Subversiver Märchen-Erzähler

„Dann begann die Hochzeit, und Gott gab seinen Segen dazu.

 

Um ihr Glück zu sehen, kam nun alle Welt,

Mond und Sterne lachten ihnen vom Himmelszelt.

 

Und zur Hochzeit waren geladen

 

Die Ameisenkönigin

Und die Bienenkönigin,

Auch die Feenkönigin,

Wunder aller Wunder, in

Ihrer Blumeninsel Grün.

 

Und weiterhin waren noch geladen

 

Kaiser, Königin und König,

Hoher Herren auch nicht wenig

Und auch der, der dies erzählt.

Armer Teufel ohne Geld.

Unter ihnen allen herrschte große Freude,

Aßen doch und tranken selbst die armen Leute.

 

Und dieser Jubel dauerte Jahre und hält auch heute noch an. Bei uns aber trinkt und ißt nur der, der Geld hat; wer aber keins hat, sieht zu und darbt.“

 

Dies ist das Ende von „Das Märchen vom Weißen Mohren“ von Ion Creanga, der vor 125 Jahren gestorben ist. 

 

„Das Märchen vom Weißen Mohren“ ist das rumänische National-Märchen. Auf Grund seines Schreibstils, seiner volksnahen, teils derben Sprache und der ungewöhnlichen Ereignisse und Wendungen in seinen Erzählungen und Märchen, wird Ion Creanga auch heute noch von kleinen und großen Kindern geliebt und verehrt. Zumindest in Rumänien.

Zwar haben auch die Bewohner des Erdreichs von ihm Kunde vernommen, müssen aber feststellen, dass Ion Creanga im deutsch-sprachigen Raum kaum bekannt ist. Genügend Anlass für den Wurm, den interessierten Menschen einen kleinen Einblick in seine Welt zu verschaffen.

„Wikipedia“ schreibt über ihn:

„Creangă gab sein eigenes Geburtsdatum in Fragmente de biografie als 1. März 1837 an. In dem Geburtenregister seines Heimatortes Humulești ist jedoch der 10. Juni 1839 vermerkt. Creangă wurde als das erste von acht Kindern geboren. Seine Mutter wollte, dass er sich fürs Priesteramt ausbilden lässt. Dies ist traditionsgemäß eine prestigeträchtige Stelle innerhalb der Dorfgemeinschaft. Genaueres über seine Jugend kann aus „Amintiri din copilărie“ (Kindheitserinnerungen) entnommen werden. Er begann seine Ausbildung in Humulești, danach studierte er kurzzeitig in Broșteni, bevor er nach Hause zurückkehrte und sich in der Schule im benachbarten Târgu Neamț einschrieb. Nach einem Jahr im Priesterseminar in Fălticeni verließ er dieses, um in Iași (in der rumänischen Moldau) seine Vorbereitungen für das Priesteramt an der Klosterschule von Socola fortzusetzen.

Creangă wurde Diakon, nachdem er sein Studium 1858 in Socola abgeschlossen hatte und heiratete im selben Jahr die Tochter eines Priesters aus Iași. Er setzte seine Ausbildung 1864 fort, als er anfing, sich an der Vasile-Lupu-Schule zum Lehrer ausbilden zu lassen. Diese wurde vom bekannten Politiker und Literaturkritiker Titu Maiorescu geleitet. Er wurde Aushilfslehrer und arbeitete an Lehrbüchern mit, die dazu gedacht waren, Grundschülern das Lesen und Schreiben zu lehren.

