Es ist tatsächlich soweit: Die Angst vor dem Virus hat das öffentliche Leben lahm gelegt. Das Leben jedes Einzelnen hat sich geändert bzw. wird sich noch ändern.
Politik, Wirtschaft und Gesellschaft werden sich massiv verändern. Bei nur wenigen Dingen lässt sich vorhersagen, zumindest in welche Richtung es gehen wird. Vieles wird schlechter werden.
Jedoch, um Friedrich Hölderlin zu zitieren: „Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch“.
Fließende Gewässer
Stille Wasser sind tief. Fließende Gewässer sind dies nicht: sie sind oberflächlich. Oberflächliche Menschen reden mit oberflächlichen Menschen oberflächliches Zeugs daher und zeigen oberflächliche Emotionen. Sie schauen fast ausschließlich auf Äußerlichkeiten und behandeln ihre Mitmenschen danach.
Im Beitrag http://www.ansichten-eines-regenwurms.de/313-missachtung-des-gesprochenen-wortes.html hatte der Wurm ihr Kommunikations-Verhalten beschrieben: der Inhalt des Geredeten ist völlig egal, Kommunikation wird aus emotionalen Gründen geführt – mensch versteht sich.
Den Bewohnern des Erdreichs und Menschen, denen es um den Inhalt geht, die tiefe Emotionen zeigen und die auch sonst in der Tiefe des Raumes leben, sind diese oberflächlichen Menschen ein Gräuel.
Der Wurm hatte diese Belanglosen in früheren Beiträgen gerne als „Halligalli-Truppe“ oder als „Geschichtslose“ bezeichnet.
Zumindest besteht die Möglichkeit, dass einige von den ehemals Belanglosen etwas seriöser werden.
Fragen, die sich jeder selbst beantworten sollte
Wie gut komme ich mit mir selbst zurecht? Wie lange komme ich mit mir selbst aus? Benötige ich andere Menschen, die mir sagen, wie toll ich bin? Benötige ich andere Menschen, denen ich klar machen kann, wie toll ich bin und dass ich immer recht habe?
Wie gut komme ich mit meiner Familie zurecht? Wie lange komme ich mit ihr gut zurecht?
Welche Menschen sind mir wichtig? Mit wem kann ich über die mir wichtigen Dinge reden? Wenn ich in seelischer oder materieller Not bin – wer würde mir wie helfen?
Wenn ich wüsste, ich hätte nur noch einen Monat zu leben – was würde ich dann tun? Warum habe ich dies nicht schon vorher getan? Wenn ich nichts Besonderes tun würde – warum nicht?
Wenn ich am Ende auf mein Leben zurück blicke: welche Meme habe ich hinterlassen? Was hat sich für einzelne Menschen oder für Gruppen von Menschen wesentlich durch meine Existenz geändert? Was hätte sich für diese Menschen geändert, wenn statt meiner ein Klon von einem Geschwister oder eines Durchschnitts der Familie da gewesen wäre? Habe ich meine Zeit mit wichtigen Dingen verbracht? Oder habe ich sie mit unwichtigen verschwendet?
Was ist wichtig, was ist notwendig?
Ausblick in die Zukunft
Sehr vieles wird sich sehr viel ändern. Es ist überhaupt nicht absehbar, was da alles kommen und wieder gehen wird. Auf Weniges wagt der Wurm einen Ausblick.
Menschliches Zusammenleben
Die Definition „Wir“ und „Die Anderen“ wird sich ändern bzw. verstärken. Sprich: innerhalb des „Wir“ wird es eine große Solidarität geben. Menschen in Not wird geholfen werden.
Außerhalb des „Wir“ wird es einen Hass geben auf Menschen, die sich nicht an die offiziellen Regeln halten. Da reicht es schon, wenn eine kleine, harmlose Familien-Feier abgehalten wird oder mensch Besuch aus einem anderen Ort erhält.
Alleine dadurch, dass auch nach dem Virus verstärkt von zu Hause aus gearbeitet werden wird, wird sich die Kommunikation und der zwischenmenschliche Austausch verändern. War es ehedem leichter, mit den Kollegen über Persönliches oder Geschäftliches zu reden oder sich zu Gruppen (wie Gewerkschaften) zu vereinen, wird dies mehr und mehr schwieriger.
Überhaupt werden Menschen sich verstärkt aus organisierten Gruppen wie etwa Parteien, Kirchen oder Vereinen zurückziehen.
Moralismus
Menschen sollen feiern, aus dem Alltag fliehen, soviel sie wollen. Es wäre schön, wenn sie etwas Tiefgang hätten und nicht ganz belanglos wären – aber das ist eine andere Sache.
Der seit Längerem von oben propagierte Moralismus (siehe den Schluss von http://www.ansichten-eines-regenwurms.de/431-polanski.html ) wird sich weiter verstärken. Wehe jedem, der zu sehr seine Freiheiten genießen möchte. Dann wird‘s schnell mit der Freiheit zu Ende sein.
Wirtschaft
Gerade kleinere und mittlere Unternehmen, die keine großen Rücklagen bilden konnten oder ordentlich investiert hatten, werden massiv zu leiden haben und es wird eine große Anzahl von Insolvenzen geben. Das ist tragisch für die Selbständigen und für deren Arbeiter. Beide werden wirtschaftlich ruiniert werden, wobei es besonders die Ärmsten der Armen treffen wird, die gerade in jenen Branchen arbeiten, die besonders unter der Krise zu leiden haben und die ohnehin schlecht zahlen (und die Arbeiter besonders auf das verdiente Geld angewiesen sind) wie Gastronomie oder Tourismus.
Große Unternehmen werden kleinere „schlucken“ und das „unhygienische“ Bargeld dürfte seinem Ende entgegen gehen.
Ein Bericht vom Pestjahr (A Journal of the Plague Year)
Zum Schluss noch etwas Literatur aus einem früheren Beitrag des Wurms:
„Im Jahr 1665 forderte die Pest ca. 70.000 Todesopfer in London. Ein erstklassiges Zeugnis darüber gibt Daniel Defoe mit seinem „Bericht vom Pestjahr“ aus dem Jahr 1722.
Ernst Gerhard Jacob in seinem Nachwort aus dem Jahre 1965: „Noch lange wird Defoe Erzählungen über die Pest aus dem Munde derer gehört haben, die sie überlebten, und in seinem puritanischen Elternhause wird das Gespräch auch oft darauf gekommen sein im Rahmen der großen Unsicherheit alles Irdischen und Vergänglichen mit seinem Bedürfnis nach Gebet und Buße. Defoe war unermüdlich und unübertroffen im Zuhören. Mit fremden Ohren und Augen konnte er sich so in vergangene Zeiten versetzen, daß seine Berichte darüber wie die eines Augen- und Ohrenzeugen aus jener Zeit selbst anmuten.
Diese erstaunliche Anpassungsfähigkeit Defoes, sein vielgestaltiges, proteusartiges „alter ego“ (hier im Bericht von der Pest der Sattler) ist das, was wir die „impersonation“, die Selbstdarstellung Defoes, nennen und als den Wesenskern seines universalen literarischen Schaffens erkennen. Defoe war ein begnadeter Journalist. Er konnte von allem ein lebendiges Bild entwerfen, ob er nun selbst dabei war oder nicht. Der englische Historiker Trevelyan schreibt über Defoe, daß dieser „als erster die Kunst der Reportage zur Vollendung gesteigert hat“ und daß selbst die Romane aus seiner Feder wie Robinson Crusoe (1719) und Moll Flanders (1722) „aus der Phantasie geschöpfte Reportagen über das tägliche Leben“ sind.
