaub gewährt. Nachdem er Weihnachten und Silvester 2014 zu Hause verbringen durfte, war Hoeneß ab dem 2. Januar 2015 im offenen Vollzug. Er arbeitet als „Assistent der Abteilungsleitung Junior Team“ im Nachwuchsbereich des FC Bayern München (Stand: Januar 2015). Laut einem Pressebericht von Mitte Juni 2015 soll Hoeneß als Hafterleichterung an fast allen Wochenenden bei seiner Familie übernachten dürfen. Am 18. Januar 2016 gab das Landgericht Augsburg bekannt, dass seine Haft zum 29. Februar endet, wonach er vorzeitig entlassen wurde und der Rest der Haftzeit zu einer dreijährigen Bewährungszeit ausgesetzt wird. Die zuständige Staatsanwaltschaft in München verzichtete auf einen Widerspruch gegen diese Entscheidung. Hoeneß kam damit nach Verbüßung der halben Haftzeit frei.“

https://de.wikipedia.org/wiki/Uli_Hoene%C3%9F

 

Das Vermögen zweier Fleisch- und Wurstkönige

 

Der ehemalige Fußballprofi und Funktionär vom populären Fußballklub FC Bayern München besitzt ein geschätztes Vermögen in Höhe von 300 Millionen Euro.“

http://www.vermoegenmagazin.de/uli-hoeness-vermoegen/

Und diese geschätzten 300 Millionen Euro hat er zum geringsten Teil aus seinen Tätigkeiten als Fußballer in den 1970ern und als Fußball-Manager:

„So gründete Uli Hoeneß das Unternehmen HoWe mit einem Partner. Die Firma produziert Wurstwaren und wird heute von den beiden Kindern von Hoeneß geführt. Ob Uli Hoeneß heute noch einen Verdienst aus der HoWe Wurstwaren KG erwirtschaftet, ist nicht bekannt. Allerdings ist dies anzunehmen, denn Uli Hoeneß warb öffentlich mit dem Fast-Food-Unternehmen McDonals für den Nürnburger, für den die Wurst von der HoWe KG geliefert wurde. Er selber machte damit auf jeden Fall Millionen. Auch der Vorstandsvorsitzende des FC Schalke 04, Clemens Tönnie, ist ein Geschäftskunde abseits des Fußballplatzes. Der Schweinefabrikant beliefert die Wurstfabrik von HoWe und ist zudem gut mit der Hoeneß-Familie befreundet.“

http://www.vermoegenmagazin.de/uli-hoeness-vermoegen/

Und wer ist dieser Clemens Tönnies?

„Clemens Tönnies ist einer von Deutschlands bekanntesten Sportfunktionären und sehr eng mit dem Erstliga-Fußballverein Schalke 04 verbunden. Darüber hinaus ist Clemens Tönnies aber auch und vor allem ein erfolgreicher Unternehmer und einer der wohlhabendsten Deutschen. Das geschätzte Vermögen von Clemens Tönnies beträgt laut Forbes Magazin um die 2 Milliarden Euro

Im Jahr 1971 gründete Clemens Bruder Bernd eine Firma im Bereich Fleisch- und Wurstwarengroßhandel, die auch seinen Namen trug. Gemeinsam bauten die beiden Brüder diese Firma dann schließlich zu B. & C. Tönnies Fleischwerk GmbH und Co. KG aus und avancierten über die Jahre zu einem der größten und erfolgreichsten Fleischproduzenten in ganz Europa.“

http://www.vermoegenmagazin.de/clemens-toennies-vermoegen/

In der Fleisch- und Wurstbranche lässt sich anscheinend gut Geld verdienen. Die Frage ist, wie das zustande kommt.

 

Ein Schweineleben in Deutschland

 

Über ein Schweineleben in Deutschland gibt es viele Dokumentationen. Hier sind ein paar davon:

Schweine für den Müllcontainer – warum es zu viel Fleisch gibt

Aus der Sendung: „In der Schweiz haben Schweine 20 Prozent mehr Platz als in deutschen Ställen, Fress- Liege und Kotbereich zu trennen ist dort Standard. Auch werden die Schwänze nicht kupiert …

In der Schweiz kostet Schweinefleisch das Doppelte - die Kunden zahlen es“.

http://www.3sat.de/page/?source=/ard/sendung/174367/index.html

http://www.youtube.com/watch?v=J9XgEJWo5-w

45 Minuten: Armes Schwein

https://www.youtube.com/watch?v=z0ZzXYF0fo8

Wissen aktuell - Unser täglich Fleisch

http://www.3sat.de/mediathek/?mode=play&obj=51510

Quarks & Co – Ein Schweineleben

http://www1.wdr.de/fernsehen/quarks/sendungen/uebersichtschweine100.html

https://www.youtube.com/watch?v=TZoPdgmy5tk

Als Wurm mag wurm ja befangen sein, dennoch: andere Tiere zu töten, um sie zu essen, mag ja noch nachvollziehbar sein (auch wenn es nicht notwendig ist) – aber dass diese auch noch unendlichen Qualen bis zu ihrem Ableben ausgesetzt sind: das ist zutiefst kriminell.

 

Das Schweine-System

 

Aus einem „Spiegel“-Artikel aus dem Jahr 2013:

„58 Millionen Schweine werden jährlich in Deutschland verarbeitet. Die Fleischindustrie arbeitet derart effizient, dass sie die ganze Welt beliefern kann. Den Preis dafür zahlen viele - am Ende auch die Verbraucher …

Zwar fühlen sich die Vertreter der Fleischwirtschaft, die Bauern, Mäster und Schlachter oft missverstanden und zu Unrecht an den Pranger gestellt. Ihre Kritiker indes haben gute Argumente gegen den globalen Schlacht-Plan der Industrie, denn dieses System steht auch für eine massive Schädigung von Mensch, Tier und Umwelt.

Die Gülle aus der Schweinemast beispielsweise ist ein Problem fürs Grundwasser. Dazu kommen die vielen Fälle von Tierquälerei, der massive Import von Futtermitteln, für den Regenwälder in Südamerika abgeholzt werden.

Und das ist noch nicht alles: Um die Ställe krankheitsfrei zu halten, werden Antibiotika oft prophylaktisch eingesetzt. So bilden sich resistente Keime, gegen die irgendwann auch der Mensch keine Chance mehr hat.

Dazu kommen auf Effizienz getrimmte Schlachtfabriken wie zum Beispiel die des nordrhein-westfälischen Unternehmers Clemens Tönnies, die immer häufiger wegen Lohn-Dumpings und der massenhaften Tötung in der Kritik stehen. Es ist eine gewaltige Maschine, die da surrt - und sie reicht von den Sperma-Ampullen eines Zuchtebers wie Meinolf bis zur Gelatine-Produktion irgendwo in China oder Brasilien …

In der Agrarwirtschaft geht es um Produktionssteigerung und -verlagerung, um Ferkel pro Arbeitsstunde, um Wachsen oder Weichen, um Masse statt Klasse. Unbemerkt von der Öffentlichkeit hat sich die landwirtschaftliche Nutztierhaltung grundlegend verändert. Die Tier- und Fleischproduktion ist zu einem der produktivsten Bereiche der Landwirtschaft geworden.

In den Industrieländern trägt sie mehr als die Hälfte zur gesamten Agrarproduktion bei. Ställe, in denen 2000 Schweine stehen oder 40 000 Hühner gehalten werden, sind keine Seltenheit mehr.

Die Protagonisten dieser Industrie haben es lange für überflüssig gehalten, diese Entwicklung zu diskutieren. Doch der Widerstand wächst gegen das, was die einen Nutztierställe, die anderen Agrarfabriken nennen. Immer lauter wird die immer gleiche Frage gestellt: Ist diese Form der Fleischproduktion die richtige? Kann man Tiere wie Massenware produzieren? Muss man es? Vor allem: Darf man es? Was läuft da schief in dieser so ausgefeilten Verwertungskette, die auf Perfektion aus ist und doch an vielen Stellen neue Probleme schafft?

Gülle

In dem unspektakulären Landstrich zwischen Bremen und Osnabrück leben allein in den Landkreisen Vechta und Cloppenburg mehr als zwei Millionen Mastschweine.

"Güllegürtel" wird die Gegend genannt, weil es in manchen Dörfern mehr Schweineställe als Wohnhäuser gibt. Schweine aber produzieren in ihrem kurzen Leben rund 1,5 Kubikmeter Urin und Kot, und das ist nicht nur ästhetisches, sondern auch ein logistisches Problem: Nach einer Erhebung der Landwirtschaftskammer Niedersachsen entsteht in der Region Südoldenburg viel zu viel Gülle. Zwar taugt sie durchaus als Dünger, aber in dieser Region sickert sie direkt ins Grundwasser.