Creangă hatte große Schwierigkeiten, sich dem städtischen Leben anzupassen. Er stand ständig wegen „gottlosem Verhalten“ in Konflikt mit seinen kirchlichen Vorgesetzten, wie zum Beispiel des Öfteren wegen des Theaters und dem Abschießen von Krähen im Hof des Klosters Golia, wo er amtierte. Schließlich führten seine häufigen Kritiken an Kirchenbeamten und sein exzentrisches Verhalten sowohl zur Suspension als Diakon, als auch als Lehrer. Um seinen Lebensunterhalt zu sichern, eröffnete er ein Tabakgeschäft. Darüber hinaus kaufte er sich ein bescheidenes Haus am Stadtrand von Iași, das er „bojdeuca“ nannte. Dort lebte er ein bäuerliches Leben, genau wie in seiner Kindheit in Humulești. Mit Hilfe von Titu Maiorescu wurde Creangă 1874 wieder eingesetzt. Im folgenden Jahr, während einer Inspektion der Schule, in der er unterrichtete, traf er den jungen Poeten Mihai Eminescu, der später als Schulinspektor arbeitete. Daraus entstand eine dauerhafte Freundschaft. Eminescu regte Creangă an, die Geschichten, die er häufig mündlich nacherzählte, aufzuschreiben und brachte ihn zum Literaturzirkel Junimea. Der Hauptteil seiner Arbeit wurde in dieser Zeit, zwischen 1875 und 1883, als er gesundheitliche Probleme bekam, geschrieben. Neben seinem Meisterwerk, „Amintiri din copilărie“ (Kindheitserinnerungen), sind einige seiner bekanntesten Geschichten „Moș Ion Roată și Unirea“, „Dănilă Prepeleac“, „Povestea porcului“, „Fata babei și fata moșului“, und „Ivan Turbincă“. Er zog sich 1887 aus dem Lehrerberuf zurück und starb zwei Jahre später, am 31. Dezember 1889, an einem epileptischen Anfall.“

http://de.wikipedia.org/wiki/Ion_Creang%C4%83

 

Kleine Ergänzungen dazu: aus dem Priesteramt wurde er offiziell aus drei Gründen entlassen:

- er hat seine Frau verlassen

- er hat auf Vögel geschossen

- er hat sich das Haar geschnitten (auch heute noch dürfen Popen der Rumänisch-Orthodoxen Kirche sich weder Haupt- noch Barthaar schneiden bzw. schneiden lassen)

Zu seiner Zeit durfte ein entlassener Pope auch nicht mehr an den Schulen unterrichten; deshalb sein Rauswurf an der Schule.

Ion Creanga war mit dem späteren rumänischen National-Dichter Mihai Eminescu befreundet. Aufmerksame Leser dieser kleinen Kolumne können sich bestimmt an diesen erinnern: wer in Rumänien mit „denen da oben“ unzufrieden ist, wünscht ihnen gerne mit Eminescus Worten „den Pfähler“ an den Hals: http://www.ansichten-eines-regenwurms.de/27-vampire-auf-dem-englischen-koenigsthron.html

 

Zum literarischen Umfeld:

„Dementsprechend überwand eine neue Dichtergeneration das anakreontische Modell der traditionellen rumänischen Literatur und übernahm einen Klassizismus und einen Romantizismus französischer Prägung. Schon bald aber, im späten 19. Jahrhundert, wechselten die literarischen Sympathien, als die Gruppe «Junimea» (Die schicke Jugend) zur führenden intellektuellen Kraft wurde. Zu ihr gehörten überwiegend deutschfreundliche Intellektuelle, die sich an den hauptstädtischen Kulturszenen von Wien und Berlin orientierten.

Aus dem Kreis der «Junimea» stammen die bis heute unangefochtenen Klassiker der rumänischen Literatur: der Lyriker Mihail Eminescu (1850 bis 1889), dessen metaphorische Finesse stilbildend wurde; Ion Creanga (1837–1889), der das dörfliche Leben zum literarischen Sujet erhob und, indem er Märchen und Legenden eine literarische Gestalt gab, die Folklore zum inhärenten Teil der Literatur machte; Duiliu Zamfirescu (1858-1922), der in einem grossangelegten Romanzyklus ein Sozialgemälde der rumänischen Gesellschaft entwarf; und Ion Luca Caragiale (1852–1912), der in Boulevardkomödien das städtische Kleinbürgertum und die politische Schicht karikierte.“

http://www.contra-bande.com/presse/

 

Ion Creanga ließ sich auch von seinem literarischen Umfeld nicht einspannen und blieb nur sich selbst treu. Als sich 1862 die Fürstentümer Moldau und Walachei zum neuen Staat Rumänien zusammen schlossen (der Name „Romania“ wurde bewusst zur Erinnerung an die römisch-dakische Vergangenheit gewählt), hielt sich seine Begeisterung in Grenzen – für den „kleinen Mann“ änderte sich ja nichts.