Bei Defoes Pestbericht (1722) ist es nicht anders. Defoe hielt sich an Tatsachen, soweit sie ihm zur Verfügung standen; wo nicht oder wo nur mangelhaft, erfand er sie und zwar mit derart sicherem Griff ins Wirkliche, daß es oft schwer ist, festzustellen, wo die Wahrheit endet und die Erfindung beginnt. Das alte Defoe-Robinson-Problem, wie es in der angelsächsischen Welt durch die Formel „fact and fiction“ (Tatsache und Erfindung) umrissen wird, zeigt sich auch im Buch von der Pest.
Walter Scott, der Defoe aus dem Dunkel der Vergessenheit auf seinen heutigen Ehrenplatz als einen der Väter und Meister des Prosaromanes erhoben hat, bekannte, daß Defoe, hätte er seinen Robinson nicht geschrieben, für sein Pestbuch die Unsterblichkeit verdient haben würde. Defoe und Scott besaßen beide in einem seltenen Maße die Gabe, in die historische Vergangenheit derart einzudringen, daß sie sich mit den von ihnen beschriebenen Romanhelden völlig zu identifizieren wußten. Defoes oft geltend gemachter Anspruch, daß seine Erzählungen wahr seien, ist durchaus nicht bloß ein Trick, um den Absatz seiner Bücher zu steigern und dem Bedürfnis seiner spätpuritanischen Leser nach Wirklichkeitsberichten zu entsprechen; in einem weiteren Sinne des Wortes sind seine Geschichten wirklich wahr. Defoe machte nicht nur Gebrauch vom besten verfügbaren Quellenmaterial, sondern er besaß auch einen lebendigen Sinn für die jeweils gegebene Wirklichkeit, die ihm zur zweiten Natur (alter ego) wurde. Der vollendete Ausdruck für dieses Selbstaufgehen in der neuen Umwelt ist nach unserem Dafürhalten die von Defoe bevorzugte Ich-Form der Erzählung, durch die er die Glaubwürdigkeit seiner Geschichten ebenso erhöht wie durch die stark betonte Detailschilderung aller Vorgänge und Zustände.
Lange Zeit wurde Defoes Bericht von der Pest als ein zeitgeschichtliches Dokument angesehen. Schon bald nach Erscheinen hielt es einer der bedeutendsten Ärzte jener Zeit, Dr. Mead, für eine authentische Quelle. Noch im Jahre 1841, also 120 Jahre nach seiner Veröffentlichung, wurde es von William Harrison Ainsworth als historische Quelle für seinen Roman „Old Saint Paul's“ benutzt …
Nach Defoes Tode (1731) wurde das „Journal“ im Laufe des 18. Jahrhunderts dreimal neugedruckt. Nach seiner Aufnahme in die von Walter Scott besorgte Gesamtausgabe der Defoeschen Werke wurde seine Verbreitung noch größer, vor allem auch, als ein frommer Buchhändler in Bath 1820 den Inhalt des Berichts in einem nur 23 Seiten umfassenden chapbook (Volksbuch) zusammenfaßte und dieses für einen Penny auf dem Lande verkaufen ließ. Das „Journal“ ist nächst dem „Robinson Crusoe“ das am meisten wieder aufgelegte und übersetzte Werk Daniel Defoes ...
Den unmittelbaren Anlaß für die Abfassung seines „Journals“ fand Defoe in dem allgemeinen Interesse, das damals auf jene Krankheit durch den Ausbruch der Pest in Marseille 1720/21 gelenkt wurde. Von Defoes zeitgenössischen Quellen sei hier nur auf den hervorragenden Arzt Dr. Nathaniel Hodges (im Tagebuch unter dem Namen Dr. Heath) und sein Werk Loimologia (1720) hingewiesen. Defoe hat sicher auch die „Anordnungen des Lord Mayor von London“ für die Pest gekannt und in seinem Tagebuch verwertet. Das Material für seine Schriftstellertätigkeit bestand aus einer Menge von Büchern, Manuskripten, Korrespondenzen, amtlichen Berichten, Unterredungen und persönlichen Beobachtungen und Notizen. Dieses Material hatte er stets bei der Hand und zog es ganz nach Bedarf heran. Er schrieb manche Bücher und legte sie wieder beiseite, weil die Nachfrage nach ihnen fehlte. So hätte er z. B. auch sein „Journal“ schon zehn Jahre früher schreiben können.
In den oben erwähnten „Anordnungen“ fanden sich viele Einzelheiten hinsichtlich der Wachmänner, der Schließung der infizierten Häuser, der Straßenreinigung, der Lüftung der Mietskutschen, der Kontrolle über die Bettler, die Kneipen, die Bärenhatz und dgl. All diese Einzelheiten, die durch Zeugenaussagen und Defoes eigene Phantasie noch ergänzt wurden, finden sich im ersten Teil des Berichts in gebührender Länge abgedruckt und erwecken beim Leser den Eindruck der Glaubwürdigkeit, solange er nicht bedenkt, daß die „Anordnungen“ eine frühere Epidemie betrafen und von Defoe selbst mit des Lordbürgermeisters Unterschrift versehen wurden.
Defoes „Journal aus dem Pestjahr“, das wie fast alle seine Werke anonym erschien, trägt den Untertitel: „Beobachtungen oder Erinnerungen der bemerkenswertesten Ereignisse, öffentlicher wie privater, beinhaltend, die sich in London während der letzten großen Heimsuchung im Jahre 1665 zutrugen. Niedergeschrieben von einem Bürger, der die ganze Zeit in London verbrachte. Nie zuvor veröffentlicht.“ Das Journal aus dem Pestjahr ist kein Tagebuch im eigentlichen Sinne. Es enthält keine Eintragungen unter bestimmten Daten, sondern verschiedene schriftliche Berichte über zurückliegende Zeiten („damals“, „in jener Zeit“ mit amtlichen Statistiken und Verordnungen, vielen, auf wahren Begebenheiten beruhenden Anekdoten, z. B. von Solomon Eagle, dem Schwarmgeist, oder von der Geldbörse im Posthof, die wegen der Ansteckungsgefahr niemand anzufassen wagte; ferner: viele gute Ratschläge zur Verhütung weiteren Übels, moralische, soziale und handelspolitische Betrachtungen über die Pest und ihre Folgen. Das Ganze liest sich fesselnd und spannend wie ein Roman trotz mancher Weitschweifigkeiten, Flüchtigkeiten, Widersprüchen und Wiederholungen, die sich auch hier aus der Hast und Eile erklären, mit der Defoe, der für seine Frau und sieben Kinder sorgen mußte, zu schreiben pflegte.