Wie dramatisch die Gülleflut mittlerweile ist, zeigt die Erhebung der Landwirtschaftskammer Niedersachsen, die der zuständige Minister Christian Meyer diese Woche vorstellen will. Demnach fallen allein in den beiden Landkreisen Cloppenburg und Vechta jährlich 7,4 Millionen Tonnen der Brühe an. Auf die Äcker aber darf nicht mal die Hälfte ausgebracht werden. Der Rest müsste in weniger belastete Regionen geschafft werden.

Dazu brauchte man wiederum rund 120 000 Tankwagenfuhren. Tatsächlich gibt es in der Landesregierung Zweifel, ob sich die Landwirte so genau an die Düngevorschriften halten oder heimlich doch mehr auf den Feldern versickern lassen, als der Umwelt gut tut.

Antibiotika

Anders als bei der Herstellung von Fertigpizzen, Joghurt oder Aufbackbrötchen ist das Produkt der Fleischindustrie ein lebendes Tier. Und dass die moderne Form der Haltung nicht nur das Schwein, sondern auch den Verbraucher bedroht, lässt sich besonders an einem Indikator ablesen: dem Einsatz von Antibiotika.

Nach der letzten Auswertung des Bundesamtes für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit spritzen und verfüttern deutsche Tierärzte 1734 Tonnen Antibiotika, geschätzt mehr als doppelt so viel, wie den Bundesbürgern im gleichen Zeitraum verschrieben und verabreicht wurde. Manche Schweine bekommen die Präparate 60 Tage hintereinander ins Futter. Viele Ferkel erhalten bereits direkt nach der Geburt ein Langzeit-Antibiotikum.

Die Bauern haben schlicht Angst, dass ihre Tiere krank werden könnten. Jährlich bis zu 520 Tonnen Antibiotika seien dem "Sicherheitsbedürfnis der Landwirte geschuldet", schätzt Thomas Blaha, Professor an der Tierhochschule Hannover. Er leitet die Außenstelle für Epidemiologie in Bakum, einem kleinen Ort mitten im Güllegürtel, und gilt als Experte auf dem Gebiet der Tiergesundheit.

Viele Tierärzte verteilen die Arzneimittel routinemäßig und vorbeugend - obwohl das streng verboten ist. Die Veterinäre spielen mit, weil sie am Einsatz der Antibiotika ebenfalls verdienen. Dabei sind sich alle Experten einig, dass der Einsatz dieser gigantischen Menge an Antibiotika hochgefährlich ist. Je höher sie dosiert werden, desto größer ist die Gefahr von Resistenzen. Auf diese Weise droht die schärfste Waffe im Kampf gegen viele Infektionskrankheiten stumpf zu werden.

Der Antibiotika-Irrsinn hat bereits Folgen für den Menschen. Denn die Tierärzte verschreiben auch Mittel, die in der Humanmedizin eine wichtige Rolle spielen. In der Folge verbreiten sich multiresistente Keime wie MRSA und ESBL-bildende Erreger, die Antibiotika unwirksam machen können. Bereits jetzt gibt es immer weniger Gegenmittel, weshalb man in den Krankenhäusern Alarm schlägt.

Fünf bis zehn Prozent aller Krankenhausinfektionen gehen von solchen Erregern aus, schätzt Petra Gastmeier, Hygiene-Chefin der Berliner Charité. Bei Untersuchungen in Kliniken konnten 20 Prozent der Erreger der Landwirtschaft zugeordnet werden.“

http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-117180355.html

 

Preisabsprachen

 

„Wegen verbotener Preisabsprachen hat das Bundeskartellamt Bußgelder in einer Gesamthöhe von rund 338 Millionen Euro gegen 21 Wursthersteller und zahlreiche Führungskräfte der Branche verhängt. Betroffen sind auch bekannte Marken wie Böklunder, Herta, Meica, Rügenwalder und Wiesenhof, wie die Wettbewerbsbehörde mitteilte. Es ist eine der höchsten Kartellstrafen in der Geschichte des Kartellamts.

Die Hersteller hätten sich jahrelang über Preisspannen für Produktgruppen wie Brühwurst oder Schinken abgestimmt und dadurch höhere Preisforderungen gegenüber dem Einzelhandel durchgesetzt, erklärte die Wettbewerbsbehörde.

Die Höhe der Bußgelder spiegele die große Zahl der beteiligten Unternehmen, die Kartelldauer und die Milliardenumsätze der Branche wider. "Zahlreiche Aussagen und Unterlagen belegen, dass ein tradiertes Grundverständnis existierte, sich regelmäßig über Forderungen von Preiserhöhungen zu verständigen", schreibt das Kartellamt in einer Presseerklärung. "So trafen sich namhafte Wursthersteller schon seit Jahrzehnten regelmäßig im sogenannten Atlantic-Kreis, benannt nach seinem ersten Treffpunkt, dem Hamburger Hotel Atlantic, um über Marktentwicklungen und Preise zu diskutieren."

Neben diesem Atlantic-Kreis hätten sich die Hersteller seit 2003 auch telefonisch abgesprochen.Im Laufe des Verfahrens hätten insgesamt elf Unternehmen mit der Behörde kooperiert und schließlich Geständnisse abgelegt, berichtete das Kartellamt. Auf die Spur des Kartells waren die Wettbewerbshüter durch einen anonymen Hinweis gekommen.

Deutschlands größter Wursthersteller, die Zur-Mühlen-Gruppe, bestritt die Vorwürfe und kündigte an, sich gegen ein Bußgeld wehren und Rechtsmittel einlegen zu wollen. Zur Firmengruppe gehören unter anderem die Marken Böcklunder und Könecke. Auch die zur H. E. Reinert Unternehmensgruppe gehörenden Firmen H. E. Reinert Westfälische Privat-Fleischerei GmbH und Sickendiek Fleischwarenfabrik GmbH Co. KG legten Rechtsmittel ein.

Die hohen Strafen zeigen, wie ernst es dem Bundeskartellamt im Kampf gegen verbotene Preisabsprachen ist. Damit stieg die Summe der von der Wettbewerbsbehörde allein in diesem Jahr verhängten Bußgelder auf fast eine Milliarde Euro. Das ist ein neuer Rekord. Bislang galt das Jahr 2003 mit einer Strafe von rund 660 Millionen Euro gegen Firmen aus der Zementindustrie als Rekordjahr. Davon wurden aber nur gut 400 Millionen rechtskräftig.

Auch andere Branchen bekamen in diesem Jahr bereits den Zorn der Wettbewerbshüter zu spüren. In der ersten Jahreshälfte verhängte das Bundeskartellamt auch gegen elf Brauereien Geldbußen von fast 340 Millionen Euro. Die Branche soll nach den Ermittlungen der Wettbewerbshüter Preiserhöhungen für Fass- und Flaschenbier abgesprochen haben. Auch hier traf es bekannte Namen wie Bitburger, Krombacher, Veltins, Warsteiner oder die Radeberger-Gruppe.

An den nun geahndeten Preisabsprachen waren folgende Unternehmen beteiligt (in Klammern die hinter den Unternehmen stehenden Konzerne):

Bell Deutschland Holding GmbH, Seevetal (vormals Abraham/Zimbo, Coop-Gruppe), Böklunder Plumrose GmbH Co. KG, Böklund/Könecke Fleischwarenfabrik GmbH Co. KG, Bremen (Zur Mühlen-Gruppe, ClemensTönnies-Gruppe), Döllinghareico GmbH Co. KG, Elmshorn, Herta GmbH, Herten (Nestlé), Franz Wiltmann GmbH Co. KG, Versmold, H. Kemper GmbH Co. KG, Notrup, H. E. Reinert Holding GmbH Co. KG, Versmold/Sickendiek Fleischwarenfabrik GmbH Co. KG, Neuenkirchen-Vörden, Hans Kupfer Sohn GmbH Co. KG, Heilsbronn, Heidemark Mästerkreis GmbH Co. KG, Emstek-Höltinghausen, Heinrich Nölke GmbH Co. KG, Versmold, Höhenrainer Delikatessen GmbH, Feldkirchen-Westerham, Lutz Fleischwaren GmbH, Landsberg am Lech (Vion), Marten Vertriebs GmbH Co. KG, Gütersloh, Meica Ammerländische Fleischwarenfabrik Fritz Meinen GmbH Co. KG, Edewecht, Metten Fleischwaren GmbH Co. KG, Finnentrop, Ponnath DIE MEISTERMETZGER GmbH, Kemnath, Rudolf und Robert Houdek GmbH, Starnberg, Rügenwalder Mühle Carl Müller GmbH Co. KG, Bad Zwischenahn, Westfälische Fleischwarenfabrik Stockmeyer GmbH, Sassenberg (heristo AG), Wiesenhof Geflügelwurst GmbH Co. KG, Rietberg (PHW-Gruppe), Willms Fleisch GmbH, Ruppichteroth.“

http://www.spiegel.de/wirtschaft/unternehmen/wurstkartell-bundeskartellamt-verhaengt-millionen-strafe-a-983106.html

 

Löhne für Schweine-Arbeit

 

„Im Juni läuteten die Lebensmittel-Discounter eine neue Preissenkungsrunde beim Fleisch ein. Der scharfe Wettbewerb um das Schnitzel setzt auch die Schlachtbetriebe unter Druck. Osteuropäer mit Werkverträgen müssen zu unwürdigen Bedingungen arbeiten. Reiner Priggen, Chef der Grünen-Fraktion im NRW-Landtag, spricht im Gespräch mit dieser Zeitung von einer „modernen Form der Sklaverei“. Der Kreis Gütersloh ist die Hochburg der Fleisch-Industrie in NRW. In Rheda-Wiedenbrück hat auch der Großkonzern Tönnies seinen Sitz. Armin Wiese ist Gewerkschaftssekretär bei der NGG und kennt sich in der Branche aus.