Zwei Zitate aus seinen Werken, die auf ihn zutreffen:

„... er sagte nämlich den Leuten, wer es auch immer war, seine Meinung geradezu ins Gesicht, wenn er etwas auf dem Herzen hatte. So ist der Bauer, er macht keine Umschweife.“

„Arbeit und Gewinn, Pflichten und Rechte gelten für alle Menschen gleichermaßen!“

http://www.aphorismen.de/suche?f_autor=4628_Ion+Creanga

http://aphoristiker-archiv.de/index_z.php?id=174513

 

Seine Erzählungen und Märchen wurden zu seinen Lebzeiten in einer (politisch bedeutenden) literarisch-wissenschaftlichen Zeitschrift gedruckt, blieben damit aber auch in einem zahlenmäßig beschränkten progressiven intellektuellen Milieu. Erst nach seinem Tode veranlasste sein Sohn den Druck einiger seiner Werke in Buchform.

Danach wurde er richtig populär. Teilweise wurden seine Werke ins Deutsche übersetzt und in den 1950ern im „Aufbau“-Verlag“ der DDR veröffentlicht. Nachdrucke in deutscher Sprache gibt es nur wenige und deshalb ist es nicht ganz einfach, an seine Werke ran zu kommen. Immerhin gibt es zwei davon im Internet: „Danila Prepeleac“ und „Das Beutelchen mit zwei Talern“:

http://maerchenbuch.ent-ra.de/pdf/Medienwerkstatt_Julian_ARS.pdf

http://www.goethe.de/lrn/prj/mlg/mai/mem/de9045178.htm

 

In der westlichen Welt ist Ion Creanga zum größten Teil unbekannt. Dieses Schicksal teilt er mit Mihai Eminescu. Beide haben überragende Werke geschrieben. Dass sie im westlichen Europa kaum bekannt sind, kann eigentlich nur auf Arroganz bzw. Ignoranz der westlichen Kulturträger gegenüber den Kulturschaffenden aus der „Provinz“ zurückgehen. Ein Zeichen dieser westlichen Arroganz und Ignoranz ist, dass bei den entsprechenden „Märchen“-Artikeln bei „Wikipedia“ Ion Creanga überhaupt nicht vorkommt und von osteuropäischen Märchen bzw. Märchen-Erzählern so gut wie nichts vorkommt:

http://de.wikipedia.org/wiki/M%C3%A4rchen

http://de.wikipedia.org/wiki/Volksm%C3%A4rchen

http://de.wikipedia.org/wiki/Kunstm%C3%A4rchen

 

Nichtsdestotrotz hält der Wurm von Ion Creangas Märchen und Erzählungen mehr als etwa von denen der Gebrüder Grimm oder Hans Christian Andersen. Hier ein paar Beispiele:

 

Die Geiß mit den drei Geißlein

Die erste Vermutung ist richtig: es handelt sich um eine Interpretation von „Der Wolf und die sieben Geißlein“. Zur Erinnerung: dort frisst der Wolf sechs der sieben Geißlein und legt sich nach dem Mahle nieder. Die Geiß kommt, schneidet dem Wolf den Bauch auf, die Geißlein springen lebend heraus, dem Wolf wird der Bauch mit Wackersteinen gefüllt, der Wolf wacht auf, ist durstig und fällt in den Brunnen. Ende vom Wolf und Ende der Geschichte.

Die Geschichte ist gut und schön. Allerdings frage sich jeder, was diese Geschichte mit seiner eigenen Lebens-Wirklichkeit zu tun hat. Richtig: nichts. Unrealistisch ist auch, dass der Wolf gleich sechs Geißlein auf einmal frisst, die, einmal verschlungen, alle noch am Leben sind, der Wolf nichts merkt, wenn ihm der Bauch aufgeschlitzt wird, ihm Steine in den Bauch gelegt werden und der Bauch brav zugenäht wird.

Mensch frage sich, was die Geiß getan hätte, wenn der Wolf schon weit weg gewesen wäre.

Ganz anders endet die Geschichte bei Ion Creanga. Der Wurm zitiert die Geschichte ab dem Moment, als die zwei größeren Geißlein schon gefressen sind und das Kleine der heimgekehrten Mutter berichtet:

„Dann kam der große Schrecken! Unser Pate, dein Freund, der Gevatter Wolf erschien plötzlich auf der Schwelle."