Neben der minutiösen Detailschilderung, durch die der Eindruck der größten Realistik erhöht wird, ist es auch das Stilmittel der Dramatisierung, z. B. bei der Erzählung von der vor der Pest fliehenden Drei-Männer-Wandergruppe, durch die eine große Lebhaftigkeit und Anschaulichkeit erzielt wird. Auch die psychologische Auswirkung der Seuche ist treffend geschildert …
In der medizingeschichtlichen Literatur hat Defoes „Journal“ von jeher eine große Rolle gespielt. Kurz nach Beendigung des zweiten Weltkrieges schrieb mir der frühere Direktor des Institute of the History of Medicine an der John Hopkins University (Baltimore), Prof. Henry E. Sigerist: „Defoe ist zweifellos für die Geschichte der Medizin von großem Interesse. Seine Schilderung der Pest ist äußerst lebendig und seine sozialen Essays sind sehr bedeutungsvoll“ …
Aus der neueren Literatur sei vor allem auf Johannes Nohl (Der schwarze Tod. Eine Chronik der Pest 1348 bis 1720, Potsdam 1924), verwiesen, der unter Benutzung zeitgenössischer Quellen ein vollständiges Bild von der „Pest und ihren gesellschaftlichen Folgen“ zu geben versucht und Daniel Defoe nicht weniger als siebenmal als Kronzeugen zitiert. So schreibt er z. B.: „Defoe erzählt, daß die Pestbeulen … wenn sie sich verhärteten und nicht aufbrechen wollten, so fürchterliche Schmerzen verursachten, daß sie der ausgesuchtesten Tortur gleichkamen, und daß sich viele, die diese Qualen nicht zu ertragen vermochten, aus den Fenstern stürzten, sich erschossen oder auf andere Weise das Leben nahmen. Sehr oft wurden die Erkrankten auch durch Angst und Schmerzen wahnsinnig. Eingehüllt in ihre Bettdecken, rannten sie nach den Totengruben und stürzten sich hinein, um sich, wie sie sagten, selbst zu begraben. Berühmt geworden ist in der Literaturgeschichte die Anekdote Defoes von dem lustigen Pfeifer, der schlafend im Totenkarren hinausgefahren wird und plötzlich fragt: „Ich bin doch nicht tot oder bin ich's?“ …
Das Interesse Defoes, der - wie sein Sattler in seinem Bericht von der Pest - aus der „middle dass“ stammte, war stets auf den soziologischen Unterbau der Gesellschaft, d. h. nicht auf die oberen 4.000, sondern auf die Masse der 4 Millionen gerichtet, im Gegensatz zu Addison und Steele, deren Interesse vor allem den „social scenes“ der höheren Gesellschaftsschichten galt. Es ist in diesem Zusammenhang charakteristisch für Defoe, daß er sich in seinem Pestbuch besonders auch mit den Folgen der Seuche für die Arbeitskraft des Volkes eingehend beschäftigt. So nennt er uns ausführlich die Klassen der Bevölkerung, die am meisten von der Arbeitslosigkeit durch die Pest betroffen wurden.
Von all den vielen Büchern und Schriften verschiedensten Inhaltes, die damals über die Pest erschienen, sind die beiden von Defoe, seine „Due Preparations for the Plague” und sein fingiertes „Journal” die einzigen, die heute noch ihren großen Wert als wahrheitsgetreue Zeitgemälde besitzen und denen wir, wie die moderne Forschung festgestellt hat, wegen ihrer unvergänglichen Lebensfrische und Lebensnähe fast ausschließlich unsere Kenntnis jener damaligen Zustände und Vorgänge verdanken. Auch sie setzen dem großen Schriftsteller und Menschen Daniel Defoe ein monumentum aere perennius, das dem allzeit „public-spirited man“ gilt, das heißt, dem mit dem nötigen Fingerspitzengefühl für die Fragen des öffentlichen Wohles begabten und begnadeten, echten Journalisten, der mit seinem erdichteten und erlebten „Journal“ mehr für die Menschheit leistete als alle gelehrten und halbgelehrten Abhandlungen seiner Zeitgenossen ...
Defoe aber, der z. B. mit seinem Robinson Crusoe das Lebensbrevier für ungezählte Scharen von Auswanderern nach Amerika und für die verschiedensten Übersee-Pioniere schrieb, zeigt sich auch in seinem „Journal“, dessen Erlebnisse er von einem Londoner Sattler, einem Manne seiner kleinbürgerlichen Gesellschaftsschicht berichten läßt, als der geniale Schriftsteller, der mit dem Herzblut seines Lebens schrieb und somit „in persona ad personam“ bis in unsere Tage wirkt: es ist gewiß kein Zufall, daß Albert Camus ein Wort von ihm vor seinen Roman „Die Pest“ (1950) gestellt hat.“
Daniel Defoe schildert alle nur denkbaren Aspekte bis hin zu Auswirkungen auf den Außenhandel. Er lobt die Bürokratie, die dafür sorgt, dass immer frische und preiswerte Lebensmittel in der Stadt sind, dass die Straßen sauber sind und die „unsauberen“ Dinge wie Beerdigungen in Massengräber in der Nacht durchgeführt wurden. Für solche Arbeiten gab es immer noch genug Arme, die das Risiko in Kauf nahmen, angesteckt zu werden, nur um etwas Geld verdienen zu können.
Zu jener Zeit war noch nicht bekannt, wie die Pest zustande kam, aber Daniel Defoe und die Behörden waren auf dem richtigen Weg:
„… Deshalb stand es für mich außer Frage, daß das Unheil durch Ansteckung verbreitet wurde; d.h. durch irgendwelche Dämpfe oder Dünste, die von den Ärzten effluvia genannt werden, durch den Atem, Schweiß oder die eiternden Wunden der Kranken oder auf eine andre Weise von ihnen ausgehend, welche vielleicht die Ärzte selbst nicht fassen können; diese effluvia griffen auf die Gesunden über, die bis zu einem bestimmten Abstand in die Nähe der Kranken kamen, drangen sofort in die inneren Organe der besagten gesunden Personen ein, versetzten ihr Blut in sofortige Fäulnis und verwirrten ihren Geist so, wie man ihn verwirrt fand; und die neu Angesteckten übertrugen die Krankheit auf die gleiche Weise auf andre. Dafür werde ich Beispiele anführen, die jeden, der ernsthaft die Dinge betrachtet, überzeugen müssen; und ich muß mich einfach wundern, daß es Leute gibt, die jetzt, da die Seuche vorüber ist, von ihr sprechen als von einem unmittelbar vom Himmel kommenden Schlag, der ohne Mitwirkung irgendeines Mittels den und jenen bestimmten zu treffen hatte und niemand sonst, eine Meinung, die man nur voll Verachtung als den Ausdruck offenkundiger Unwissenheit und unklarer Schwärmerei betrachten kann …
Weiter muß ich an dieser Stelle erwähnen, daß nichts für die Bewohner der Stadt verhängnisvoller war als ihre eigene gleichgültige Nachlässigkeit, denn obwohl sie lange vorher von der auf sie zukommenden Heimsuchung wußten und gewarnt waren, trafen sie doch keinerlei Vorsorge, legten keine Vorräte an Nahrungsmitteln und anderm Lebensnotwendigem an, welche es ihnen ermöglicht hätten, eingezogen in ihren Häusern zu leben, wie es andre taten und durch diese Vorsichtsmaßnahme, wie erwähnt, weitgehend bewahrt blieben; auch waren sie, nachdem sie die Gewöhnung noch gleichgültiger gemacht hatte, beim Umgang miteinander nicht mehr zurückhaltend wie anfangs, selbst wenn sie schon angesteckt waren und das auch wußten.
Ich muß bekennen, daß ich auch zu jenen Gedankenlosen gehörte, die so wenig Vorräte angelegt hatten, daß ich meine Bediensteten außer Haus schicken mußte, um jede Kleinigkeit groschen- oder pfennigweise einzukaufen, genau wie früher, und selbst als die Erfahrung mich meine Dummheit einsehen ließ, dauerte es bis zum einsichtigen Handeln noch eine ganze Weile; so daß ich schließlich kaum noch Zeit hatte, mich für einen Monat mit dem uns Nötigen einzudecken."
„… bin ich doch der Meinung, daß, wenn jeder, der fliehen will, erst einmal weg ist, die Zurückbleibenden, die sie über sich ergehen lassen müssen, steif und fest bleiben sollen, wo sie sind und nicht von einem Ende oder Viertel der Stadt zum andern hin- und herziehen; denn das bringt Unheil und Verderben für alle, denn sie schleppen selbst in ihren eigenen Kleidern die Pest von Haus zu Haus.
Wozu sonst war befohlen worden, alle Hunde und Katzen zu töten, wenn nicht deshalb, weil sie mit den Menschen zusammenleben und gern von Haus zu Haus, von Straße zu Straße laufen und dadurch die effluvia oder ansteckenden Ausdünstungen befallener Menschen sogar im Fell oder Haar weitertragen? Das war der Grund dafür, daß nach dem Ausbruch der Seuche vom Lord Mayor und der Stadtverwaltung eine Verordnung erlassen wurde, nach der, dem Rat der Ärzte folgend, alle Hunde und Katzen sofort getötet werden mußten, und jemand wurde mit der Durchführung beauftragt.