Erst in diesen Tagen war er wieder unterwegs in den Gebäuden, in denen Bulgaren und Rumänen untergebracht sind, die als Billigkräfte in den Fleischfabriken arbeiten. Von „Horrormieten“ spricht Wiese. „Die Häuser sind hoch belegt. Pro Bett zahlen die Kollegen 200 Euro und mehr pro Monat“, hat er festgestellt.

Wie viele Osteuropäer in NRW Schweine schlachten, ist offiziell nicht bekannt. „Nach der Ausländerstatistik sind es im Kreis Gütersloh 7000 bis 8000“, schätzt der Gewerkschafter. Man weiß nicht viel über die Rumänen, die im Schnitt zwei bis drei Jahre über Werkverträge nach Deutschland entsandt werden. „Sie haben rumänische Verträge und unterliegen rumänischem Recht“, sagt Wiese. Dadurch seien auch den jeweiligen Betriebsräten die Hände gebunden. „Sie haben keine Mitbestimmung, wenn es um extrem lange Arbeitszeiten und fehlende Arbeitsschutz-Einweisungen geht“, kritisiert der NGG-Sekretär. „Auch die Lohnbedingungen sind unter aller Sau, weil es keinen Mindestlohn gibt“, so Wiese.

Die Gewerkschaft ist ernüchtert, dass das Kontrollsystem für Werkvertrags-Beschäftigte auf Schlachthöfen an seine Grenzen stößt. Ein klares Anpack-Ende gibt es jedoch: NRW-Arbeitsminister Guntram Schneider (SPD), der von Ausbeutung und „teilweise skandalösen Bedingungen“ spricht, schickte in dieser Woche 50 Kontrolleure durch die Fleischfabriken. Sie sollten überprüfen, ob die Arbeitsschutzregeln eingehalten werden.

Ergebnisse lagen nach Angaben eines Ministeriumssprechers bis gestern noch nicht vor. Er begründete die Vorab-Bekanntmachung der Kontrollen damit, dass die Fleisch-Verarbeiter ohnehin untereinander vernetzt seien.“

http://www.derwesten.de/wirtschaft/druck-auf-die-fleisch-industrie-wegen-moderner-form-der-sklaverei-id8269276.html#plx1859899248

"Dumpinglöhne, unwürdige Unterkünfte, unmenschliche Arbeitsbedingungen. In einer Dokumentation über die Fleischindustrie prangern Reporter des NDR Montagabend (24. Juni, 22.45 Uhr, ARD) die „Lohnsklaverei in Deutschland“ an. Der Film wirkt wie ein Report über die Mafia.

Von "Lohnsklaverei in Deutschland" spricht der NDR und meint die Arbeitsbedingungen in der Fleischindustrie. Es geht um Hungerlöhne und unwürdige Unterbringung der meist in Rumänien oder Bulgarien angeworbenen Arbeitskräfte. Gezeigt wird der Beitrag Montagabend, 24. Juni, um 22.45 Uhr in der ARD. Aktuell ermittelt die Düsseldorfer Staatsanwaltschaft gegen Firmen in Duisburg, Kamp-Lintfort und Moers, die als Subunternehmer oft osteuropäische Arbeiter anwerben und mit Werkverträgen in deutsche Fleischzerlegebetriebe vermitteln. Es geht um Steuerhinterziehung und nicht gezahlte Sozialabgaben. Selten sind diese aufwändigen Ermittlungen nicht. Erst Ende Mai hat das Landgericht Essen einen 59 Jahre alten Entbeiner aus Sprockhövel zu drei Jahren und acht Monaten Haft verurteilt, weil er rund 500.000 Euro hinterzogen hatte.

Die NDR-Reporter Marius Meyer und Michael Nieberg nehmen die Menschen in den Blick, die am Fließband die Tierkörper zerlegen. „Ausbeutung“ ist ein eher schwacher Begriff, um das zu beschreiben, was die Journalisten den Zuschauern zeigen werden. Angelockt worden seien die Arbeiter in Bulgarien oder Rumänien mit dem Versprechen sicherer und gut bezahlter Arbeitsplätze. Tatsächlich lebten sie in deutschen Städten zusammengepfercht in völlig überfüllten Zimmern, erhielten in bar ausgezahlte Hungerlöhne, die weit unter dem ursprünglich vereinbarten Satz lägen.

Beschwere sich einer der Arbeiter, die in der Regel nicht einmal die deutsche Sprache beherrschen, drohe ihm der Subunternehmer, also sein eigentlicher Arbeitgeber, mit schweren Nachteilen, in Einzelfällen sogar mit dem Tode. Mit verdeckter Kamera haben die Autoren gedreht. Und da gibt es auch eine Szene im Film, in der eine dunkle Limousine vorfährt, dunkel gekleidete Männer aussteigen und aus dem Kofferraum die Lohngelder holen. „Darin sind hunderttausende Euro in bar. Damit bezahlen sie die Arbeiter“, berichtet Michael Nieberg, dem die an Mafia-Filme erinnernde Szene vorkam wie Bilder „aus einem Schattenreich“.

Thema des Filmes sind vor allem Schlachtbetriebe in Norddeutschland. Sie weisen die Vorwürfe zurück. Nieberg: „Sie sagen, sie hätten mit diesen Umständen nichts zu tun, weil sie die Arbeiter über Werkverträge einkaufen.“ Das sei aber falsch, behauptet Nieberg, weil die Firmen zum Teil die Unterkünfte für die Arbeiter stellten. Sprecher der Gewerkschaft Nahrung, Genuss, Gaststätten sprechen sogar von organisierter Kriminalität, werfen den Profiteuren Menschenhandel vor. Von ihren Betriebsräten hört die Gewerkschaft, dass der Kontakt zu den Osteuropäern nur schwer möglich sei. Nicht nur die Sprachprobleme sind ein Grund: „Sie werden systematisch von den Vorarbeitern abgeschottet, wir dürfen mit ihnen nicht reden“, heißt es in der Informationsschrift „Wenig Rechte - wenig Lohn“, die auf der Homepage der Gewerkschaft angeboten wird.“

http://www.derwesten.de/wirtschaft/ndr-report-prangert-lohnsklaverei-in-deutschland-an-id8107009.html#plx761285728

 

 

„Niedriglöhne sind in Deutschland weit verbreitet. Gleich, welcher Definition man folgt, gleich, welche Daten vom welchem Institut man auch immer zugrunde legt, die Ergebnisse sind im Grundsatz stets die Gleichen: Im Schnitt zählt in Deutschland mehr als jeder Fünfte, der sozialversicherungspflichtig beschäftigt ist und acht Stunden am Tag arbeitet, zu den Geringverdienern. An dieser Einschätzung lässt kein Forschungsinstitut, das die Entwicklung am Arbeitsmarkt beobachtet, einen Zweifel. Und werden neben den Vollzeitbeschäftigten all jene in die Statistik eingerechnet, die sich in einer Ausbildung befinden, Teilzeit arbeiten oder etwa einer Aushilfstätigkeit im Rahmen eines Minijobs nachgehen, dann wäre es jeder Vierte. Das hat das IAB, das Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit, ausgerechnet. Diese Entwicklung ist durch die Agenda-Politik der rot-grünen Bundesregierung ausgelöst worden, und sie müsste überall da, wo es in die falsche Richtung laufe, korrigiert werden, fordert SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück.

