„Es galt den edlen Männern aller Zeiten
Als ihres Strebens schönster, höchster Lohn,
Fürs Vaterland zu kämpfen und zu streiten
Als ganzer Mann und als getreuer Sohn.
Und rief die Not sie alle auf zur Wehre
Da fehlte „keiner“ in den wackern Reih’n,
Sie waren stolz, sich auf dem Feld der Ehre
Mit Leib und Blut dem Vaterland zu weihn.
Doch heute sind verhallt die Kampfeslieder,
Herein bricht eine neue feige Zeit,
Erbärmlich murmeln sie „Die Waffen nieder“,
Genug, genug, wir wollen keinen Streit.
Ist das das Volk, das, wenn Geschütze krachten,
Im Pulverdampf oft frohen Mutes stand,
Und das, stets ungebeugt, in vielen Schlachten
Der Feinde Scharen siegreich überwand?
Ermannet Euch! Gefährten, Freunde, Brüder,
Die ihr doch stets das Vaterland geliebt,
Nun merket wohl: Es gibt kein Waffen nieder,
Weil’s keinen Frieden ohne Waffen gibt!
Drum haltet fest den Säbel in der Rechten,
Laßt nimmer ihn entsinken eurer Hand
Und ruft die Not, dann seid bereit zu fechten,
Bereit zu sterben für das Vaterland.“
Sollte jemand wissen wollen, um wen es sich bei diesem 17jährigen edlen Säbel-Rassler handelt, der dieses Gedicht geschrieben hat: es handelt sich um Rainer Maria Rilke, der es als Antwort auf den Roman „Die Waffen nieder!“ von Bertha von Suttner dichtete.
Vor 100 Jahren starb einer der größten Menschen, den die Erde je gesehen hat: Bertha von Suttner. Zwar ist sie nicht ganz vergessen, aber doch irgend wie in den Kleiderschrank zu den Mottenkugeln gelegt. Zumindest gibt es keinen großen Film über sie und zu ihrem 100jährigen Todestag am 21. Juni haben es das deutsche und österreichische Fernsehen nicht nötig, eine Dokumentation über sie zu senden – obwohl an diesem Tag mehrere historische Dokumentationen über andere Themen gezeigt werden.
Hier ihr Lebenslauf, entnommen aus der Beschreibung zum Dokumentarfilm von Edith Stohl und Klaus Hipfl aus dem Jahre 2005:
„Der Erfolg und Weltruhm war Bertha von Suttner nicht in die Wiege gelegt. Ihre Lebensgeschichte liest sich wie ein Roman: Adeliger Vater heiratet Bürgerliche und stirbt vor Geburt der Tochter, die Mutter verspielt das Erbe in den Casinos Europas. Nach unglücklichen Verlobungen ist Bertha mit 30 Jahren noch immer unverheiratet und muss als Gouvernante arbeiten, sie verliebt sich in den jüngeren Sohn des Hauses Suttner und wird entlassen. Auf eine Annonce hin nimmt sie eine Stelle als Privatsekretärin bei einem reichen Industriellen in Paris an - es handelt sich um den berühmten Alfred Nobel, den schwerreichen, aber menschenscheuen Erfinder des Dynamits. Doch die Liebe zu Arthur Suttner ist stärker, nach einer heimlichen Heirat in Wien bricht das junge Paar alle Verbindungen ab und reist nach Georgien. Aus Geldnot beginnt Bertha von Suttner, hier zu schreiben, und wird Schriftstellerin.
"In ihren Memoiren beschreibt Bertha von Suttner selbst, dass sie als junges Mädchen eigentlich völlig naiv war, nichts von den politischen Bewegungen und Kriegen ihrer Zeit mitbekommen hatte", erzählt Regisseurin Edith Stohl. "Im Kaukasus hat sie ums Überleben gekämpft, unter anderem indem sie Frauenromane schrieb, die in der Heimat gerne gelesen wurden. Aber sie hat sich auch intensiv mit den geistigen Strömungen der Zeit auseinander gesetzt, etwas, das von einer Frau ihrer Zeit nicht erwartet wurde."