Es ist unglaublich, falls man sich auf den Bericht verlassen kann, eine wie unerhört große Zahl dieser Tiere vernichtet wurde. Ich meine, man sprach von vierzigtausend Hunden und fünfmal soviel Katzen, da kaum ein Haus ohne Katze war, manche hatten mehrere, manchmal bis zu fünf und sechs. Es wurden auch alle Anstrengungen unternommen, die Mäuse und Ratten zu vernichten, vor allem letztere, gegen die man Rattenvertilgungsmittel und andere Gifte auslegte, und auch von ihnen wurde eine außerordentliche Menge vernichtet.“
Religiöser, esoterischer und astrologischer Wahn sind den Menschen aller Zeiten zu eigen. Daniel Defoe schildert das folgendermaßen:
„Zu diesen sich vor jedermann abspielenden Vorgängen kamen die Träume alter Weiber, genauer, was alte Weiber aus den Träumen andrer herausdeuteten; diese machten eine Menge Leute völlig verrückt. Manche hörten warnende Stimmen, daß sie fliehen sollten, denn die Pest würde in London so furchtbar werden, daß die Lebenden nicht mehr die Toten begraben könnten. Wieder andere hatten Erscheinungen; und es sei mir erlaubt, von beiden zu sagen, ohne das Gebot christlicher Nächstenliebe zu verletzen, daß sie Stimmen hörten, die nicht sprachen, und Dinge sahen, die nicht da waren; aber die Menschen hatten die Kontrolle und Herrschaft über ihre Phantasie verloren. Und es ist gar kein Wunder, daß diejenigen, die nur noch auf die Wolken starrten, dort Gestalten und Bilder, Zeichen und Erscheinungen sahen, die doch nur Schall und Rauch waren. Da sahen sie angeblich ein flammendes Schwert, das eine aus den Wolken ragende Hand hielt, dessen Spitze direkt über der Altstadt hing. Dort sahen sie Leichenwagen mit Särgen, auf dem Weg zur Beerdigung. Und dort wieder Haufen von unbeerdigten, herumliegenden Toten, und manches andere, wie es die Einbildungskraft den armen, schreckerfüllten Menschen gerade eingab.
So bildet sich der Hypochonder ein
am Himmel Flotten, Schlachten, Heeresreihn;
bis stetes Aug den trüben Dunst durchdringt
und alles so zurück zur Wolke bringt.
Ich könnte diesen Bericht leicht mit all dem seltsamen Zeug füllen, was die Leute tagtäglich von ihren Erscheinungen erzählten; und jeder war so davon überzeugt, daß er wirklich gesehen hätte, was er doch nur sich einbildete, daß man keinem widersprechen konnte, ohne es mit ihm zu verderben oder als ungehobelt und unhöflich sowohl, wie auch als ungläubig und verstockt zu gelten. Vor dem Ausbruch der Pest (aber nachdem sie in St. Giles schon wie erwähnt aufgetreten war), es war wohl im März, sah ich einmal einen Menschenauflauf auf der Straße, und ich gesellte mich ihm zu, um meine Neugier zu stillen; sie starrten alle in die Luft, um auch zu sehen, was eine Frau als deutliche Erscheinung schilderte, nämlich einen weißgekleideten Engel mit einem feurigen Schwert in der Hand, das er über dem Kopf schwang oder kreisen ließ. Sie beschrieb jede Einzelheit der Gestalt so genau, jede seiner Bewegungen, und die Menschen gingen so eifrig und willig mit, daß sie ausriefen: „Ja, nun seh' ich's auch genau!“ - „Da ist das Schwert, ganz deutlich!“ Einer sah den Engel, einer gar sein Gesicht, und er rief, was er doch für eine hehre Gestalt sei. So sah der eine dies, der andre jenes. Ich schaute ebenso aufmerksam wie alle andern, wenn auch nicht so willig, mir etwas vormachen zu lassen; und so sagte ich denn, daß ich nichts sehen könne als eine weiße, auf der einen Seite von der Sonne hell erleuchtete Wolke. Das Weib bemühte sich, auch mir die Erscheinung zu zeigen, doch ich hätte wahrhaftig lügen müssen, hätte ich gesagt, daß ich sie auch sähe. Dann wandte sich die Frau mir zu, schaute mir ins Gesicht und meinte, ich lache, auch dies durch ihre Einbildung vorgespiegelt, denn ich lachte wirklich nicht, dachte vielmehr ernsthaft darüber nach, wie diese armen Menschen durch ihre wuchernde Phantasie sich selbst Angst einjagten. Sie jedoch wandte sich von mir ab und nannte mich einen Spötter und einen Ungläubigen, verkündete mir, daß es die Zeit des göttlichen Zorns sei und schreckliche Strafgerichte auf uns zukämen, und daß solche Gotteslästerer wie ich in ihr Verderben rennen sollten.
Die Menschen um sie herum waren. ebenso über mich erbost wie sie selber; und ich sah, daß sie nicht davon zu überzeugen waren, daß ich mich nicht über sie lustig machte; ja, daß sie mich eher verprügelt hätten, als daß ich sie von ihren Einbildungen hätte befreien können. So ging ich fort, und die Erscheinung wurde für ebenso wirklich gehalten wie der Komet.
Ähnliches erlebte ich noch einmal, und zwar auch am hellichten Tag, und zwar, als ich einmal einen schmalen Durchgang von Petty France zum Friedhof von Bishopsgate passierte, an einer Reihe von Armenhäusern vorbei. Zur Kirche und Gemeinde Bishopsgate gehören zwei Friedhöfe; den einen überquert man, wenn man von dem Platz mit Namen Petty France in die Bishopsgate Street geht, wobei man direkt an der Kirchentür herauskommt. Der andere ist seitlich des schmalen Durchgangs, an dessen linker Seite die Armenhäuser stehen, während sich rechts eine kleine Mauer mit einem Staketenzaun drauf befindet und noch weiter rechts dahinter die Stadtmauer.
In diesem schmalen Durchgang also steht ein Mann und schaut durch den Staketenzaun auf den Friedhof, und um ihn herum so viele Menschen, wie die Enge des Durchgangs Platz läßt, ohne daß andre am Vorbeigehen gehindert werden, und er redete voll Eifer auf sie ein und zeigte mal hierhin, mal dorthin und versicherte ihnen, daß er auf einer der Grabplatten einen Geist habe wandeln sehen. Er beschrieb dessen Gestalt, Haltung und Bewegung ganz genau, und war von der größten Verwunderung darüber ergriffen, daß die anderen das Gespenst nicht auch gesehen hatten, wie er. Dann rief er plötzlich wieder aus: „Da ist es, es kommt hierher!“, dann: „Nun wendet sich's ab!“, und schließlich waren die Menschen selber so fest davon überzeugt, daß erst der eine, dann der andere sich einbildete, selbst das Gespenst zu sehen. Und so kam der Mann jeden Tag und bewirkte in der doch so engen Passage einen großen Auflauf, bis die Uhr der Bishopsgate Kirche elf schlug, und dann schien der Geist sich wegzubewegen und mit einem Schlag zu verschwinden, als ob ihn jemand riefe.
Ich schaute immerfort aufmerksam in die Richtung, wohin der Mann deutete, konnte aber auch nicht das geringste von einer Erscheinung entdecken; aber der Mann wirkte so überzeugend, daß die Menschen eine tiefe Bedrückung überkam und sie zitternd und furchterfüllt davongingen; schließlich wagten nur noch wenige, die davon wußten, durch diesen Gang zu gehen, und bei Nacht mied man ihn auf jeden Fall.