"Wir haben es mit einer Spaltung des Arbeitsmarktes zu tun. Wenn Sie daran denken, dass 7,8 Millionen Menschen unter 8,50 Euro verdienen, wenn sie daran denken, dass 1,4 Millionen Menschen selbst bei Vollzeit nur so wenig, so gering entlohnt werden, dass sie anschließend aufgestockt werden müssen, das kostet im Übrigen zehn Milliarden Euro, und das bezahlen übrigens die Steuerzahler, weil es diverse Unternehmen gibt, die diese Frauen und Männer trotz Vollzeit so schlecht bezahlen, dass sie anschließend die Differenz, das Delta hin zu einem einigermaßen auskömmlichen Lohn, auf die Gemeinschaft der Steuerzahler abwälzen. Das halte ich für skandalös."

Im europäischen Vergleich nimmt Deutschland im Hinblick auf die Zahl seiner Geringverdiener einen traurigen Spitzenplatz ein. Lediglich in den drei baltischen Staaten sowie in Polen, Rumänien und Zypern arbeiten noch mehr Menschen zu Niedriglöhnen als in der reichen Bundesrepublik. Der Niedriglohn ist dabei keine feste, sondern eine variable Größe. Die Statistiker schauen auf die Gesamtheit der Löhne, die in einem Land erwirtschaftet werden. Sie bilden daraus ein Mittel, und wer weniger als zwei Drittel dieses mittleren Einkommens verdient, der wird dem Niedriglohnsektor zugerechnet. 2010 lag die Niedriglohnschwelle in Deutschland inklusive Weihnachts- und Urlaubsgeld nach Angaben des Deutschen Gewerkschaftsbundes bei 1800 Euro brutto. Stephan Koers und Charles Mathis, die Wachleute in der Schokoladenfabrik, die Reinigungskraft im Büro, der Fensterputzer, das Zimmermädchen oder auch der Taxifahrer, sie alle zählen dazu …

Die Frage, wie viele der sozialversicherungspflichtigen Vollzeitjobs seit 2005 tatsächlich durch andere Beschäftigungsformen ersetzt worden sind, lässt sich nach Angaben des IAB lediglich für die Zeitarbeit sagen. Die Zeitarbeit kostet etwa die Hälfte der - wenn man so will – guten Jobs. Werden zum Beispiel 100.000 neue Arbeitsplätze in der Zeitarbeit geschaffen, dann fallen dafür 50.000 angestammte Arbeitsplätze, also gute Jobs, weg. Sie werden durch Leiharbeit ersetzt. Am Ende dieses Prozesses gibt es zwar insgesamt mehr neue Arbeitsplätze, aber diese neu geschaffenen Jobs sind eben von einer ganz anderen Qualität. Ob diese Formel auf andere Beschäftigungsformen wie etwa Minijobs übertragbar ist, kann nicht verlässlich nachgewiesen werden. Vieles deutet jedoch darauf hin, dass im boomenden deutschen Arbeitsmarkt nicht alles Gold ist, was glänzt, sondern dass das Jobwunder in erheblichem Umfang auf umgewandelten Beschäftigungsverhältnissen fußt …

Was diese Flexibilität am deutschen Arbeitsmarkt bedeutet, das haben 30 Wanderarbeitnehmer aus Litauen, Bulgarien und Rumänien am eigenen Leib erfahren müssen. Alle sind Anfang des Jahres im Auftrag eines deutschen Personaldienstleisters von einem polnischen Subunternehmer in ihren Heimatländern angeworben worden. Sie wurden mit Lohnversprechen nach Deutschland gelockt, die für deutsche Ohren ganz und gar nicht erstrebenswert klingen.

"Sie sagten, wir könnten 1000 Euro im Monat verdienen, wir sollten 40 Stunden die Woche arbeiten, von Montag bis Freitag, acht Stunden täglich.

Herr Victor versprach uns: fünf Tage die Woche, fünf Euro die Stunde und ein Jahr Vertrag. Als wir hier ankamen, war alles anders."

Diana und Elena sollten in einem Saarbrücker Fleisch verarbeitenden Betrieb Waren verpacken. Dass sie einen Werkvertrag unterschrieben hatten, war ihnen nicht klar. Welche Konsequenzen das hatte, ebenfalls nicht.

"Als wir ankamen, sagten sie, es gibt keine fünf Euro die Stunde, sondern täglich haben Sie so und so viel Kilogramm zu verpacken. Und wenn Sie das nicht erreichen, gibt es keine fünf Euro."

Mit Hilfe von Werkverträgen kaufen Unternehmen von Fremdfirmen eine bestimmte Leistung ein. Beim Fleischwarenverarbeiter bestand der Auftrag darin, eine festgelegte Anzahl beispielsweise von Würstchen oder Sandwiches zu verpacken. Bezahlt werden Wanderarbeitnehmer grundsätzlich erfolgsorientiert. Das heißt zum Beispiel, wenn etwa die Stückzahl erfüllt ist. Die Zeit, die sie zur Erfüllung ihres Auftrages benötigen, spielt dabei keine Rolle, denn eine Vergütung nach der Anzahl der geleisteten Stunden ist in Werkverträgen nicht vorgesehen. Im vorliegenden Fall war der vom Personaldienstleister festgesetzte Akkord jedoch offenbar so hoch, dass die Wanderarbeitnehmer die Vorgaben selbst dann nicht hätten erfüllen können, hätten sie rund um die Uhr gearbeitet. Aber das war noch nicht alles. Der Personaldienstleister speiste die Menschen mit Hungerlöhnen ab, berichtet Elena.

"Manchmal haben die Leute sechs Tage gearbeitet und 75 oder 85 Euro bekommen."

Umgerechnet auf die Stunde sind das weniger als 1,80 Euro. Nach Angaben der Gewerkschaft Nahrung, Genuss, Gaststätten, NGG, sind Werkverträge eine stark wachsende Beschäftigungsform in Deutschland. Sie würde dazu genutzt, tarifvertragliche Bindungen auf mehr oder minder legale Weise zu unterlaufen, sagt der Bundesvorsitzende Franz-Josef Möllenberg.

"Ich gehe so weit, dass ich sage, hier entwickelt sich ein neues Krebsgeschwür, was den Arbeitsmarkt angeht, was Unordnung am Arbeitsmarkt angeht, und dagegen muss man sich wehren."

Zu Beginn des Jahres hat die NGG ein Schwarzbuch veröffentlicht, in dem Menschen wie Diana oder Elena ihre Geschichte erzählen. Sie haben in Hotels gearbeitet, in Backfabriken, am Bau oder eben in Fleisch verarbeitenden Betrieben. In deutschen Schlachthöfen sei inzwischen jeder dritte Beschäftigte mit einem Werkvertrag ausgestattet. Sie sind dabei an innerbetriebliche Strukturen nicht angeschlossen, sondern die Fremdfirma übernimmt die Organisation der Arbeit und ist mit eigenem Führungspersonal vor Ort. Die Betriebsräte haben keinerlei Weisungsbefugnis gegenüber den Mitarbeitern der Fremdfirmen. Sie müssen zugucken, sagt der Betriebsratsvorsitzende des Fleischverarbeiters Höll, Dirk Naumann.

"Das Elend der Leute sieht man nicht, weil, man kriegt ja keinen Kontakt mit ihnen, weil sie das von ihrem Arbeitgeber aus nicht dürfen. Und mehrfach kriegt man als Betriebsrat gesagt, das geht dich nichts an" …

Der Saarbrücker Fall ist kein Einzelfall. Das, was ihn von anderen unterscheidet, ist lediglich die Tatsache, dass er öffentlich geworden ist. Die Betroffenen haben ihr Schweigen gebrochen, weil sie die unwürdige Behandlung nicht länger ertrugen. Verteilt über ganz Deutschland sitzen Tausende Menschen aus Ost- und Südeuropa in meist schäbigen Unterkünften und warten auf Arbeitseinsätze. Wie viele, ist nicht bekannt. Für Werkverträge gibt es keine Meldepflicht. Die IG Metall hat ihre Betriebsräte befragt und geht davon aus, dass etwa 25 Prozent der Beschäftigten über Werkverträge für die Unternehmen der Metall-Branche arbeiten.“

http://www.deutschlandfunk.de/befristet-unsicher-unterbezahlt.724.de.html?dram:article_id=256335

„In einer idyllischen Gegend in Niedersachsen wird im Sekundentakt geschlachtet, immer schneller, immer billiger, immer schmutziger. Erledigt wird das Gemetzel von einer Geisterarmee aus Osteuropa.

Die Gegend zwischen Oldenburg in Niedersachsen und Rheda-Wiedenbrück in Nordrhein-Westfalen ist Deutschlands größte Schlachtanlage. Hier werden jedes Jahr 3,5 Millionen Tonnen Schweine-, 900.000 Tonnen Geflügel- und 400.000 Tonnen Rindfleisch produziert. Schlachten, das bedeutet: Hals aufschneiden, aufhängen, Rektum aufbohren, enthäuten, aufschneiden, zerteilen, verpacken.