Als durchaus schon anerkannte Schriftstellerin kehrt Bertha von Suttner mit ihrem Mann nach fast zehn Jahren aus dem Kaukasus nach Europa zurück. Zu etwas Geld gekommen, beginnt das Ehepaar, Europa zu bereisen. Zuerst ein Winter in Venedig, dann ein Aufenthalt in Paris. Dort trifft sie Alfred Nobel wieder - und dort hört sie auch zum ersten Mal von einer Friedensbewegung in London. Als glühende Anhängerin von Charles Darwin, dem Begründer der Evolutionstheorie, ist sie überzeugt, dass letztendlich die menschliche Gesellschaft auch den Krieg überwinden werde. 1889 erscheint ihr Roman "Die Waffen nieder", der den Nerv der Zeit trifft. Das Buch wird sofort in zwölf Sprachen übersetzt, Bertha von Suttner wird weltberühmt.
Entgegen landläufiger Meinung hat Bertha von Suttner die Schrecken des Krieges nie selbst erlebt. Für ihr Buch hat sie recherchiert, Materialien gesammelt und diese zu einem literarischen Werk verarbeitet. Aber sie empfand große Anteilnahme an den Schicksalen und am Leiden anderer, und das konnte sie ihren Lesern sehr realistisch vermitteln.
Als Botschafterin des Friedens ist Bertha von Suttner in den nächsten Jahrzehnten weltweit unterwegs: Sie wird eine Person des öffentlichen Lebens - bewundert und verehrt von den Friedens-Befürwortern - von den Gegnern angefeindet und als "Friedens-Bertha" verspottet. Eine Woche vor den Schüssen in Sarajevo stirbt sie in Wien - den Ausbruch des Ersten Weltkriegs erlebt sie nicht mehr mit.“
http://www.3sat.de/page/?source=/specials/90965/index.html
Hier noch ein paar weitere Dokumentationen:
http://www.sueddeutsche.de/politik/pazifistin-bertha-von-suttner-kampf-gegen-krieg-1.2006131
http://www.radio.cz/de/rubrik/geschichte/berta-von-suttner
Der Wurm möchte die Gelegenheit nutzen, um auf einige Werke und Standpunkte von ihr einzugehen.
Die Waffen nieder! (1889)
„Das Buch schildert aus der Ich-Perspektive das Leben der aus Wien stammenden Gräfin Martha Althaus im Kontext von vier Kriegen. Im Sardinischen Krieg von 1859 zwischen Österreich und Sardinien sowie Frankreich verliert Martha im Alter von 19 Jahren ihren ersten Mann Graf Arno Dotzky. Sie wird daraufhin zur überzeugten Pazifistin. Ihr zweiter Mann Baron Friedrich Tilling teilt ihre Ansichten, obwohl er selbst Offizier in der Armee Österreichs ist. Er nimmt mit der Österreichischen Armee am Deutsch-Dänischen Krieg von 1864 und am Deutschen Krieg (Preußen gegen den Deutschen Bund) im Jahr 1866 teil.
Marthas Schwestern und ihr Bruder sterben an den Folgen der durch den Krieg bedingten Cholera, auch ihr Vater stirbt im Gram über den Verlust seiner Kinder. Ihr Mann zieht sich daraufhin aus der Armee zurück, um Marthas Friedensaktivitäten zu unterstützen. Als sie sich 1870 bei Ausbruch des Deutsch-Französischen Krieges in Paris aufhalten, wird ihr Mann wegen des Verdachts, ein preußischer Spion zu sein, standrechtlich erschossen. Ihr Sohn Rudolf aus erster Ehe beginnt daraufhin, sich für die Ziele seiner Mutter einzusetzen.
Bertha von Suttner wählte für ihr Anliegen bewusst die Romanform anstelle eines Sachbuchs, da sie der Meinung war, auf diese Weise ein breiteres Publikum erreichen zu können. Die große Popularität des Buches resultiert zum Teil auch aus der Tatsache, dass sie neben der Frage von Krieg und Frieden auch das Selbstverständnis und die Rolle der Frauen in der Gesellschaft thematisierte.“
http://de.wikipedia.org/wiki/Die_Waffen_nieder!