Dieser Geist, behauptete der Mann, deutete auf die Häuser, auf die Erde und auf die Leute, um eindeutig damit anzuzeigen, mindestens legte man es so aus, daß eine Unzahl Menschen auf dem Friedhof begraben werden würde, wie es dann wahrhaftig auch geschah. Trotzdem, muß ich gestehen, glaube ich nicht, daß der Mann eine solche Erscheinung hatte, ich hatte ja auch nichts sehen können, obwohl ich doch angestrengt hingeschaut hatte, um sie wenn möglich zu erkennen.
An solchen Ereignissen kann man sehen, wie die Menschen allen möglichen Täuschungen erlagen; und da sie von dem Herannahen der Heimsuchung wußten, zielten all ihre Voraussagen auf eine fürchterliche Pestepidemie, welche die Stadt, ja das ganze Land verwüsten und alles, Menschen und Tiere, vernichten würde.
Zu all dem kamen, wie von mir schon erwähnt, die Astronomen, mit ihren Geschichten von bösartigen und Unheil ausstrahlenden Planetenkonjunktionen, von denen die eine im Oktober stattfinden sollte, was auch geschah, und die andere im November; und sie redeten den Leuten die Köpfe voll über die Bedeutung dieser himmlischen Anzeichen, daß diese Konjunktionen Dürre, Hunger und Pestilenz verkündeten. Was jedoch die beiden ersten Vorhersagen betrifft, so waren sie völlig falsch, denn das Jahr wurde nicht trocken, wir hatten am Anfang einen scharfen Frost, der von Dezember bis fast in den März hinein dauerte, dann angenehmes Wetter, nicht zu heiß, mit frischem Wind, im ganzen, kurz gesagt, durchweg günstiges Wetter, sogar mit einigen großen Regenperioden dazwischen.
Man ergriff zwar einige Maßnahmen, den Druck solcher Bücher, die den Menschen Furcht einjagten, zu unterbinden, und die Händler, von denen einige verhaftet wurden, von deren Verbreitung abzuschrecken; aber soweit ich weiß, geschah nichts weiter, da die Regierung die Bevölkerung, die sowieso schon völlig durcheinander war, nicht noch mehr aufbringen wollte.
Auch kann ich jene Pfarrer nicht von Schuld freisprechen, die in ihren Predigten die Herzen der Zuhörer mehr ent- als ermutigten. Zwar taten dies zweifellos viele, um den Willen der Menschen zu stärken, und vor allem sie zur Buße zu führen; aber sie erreichten sicher nicht, was sie wollten, mindestens nicht in dem Maß, um den auf der anderen Seite dadurch eintretenden Schaden aufzuwiegen. Und wie Gott doch durch die ganze Heilige Schrift die Menschen mehr lockt, indem Er sie einlädt, zu Ihm zu kommen und das Leben zu haben, sie aber nicht durch Furcht und Schrecken zu Sich zwingt, so hätten es auch die Pfarrer tun sollen, um offen meine Meinung zu sagen; sie hätten unseren gnädigen Herrn und Meister darin zum Vorbild nehmen sollen, dessen Evangelium voll ist von der himmlischen Botschaft von Gottes Gnade und Seiner Bereitschaft, den Sünder anzunehmen und ihm zu vergeben, wie Er sagt: „Wer nicht zu mir kommt, wird nicht das Leben haben“, und deshalb ist Sein Evangelium ja die Botschaft des Friedens und der Gnade.
Aber es gab einige angesehene Männer, und zwar aller Glaubensrichtungen und Anschauungen, deren Predigten verkündeten nur Schrecken und hatten nur Fürchterliches zum Inhalt; und wie sie die Menschen voll Angst um sich versammelten, verkündeten sie ihnen nichts als schlimme Zeiten, entließen sie diese in Tränen, denn sie verkündeten ihnen nichts als Böses, erschreckten die Leute mit dem Bild ihrer völligen Vernichtung, und leiteten sie nicht, mindestens nicht genügend, dazu an, den Himmel um Gnade anzuflehen.
Es herrschten damals bei uns recht schlimme Entzweiungen auf dem religiösen Gebiet. Unzählige Sekten und Richtungen und unterschiedliche Glaubensmeinungen lebten unter dem Volk. Zwar war die Anglikanische Kirche mit der Wiedereinrichtung der Monarchie vier Jahre zuvor wiederhergestellt worden, aber die Pfarrer und Prediger der Presbyterianer und Unabhängigen und aller anderen Bekenntnisse hatten begonnen, ihre eigenen Gemeinden zu sammeln und Altar gegen Altar zu errichten, und jede Sekte hatte wie heute noch ihren eigenen Gottesdienst, aber es bestanden noch nicht so viele davon, da die Dissenter damals ihre Gemeinden noch nicht so straff zusammengefaßt hatten, wie es inzwischen geschehen ist, so daß es damals erst wenige dieser Gemeinden gab. Und selbst die schon bestehenden waren von der Regierung verboten, die sie zu unterdrücken und ihre Versammlungen zu schließen suchte.
Diese Heimsuchung aber versöhnte sie wieder, zumindest eine Zeitlang, und vielen der besten und würdigsten Pfarrer und Prediger der Dissenter wurde erlaubt, in den Kirchen zu predigen, deren Geistliche geflohen waren, da sie das Elend nicht ertragen konnten; und die Leute strömten ohne Unterschied ihnen zu, um sie predigen zu hören, ohne sich zu fragen, wer sie waren oder welchem Bekenntnis sie anhingen. Aber nachdem die Seuche vorbei war, schwand dieser Geist der Nächstenliebe wieder dahin; und da jede Kirche wieder ihre eigenen Pfarrer hatte und man neue eingesetzt hatte, wo die alten gestorben waren; kehrte alles bald wieder ins alte Fahrwasser zurück.
Ein Unglück kommt selten allein. Diese Ängste und Befürchtungen veranlaßten die Leute zu tausend törichten, albernen und üblen Handlungen, wobei denn jene Sorte wirklich übler Menschen nicht fehlte, die sie dazu noch ermunterten; und so liefen sie zu Wahrsagern, Hellsehern und Sterndeutern, um ihre-Zukunft zu erfahren, oder, wie-es das Volk nannte, sich wahrsagen zu lassen, sich das Horoskop stellen zu lassen usw.; und durch diese Torheiten war die Stadt bald überschwemmt von einer Schar von Betrügern, die behaupteten, mit der Magie, der „Schwarzen Kunst“, wie sie es nannten, und ich weiß nicht womit noch, vertraut zu sein; ja, tausendmal vertrauteren Umgang mit dem Teufel zu pflegen, als sie in Wirklichkeit schuldig waren. Und dieses Gewerbe drängte allgemein ans Tageslicht, daß man bald überall an den Türen angeschlagen lesen konnte: „Wahrsager-Praxis“, „Astrologie“, „Hier werden Horoskope gestellt“ usw.. Und die Messingplakette mit dem Kopf des Franziskaners Bacon, die gewöhnlich die Wohnung solcher Leute anzeigte, konnte man fast in jeder Straße sehen, oder auch das Zeichen der Mutter Shipton, des Zauberers Merlin Kopf und ähnliches.
Ich weiß zwar wahrhaftig nicht, mit was für dummem, unsinnigem und lächerlichem Zeug diese Teufelsorakel die Menschen beruhigten und zufriedenstellten, aber soviel ist sicher, daß sich jeden Tag unzählige Besucher vor ihren Türen drängten. Und wenn man nur einen würdig dreinschauenden Menschen in Samtjacke, Bäffchen und schwarzem Umhang, in welcher Kleidung solche angeblichen Zauberer herumzulaufen pflegten, auf den Straßen sah, folgten ihm die Leute immer in Scharen und stellten ihm ihre Fragen.