Wir wollen immer mehr Fleisch essen, und wir wollen es immer billiger haben. In Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen führt das zu einem System aus Hochtechnologie und Menschenhandel. Alle machen mit, Firmen wie: Wiesenhof, Tönnies, Heidemark. Die Gegend ist auch eine Brutstätte für multiresistente Keime (ZEIT Nr. 48/14), gegen die manchmal keine Antibiotika mehr wirken. Es ist ein System, das krank machen kann …

Darians erste Unterkunft lag mitten auf dem Schlachthofgelände der Firma Steinemann in Steinfeld. Darian wohnte in einem umgebauten Stall. Abends wurden die Rinder in den Stall nebenan getrieben, die am nächsten Morgen geschlachtet werden sollten. Seite an Seite übernachtete Darian neben ihnen, wie seine Kollegen. 200 Euro hat er für sein Bett im Monat bezahlt. Das Geld wurde ihm vom Lohn abgezogen. Sein Gehalt hat er jeden Monat bar auf die Hand bekommen. Wie viel es war, wusste er im Voraus nie, mal 500, mal 600 Euro. Wichtige Papiere wurden oft verbrannt …

Das System funktioniert nur wegen einer Gesetzeslücke. Diese Lücke heißt Werkvertrag. Um den deutschen Arbeitsmarkt zu schützen, hat die Bundesregierung bei der Osterweiterung der Europäischen Union eine Klausel durchgesetzt: EU-Neubürger müssen bis zu sieben Jahre auf eine freie Arbeitsplatzwahl in den Mitgliedstaaten der EU verzichten. So, hoffte man, würde Deutschland nicht von Billigarbeitern überrannt werden.

Irgendwer hat das Kleingedruckte übersehen: Die Dienstleistungsfreiheit galt trotzdem für die neuen Beitrittsländer. Betriebe aus den neuen Mitgliedstaaten der EU durften deshalb deutschen Unternehmen ihre Dienstleistungen anbieten – und zwar zu den Arbeitsbedingungen ihrer Länder. So arbeiten rumänische Arbeiter in Deutschland zu rumänischen Bedingungen. Und kein Staatsanwalt kann etwas dagegen tun.

Binnen weniger Monate wurden Briefkastenfirmen in Polen, Ungarn und Rumänien gegründet, allein zu dem Zweck, Arbeiter für die großen Schlachthöfe in Deutschland anzuwerben. Eigentlich dürfen Arbeiter nicht zum Zwecke der Entsendung angeworben werden. Eigentlich ist die Entsendung gesetzlich auf zwei Jahre befristet. Der ZEIT liegen jedoch zahlreiche Dokumente von Arbeitern vor, die beweisen, dass viele, die offiziell entsendet sind, schon länger am Schlachtband stehen.

Die Schlachthöfe gliedern ganze Produktionsschritte an die Subunternehmer aus. "Dadurch ist ein Milliardenmarkt mit mafiösen Strukturen, Lohndumping und moderner Sklaverei entstanden", sagt Matthias Brümmer, der Oldenburger Sekretär der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten.

"Wir leben hier im Fettfleck, das kann man wirklich sagen", sagt Brümmer. "Hier gibt’s mehr Viecher als Menschen in der Dichte. Und auch mehr Scheiße. Das färbt wahrscheinlich im Kopf ab." Brümmer sagt, es gebe mittlerweile mindestens 40.000 Werkvertragsarbeiter in der deutschen Fleischindustrie. Die Zahl steige immer weiter. Das Schlachten und Zerlegen besorgten die Werkvertragsarbeiter bereits zu 80 Prozent. Neuerdings wird auch das Weiterverarbeiten und das Verpacken von Fleisch ausgegliedert. Die Preiskalkulation ist so eng, die Gewinnspannen sind so niedrig, dass das System nur noch mit einer Geisterarmee von billigen Söldnern funktionieren kann.

Die ZEIT hat mit 150 Arbeitern gesprochen, einzeln und in kleinen Gruppen. Ihre Namen sind verändert oder abgekürzt, weil die Arbeiter Angst haben, vor wütenden Subunternehmern und Vorarbeitern. Kaum ein Arbeiter bekommt mehr als 1000 Euro im Monat ausgezahlt. Die meisten verdienen um die 800 bis 900 Euro netto im Monat, häufig bei mehr als zwölf Stunden Arbeit am Tag an sechs Tagen in der Woche. Einige bekommen nur Abrisszettel oder überhaupt keine Gehaltsabrechnung. Von ihrem Gehalt müssen die Arbeiter ihr Bett bezahlen: 200 bis 290 Euro pro Monat. Oft müssen sie sich die Messer, Schuhe und Schürzen, die sie zum Schlachten brauchen, selbst kaufen. Regeln gibt es keine, auch nicht bei der Gesundheit: Manche Arbeiter sind in Deutschland krankenversichert, andere nicht.

Es gibt nur ein Prinzip: immer billiger. Und nur eine Himmelsrichtung: Osten. Polen ist schon fast leer gefegt, die Leute sind zerschlissen. Dann kamen die Ungarn. Dann die Rumänen. Jetzt die Bulgaren. Mittlerweile suchen Anwerber in der Ukraine nach Söldnern.

In den Schlachthöfen hat sich eine soziale Hierarchie gebildet. Oben stehen die Polen und Ungarn. Sie sind häufig selbst Anwerber, Subunternehmer oder Vorarbeiter, die die eigenen Verwandten bevorzugen. Dann kommen die Rumänen. Auch unter ihnen gibt es Vorarbeiter, die ihre Landsleute schikanieren. Dann die Bulgaren. Sie werden noch schlechter behandelt. Am härtesten hat es die Sinti und Roma getroffen. Die anderen Arbeiter sagen über sie, sie ließen alles mit sich machen, könnten nicht lesen, nicht schreiben, schufteten für drei Euro in der Stunde.

Man erkennt die Hierarchie am Schlachtplatz der Puten. Puten zu mästen und zu schlachten gilt in der Branche als das Widerlichste. Puten fressen ihren eigenen Kot. Kein Arbeiter der Schlachtindustrie isst Putenfleisch. Puten werden derzeit fast nur noch von Bulgaren geschlachtet. Viele arbeiten für die Schlachterei Geestland – das Unternehmen verkauft sein Fleisch auch unter der Marke Wiesenhof – und leben in Wildeshausen in der Hermann-Ehlers-Straße in einer Art Ghetto. Mehrere Arbeiter schildern regelmäßige Rundgänge von Männern, die kontrollieren, ob die Wohnungen aufgeräumt und die Heizungen nicht zu hoch eingestellt sind. Ist das doch der Fall, müssten alle eine Strafe bezahlen. Die Arbeiter nennen diese Männer Kapos.

Die deutschen Fleischer, die gesetzlich geschützt werden sollten, sind jetzt arbeitslos. Junge Facharbeiter kommen nicht mehr nach. Das Handwerk stirbt aus.

Das Geflecht zwischen Schlachthofbetreibern und Subunternehmern ist viel enger, als beide Seiten zugeben. Detlef Kolde, Kriminalhauptkommissar in Cloppenburg und stellvertretender SPD-Kreisvorsitzender, erklärt, wie Subunternehmer die Schichtleiter des Schweineschlachthofs Danish Crown in Essen/Oldenburg schmieren. Danish Crown ist europäischer Marktführer. Ein Sprecher des Unternehmens sagt, Schmiergeldzahlungen seien in deutschen Schlachthöfen doch üblich und hätten eine lange Tradition. Seit Mai 2013 hat Danish Crown vier Schichtleitern gekündigt, weil sie sich von Subunternehmen hatten kaufen lassen. Die Schlachtbetriebe gehen mitunter gegen die kriminellen Machenschaften vor – aber sie tasten nicht das System an …

Manchmal gründet ein Schlachtbetrieb oder eine weiterverarbeitende Firma über einen Strohmann selbst ein Subunternehmen. Das hat Vorteile für den Betrieb. Er kann mit der Steuer tricksen und wird die lästigen Gewerkschaften los. Wenn ein Schlachthof selbst ein Subunternehmen gründet oder in die Arbeit der Werkvertragstätigen eingreift, ist das kein Werkvertrag mehr, sondern illegale Arbeitnehmerüberlassung.

Längst gründen auch deutsche Subunternehmer Firmen in Osteuropa, die als reine Anwerbebüros dienen – Menschenhandel mit Billigarbeitern, gedeckt durch EU-Recht.

Insider vermuten, dass einige Subunternehmer Frauen, die sie als Huren anbieten wollen, aussortieren. Die weniger attraktiven Arbeiterinnen müssen ans Schlachtband. Unter den deutschen Subunternehmern gibt es aktenkundige Kontakte ins Rockermilieu.