So weit die etwas trockene Inhaltsangabe von „Wikipedia“. Dazu ist noch zu sagen, dass es recht drastische Beschreibungen über das gibt, was Menschen (und Tieren!) im Krieg passiert und welche indirekten Folgen der Krieg hat: für die Wirtschaft (mit Ausnahme der Kriegsindustrie leidet die gesamte Wirtschaft - vor allem die Kleingewerbetreibenden – bis hin zum Banken-Zusammenbruch), die Landwirtschaft (Felder können wg. Personalmangels nicht bestellt werden, die Ernte wird von einmarschierenden Soldaten und Pferden zertrampelt, Geräte und Tiere werden konfisziert), es gibt politische Umstürze, Seuchen brechen aus und selbst diejenigen, die der Krieg gar nicht betrifft, stellen fest, dass eine geliebte Person danach nicht mehr am Leben ist (etwa an der Cholera gestorben).
Sämtliche Kriegspropaganda wird natürlich von den entsprechenden Medien geschürt und die jeweiligen Gegner als „Untermenschen“ dargestellt. Vor oder nach dem Krieg sind das natürlich ganz gute Menschen; währenddessen jedoch nicht.
Wie alle ihre Romane, ist „Die Waffen nieder!“ eine äußerst interessante Fundgrube für Historiker und Soziologen über die Lebensumstände und Gedanken der Zeit. Und Bertha von Suttner sagt bzw. schreibt sehr wohl ihre Meinung. Indem sie auch die Meinungen der auf die eine oder andere Art und Weise „Ewig-Gestrigen“ wider gibt und durch ihre Antworten als absurd entlarvt, gibt sie ihren Lesern eine Anleitung, wie sie dieser Sorte von Mensch entgegnen können.
Hier ist der Text zu dem heute noch lesenswerten Werk:
http://gutenberg.spiegel.de/buch/2594/1
Und hier zum Hören bei libriVox:
https://librivox.org/die-waffen-nieder-by-bertha-von-suttner/
Das Maschinenzeitalter (1889)
Brigitte Hamann schreibt in ihrer Biographie „Bertha von Suttner – Kämpferin für den Frieden“: „Nach einer Reihe von mehr oder weniger bedeutsamen Romanen versuchte sich Bertha nun wieder an einem anspruchsvollen Buch („Das Maschinenzeitalter“), das ihr beim Schreiben ‚einen großen Genuß‘ bereitete. ‚Denn ich wälzte mir darin alles von der Seele, was sich in mir an Groll und Leid über die Zustände der Gegenwart und an Hoffnungsgluten über die verheißende Zukunft angesammelt hatte.
Sie gab dem Buch den Untertitel ‚Zukunftstvorlesungen über unsere Zeit‘. Das bedeutete, dass sie ihre neuen Vorlesungen in die Zukunft verlegte und von dort aus die Zeit von 1885/86 schilderte, mit all ihrer Rückständigkeit auf den verschiedensten Gebieten. Hinter den Missständen aber spürte sie die Zeichen besserer Welten auf und benutzte dafür das Gleichnis vom ‚Herbstlaub im April‘: Zwar sind im April die Bäume noch voller welker Blätter. Aber die jungen Triebe drängen schon zum Wachstum. Es ist Übergangszeit in der Natur.
Stolz rühmte sie die Fortschritte der Maschinenzeit, ‚in der das demokratische Prinzip gegen Despotenverehrung, das Humanitätsprinzip gegen Streitaxt-Schwingerei und das wissenschaftliche Prinzip gegen Wundergeschichten sich sträubte‘.“
Für den Wurm ist die Lektüre von „Das Maschinenzeitalter“ auch heute noch ein Genuss. Auch wenn sich im Vergleich zu damals einiges verbessert hat, sind die Zustände in manchen Fällen gleich geblieben und teilweise haben sie sich sogar verschlimmert.
Bertha von Suttner sagt klar ihre Meinung. Auch, wenn viele Verhältnisse zeitbedingt sind – ihre Argumentation ist zeitlos. Wie schon bei „Die Waffen nieder!“ erwähnt, lässt sie auch hier gegenteilige Meinungen zu Wort kommen – um sie knallhart zu widerlegen und ihren Lesern quasi eine Anleitung zu geben, was dieser Sorte von Mensch zu entgegnen ist.