Ich brauche nicht zu erwähnen, was das für eine fürchterliche Selbsttäuschung war, oder wohin das führte; aber es gab kein Heilmittel dagegen, bis die Pest selbst all dem ein Ende setzte und, so vermute ich, die Stadt von den meisten jener Wahrsager mit eigner Hand befreite. Eine ihrer unheilvollen Tätigkeiten war, daß diese angeblichen Astrologen, wenn sie von den Leuten gefragt wurden, ob die Pest kommen werde, durchwegs mit „ja“ antworteten, denn das hielt ihr Gewerbe am Blühen. Denn wären die Menschen nicht in dauernder Furcht vor ihr gehalten worden, so wären die Zauberer überflüssig geworden, und ihre Tätigkeit wäre zu Ende gewesen. Aber sie erzählten ihnen dauernd von diesen und jenen Einflüssen der Sterne, von den Konjunktionen dieser und jener Planeten, die notwendigerweise Krankheiten und Seuchen bewirken, also die Pest. Und einige hatten sogar die Stirn, ihnen zu erzählen, daß die Pest schon ausgebrochen sei, was zwar nur zu richtig war, obgleich diejenigen, die solches behaupteten, es gar nicht wußten.
Die Pfarrer und meisten Prediger, um ihnen Gerechtigkeit angedeihen zu lassen, soweit sie ernsthafte und vernünftige Persönlichkeiten waren, wetterten gegen diese und ähnliche verderbliche Praktiken und deckten deren Torheit und Verderblichkeit gleichermaßen auf, und wirklich nüchterne und urteilsfähige Leute verachteten und verabscheuten sie. Aber es war unmöglich, die gewöhnlichen Bürger und die armen, schwer sich abmühenden Arbeitsleute zu beeinflussen; ihre Furcht übermannte jedes andere Gefühl, und sie warfen ihr Geld verrückterweise für solchen Unsinn aus. Vor allem Dienstmädchen und Diener waren ihre hauptsächlichsten Kunden, und ihre Fragen lauteten gewöhnlich, nachdem sie zu wissen verlangt hatten, ob die Pest komme, sie lautete also gewöhnlich: „O, mein Herr, was wird aus mir, um Gottes willen? Wird mich meine Herrin behalten, oder wird sie mich entlassen? Wird sie hierbleiben oder aufs Land ziehen? Und wenn sie aufs Land zieht, wird sie mich dann mitnehmen oder wird sie mich hierlassen, wo ich dann hungern und umkommen muß?“ Ebenso war es bei den Dienern.
Die Lage der armen Bediensteten war wirklich übel, wie ich nach und nach noch Gelegenheit haben werde zu berichten, denn es war klar, daß eine sehr große Anzahl von ihnen entlassen würde, wie es dann auch geschah. Und eine außerordentliche Anzahl von ihnen ging zugrunde, vor allem die, welche jene falschen Propheten mit der Hoffnung betrogen hatten, daß sie in Diensten bleiben und mit ihren Herrschaften aufs Land genommen würden; und hätte nicht die öffentliche Wohlfahrt diese armen Geschöpfe versorgt, die so außerordentlich zahlreich waren, wie es in solchen Fällen notwendigerweise immer sein muß, so wäre ihre Lage die schlimmste in der ganzen Stadt gewesen.
Das alles beschäftigte die Gemüter der einfachen Menschen viele Monate lang, während die ersten Vorahnungen über ihnen schwebten, und während die Pest, wie man sagen kann, noch nicht ausgebrochen war. Aber ich möchte nicht hinzuzufügen vergessen, daß sich der ernsthaftere Teil der Bevölkerung anders verhielt. Die Regierung rief sie zum Gebet auf und setzte öffentliche Gebetsstunden, Fastenzeiten und Tage der Buße an, an denen sie öffentlich ihre Sünden bekennen und die Gnade Gottes anrufen sollten, um das fürchterliche Gottesgericht abzuwenden, das über ihren Häuptern hing; und man kann gar nicht sagen, mit welchem Eifer die Menschen aller Glaubensrichtungen die Gelegenheit wahrnahmen; wie sie in die Kirchen und Versammlungen strömten, und oft war ein solches Gedränge, daß man gar nicht hineinkommen konnte, ja nicht einmal bis an die Türen selbst der größten Kirchen. Auch waren in einigen Kirchen tägliche Morgen- und Abendgebete angesetzt, und an andern Orten Tage des stillen Gebetes. An allem nahmen die Menschen, muß ich sagen, mit ungewöhnlicher Frömmigkeit teil. Manche Familien, ganz gleich welchen Bekenntnisses, hielten auch für sich Fastenzeiten ab, an denen nur die nächsten Verwandten teilnehmen durften. So daß, mit einem Wort, die Menschen, welche wirklich ernsten und frommen Gemütes waren, auf echt christliche Weise sich der Reue und Buße hingaben, wie es Christenmenschen tun sollten.
So zeigte die Bevölkerung aber, daß sie das ihre zu tun gewillt war. Selbst der Hof, der sonst so leichtlebig und verschwenderisch war, gab sich den Anschein, an der die Öffentlichkeit bedrohenden Gefahr schicklichen Anteil zu nehmen. All die Schauspiele und Komödien, die nach der Art des französischen Hofs bei uns eingeführt worden waren und sich auszubreiten begannen, wurden verboten; die Spielbanken, öffentlichen Tanz- und Musikhallen, deren Anzahl sich vervielfältigt hatte und die guten Sitten zu verderben begannen, wurden geschlossen und verboten; und die Hanswurste, Spaßmacher, Marionettentheater und Seiltänzer und ähnliche Vergnügungsstätten, welche die armen Leute verführt hatten, schlossen ihre Häuser, da sich einfach keine Zuschauer mehr fanden; denn die Menschen waren mit anderen Gedanken beschäftigt, und eine Art Überdruß, ja Abscheu vor diesen Dingen war auf den Gesichtern selbst der einfachen Leute zu bemerken. Der Tod stand ihnen vor Augen, und jeder dachte schon an sein Grab, nicht an Vergnügungen und Zerstreuungen.
Aber selbst ein solch heilsames In-sich-gehen, welches, hätte man es richtig genützt, die Menschen zu ihrem Heil dahin gebracht hätte, auf die Knie zu fallen, ihre Sünden zu bekennen und zu ihrem gnädigen Erlöser um Vergebung aufzuschauen, und Sein Mitleid in dieser Zeit des Elends zu erflehen, wodurch unsere.Stadt ein zweites Ninive geworden wäre - es bewirkte in den einfachen Menschen, daß sie ins andre Extrem fielen, da sie - dumm und unwissend in ihrem Nachdenken, wie zuvor tierisch schlecht und gedankenlos - nun von ihrer Furcht zu Handlungen äußerster Torheit hingerissen wurden; und wie sie, was ich schon erwähnte, zu Zauberern und Hexen und allen Arten von Betrügern rannten, um von diesen zu erfahren, was aus ihnen würde (und diese nährten ihre Furcht und hielten sie in dauernder Aufregung und Unruhe, um sie um so leichter zu betrügen und ihnen die Taschen zu leeren), so liefen sie wie verrückt zu Quacksalbern und Kurpfuschern und jedem alten Kräuterweib, um sich Medizin und Heilmittel zu kaufen, und stopften sich derart voll mit Pillen, Tränklein und angeblichen Vorbeugungsmitteln, daß sie nicht nur ihr Geld verloren, sondern sich gar schon vorher vergifteten aus Angst vor dem Gift, der Ansteckung, und der Pest den Boden bereiteten, statt sich vor ihr zu schützen. Auch waren in einer unglaublichen und kaum vorstellbaren Weise Hauspfosten und Straßenecken bepflastert mit Anzeigen von Ärzten wie mit Anpreisungen von Quacksalbern, welche doch nur ohne Sachkenntnis irgendetwas zusammenbrauten und herumpfuschten und die Menschen dazu bringen wollten, ihre Heilmittel zu kaufen, was sie meist mit großspurigen Anpreisungen versuchten, wie z. B. „Unbedingt sichere Vorbeugungspillen gegen die Pest!“ „Garantiert zuverlässiger Schutz gegen Ansteckung!“ „Wirksamstes Stärkungsmittel gegen die Verseuchung der Luft!“ „Genaue Anweisungen, wie man sich im Fall einer Ansteckung verhalten soll!“ „Anti-Pest-Pillen!“ „Einmaliges Getränk gegen die Pest, nie zuvor dagewesen!“ „Universalheilmittel gegen die Pest.“ „Das einzige echte Pestwasser!“ „Die königliche Medizin gegen alle Arten von Ansteckungen!“, und viele weiter, die ich nicht alle aufzählen kann; könnte ich's, würde es allein ein Buch füllen, sie alle wiederzugeben.