Viele Subunternehmer betreiben mehrere Firmen zugleich und lösen sie nach ein paar Monaten auf, bevor ihnen die Steuerfahndung auf die Spur kommt. Insider schätzen, dass nur etwa fünf Prozent der Betrügereien aufgeklärt werden. Und wenn es doch einmal passiert, geht es gleich um Millionen – so wie im Schleuserprozess D&S Fleisch. Hier belief sich allein der Betrug an den Sozialversicherungen auf vier Millionen Euro – das beweist das Urteil von 2004 vor dem Landgericht Oldenburg, das der ZEIT vorliegt. In der Anklageschrift heißt es: "Beide Angeklagten handelten, um sich eine auf Dauer angelegte, nicht unerhebliche Einnahmequelle zu verschaffen."

Das System hat sich nicht verändert, seit Bulgaren und Rumänen im Zuge der EU-weiten Freizügigkeit uneingeschränkt in Deutschland arbeiten können. Zu gut eingespielt ist das System des Anwerbens und Unterbringens, von Steuer- und Sozialversicherungsbetrug. Ein osteuropäischer Arbeiter allein findet weder einen Job noch eine Unterkunft. Arbeiter ohne Rechte, Frauen, die sexuell belästigt werden. Das ist die Rückkehr des Manchester-Kapitalismus, weitgehend unbemerkt und mitten in Niedersachsen …

T. ist einer von denen, die das System der Subunternehmer in der Firma mit aufgebaut haben. Dass das System auf Ausbeutung beruht, hat T. schnell gemerkt. "Uns war das scheißegal. Hauptsache, es funktioniert", sagt T. Er nennt die Menschen an den Bändern "Zwangsarbeiter" und die Subunternehmer "Menschenhändler" oder "Sklaventreiber". Mit den Subunternehmern hat T. eng zusammengearbeitet. Seine Wünsche, wer ausgewechselt werden soll, hat T. den Vorarbeitern einfach durchtelefoniert. Vor der Tür standen ja die Nächsten.

Die Arbeitszeit der Arbeiter sei selten eingehalten worden, und die Pausen habe man verkürzt, "man hat die Leute hochgetrieben", sagt T. Von einer halben Stunde seien oft nur wenige Minuten geblieben …

Wo sind eigentlich die Deutschen in diesem System?

Hausfrauen in Essen/Oldenburg, Hauptsitz von Danisch Crown, fangen Werkvertragsarbeiterinnen ab und bieten ihnen an, Kindergeldanträge für sie auszufüllen. Kostet 150 Euro. Manche der Hausfrauen kommen auch mit zum Arzt. Für einen Fünfziger. Hier soll jeder etwas davon haben, dass es die Geisterarmee gibt.

Der Raumausstatter Helmut Ebbrecht vermietet in Quakenbrück Wohnungen in zwei ehemaligen Kasernen, die seit 1933 nicht saniert wurden. 350 Euro im Monat nimmt er pro Wohnung. Weil die Fenster nicht dicht sind, stellen die Bewohner Heizkörper auf und haben Stromrechnungen von bis zu 140 Euro. Es stinkt. An den Wänden stockt der Schimmel. "Die Leute müssten halt lüften", sagt Ebbrecht, "aber die haben natürlich andere Sauberkeitsstandards als wir."

Imposante Villen mit ausladenden Veranden sind in dieser Gegend entstanden. Sklavenhaltervillen. Hier wohnen die Subunternehmer. Der Gewerkschaftsmann spricht vom Rückfall in die Barbarei …

Nach der Begehung beginnt Schürmann, sich zu rechtfertigen. Immerhin bekämen seine Arbeiter den Mindestlohn von 8,50 Euro in der Stunde, der erst von Januar an in der Fleischindustrie auch für Werkvertragsarbeiter verpflichtend wird.“

http://www.zeit.de/2014/51/schlachthof-niedersachsen-fleischwirtschaft-ausbeutung-arbeiter/komplettansicht

Der Wurm möchte gerne eine Passage wiederholen: „Es gibt nur ein Prinzip: immer billiger. Und nur eine Himmelsrichtung: Osten. Polen ist schon fast leer gefegt, die Leute sind zerschlissen. Dann kamen die Ungarn. Dann die Rumänen. Jetzt die Bulgaren. Mittlerweile suchen Anwerber in der Ukraine nach Söldnern.“

Der Artikel stammt aus dem Jahr 2014. Mittlerweile gibt es einen Strom von über einer Million zusätzlicher billiger Arbeitskräfte. Aus „Jetzt mal ehrlich – Schweinerei: Schlachthofsterben in Bayern“ (ab Minute 34):

„Heute wollen nur noch wenige junge Leute Metzger werden. 7 Jahre hatte Michael Steinle keinen Lehrling. Doch dann kam Machmut Bouchi, syrischer Flüchtling und gelernter Grafiker. In seinem Beruf kann er in Deutschland nicht arbeiten …

Erst kürzlich hat der bayerische Fleischer-Verband angeregt, vermehrt Flüchtlinge zu Metzgern auszubilden, um das Nachwuchsproblem der Branche zu lösen.“

 

 

Aus der gleichen Sendung:

„Im Jahr 2010 änderte sich viel für die bayerischen Metzger: Eine EU-Verordnung fürs Schlachten und die Fleischverarbeitung trat in Kraft. Diese definierte neue Vorgaben – vor allem, was die räumlichen Voraussetzungen fürs Schlachten anbelangt: Die europaweite Lebensmittelverordnung besagt zum Beispiel, dass es getrennte Räume fürs Schlachten und die Weiterverarbeitung geben muss. Für viele kleine Metzgereien bedeutete das das Aus für ihren Schlachtbetrieb.“

http://www.br.de/fernsehen/bayerisches-fernsehen/sendungen/jetztmalehrlich/schlachten-metzger-schlachthof-100.html

Ein beliebtes Mittel der „Großen“ zu allen Zeiten: verschärfe mehr und mehr die Rahmen-Bedingungen, damit die kleinen Betriebe nicht mehr mithalten können und lästige Konkurrenz damit wegfällt.

Aus dem „Spiegel“-Artikel mit dem „Schweine-System“:

"Überraschend ruhig ist es hier, im Schlachthof von Clemens Tönnies in Rheda-Wiedenbrück, dem größten Europas. Rund 25 000 Schweine werden hier täglich getötet, 1700 pro Stunde …

Und trotzdem braucht man Menschen, für diese Arbeit, die in jeder Hinsicht anstrengend ist. Gezahlt aber werden dafür von Tönnies, Vion, Westfleisch und den anderen Fleischriesen oft Hungerlöhne. Der Erfolg der Fleischindustrie ist auch ein Erfolg exzessiven Lohn-Dumpings.

Längst nämlich haben sich die Konzerne von deutschen Facharbeitern verabschiedet und die Arbeit auf osteuropäische Subunternehmen verlagert, an denen sie teils selbst beteiligt sind. So stehen inzwischen schätzungsweise 7000 Rumänen, Polen oder Ungarn an den Schlachtbändern, zersägen in Akkord Schweinehälften, beinen Schinken aus und mahlen Hackfleisch.

"Das ganze System basiert auf Lohn-Dumping", resümiert Matthias Brümmer, Geschäftsführer der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) Oldenburg-Ostfriesland. Seit mehr als zehn Jahren liefert sich der streitbare Gewerkschafter Auseinandersetzungen mit der Fleischbranche. Brümmer unterstützt Arbeitnehmer bei Klagen gegen Konzerne - und wird selbst immer wieder verklagt.

In Brümmers Büro am Bahnhof von Oldenburg hängt eine weiße Tafel, auf der er eine einfache Rechnung präsentiert: Er schreibt "1,03 Euro" auf die Tafel, er weiß von Fällen, in denen die Konzerne genau das den Subunternehmern für die Schlachtung eines Schweins zahlen. Eine Schlachtkolonne mit 60 Leuten schaffe 600 Tiere pro Stunde. "Macht Einnahmen von 600 Euro", notiert er. Davon zieht er die Aufwendungen für Verwaltung, Arbeitsmaterial, die Lohnnebenkosten ab. Was bleibt unterm Strich? "Ein Stundenlohn von exakt 5,04 Euro pro Mitarbeiter, brutto."

Dabei würde die Rechnung auch umgekehrt funktionieren: "Gehen wir mal von einem ordentlichen Stundenlohn aus", sagt Brümmer, "12 bis 14 Euro." Wie viel würde das Kilogramm Schweinefleisch dadurch für die Kunden teurer? "Die Schlachtung müsste dann 2,50 Euro kosten. Man bekäme das Kilo Schnitzel im Supermarkt dann nicht mehr für 7,10, sondern für 7,35 Euro."