Auch heute noch – geistig rückständige Menschen wird es wohl immer geben. Auch, wenn sie sich dem Zeitgeist entsprechend „modern“ geben, sind sie doch auf die eine oder andere Art Fossilien.
Zur Lektüre sei dringend geraten, wobei sich als erstes das Kapitel „Die Frauen“ (Seite 79) anbietet. Mensch wird erkennen, dass sich im Denken der Menschen seit den letzten 125 Jahren so viel auch wieder nicht geändert hat.
https://archive.org/details/dasmaschinenzei00suttgoog
Der Kampf um die Vermeidung des Weltkrieges (1917)
Der Wurm wird sich über dieses Werk zu einem späteren Zeitpunkt seine Gedanken machen. Soviel vorweg: von 1892 bis 1914 (mit einer Pause von 1901 bis 1906) erschienen in der pazifistischen Zeitschrift „Friedenswarte“ Bertha von Suttners „Randglossen zur Zeitgeschichte“, die hier in Buchform zusammengefasst sind.
Einerseits ein wunderbares Werk der Zeitgeschichte und ein Genuss zu Lesen – andererseits bleibt es zumindest einem Wurm im Halse stecken. Es mag gute Bücher über die Gründe und den Verlauf des ersten Weltkrieges geben – keines reicht jedoch an dieses zweibändige Werk heran, das sofort in Deutschland und Österreich-Ungarn verboten wurde.
Vielleicht gab es Mächte und Regierungen, die den Krieg nicht wollten – den Frieden wollte jedoch keiner. Das geht deutlich aus Bertha von Suttners Kommentaren hervor.
Wie bereits geschrieben – ein andermal mehr darüber. Nun jedoch zu einigen ihrer Standpunkte.
Frieden
„Am 3. September 1891 forderte sie die Gründung einer „Österreichischen Gesellschaft der Friedensfreunde“ in einem Artikel der Neuen Freien Presse mit den Worten: „Darum ist es nothwendig, daß überall dort, wo Friedensanhänger existieren, dieselben auch öffentlich als solche sich bekennen und nach Maßstab ihrer Kräfte an dem Werke mitwirken.“ Der Erfolg dieses Aufrufs war überwältigend. Bertha von Suttner wurde von ihrer Österreichischen Gesellschaft der Friedensfreunde sogleich zur ersten Präsidentin ernannt, die sie bis zu ihrem Tode 1914 blieb. Im November 1891 wurde sie anlässlich des Weltfriedenskongresses in Rom zur Vizepräsidentin des Internationalen Friedensbüros gewählt und gründete 1892 die Deutsche Friedensgesellschaft, die binnen kurzer Zeit über 2.000 Mitglieder hatte. In der Folge nahm sie an mehreren internationalen Friedenskongressen teil, so etwa 1892 in Bern, 1894 in Antwerpen und 1897 in Hamburg. Am 3. Juni 1897 überreichte sie Kaiser Franz Joseph I. (1830–1916) eine Unterschriftenliste mit dem Plädoyer für ein internationales Schiedsgericht …
In Drei wesentliche Programmpunkte zur Neuregelung der Staatenbeziehungen legte sie dar, wie Konflikte zwischen Staaten ohne Gewalt gelöst werden können:
1. Durch Schiedsgerichtsverträge, um die Konflikte zwischen Staaten mit friedlichen Mitteln beizulegen.
2. Durch eine Friedensunion aller Staaten, die jeden Angriff eines Staates gegen einen anderen mit gemeinschaftlicher Kraft zurückweisen müsse.