Andere schlugen Plakate an, welche die Leute zu sich in ihre Wohnungen einluden, um sich dort im Falle einer Ansteckung Anleitung und Rat zu holen. Sie schrieben sich seltsame Qualifikationen zu, wie z. B.
„Hervorragender hochniederländischer Arzt, kürzlich aus Holland gekommen, wo er während der ganzen Zeit der vorjährigen Pest in Amsterdam gelebt. und eine Vielzahl von Menschen kuriert hat, die nachgewiesenerrnaßen die Pest hatten.“
„Italienische Adelige, eben aus Neapel angekommen; mit einem vorzüglichen Geheimmittel zur Vermeidung der Ansteckung, welches sie durch ihre große Erfahrung entdeckte und damit wunderbare Heilungen während der dortigen letzten Pest vollbrachte, bei der an einem Tag 20.000 Menschen starben.“
„Alte Dame, die hier während der letzten Pest, Anno 1636, mit großem Erfolg praktizierte; gibt ihren Rat nur an Personen weiblichen Geschlechts. Sie ist zu sprechen,“ usw.
„Erfahrener Arzt, der seit langem die Lehre von den Gegenmitteln gegen alle Arten Gift und Ansteckungen studiert hat, hat sich nach vierzigjähriger Praxis ein solches Können angeeignet, daß er, mit dem Segen Gottes, den Leuten Rat geben kann, wie sie jeden Anflug aller beliebigen ansteckenden Krankheiten vermeiden können. Arme werden von ihm gratis beraten.“
Ich habe hier nur die verschiedenen Arten ausgewählt. Ich könnte leicht zwei oder drei Dutzend ähnlicher Texte wiedergeben und hätte dabei immer noch eine Unzahl nicht berücksichtigt. Man kann aber aus diesen schon genügend von der Geistesart jener Zeit erfassen und sehen, wie ein Haufen von Dieben und Lumpen nicht nur den armen Leuten ihr Geld wegnahm und sie darum betrog, sondern sie auch noch mit zweifelhaften und schädlichen Mitteln vergiftete, die einen mit Quecksilber, die andern mit anderem, ebenso schlechtem Zeug, das mit dem zu erreichenden Zweck absolut nichts zu tun hatte und dem Körper eher schadete als nützte, wenn eine Ansteckung eintrat.
Ich kann mir nicht versagen, den besonders schlau ausgedachten Trick eines dieser Quacksalber mitzuteilen, mit dem er die Armen dazu verlockte, in Haufen zu ihm zu kommen, und dann doch nichts ohne Bezahlung für sie tat. Es scheint, daß er den Werbezetteln, die er auf den Straßen verbreitet hatte, in großen Buchstaben hinzugefügt hatte: „Arme werden von ihm umsonst beraten!“
Infolgedessen kam eine Unzahl armer Leute zu ihm, denen er viele schöne Reden hielt, sie auf ihren Gesundheitszustand und ihre körperliche Verfassung untersuchte und ihnen viele gute Ratschläge gab, was sie machen sollten, was aber alles ziemlich wertlos war. Das Ende vom Lied aber war, daß er ein Vorbeugungsmittel hätte, das, nähmen sie es jeden Morgen in der und der Menge, so wettete er sein Leben dafür, sie vor der Pest völlig bewahren würde; selbst dann, wenn sie mit Pestkranken in einem Haus wohnten. Natürlich waren dann alle entschlossen, sich das Mittel zu besorgen; aber dann kostete es sehr viel, ich glaube, eine halbe Krone. „Bitte, mein Herr“, sagt da eine arme Frau, „ich bin eine mittellose Armenhäuslerin und werde von der Gemeinde erhalten, und auf euren Zetteln steht doch, daß ihr den Armen umsonst helft.“ „O, liebe Frau“, antwortete da der Arzt, „ich tue genau, was ich angekündigt habe. Ich gebe den Armen doch meinen Rat ganz umsonst, wenn auch nicht meine Medizin.“ „So ist das also“, sagt sie darauf, „da habt ihr also den Armen eine Schlinge gelegt; ihr gebt den Armen euren Rat umsonst; und ihr ratet ihnen ganz gratis, für ihr Geld eure Medizin zu kaufen; das macht jeder Geschäftsmann mit seiner Ware.“ Darauf begann die Frau, ihn zu beschimpfen, und stand jenen ganzen Tag vor seiner Tür und erzählte das allen, die kamen, bis der Doktor, der sah, daß sie seine Kunden verscheuchte, nicht anders konnte, als sie wieder heraufbitten und ihr eine Schachtel Medizin umsonst geben, und daß sie diese hatte, war wohl auch umsonst.
Aber zurück zu den Leuten, die sich in ihrer Verwirrung von jedem Betrüger und Marktschreier hereinlegen ließen. Es gibt keinen Zweifel, daß diese Quacksalber eine Menge Geld an der Not der Menschen verdienten, denn man konnte jeden Tag erleben, wie sehr viel mehr zu ihnen liefen und die Leute sich viel zahlreicher vor ihren Türen drängten, als sie zu Dr. Brooks, Dr. Upton, Dr. Hodges, Dr. Berwick und andern kamen, obwohl diese doch damals die berühmtesten Ärzte waren. Und ich ließ mir sagen, daß einige von ihnen fünf Pfund pro Tag an ihrer Medizin verdienten.
Ein anderer Wahnsinn ging aber noch über dies hinaus, und seine Darstellung mag einen Begriff von der völligen Verwirrung der ärmeren Bevölkerung damals geben; es war dies, daß sie auf eine noch schlimmere Art von Betrügern hereinfielen als jenen schon erwähnten. Denn diese kleinen Diebe machten den Leuten nur etwas vor, um ihnen das Geld aus der Tasche zu ziehen, und dadurch versündigten sich auf die eine oder andere Weise, dadurch daß sie betrogen, nur die Betrüger und nicht die Betrogenen. Aber beim Folgenden versündigten sich vor allem die Betrogenen, zumindest aber diese ebenso wie die Betrüger, nämlich dadurch, daß sie Zaubersprüche, Zaubertränke, Beschwörungen und Amulette und wer weiß was noch verwendeten, um sich dadurch gegen die Pest fest zu machen; als wäre die Pest nicht ein Werkzeug Gottes, sondern eine Art Besessensein von einem bösen Geist, das man mit Bekreuzigen, Tierkreiszeichen, in so und so viele Knoten gebundene Papierstreifen, auf denen gewisse Worte und Zeichen stehen mußten, verhindern konnte, wobei das Wort Abracadabra, in folgender Weise als Dreieck oder Pyramide geschrieben, besonders bevorzugt wurde ...