Das Problem aber ist: Der Lebensmittelhandel hat den Verbraucher an die niedrigen Preise gewöhnt. Und natürlich fragt er die Kunden auch nicht, ob sie bereit wären, 25 Cent mehr zu zahlen, damit ein ihnen unbekannter rumänischer Metzger besser leben kann.

Der Geiz indes hat viele Konsequenzen. Das lässt sich in der Gemeinde Essen beobachten im Landkreis Cloppenburg in Niedersachsen. 8500 Einwohner leben dort, bei der letzten Kommunalwahl erreichte die CDU fast 77 Prozent. In dem Ort befinden sich viele Bauernhöfe - und ein großer Schlachthof.

Wer sich am schmucken Jugendstil-Rathaus umschaut, wundert sich: In vielen Häusern sind die Fenster mit Gardinen oder Laken verhängt. Selbst die ehemalige Arztpraxis im Ortskern scheint sich in eine Art Geisterhaus verwandelt zu haben. Tatsächlich stehen die Häuser nicht leer, sie sind eher übervoll.

Hunderte Menschen leben hier im Ortskern, an den Klingelschildern sind oft 20 und mehr Namen angeschlagen. Essen ist zu einem Zentrum osteuropäischer Werkvertragsunternehmer geworden. 800 bis 1000 Menschen sollen es sein, von denen mitunter drei oder vier in einem einzigen dunklen Raum hausen.

Wie viele es genau sind und woher sie kommen, weiß selbst im Essener Rathaus niemand. Männer in billigen Jogginganzügen schlendern durch den Ort, mit Plastiktüten eines Discounters. Immer öfter bringen sie ihre Familien gleich mit. Gerade hat sich die Oberschule bei der Gemeinde gemeldet, weil 14 neue Schüler angekommen seien, die alle kein Deutsch sprächen.

Schlechtbezahlte Arbeit jedenfalls scheint es genug zu geben. Der Schlachthof in Essen lässt Woche für Woche 64 000 Schweine töten, ausnehmen und zerteilen.

Seit drei Jahren ist der dänische Fleischkonzern Danish Crown der Besitzer, weltweit eines der großen Unternehmen der Branche. Die Skandinavier gehen dorthin, wo sich billig arbeiten lässt. In Dänemark müssten sie dreimal so viel für ihre Mitarbeiter zahlen wie in Deutschland, sagt Gewerkschafter Brümmer.

In den vergangenen Jahren ist er häufig nach Hannover gefahren, auch nach Berlin. Einmal hat er sogar die damalige Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche, die Bischöfin Margot Käßmann, angeschrieben, um sie auf die Probleme aufmerksam zu machen. Der Brief blieb ohne Reaktion. "Es hat sich niemand für das Thema interessiert."

http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-117180355.html

„Tatsächlich verlassen die Besucher den Danish-Crown-Schlachthof mit dem Gefühl, dass ihr Fleisch vernünftig produziert wird. Weil der Betrieb hochtechnisiert ist, werden weniger Menschen gebraucht, die deshalb verhältnismäßig gut bezahlt werden können

Andererseits setzt Danish Crown die Branche unter Druck: Auch der dänische Marktführer lässt teilweise in Deutschland schlachten und zerlegen. Derzeit kann kaum ein europäisches Land mit den geringen deutschen Schlachtpreisen mithalten, vor allem wegen der niedrigen Löhne.“

http://www.spiegel.de/wirtschaft/service/schweine-schlachten-zum-zuschauen-fleischproduktion-in-daenemark-a-965922.html

Der Vergleich mit Dänemark zeigt vor allem eines: das unterschiedliche Menschenbild, das die dänische Gesellschaft und Politik von der deutschen unterscheidet.

Aus einem früheren Wurm:

„Christoph Butterwegge schreibt 2013 über die Hartz IV-Reformen:

„Die sozialdemokratischen Hauptrepräsentanten der Agenda 2010, etwa Gerhard Schröder, von manchen oft als „Gazprom-Gerd“ verhöhnt, und Wolfgang Clement, mittlerweile zum FDP-Wahlkämpfer herabgesunken, touren heute quer durch die Bundesrepublik und deren Medienlandschaft, um sich dafür selbst zu loben und ihre angeblichen Erfolge im Rahmen des Agenda-2010-Jubiläums noch einmal gemeinsam mit den mächtigsten und feinsten Kreisen der Gesellschaft, die von ihren Reformen teilweise in barer Münze profitiert haben, zu feiern. Um die Agenda 2010 fundierter als ihre unkritischen Gratulanten beurteilen zu können, muss man ihre Entstehungsgeschichte, ihre zentralen Inhalte und ihre Auswirkungen daraufhin untersuchen, welche Ziele damit verfolgt und wessen Interessen bedient wurden, was im Folgenden geschehen soll …

Hartz IV führte zur Verschärfung der sozialen Schieflage im Land, zur Ausweitung der (Kinder-)Armut bis in die Mitte der Gesellschaft hinein und zur Verbreiterung des Niedriglohnbereichs. Letzteres war kein Zufall, sondern gewollt, wie die Tatsache zeigt, dass Gerhard Schröder es auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos am 28. Januar 2005 als großen Erfolg seiner Politik als Bundeskanzler feierte, „einen der besten Niedriglohnsektoren“ in Europa geschaffen zu haben: „Wir haben einen funktionierenden Niedriglohnsektor aufgebaut, und wir haben bei der Unterstützungszahlung Anreize dafür, Arbeit aufzunehmen, sehr stark in den Vordergrund gestellt.“

Ein staatlich geförderter Niedriglohnsektor, wie ihn die Agenda 2010 und die Hartz-Gesetze errichten halfen, verhindert weder Arbeitslosigkeit noch Armut, sondern vermehrt Letztere eher. Als ergänzende Sozialleistung zu einem sehr niedrigen Lohn konzipiert, bildet das Arbeitslosengeld II für Lohndumping betreibende Unternehmer eine willkommene Subvention, deren Gesamtbetrag sich mittlerweile auf ca. 70 Mrd. EUR beläuft, die sog. Aufstocker/innen seit dem 1. Januar 2005 erhalten haben. Umso dringlicher wäre die gesetzliche Garantie eines flächendeckend gültigen und existenzsichernden Mindestlohns, wie ihn die weitaus meisten EU-Mitgliedsländer haben …

Armut, in der Bundesrepublik lange Zeit eher ein Rand(gruppen)phänomen, wurde durch die sog. Hartz-Gesetze selbst für Teile der Mittelschicht zur Normalität …“

http://www.nachdenkseiten.de/?p=16494

http://www.ansichten-eines-regenwurms.de/176-personifizierter-drecksack.html

„Das Durchschnittsgehalt für Schlachthofmitarbeiter beträgt 1.400 – 1.500 Euro brutto/ Monat.“

http://www.br.de/fernsehen/bayerisches-fernsehen/sendungen/jetztmalehrlich/schlachten-metzger-schlachthof-100.html

Also für schwere körperliche Arbeit gibt es offiziell (also ohne illegale Aktivitäten) 1.400 bis 1.500 Euro brutto im Monat. Diese Arbeit war mal besser bezahlt, so dass ein Arbeiter gut von seinem Lohn leben konnte.

Wenn er heute netto etwas über 1.000 Euro im Monat verdient (noch mal: für schwere körperliche Arbeit) und sich davon Miete, Nahrung, Kleidung und alles andere leisten muss, kann es sich jeder ausrechnen, dass etwa für größere Anschaffungen wie ein Auto oder private Renten-Vorsorge kein Geld da ist.

Durch Lohn-Dumping durch Ausnutzung wehrloser Geschöpfe, die auf das Geld dringend angewiesen sind, durch Auslagerungen in großem Stil (Zeitarbeit, Sub-Unternehmen, Werkverträge) wurde das Gehaltsgefüge bei etlichen Berufen massiv gedrückt.

Deutlich sichtbar im Reinigungsgewerbe: vor noch nicht allzu langer Zeit gab es in den Betrieben halbwegs gut bezahlte Reinigungskräfte, zu denen mensch auch mal sagen konnte „hallo, wie geht es Dir?“ oder darum bitten konnte, kurzfristig etwas zusätzlich zu tun. Heutzutage gibt es in den meisten Unternehmen Putzkolonnen, die kaum die deutsche Sprache sprechen und quasi gezwungen sind, im Akkord zu arbeiten, also auch keine Zeit haben, etwas zusätzlich zu machen.

Halbwegs gut bezahlte Arbeit wurde also durch schlecht bezahlte Arbeit ersetzt und die ursprünglichen Arbeitskräfte durch billigere ersetzt. Ganz weggefallen sind Arbeitsplätze durch ganz billige Arbeitskräfte: Automatisierungen und Verlagerungen ins Ausland.