3. Durch eine internationale Institution, die als ein Gerichtshof im Namen der Völker das Recht vertrete.“
http://de.wikipedia.org/wiki/Bertha_von_Suttner
Soweit ein Teil aus „Wikipedia“. Leider steht hier nicht, warum es sich bei der „Österreichischen Gesellschaft der Friedensfreunde“ um keinen normalen Verein handelt. Das steht hier:
„Doch die Gründung des Vereins zögert sich noch hinaus. Das liegt unter anderem am Vereinsgesetz: Frauen dürfen in politischen Vereinen nicht Mitglied sein. Es gilt daher eine Organisationsform zu finden, die die Ideengeberin nicht qua Gesetz ausschließt. Am 20. Oktober 1891 ist es dann soweit und die konstituierende Sitzung ist ein voller Erfolg. Mehr als 2000 Menschen nehmen an ihr teil und Bertha von Suttner übernimmt unter Beifall das Präsidium der neugegründeten "Österreichischen Gesellschaft der Friedensfreunde".“
Den Industriellen Alfred Nobel, den sie schon vor ihrer schriftstellerischen Tätigkeit gut kannte, überredete sie, den Friedensgedanken auch nach seinem Tode zu unterstützen. Daraus wurde der Friedens-Nobelpreis, der jährlich am Todestag Alfred Nobels (10. Dezember) verliehen wird. 1905 erhielt sie ihn selbst.
http://de.wikipedia.org/wiki/Friedensnobelpreis
Für den deutschsprachigen Raum war Bertha von Suttner die Gründerin der Friedensbewegung und international spielte sie durch ihren Roman „Die Waffen nieder!“ und ihr organisatorisches Geschick eine große Rolle.
Internationalität
Bertha von Suttner war von ihrem Selbstverständnis her ein Mensch. Zufällig die Zeit, der Ort, das Geschlecht, die Familie, die Nation, in die sie hinein geboren wurde.
"International“ war zu ihrer Zeit in manchen Kreisen noch ein Schimpfwort und auch sie wurde deswegen beschimpft. Für sie selbst hatte das nationale Denken (von der Kriegs-Hysterie der Völker mal abgesehen) zweierlei Auswirkungen:
zum einen befand sie sich im Vielvölkerstaat Österreich-Ungarn. Heute wird das gern als eine Art Vorläufer der EU dargestellt. Und es wäre doch schön gewesen, wenn die verschiedenen Völker doch friedlich hätten zusammen leben wollen. Wer sich mit Bertha von Suttner näher befasst, wird feststellen, dass sich sowohl Deutsch-Österreicher (vor allem diese) als auch Ungarn als Herrenrasse aufspielten und sich so den Zorn der anderen Völker zuzogen. Gerne grenzten sich etwa die deutsch-österreichischen Studenten gegenüber den anderen (etwa Tschechen und Italienern) massiv ab und sangen gerne „Die Wacht am Rhein“.
In diesem aufgeheizten Klima (das heute kaum noch geschildert wird) war es nicht möglich, gesamt-österreichische Friedensgesellschaften zu gründen. Wenn, dann für die jeweiligen Nationen getrennte.
Zum andern gab es auch unter den europäischen Friedensfreunden gegenseitige Vorurteile, namentlich zwischen französischen und deutschen. Frieden ja, aber erst gehört der andere tüchtig verdroschen. Das ist selbst heute noch sichtbar im Nachwort zu „Die Waffen nieder!“, das die Friedensfreundin Adele Schreiber im November 1914 geschrieben hat:
„Auch in Deutschland wuchs die Gemeinde, wir durften an den dauernden Völkerfrieden glauben. In 44 Jahren hat das aufblühende Groß-Deutschland, das wir miterlebten, trotz seiner Militärmacht, nie eine andere Eroberung versucht als die durch ehrliche, unermüdliche Arbeit errungenen Fortschritte von Handel und Technik, von sozialer Gesetzgebung und Wissenschaft, von Volksbildung und Kunst. Sein Kaiser, der jung und voll Bewunderung soldatischer Tugenden den Thron bestiegen hatte, konnte zur 25jährigen Wiederkehr dieses Tages als schönsten Ehrentitel den des Friedenskaisers beanspruchen.“
Es geht munter in diesem Stil weiter, so dass Deutschland von bösen Mächten dieser Krieg aufgezwungen wurde etc..