Eine Sache kann ich hier nicht übergehen, die ich wahrhaftig für außergewöhnlich hielt und jedenfalls deutlich als die Hand der Göttlichen Gerechtigkeit erschien, nämlich, daß all die Astrologen; Wahrsager, Zauberer und die sogenannten weisen Männer usw.; all die Horoskopsteller, Traumdeuter und ähnliches Volk, weg und verschwunden waren; nicht einen konnte man mehr finden. Ich bin durchaus davon überzeugt, daß eine große Anzahl von ihnen in den Tagen der größten Not umgekommen ist, denn sie hatten wegen der Aussicht auf große Vermögen zu bleiben gewagt; und ihre Einnahmen waren auch wirklich eine gewisse Zeit durch die Verrücktheit und Torheit der Menschen außerordentlich hoch. Jetzt aber schwiegen sie; viele von ihnen gingen zur langen Ruhe ein, sie hatten nicht ihr eignes Schicksal voraussagen und ihr eignes Horoskop stellen können. Einige behaupten gar zu wissen, daß alle starben. Das wage ich nicht zu bestätigen; aber ich muß zugeben, daß ich niemals hörte, daß auch nur einer von ihnen wieder auftauchte, als die Pest vorüber war …
Was Quacksalber und Scharlatane betrifft, von denen die Stadt nur so wimmelte, so hörte ich auf keinen von ihnen, und es ist mir seitdem, mit leichter Verwunderung, immer wieder aufgefallen, daß ich in den zwei auf die Pest folgenden Jähren kaum einen von ihnen in der Stadt sah oder von einem hörte. Manche meinten, sie seien alle bis auf den letzten Mann während der Pest hinweggerafft worden, und meinten es als ein besonderes Zeichen der göttlichen Rache gegen sie betrachten zu müssen, dafür, daß sie die armen Menschen in den Abgrund der Vernichtung geführt hätten,.nur um des bißchen Geldes willen, das sie von ihnen errafften; so weit kann ich selber aber nicht gehen. Sicher ist, daß eine Unzahl von ihnen starb; von vielen gelangte es zu meiner eignen Kenntnis; daß aber alle von ihnen hinweggerafft wurden, stelle ich sehr in Frage. Ich glaube eher, daß sie aufs Land hinausflohen und ihre Praktiken an den Leuten dort versuchten, die in Angst vor der Seuche lebten, bevor sie noch zu ihnen kam.
Das eine jedoch ist sicher, daß eine lange Zeit sich nicht-ein einziger von ihnen in London oder dessen Umgebung sehen ließ. Es gab freilich verschiedene Ärzte, welche auf Anschlägen ihre verschiedenen Heilmittel empfahlen, mit denen man nach dem Ende der Pest den Körper entschlacken sollte, wie sie es nennen, was, wie sie sagten, solchen Leuten vonnöten sei, die heimgesucht und wiederhergestellt worden waren; wohingegen ich, wie ich gestehen muß, glaube, daß es damals die Ansicht der hervorragendsten Ärzte war, daß die Pest selbst eine ausreichende. Reinigung bewirkte und daß diejenigen, welche die-Seuche überstanden, keine Arzneien benötigten, um den Körper von irgend sonstwas zu entschlacken, da die eiternden Wunden, Beulen usw., welche auf Anweisung der Ärzte geöffnet und am Eitern gehalten worden waren, diesen genügend entschlackt hätten; und daß alle andern Krankheiten und Krankheitsursachen auf diese Weise gründlich entfernt worden seien; und da dies die Ärzte allerorts als ihre Ansicht äußerten, konnten die Quacksalber kaum Geschäfte machen.
Es gab freilich nach dem Abklingen der Pest noch mancherlei kleine Beunruhigungen, von welchen ich nicht weiß, ob sie, wie manche glaubten, erzeugt wurden, um die Menschen zu erschrecken und durcheinander zu bringen, jedenfalls erzählte man uns verschiedentlich, daß die Pest dann und dann zurückkehren werde; und der berühmte Solomon Eagle, der von mir schon erwähnte nackt herumlaufende Quäker, prophezeite Tag für Tag neue Übel; und andre erzählten uns, daß London noch nicht genügend gezüchtigt sei und uns noch schlimmere und ernstere Schläge bevorständen. Hätten sie hier innegehalten oder Einzelheiten angegeben und uns gesagt, daß die Stadt im nächsten Jahr durch Feuer vernichtet würde, dann, als wir es wirklich geschehen sahen, hätte man uns nicht vorwerfen können, wir zollten ihrem prophetischen Geist nicht eine mehr als gewöhnliche Achtung; zumindest hätten wir über sie gestaunt und ernsthafter nach den Hintergründen, und woher sie ihr Vorwissen hatten, gefragt. Aber da sie uns im allgemeinen nur von einem Rückfall in die Pest sprachen, kümmern wir uns seitdem nicht mehr um sie; doch wurden wir durch dieses immer wiederkehrende Geschrei in einer Art ständiger Sorge gehalten; und wenn jemand plötzlich starb oder sich zu irgendeiner Zeit die Fleckfieberfälle mehrten, gerieten wir sofort in Aufregung; noch mehr aber, wenn sich die Zahl der Pestfälle erhöhte, denn bis zum Ende des Jahres gab es dauernd zwei- bis dreihundert Pesttote. Bei jedem dieser Vorfälle also gerieten wir von neuem in Aufregung.“
Wenn es in Zeiten der Not mal ein kurzes Inne Halten gibt, das Bedürfnis, füreinander da zu sein und zusammenzuhalten, so ist das nach dem Ende der Not schnell wieder vorbei:
„Wie gern würde ich sagen, daß, wie die Stadt ein neues Gesicht zeigte, auch das Verhalten der Menschen. eine Erneuerung zeigte. Ich zweifle nicht daran, daß es viele gab, die sich ihrer Rettung voll bewußt blieben und der mächtigen Hand, die sie in so gefährlicher Zeit bewahrt hatte, von Herzen dankbar; es wäre sehr ungerecht, von einer so volkreichen Stadt, in der die Menschen solche Frömmigkeit zeigten, wie es doch wirklich während der Zeit der Heimsuchung der Fall war, andres anzunehmen; aber es kann nicht verschwiegen werden, daß - abgesehen von der Frömmigkeit, die man in einzelnen Familien erlebte und auf einzelnen Gesichtern sah - die Menschen sich im allgemeinen ebenso verhielten wie vorher und kaum eine Änderung festzustellen war.
Manche sagten sogar, es sei noch schlimmer geworden; daß der sittliche Verfall der Menschen genau in jener Zeit einsetzte; daß sie, abgestumpft durch die Gefahr, in der sie sich befunden hatten, wie Seeleute nach überstandenem Sturm, in ihrer Lasterhaftigkeit und Sittenlosigkeit noch verdorbener und stumpfsinniger, noch unverschämter und abgebrühter geworden seien; so weit möchte ich freilich nicht gehen. Man würde eine recht lange Geschichte erzählen müssen, wenn man im einzelnen die ganze Entwicklung darstellen wollte, bis alles in der Stadt wieder seinen alten Gang ging und wieder alles im gewohnten Fahrwasser lief …
Großer Unmut entlud sich gegen die Ärzte, die während der Seuche ihre Patienten im Stich ließen, und als sie nun wieder in die Stadt zurückkehrten, wollte niemand ihre Dienste in Anspruch nehmen. Man nannte sie Deserteure, und oft waren Plakate an ihre Türen geschlagen mit der Aufschrift „Doktor zu vergeben“, so daß verschiedene dieser Ärzte es vorzogen, eine Zeitlang untätig herumzusitzen und abzuwarten oder zumindest zu verziehen und ihren Wohnsitz anderswo und in neuer Umgebung aufzuschlagen. Gleicherweise geschah es den Geistlichen, die von der Bevölkerung geschmäht wurden, indem man Verse und beleidigende Äußerungen auf sie schrieb und an die Kirchentüren Zettel „Kanzel zu vergeben“ oder auch „zu verkaufen“, was noch schlimmer war, heftete.
Es war für uns nicht das kleinste Unheil, daß mit der Seuche, als diese verschwand, nicht auch der Geist des Haders und Zankes, der Verleumdungen und Vorwürfe verschwand, der zuvor der wirkliche Unruhestifter im Lande gewesen war.“
http://www.ansichten-eines-regenwurms.de/385-pleiten-pest-und-pranger.html
Ich bin Philanthrop, Demokrat und Atheist. Rupert Regenwurm