Anders ausgedrückt: in Deutschland gibt es Millionen von Arbeitskräften, die aus dem Arbeitsleben raus geschmissen wurden, die vom erarbeiteten Geld kaum leben können oder denen der Absturz dahin deutlich droht.

Wurm sollte meinen, Politik und Gesellschaft würden dies sehen und ihnen versuchen zu helfen oder zumindest Mitleid für sie empfinden – mitnichten! Die Politik, vor allem eine Arbeiter-Partei, die sie schon wieder mal verraten hat, hat dies überhaupt erst gewollt und möglich gemacht.

Und diejenigen, die einen sicheren Job haben, wollen das Elend nicht sehen. Auch dann nicht, wenn es vor der eigenen Haustür liegt oder in der eigenen Abteilung arbeitet. Im Gegenteil – die Opfer müssen sich noch beschimpfen lassen, da sie ja an ihrer Situation „selbst schuld“ seien.

In Dänemark und anderen Ländern wäre mit welcher Arbeit auch immer ein menschenwürdiges Leben zu führen. In Deutschland, wo sich die Menschen so toll fühlen, leider nicht.

Roberto De Lapuente schreibt Folgendes:

„Geringqualifizierte haben in dieser Republik selbstverständlich selbst schuld. Sie hätten sich ja nicht geringqualifizieren müssen. Wären sie halt einfach hochqualifiziert geworden. Dem wäre doch nichts im Wege gestanden. Jeder ist seines Glückes Schmied. So weit jedenfalls die Parole der gängigen Ökonomie. Seit Jahren hören wir sie. Wer nur will, der kann alles werden. Und wer hätte dann geputzt, geliefert, eingeräumt, kassiert, serviert und was sonst noch alles getan? Wer hätte gemacht, was Geringqualifizierte heute so treiben müssen, um sich über Wasser zu halten? Oder fielen solche Tätigkeiten einfach weg? Letzteres ist natürlich unvorstellbar. Denn Bessergestellte und Eliten brauchen und wollen natürlich ein Heer von Handlangern. Sie aber trotz der Unabwendbarkeit dieser Jobs mehr und mehr der Armutsgefahr auszusetzen, zeigt nur, was man von Menschen hält, »die es nicht geschafft haben«.

Natürlich ist Qualifikation und/oder Bildung etwas, was man sich im Idealfall zulegen sollte. Nur funktioniert das Leben nicht für alle Menschen gleichermaßen reibungslos. Vielen wird dieser Glücksfall daher nicht zuteil. Sie verpassen ihn. Manche vielleicht selbstverschuldet. Andere erliegen äußeren Zwängen. Und dann kommt es für diese Leute darauf an, das Beste aus ihrem Leben herauszuholen, sich möglichst teuer am Arbeitsmarkt zu verkaufen. Der letzte Satz klingt wirklich abartig. Aber so sagt man das heute. Man prostituiert sich. Das tat man natürlich immer. Nur gab es vielleicht früher vor der Leistung von Werktätigen mehr Respekt als heute, sodass man das Hurenhafte nicht so schamlos sprachlich zur Geltung brachte. So oder so: Sie nehmen also Jobs an, die schlecht bezahlt werden, keine Chancen zum Aufstieg gewähren und gesellschaftlich nicht besonders geachtet werden. Einer muss das ja erledigen. Und da trifft es halt Menschen, die wir als geringqualifiziert bezeichnen.

Man hat es seit Jahren politisch zugelassen, dass sie mehr denn je abrutschen können. Dass sie den Boden unter ihren Füßen verlieren können, obgleich sie arbeiten. Ständig sind sie von Arbeitslosigkeit bedroht. Minijobs ersetzen ihre ehemaligen Vollzeitstellen. Sie arbeiten auf einem Lohnniveau, das sich an Hartz IV orientiert, während das Pensum nicht selten anwächst, sodass auch diese Arbeitsmarktgruppe von Burnout und etwaigen Stress-Folgen betroffen ist und durch Krankheit ihre Arbeitsplätze riskiert. Ein laxer Gebrauch von Kündigungsschutzgesetzen erlaubte auch hier einen schnellen Austausch von geringqualifizierter Hilfsarbeitskraft. Auch das war und ist politische Agenda hierzulande. Der produktive Bodensatz soll eben austauschbar sein - man nennt diesen Umstand allerdings hübsch »Flexibilität«.

Wie man mit dieser Gruppe umging, zeigt doch nur, was keiner laut ausspricht, was aber tatsächlich Hintergedanke in diesem Land ist: »Geringqualifizierte, ihr hattet eure Chance! Pech gehabt. Jetzt leidet eben. Selbst schuld.« Das ist nicht nur selbstherrlich, es zeigt auch, dass die Eliten keinen Schimmer von gesamtgesellschaftlichen Prozessen haben. Denn selbst wenn es gelänge, Geringqualifikation als Massenphänomen auszuschalten, jedermann höherwertig zu qualifizieren, fielen Stellen, die keinen hohen inhaltlichen Anspruch haben, nicht einfach weg. Sie sind schlicht nötig. Ganz und gar systemrelevant. Und so würden Höherqualifizierte tun, was heute Geringqualifizierte leisten. Sie wären trotz höheren Standards die neuen Geringqualifizierten. Die Hebung des allgemeinen Niveaus raubt der Arbeitsteilung ja nicht das »untere Ende« - und sie entfernt nebenher auch nicht den Dünkel, mit dem man »niederen Jobs« begegnet.

Mensch, was war man da trotz allem im Sozialismus weiter. Da hatte man erkannt, dass es Jobs innerhalb einer arbeitsteiligen Gesellschaft gibt, die zwar nicht besonders schön sind, aber notwendig. Und wie notwendig sogar! Also hat man sie gewürdigt und anständig entlohnt. Ob das dann letztlich ökonomisch richtig war, ist gar nicht das Thema. Keiner verlangt ja, dass ein Kurier besser bezahlt sein sollte, als der Direktor einer Sparkasse. Aber leben sollte er doch davon können. Ohne Zubrot von der Behörde. Und vor allem ohne Angst, bereits am morgigen Tag am Ende der eigenen Liquidität angelangt zu sein. Wer von seiner Arbeit leben kann, der darf getrost über den Dünkel der Gesellschaft lachen und denen zuprosten, die mit blanker Verachtung sprechen. Das fällt dann garantiert leichter. Geld stinkt nicht.

»Geringqualifiziert« ist ohnehin so ein moralischer Ausdruck. Er beinhaltet ja Gegensätze wie Schlecht und Gut oder eben wie Gering und Hoch. Dabei sagen die Herren der Ökonomie uns ständig, dass der Markt gar nicht moralisch agieren könne. Dazu sei er nicht geschaffen. So besehen dürfte es solche Begriffe gar nicht geben, denn der Markt benötigt eben Lieferanten und Putzfrauen. Die machen Tätigkeiten, die es nun mal gibt, wenn man sich die Arbeit gesellschaftlich aufgeteilt hat. Das ist insofern nicht gut oder schlecht. Es ist. Punkt. Das muss man ganz ontologisch betrachten. Es ist zu machen, zu erledigen. Genauso wie all die tollen, gut dotierten, angesehenen Berufe, die man auf der anderen Seite so haben kann.

Es gibt also kein moralisches Anrecht darauf, etwaige Stellen für so genannte Geringqualifizierte schlecht zu bezahlen, die Menschen, die diese Arbeit verrichten, an den Rand der Armut zu befördern. Wer das glaubt, der folgt einer falschen ökonomischen Moral - und das beweist wiederum, dass diese Ökonomie eben doch nicht so morallos ist, wie sie stolz vorgibt. Sie ist hochgradig moralisch - im Sinne von Herrenmoral und Snobismus. Die Armutsgefährdung der unteren Arbeitsmarktschichten ist kein Zufall, keine Unabwendbarkeit und von den Märkten bestimmte Notwendigkeit: Sie ist gewollt, elitär begründet und Ausdruck einer gesellschaftlichen Schieflage. Was wären denn all diese hoch angesehenen Dreckspatzen ohne die Reinigungskräfte, die sie gut aussehen lassen?“

http://ad-sinistram.blogspot.de/2015/09/die-armutsgefahrdung-die-von-oben.html

Uli Hoeneß mit einem geschätzten Vermögen von 300 Millionen Euro gilt in weiten Kreisen der Gesellschaft übrigens als besonders sozial denkender Mensch. Es ist allerdings nicht bekannt, dass er höhere Löhne bezahlt oder gar die Machenschaften in seiner Branche kritisiert hätte.

Hier noch zwei Filme:

 

Leiharbeiter - Kollegen dritter Klasse:

 

 

Die Fleisch-Mafia – Das geheime Netzwerk der Schlachthöfe:

http://www.daserste.de/information/reportage-dokumentation/dokus/sendung/exclusiv-im-ersten-die-fleisch-mafia-100.html