http://gutenberg.spiegel.de/buch/2594/8
Anti-Antisemitismus
„Nur ein redliches Mittel gibt es, Verfolgte vor Verfolgung zu schützen: sich neben sie zu stellen. Dort, wo die Steine hinfliegen, die ein verblendeter Haufen schleudert, dort werfe man sich hin: ‚Nur zu – ihr trefft auch mich!‘“
Aus Brigitte Hamanns Biographie: „Der Antisemitismus der Achtzigerjahre brach nach der Masseneinwanderung armer russischer Juden in Westeuropa hervor. Die Suttners erlebten diese sie barbarisch anmutende Zeitströmung zunächst aus der Ferne. In Georgien lasen sie fassungslos Berichte über die Reden des Berliner Hofpredigers Stöcker und über das Echo, das diese Antisemitenhetze in der Bevölkerung fand. Sie empfanden diese Bewegung als „Rückfall in das Mittelalter“. Rassenhass war für sie eine Erscheinung finsterer, längst überwundener Zeiten, sein Wiederauftauchen widersprach ihrem Glauben an den Fortschritt der Menschheit von der Barbarei zum „Edelmenschentum“. Wie viele ihrer Zeitgenossen meinten auch die Suttners, dass es bald durch ständige Angleichung und „Mischehen“ keinen Antisemitismus mehr geben würde. Der Fortschritt der Menschheit würde Nationalismus und religiöse Intoleranz überwinden und schließlich im Ideal des freigeistigen Kosmopoliten gipfeln.“
Parallel zur Organisation der Friedensbewegung lief eine zweite Vereinsarbeit, die maßgeblich vom Ehepaar Suttner getragen wurde: der „Verein zur Abwehr des Antisemitismus“, der sich als Ergänzung zum Friedensverein verstand.
Weiter Brigitte Hamann: „Die größte Schuld maß Suttner nicht dem antisemitischen Pöbel, sondern den Wortführern bei: ‚Sie werden zwar nicht selbst Hand anlegen, die Herren Pastoren, Rittergutsbesitzer und Abgeordnete, die hier das Wort führen, daß aber ihr Wort das fanatische Hausen entfesselt und sich mit Wurfsteinen und Brandfackeln betätigt, das nehmen sie als ‚die einzig und allein vollständig befriedigende Lösung der Frage hin‘, als die Erfüllung einer ‚Unabweislichen Kulturaufgabe der christlichen Welt‘.‘“
„Gegen Unrecht … muß man sich wehren – da gibt’s nichts anderes. Schweigen ist da, obwohl es Verachtung auszudrücken vorgibt, selber verächtlich.“
Die Antisemiten wollten sich nicht mittelalterlich gebärden, sondern wollten ihrem Standpunkt den Schein einer gewissen Aufgeklärtheit und Wissenschaftlichkeit geben und kamen mit der Rassentheorie, wo es von Ariern, Turanern und Indogermanen wimmelte mit dem Spruch „Was der Jude glaubt, ist einerlei – in der Rasse liegt die Schweinerei“. Bei Juden wurde nicht gekauft, Juden wurden von Vereinen ausgeschlossen – wer bislang geglaubt hatte, außerirdische Nazis hätten dies alles aufgebracht, täuscht sich. All das kommt aus der national-konservativ-religiösen Ecke des 19. Jahrhunderts. In voller Schärfe.
Die Suttners fanden zwar einige prominente Mitstreiter, kamen aber bei der breiten Masse nicht an. Und nicht gegen die Hetzreden der antisemitischen Parteien in den Parlamenten, vor allem der Christlich-Sozialen, die mit Karl Lueger ab 1897 den Bürgermeister von Wien stellten. „Dreyfus gehört auf die Teufelsinsel und alle Juden dazu!“ war einer der umjubelten Sprüche Luegers (die Friedensbewegung stellte sich unzweideutig hinter die Forderung von Emile Zola nach einer Neuauflage des Dreyfus-Prozesses und einer Rehabilitierung des zu Unrecht verurteilten jüdischen Offiziers).
Anderer Meinung als die Suttners gegenüber den Antisemiten war Theodor Herzl. Er rechnete das Engagement der Anti-Antisemiten hoch an, war aber der Überzeugung, dass das nichts brächte (womit er ja auch recht hatte). Den einzigen Ausweg sah er in einem wehrhaften, nationalistischen Judentum und letztendlich einem Judenstaat.
