Weniger Demokratie wagen

Vor 100 Jahren wurde Willy Brandt geboren. Nur wenige Politiker hatten zu seiner Zeit solche Emotionen ausgelöst wie er und in vielen Medien wird er in diesen Tagen gewürdigt.

http://www.derwesten.de/panorama/wochenende/wie-willy-brandt-die-bevoelkerung-bewegt-und-gespalten-hat-id8771450.html

http://de.wikipedia.org/wiki/Willy_Brandt

 

Der Wurm und Bonifaz Breitmaulfrosch von der Arbeitsgruppe MMM (Macht, Medien, Manipulation) möchten sich einige wenige Punkte aus seinem Leben herausgreifen.

Fangen wir an mit den Verleumdungen übelster Art, mit denen er von konservativer Seite überzogen wurde. Konrad Adenauer beschimpfte ihn im Wahlkampf, dass er ein uneheliches Kind war, Emigrant war, geschieden war – alles Sachen, die mit seiner Politik überhaupt nichts zu tun hatten

Unterstellt wurde auch, dass er im norwegischen Exil deutsche Soldaten bekämpft hätte. Von Franz-Josef-Strauß stammt folgende Aussage: "Wir müssen Herrn Brandt fragen dürfen: Was haben Sie zwölf Jahre lang draußen gemacht? Wir wissen, was wir drinnen gemacht haben."

Günter Grass schreibt über Willy Brandt:

„Ich habe ihn damals, als ich ihm zum ersten Mal begegnete, in einem sehr verletzten Zustand kennengelernt. Das war die Zeit von Konrad Adenauer, in der Brandt als uneheliches Kind diffamiert wurde und als Emigrant. Die CDU und die Springer-Presse brüllten im Verleumdungschor mit – in Bayern war es die „Passauer Neue Presse“ -, das hat ihm sehr zugesetzt, viel seiner Kraft gebraucht und verbraucht, denn das ging ja über Jahre.“

http://www.abendzeitung-muenchen.de/inhalt.guenter-grass-ueber-willy-brandt-grass-willy-brandt-hat-deutschland-wieder-zivilisiert.fc5307c7-71fc-4a78-8a6d-04ce89faa17c.html

 

Auffällig ist, dass diese Unverschämtheiten von betont christlichen Politikern stammten und bei einem betont christlichen Publikum ihre Wirkung erzielten. Nicht nur gegenüber Willy Brandt und nicht nur zu dessen Zeit. Diffamierungen aus dieser Ecke erzielen auch heute noch ihre Wirkung, sind aber vom Ausmaß her deutlich zurück gegangen.

Mensch sollte es nicht für möglich halten – aber um die Zeit um 1970 herrschte eine gewaltige Aufbruchstimmung im Lande. Die Reformbemühungen der frisch installierten sozial-liberalen Regierung trugen das Ihre dazu bei, waren aber nicht der Auslöser: Die Jugend des Landes drängte nach vorn. Es gab eine hohe Anzahl von Jugendlichen, die materiell in halbwegs ordentlichen Verhältnissen aufwuchsen und die bislang nur Zeiten der Vollbeschäftigung kannten.

Und die zusammen etwas erreichen wollten. In geschichtlichen Rückblicken wird fast ausschließlich auf die linke Jugend eingegangen. Genauso interessant sind aber auch die konservativen Jugendlichen, die in kleineren Städten oder auf den Dörfern waren. Dort übernahmen sie gerade in dieser Zeit die Machtpositionen in den lokalen Vereinen bzw. gründeten neue Vereine. Auch wenn diese Vereine zum größten Teil nicht-politisch waren, waren sie Ausdruck einer neuen Zeit. Es wurde „was gemacht“, Kinder und Jugendliche wurden mit vielen Aktionen an die Vereine gebunden.

Aus kommunaler Sicht war die Zeit des Wiederaufbaus der Nachkriegsjahre vorüber. Es stand Geld zur Verfügung, das nicht mehr nur zur Reparatur, sondern zur Gestaltung ausgegeben wurde. Investitionen etwa in Schulen, Kultur, Sport und Naherholung waren die Folge.

Durch erweiterten öffentlichen Nahverkehr (und Fernverkehr – ab 1972 gab es das preiswerte InterRail-Ticket der Bahn) und oft dem eigenen Auto gab es Möglichkeiten, die kleine nahe oder die große weite Welt zu erkunden. Gab es in den verschnarchten Dörfern vorher als kulturelle Höhepunkte den „Tanz in den Mai“ oder das Kirchweih-Fest, traten immer öfter Musikgruppen und Kleinkünstler hauptsächlich „moderner“ Art auf mit bisher unbekannter Kleidung und Frisuren.