„Wer? Mein Gevatter? Er, der bei Haut und Haaren geschworen hat, daß er meine Kinder niemals erschrecken werde?"

„Ja doch, Mutter! Wie du siehst, hat er ihnen einen höllischen Schrecken eingejagt!"

„Laß nur, den will ich lehren! Wenn er schon weiß, daß ich eine arme Witfrau bin mit einem Haus voll Kinder, muß er mich dann auch noch verhöhnen und euch in Stücke reißen? Keine Schandtat bleibt unbestraft! Der nichtsnutzige Schuft! Und der hat mir auch noch manchmal zugegrinst und hat mir freundliche Zähne gezeigt. Ich bin doch nicht so eine, wie er sie sich denkt: ich bin noch niemals den Männern nachgelaufen, seit ich auf der Welt bin. Laß nur, Gevatter, dir will ich den Buckel schon vollhaun! Jetzt hast du mit mir deine Ochsen vor' den Pflug gespannt. Merk es dir nur, du wirst sie ohne Hörner ausspannen.“

„Ach, Mütterchen, ach! Schweig doch lieber und überlaß ihn der Strafe Gottes. Du weißt doch, daß es ein Sprichwort gibt: ,Man soll den Teufel nicht an die Wand malen.'"

„O nein, mein Liebling, bis du zum Herrgott kommst, fressen dich die Heiligen. Und das sollst du dir merken, was ich dir jetzt sage: Wenn er so frech sein sollte, noch einmal mit seiner Nase hier herumzuschnüffeln, dann laß es nur meine Sache sein ...! Nur darfst du niemandem dein Herz ausschütten, damit er keinen Wind davon bekommt."

Und von nun an suchte sie eine Gelegenheit, ihrem Gevatter heimzuzahlen, wie er es verdiente. Sie begann darüber nachzudenken und überlegte hin und her, wie sie es am besten anstellen und was sie unternehmen könnte.

„Aha, jetzt habe ich die Arznei für ihn gefunden", sprach sie bei sich, „warte nur! Ich will dem Gevatter eins versetzen, daß ihn die Reue fressen soll."

Nahe vor ihrem Hause war eine tiefe Grube, und gerade auf diese setzte die Ziege ihre Hoffnung.

„Hinein in den Bottich mit der Beize, denn das war doch zu arg, Gevatter Wolf. Jetzt beginne ich zu handeln! Auf, an die Arbeit, Gevatterin, der Wolf gibt dir zu tun!"

Und während sie das sagte, schürzte sie den Rock, krempelte sie die Ärmel hoch, schürte das Feuer und ging daran, gute Speisen zuzubereiten. Sie briet Fleischklöße, sie kochte Hirsebrei mit Fleischbrocken, backte Maisfladen mit Käse und Osterkuchen mit Rahm und Ei und allerlei andere Leckerbissen. Dann füllte sie die Grube mit glühenden Kohlen und mit faulem Holz, so daß das Feuer nur schwelend brannte, dann legte sie ein nur lose befestigtes Geflecht aus Ruten darüber und bedeckte es mit abgefallenem Laub; über das Laub schüttete sie Erde und über die Erde breitete sie eine Binsenmatte. Hierauf verfertigte sie eigens für den Wolf einen Sessel aus Wachs. Schließlich ließ sie die Speisen auf dem Feuer braten und ging in den Wald, um den Gevatter zu suchen und zum Leichenschmaus zu bitten. Sie ging und ging durch den Wald, bis sie zu einer schrecklichen und finsteren Schlucht kam, und auf einem bewaldeten Steilhang stieß sie plötzlich auf den Wolf:

"Guten Tag, Gevatterin, welcher Wind hat dich hergeweht?"

„Möge dein Herz so ungetrübt sein wie deine Augen, Gevatter. Je nun, weißt du denn nicht, daß die Not dich dorthin führt, wo du unnötig bist? Sieh, ich weiß nicht, wer in meiner Abwesenheit in meinem Hause war, aber er hat mir übel mitgespielt."

„Auf welche Weise, liebe Gevatterin?"

,Ach, er hat meine Geißlein allein vorgefunden, er hat sie getötet und in Stücke zerrissen; nun vergehe ich fast vor Kummer. Nur Witfrau soll man nicht sein."