Bertha von Suttner: „Sehr gefällt mir Herzls Wunsch, daß seine Leiche einst nach Palästina überführt werde. Es ist ein stolzes Zionistenwort. Ich werde das nachahmen und verfügen, daß meine Urne solange in Gotha stehen bleibe, bis sie zum ersten Friedenstempel abgeholt wird.“
Herzls Wunsch ging in Erfüllung, von Suttners nicht – ihre Urne steht noch immer in Gotha. Und wg. Geldmangels und allgemeinen Desinteresses (von den hetzerischen Gegnern abgesehen) gingen der Anti-Antisemitenverein samt Zeitschrift zu Grunde. Das antisemitische Gesindel hatte gesiegt und sollte weiter siegen.
Religion
„Bertha von Suttner war nicht nur eine pazifistische Aktivistin mit sozialem Gewissen, sie bekannte sich auch als Freidenkerin. In ihrem Testament ist zu lesen: „... Verbiete mir jegliche Aufbewahrung, Kranzspenden, Einsegnung. Ich sterbe, wie ich gelebt habe, als überzeugte Freidenkerin. Habe nie Glauben geheuchelt und will auch keine Heuchelei nach dem Tode."
Sie ließ sich in Gotha, in Deutschlands erstem Krematorium, dessen Errichtung sie gefördert hatte, feuerbestatten. Die Urne mit ihrer Asche wird dort bis heute aufbewahrt.“
„Das erste Krematorium im deutschsprachigen Raum wurde 1878 von Julius Bertuch und Carl Heinrich Stier auf dem Gothaer Hauptfriedhof erbaut. Die Thüringer Residenzstadt im Herzogtum Sachsen-Coburg-Gotha galt als liberal und fortschrittlich, so gab es dort von seiten des Herzogs Ernst II. und der Landeskirche weniger Widerstand bei der Einführung der als sehr modern geltenden Feuerbestattung als in anderen deutschen Kleinstaaten.“
http://de.wikipedia.org/wiki/Krematorium
Von den deutschen Großstaaten gar nicht zu reden – das erste Krematorium in Österreich gab es nach erbittertem Widerstand der Katholischen Kirche erst im Jahre 1922. Freisinnige bzw. atheistische Österreicher ließen sich bis dahin (ab 1878) in Deutschland, vor allem in Gotha, verbrennen.
Aus einer Rede von Heiner Jestrabek zur Überführung der Leiche von Albert Dulk nach Gotha im Jahre 1884:
"Der Gründer der ersten deutschen Freidenkergemeinde Dr. Albert Dulk war am 29. 10. 1884 verstorben und am 2. 11. fand die Überführung des Leichnams zum Stuttgarter Bahnhof „in Form einer Massendemonstration“ zum Krematorium in Gotha zur Feuerbestattung statt. „Albert Dulks … Leichenzug sollte zur größten Demonstration der württembergischen Sozialdemokratie unter dem Sozialistengesetz werden. In Württemberg war die Feuerbestattung noch nicht erlaubt, deshalb zog ein Leichenkondukt zum Güterbahnhof, zur Überführung nach Gotha. (In der Gothaer Urnenhalle des ersten deutschen Krematoriums steht heute noch seine Urne neben anderen Prominenten u.a. der Freidenkerin Bertha von Suttner.) Ein ungewöhnlich großes Polizeiaufgebot wurde zum „Ordnunghalten“ eingesetzt: die circa 80 Stuttgarter Schutzleute nebst 40 eigens herbeigeholten Landjägern. Während des Leichenzugs war das Militär der Stuttgarter Garnison zu einem eventuellen Einsatz bereit. Am Trauerzug nahmen dem Stuttgarter Tagblatt zufolge „Tausende und Abertausende von Arbeitern ... mindestens 5-6.000“ teil. Insgesamt hatten dem Trauerzug „wohl über 25.000 Menschen angewohnt.“