Auch die Politik war interessant: alle Parteien und gesellschaftliche Gruppen hatten gewaltige Zuläufe. Die Menschen waren bereit, sich in die Gesellschaft einzubringen, sie nach ihren Ideen zu gestalten. Von allen politischen Richtungen her. Natürlich auch von links. Auch von kommunistischer Seite und da hauptsächlich der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP).

Wer von dieser Partei noch nichts gehört hat: macht nichts, sie spielte auch keine große Rolle. War aber attraktiv für Jugendliche. Und machte den etablierten Parteien Angst. Und so kam es zum „Extremisten-Erlass“, der besagte, dass der Staat Bewerber aus politischen Gründen die Anstellung verweigern konnte. Das betraf vor allem Lehrer, betraf aber auch eher unpolitische Stellen im Staatsdienst wie Lokomotivführer oder Postboten.

Wer also Mitglied in einer Partei wie der DKP war, die zu Wahlen wie der Bundestagswahl zugelassen war, ihr gegenüber Sympathien zeigte oder bei einer ihrer Veranstaltungen gesehen wurde, hatte Pech gehabt.

Eine im übrigen westlichen Europa völlig unbegreifliche Sache – das Wort „Berufsverbote“ fand (auf deutsch!) Eingang in viele andere Sprachen.

Insgesamt soll es ca. 10.000 Opfer dieser Regelung gegeben war. Treibende Kraft war die SPD mit ihrem Parteivorsitzenden und Bundeskanzler Willy Brandt (nicht die CDU/CSU, wie gern behauptet wird).

http://www.getidan.de/gesellschaft/georg-fuelberth/43074/vierzig-jahre-%E2%80%9Eextremisten-erlass

 

Alles, was mensch zu dieser beispiellosen Aktion wissen muss inklusive aller möglichen und unmöglichen Manipulationen, hat die „Freiburger Bürgerinitiative gegen Berufsverbote“ zusammengetragen in dem lesenswerten Buch „Willy Brandts vergessene Opfer – Geschichte und Statistik der politisch motivierten Berufsverbote in Westdeutschland 1971 – 1988“, das unter dem Pseudonym „Manfred Histor“ verfasst wurde.

In heutzutagigen Dokumentationen über Willy Brandt kommt immer der Spruch „mehr Demokratie wagen“ aus seiner ersten Regierungs-Erklärung vor. Entweder gar nicht oder nur sehr am Rande findet der Extremisten-Erlass Erwähnung.

Unausrottbar ist die Überzeugung, Brandt sei wg. der Spionage-Affäre Guillaume zurückgetreten. Obwohl seit Jahrzehnten in allen Dokumentationen das Gegenteil behauptet wird.

Um es kurz zu machen: das Gegenteil stimmt. Nach seinem grandiosen Wahlsieg von 1972 war mit Willy Brandt immer weniger anzufangen. Er vernachlässigte immer mehr Land und Partei und gab sich immer mehr seinen Depressionen hin. Der moderne Ausdruck dafür lautet „Flasche leer“.

Mit dazu beigetragen hat eine Stimmband-Erkrankung, die für den Kettenraucher Willy Brandt zu einem Rauchverbot führte. Arnulf Baring schreibt in seinem Buch „Machtwechsel – Die Ära Brandt-Scheel“:

„Er wurde noch reizbarer, empfindlicher als sonst. Brandt zeigte sich später überzeugt, dass er als Regierungschef nicht hätte abtreten müssen, wenn er 1973 und 1974 beim Rauchen geblieben wäre; während der zwei Jahre, in denen er es unterließ, habe er eine entscheidende Einbuße seiner Leistungsfähigkeit erlitten … Doch wie verständlich auch immer dieser oder andere Gründe der Entrücktheit des Kanzlers von der Tagesarbeit sein mochten, seine Partei und die Regierung litten unter der Apathie an ihrer Spitze.“

Das war natürlich alles andere als gut in diesen turbulenten und vor allem wirtschaftlich immer schwerer werdenden Zeiten und die verantwortlichen Leute wie Herbert Wehner und Helmut Schmidt trugen ihren Teil zum Rücktritt vom Kanzleramt bei.

Hier Auszüge aus Barings Buch in drei Teilen.

http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-14333882.html

http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-14335750.html

http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-14337446.html

 

Nichtsdestotrotz glauben die meisten Menschen immer noch an den Rücktritt wg. dem Spion,  glauben an „mehr Demokratie wagen“ und ignorieren den Extremisten-Erlass, dessen Opfer überhaupt Demokratie gewagt hatten und ganz ignoriert werden die unverschämten persönlichen Beschimpfungen aus den Reihen von CDU und CSU.

Die spinnen, die Menschen!