„Was du nicht sagst, Gevatterin!"

„Ob ich es jetzt sage, ob ich es nicht sage, es ist doch nicht mehr zu ändern. Sie, die Kleinen, sind zu Gott gegangen, und es ist unsere Pflicht, uns um ihre Seelen zu kümmern. Deshalb habe ich einen Leichenschmaus bereitet nach besten Kräften und habe es schicklich gefunden, auch dich, Gevatter, dazu zu bitten, auf daß du mich tröstest."

„Gerne, liebe Gevatterin, aber noch lieber wäre es mir gewesen, wenn du mich zur Hochzeit gebeten hättest."

„Das glaube ich dir, Gevatter, aber da es nun einmal anders gekommen ist  ...! Es geht nicht so, wie wir es uns immer wünschen, sondern wie der dort oben es wünscht."

Dann machte sich die Geiß weinend auf den Heimweg, und der Wolf folgte ihr und stellte sich dabei so an, als ob er weinte.

"Mein Gott, Gevatter, mein Gott!" sagte die Geiß seufzend. „Gerade was man am liebsten hat auf der Welt, muß man verlieren."

„Nun ja, Gevatterin, wüßte der Mensch, was er erleiden muß, so würde er sich im voraus dagegen schützen. Nimm es dir nicht so sehr zu Herzen, denn einmal werden wir doch alle dorthin gehen müssen."

„Das ist ja freilich so, Gevatter, aber die armen Kinderchen, in wie zartem Alter sie dahingehen mußten!"

„Je nun, Gevatterin, man sieht, auch Gott sagen die jüngsten Hühnchen am meisten zu."

„Ja, wenn sie Gott genommen hätte, wäre mir leichter. Aber so?"

„O Gott, o Gott, Gevatterin! Ich will es jetzt auch wie der Dumme machen: Sollte nicht vielleicht der Onkel Martin in deinem Haus einen Besuch abgestattet haben? Denn ich erinnere mich noch, daß ich ihm einmal im Brombeerbusch begegnet bin und er davon sprach, ob du ihm nicht einen deiner Söhne geben wolltest, damit er ihn die Kürschnerei lehre."

Und so von dem einen und dem anderen redend gelangten sie zum Haus der Gevatterin.

„Bitte, Gevatter", sprach sie, nahm den Sessel und stellte ihn über die besagte Grube, „setz dich nieder und laß dir schmecken, was uns Gott gegeben hat."

Damit stürzte sie die Fleischknödel in die Schüssel und setzte sie ihm vor. Sogleich begann unser Wolf gierig zu fressen, und schling, schling, schling, rutschten ihm ganze Klöße durch die Kehle.

„Der Herr erbarme sich der Entschlafenen, Gevatterin, denn du hast gute Fleischklöße gemacht!"

Und während er so speiste, fiel er, plumps, Hals über Kopf in die Grube mit der Kohlenglut, denn der Wachssessel war geschmolzen, und das Rutengeflecht über der Grube war nur locker aufgestützt, nicht besser und nicht schlechter, als es der Gevatter verdiente.

„He, hei Jetzt heraus, Wolf, mit dem, was du gefressen hast! Mit der Geiß hast du dich einlassen wollen? Die Geiß hat es dir jetzt heimgezahlt!"

„Ach, ach, Gevatterin, meine Sohlen! Bitte, zieh mich heraus, mein Herz verbrennt mir im Leib!"

„Nein, Gevatter, denn so hat auch mein Herz nach meinen Geißlein gebrannt. Gott sagen die jüngsten Hühnchen am meisten zu, mir aber gefallen auch die älteren, wenn sie nur gut gebraten und im Feuer so recht durchgeschmort sind."

„Gevatterin, ich werde versengt, ich verbrenne ganz, ich sterbe; laß mich nicht hier!"

„Du brennst, Gevatter, du stirbst, gut so, denn lebendig bist du nichts wert. Wenigstens vergeht diesem Kind hier der Schrecken, und ich brauche viel Haar von dir, um ihn auszuräuchern. Erinnerst du dich noch, du böses und verfluchtes Untier, was du mir bei diesem Haar geschworen hast? Und trotzdem hast du mir meine Geißlein gefressen!"

„Mir brennt das Herz im Leib, Gevatterin! Zieh mich, bitte, hinaus und strafe mich nicht mehr so fürchterlich!"

„Tod um Tod, Gevatter, und Brand um Brand, weil du mir doch selbst vorhin die Worte der Heiligen Schrift so hingeworfen hast."

Darauf brachten die Geiß und das Geißlein einen Haufen Heu herbei und warfen es über ihn in die Grube, um das Feuer anzufachen. Dann fielen sie zu guter Letzt über den Wolf her und warfen ihm Steinblöcke auf den Kopf und was ihnen sonst in die Hand kam, bis sie ihn völlig totgeschlagen hatten. So hielt sich die arme Geiß schadlos für ihre beiden Geißlein, aber auch ihren Gevatter, den Wolf, verlor sie so, doch diesen Verlust konnte sie ruhig ertragen.

Als die Ziegen aus der Nachbarschaft davon vernahmen, freuten sie sich sehr darüber. Und sie versammelten sich alle zur Totenwacht und verlegten sich aufs Essen und aufs Trinken und vergnügten sich alle miteinander.

Auch ich bin dabei gewesen, gleich darauf sprang ich in den Sättel hinauf und tischte euch diese Geschichte auf, und dann setzte ich mich auf ein Wagenrad, um euch zu erzählen die köstliche Tat, und sogar eine Erdbeere habe ich zum Reittier gewählt und habe euch, gute Leute, eine große und dicke Lüge erzählt.“

 

Prinz Stutensohn

Neben dem „Guten“ und dem „Bösen“ gibt es bei den Märchen-Lesern bestimmte Erwartungshaltungen. Ion Creanga scheint sich darüber lustig zu machen. Besonders deutlich wird dies bei „Prinz Stutensohn“. Da handeln die „Guten“ nicht aus edlen Motiven und das Ende ist aus traditioneller Sicht, das „Happy End“ schon vor Augen, völlig „daneben“ (auch, wenn die Geschichte als unvollendet gilt). Dafür ist sie näher an der menschlichen Realität als es die üblichen unrealistischen Wunsch-Vorstellungen wären.

Eine Stute gebiert anstatt eines Fohlens einen Knaben, den „Prinz Stutensohn“. Außer, dass er stark ist und schnell heran wächst, ist über seinen Charakter nichts bekannt. Auch nicht das Verhältnis zu seiner Mutter. Um „in der weiten Welt Taten vollbringen“ zu können, verlässt er seine Mutter, trifft nacheinander auf die Tunichtgute „Brichdenstein“ und „Biegdasholz“, bezwingt diese im Ringkampf und beide schwören ihm Gefolgschaft.

Die drei kommen zu einem verlassenen Schloss, heiraten die drei drinnen hausenden Feen und verjagen den bösen Zwerg (in Wahrheit der Höllenfürst). Die drei Zwergen-Söhne entführen die drei Feen. Nach einem Jahr der Suche gelangen die drei (das Wort „Freunde“ wird nicht erwähnt) zum Eingang des Höllentores und werden von der riesigen Höllen-Armee getötet.

Prinz Stutensohn hatte seiner Mutter ein Tuch gegeben. Wenn darauf drei Blutstropfen erschienen, sei er tot und sie solle ihn suchen. Das tut sie und sie erweckt ihn und „Brichdenstein“ wieder zum Leben. Ion Creanga in der deutschen Übersetzung:

„Da seufzte die Mutter und sprach:

„Mein lieber Sohn! Ich habe nur drei Seelen besessen. Womit soll ich selbst weiterleben, wenn ich auch diese noch hergebe? Dann muß ich sterben!"

„Mutter", sagte der Prinz. „Du bist jetzt schon alt, gib diese letzte Seele her für Biegdasholz, und ich will dir ein schönes Begräbnis machen und dein Grab mit Blumen bedecken."

Da hauchte die Stute, gerührt von den Worten ihres Sohnes, auch über Biegdasholz, der auf der Stelle erwachte. Sie selbst aber fiel tot zu Boden. Der Prinz begrub sie, wie er versprochen und streute ihr Blumen auf das Grab.“

Mutter muss sterben – egal, sie bekommt ja Blumen auf das Grab. Keinerlei Regung ob des Todes der Mutter. Dafür wird wieder einer lebendig, zu dem kein besonders enges Verhältnis besteht.

„Die Hölle habe gedröhnt von furchtbarem Gebrüll und Gepfeife“ – deshalb waren die beiden Kumpane erschrocken und Prinz Stutensohn geht allein in die Hölle. Dort unten sucht er die drei Feen, findet sie nacheinander in unterschiedlichen Schlössern und besiegt den jeweiligen Zwerg in Gestalt eines Riesen, der abends von der Jagd zurück kommt. Die bezwungenen Zwerge und ihre Pferde werden zerhackt und jeweils auf einen Haufen gelegt. Der dritte Zwerg ist jedoch der stärkste und will sich nicht bezwingen lassen.

Creanga: „So traten sie denn zum Ringkampf an und rangen drei Tage und drei Nächte ohne Unterbrechung miteinander. Und am dritten Tag um die Mittagszeit, als die Sonne am heißesten brannte und sie immer noch in erbittertem Kampfe lagen, schlug aus dem Munde des Prinzen eine grüne Flamme und aus dem Munde des Riesen eine rote Flamme, und im gleichen Augenblick flog ein Adler über sie hinweg. Als der Riese ihn erblickte, rief er:

„Adler, lieber Adler, flieg zu und bring zwei Tropfen Milch herbei, einen kalten und einen warmen, laß den kalten auf mich niederfallen und den warmen auf diesen Hund, den Prinzen, ich will dir dafür ein Aas zu fressen geben!"

Doch auch der Prinz rief ihm zu:

„Adler, lieber Adler, flieg zu und bring zwei Tropfen Milch herbei, einen kalten und einen warmen, laß den kalten auf mich, den warmen aber laß auf diesen Hund von einem Riesen niederfallen und ich will dir sechs Stück Aas dafür zu fressen geben!"

Als der Adler dieses hörte, eilte er flugs und brachte in einem Augenblick zwei Tropfen Milch, den kalten ließ er auf den Prinzen niederfallen, daß er sich daran abkühlte, den warmen auf den Riesen, daß ihm davon noch heißer wurde, und nun besiegte der Prinz den Riesen, zog den Pallasch, zerhieb ihn samt seinem Pferd in Stücke und schichtete aus ihnen noch zwei Haufen.“

Dem Adler ist also völlig egal, wer gewinnt. Er handelt nicht aus edlen Motiven, sondern aus Korruption.

Die Sympathien des Publikums gehören Prinz Stutensohn. Aber weshalb? „Gutes“ ist von ihm nicht überliefert. Außer dem Feen-Raub gibt es auch nichts „Böses“ von den Zwergen-Riesen zu berichten.

Völlig verblüffend ist das Ende:

„Danach ging er ins Haus und teilte seiner Frau mit, daß er sie befreit habe, nahm sie bei der Hand und ging mit ihr zu den anderen Schwestern, rief sie heraus, und alle begaben sich zum Ausgang der Hölle.

Das Netz war heruntergelassen, und der Prinz schüttelte es tüchtig, um seinen Gefährten Nachricht zu geben, daß er angekommen sei. Dann setzte er die Feen einzeln in das Netz, und seine Gefährten zogen sie nacheinander hinauf. Als aber nun die Reihe auch an den Prinzen kam, legte er, statt sich selbst hineinzusetzen, einen großen Stein in das Netz, denn er war hellsichtig und wußte, daß seine Gefährten ihn los werden wollten. Die Gefährten begannen ihn hochzuziehen, sobald sie ihn aber zur Hälfte gehoben hatten, ließen die Kreuzbrüder ihn mit dem Netz fallen und meinten, daß sie damit Stutensohn vernichtet hätten ...“

Aus. Fertig. Amen. Was war das jetzt? Falls es so etwas wie ein „Anti-Märchen“ geben sollte, dann ist es „Prinz Stutensohn“. Durch die Verblüffung des Publikums wird es den Lesern immerhin unvergesslich bleiben und zum Nachdenken anregen.

 

Das Märchen der Märchen – Das Märchen des Schwanzes

Hans Hedrich erzählt:

"Da sitzt man nichtsahnend im Cafe Erasmus in der Haupt- und Hermannstadt, blättert zufällig in einem Märchenband des rumänischen Kult-Märchenerzählers Ion Creanga, dessen “Kindheitserinnerungen” aus der Moldau des 19. Jhs. wir als Schulkinder über den Rumänischunterricht kennenlernen durften – Joseph Haltrichs siebenbürgisch-sächsische Märchen haben wir hingegen meines Wissens im Deutschunterricht nicht vorgelesen bekommen – ok, da sitzt man also gepflegt bei Latte macchiato im Büchercafe, als einem aus Creangas Märchenbuch unerwartet das Liebes- und Triebleben der menschlichen Rasse in seiner explizitesten, pornografischen Form ins Gesicht springt.

Irgendwo in der Buchmitte, zwischen den Klassikern “Punguta cu doi bani” und “Povestea porcului” steht eine Mär, die heisst unauffällig bis metaphysisch “Povestea povestilor”. In Klammern darunter: “Povestea pulei”. Du liest nochmal den Untertitel und dort steht immer noch “P O V E S T E A   P U L E I” – also, die “Geschichte des Schwanzes” – ja, jene des männlichen Gliedes, Fortplanzungsorganes, Gemächts, Schniedels – eben des Schwanzes.

…Und nun versuchen Sie mal bei so einem Titel NICHT weiterzulesen! Und weil Sie es nicht schaffen werden, werden Sie in dieser Geschichte darüber erfahren, wie ein Bauer Mais säte und später statt der Kolben eben Schwänze wuchsen, wie die Frauen allen Alters im Dorf das gar nicht schlecht, stattdessen aber umgehend beste Verwendung dafür fanden, wobei zum Schluss vollständigkeitshalber ein solcher Kolben umgehend auch im Hintern eines Popen landet, der daraufhin davonrennt und nie mehr wiederkehrt. Schliesse daraus, die Rumänen betrieben sexuelle Aufklärung schon gut 80-100 Jahre bevor diese Westeuropa “revolutionär” überrollte.

Die (Un)Moral von der Geschicht: Sowas Cooles findest du bei Joseph Haltrich nicht!“

http://www.neuerweg.ro/sexuelle-aufklarung-in-der-moldau-des-xix-jhs-am-beispiel-von-ion-creanga/

 

Nun, den Kindern wird diese Geschichte wahrscheinlich nicht vorgelesen. Weder damals noch heute. Zu sagen wäre noch, dass die Geschichte ihren Anfang mit Jesus nimmt, der auf Erden lustwandelt. Und auf diesen Mais säenden Bauern trifft. Und ihn fragt, was dieser da so macht. Blöde Frage – „ich säe Schwänze“. Daraufhin war Jesus zornig und ließ tatsächlich „Schwänze“ wachsen.

Wer diese Geschichte zu lesen bzw. übersetzt bekommt, möge sich freuen: eine vielschichtige Geschichte mit hohem moralischen Anspruch.

 

Kindheitserinnerungen

„Erinnerungen an die Kindheit“, „Erinnerungen aus der Kindheit“, „Kindheitserinnerungen“ – je nach Übersetzung ist das der Titel seines bekanntesten Werkes. Der Name sagt aus, um was es sich handelt. Geht auch ein wenig in die Richtung „Lausbubenstreiche“.

In deutscher Übersetzung leider nicht aufzutreiben. Bei Ion Creanga geht es weniger um den Inhalt als vielmehr um die Sprache, von der die Rumänisch Sprechenden hin und weg sind.

Immerhin gibt’s dazu eine Verfilmung auf „YouTube“ zu sehen. Einfach auf sich wirken lassen:

https://www.youtube.com/watch?v=GvW_KsdSalo

 

Und der Wurm war mit Ion Creanga fertig und sah, dass es gut war.

 

Um sein Glück zu sehen, kam nun alle Welt,

Mond und Sterne lachten ihm vom Himmelszelt.

 

Zum Abendmahl hat er geladen

 

Eidechs, Habicht und Juchtenkäfer,

Hoher Tiere auch nicht wenig

Und auch der, der dies erzählt.

Armer Teufel ohne Geld.

Unter ihnen allen herrschte große Freude,

Aßen doch und tranken selbst die armen Leute.

 

Und dieser Jubel dauerte Jahre und hält auch heute noch an. Bei uns aber trinkt und ißt nur der, der Geld hat; wer aber keins hat, sieht zu und darbt.