Das Verbot der Feuerbestattung konnte mit Einführung der Demokratie (Weimarer Republik, 1919) nicht mehr aufrechterhalten werden. Auch der Widerstand der Kirchen wurde eingestellt. [Noch] „Bis 1954 verbot die evangelische Kirche ihren Geistlichen die Mitwirkung an Kremationsfeiern, die katholische Kirche tat es bis 1963.“
http://www.gotha.de/index.php?id=910
Zurück zu Bertha von Suttner. Gerne wird die Pazifistin von den heutigen Kirchen vereinnahmt, wie in diesem Artikel:
„Was hatte Bertha von Suttner mit der Kirche zu tun? Sie wurde in eine erzkonservative Katholische Kirche Österreichs hineingeboren, die wie die Gesellschaft überhaupt am Überkommenen festhielt , die modernen Naturwissenschaften für gottlos hielt und Kritik an sozialen Verhältnissen für gotteslästerlich. Diese Kirche konnte weder der kleinen Bertha, noch der erwachsenen Frau eine Heimat bieten …
Jesus, das menschliche Antlitz Gottes, ist ihr niemals nahe gebracht worden. Sie konnte Gott nicht "Vater" nennen. Denn sie erfuhr nur von dem "Gott, der Eisen wachsen lässt", dem die Truppen geweiht wurden, der in Kriegszeiten angerufen wurde, die Feinde zu verderben und den eigenen Soldaten den verdienten Sieg zu schenken. Das alles kam ihr bigott und widersinnig vor. Im Roman "Die Waffen nieder" muss sich die Heldin Martha seitenlang die Ausführungen eines protestantischen preußischen Oberpfarrers anhören, der mit dem Alten Testament in der Hand Kriege als gottgegeben, sogar gottgeboten anpreist. Martha schüttelt es.
Bertha von Suttner war ganz und gar keine Atheistin. Sie musste sich aber von den Fesseln befreien, die ihr die Kirche ihrer Zeit – sei sie nun katholisch oder evangelisch - anlegte. Darum nannte sie sich Freidenkerin. Frei musste sie sein und auf ihre Weise "rücksichtslos", um alle ihre Kräfte für die Friedensarbeit einsetzen zu können. Sie hätte sich selbst nie so genannt, aber ich zähle sie zu den seliggepriesenen Gotteskindern. Sie suchte den Frieden und jagte ihm nach (Psalm 34,15) mit Leidenschaft und Zähigkeit. Jesu Wort aus der Bergpredigt ist auch ihr gesagt: Selig sind, die Frieden stiften, denn sie werden Gottes Kinder heißen. (Mt. 5,9)“
http://www.deutschlandradiokultur.de/die-waffen-nieder.1124.de.html?dram:article_id=176876
Dazu schreibt der Wurm drei Dinge:
1. Die Analyse der Katholischen Kirche Österreichs im 19. Jahrhundert stimmt. Es fehlen allerdings noch ein paar unappetitliche Sachen wie der bereits erwähnte Antisemitismus
2. Wenn das Christentum im 19. Jahrhundert seines Bestehens einen Gott preist, der das Kriegswesen verherrlicht, muss das an der Religion selbst liegen – und ist keine Fehlinterpretation. Siehe
http://www.ansichten-eines-regenwurms.de/26-die-katholiban-und-das-leben.html
3. Bertha von Suttner würde sich massiv dagegen verwahren, vom Christentum vereinnahmt zu werden. Ob sie ausdrücklich Atheistin war oder nicht, mag dahin gestellt sein. Möglicherweise war sie auch Pantheistin („Gott ist überall“ bzw. „Gott ist in der Natur“). Das ist auch völlig unerheblich. Auf jeden Fall war sie gegen einen persönlichen Gott und war gegen das Christentum , was sehr deutlich im Kapitel „Die Religionen“ in „Das Maschinenzeitalter“ zu lesen ist. Hier ein Zitat (von mehreren) daraus:
„… Dieselbe Voraussetzung, daß an der Größe des Herrn, zu der Befriedigung seiner Selbstanbetung, die Leiden, Wünsche und Leben seiner Unterthanen sich verhalten, wie eins zu unendlich, so daß die geringste Übertretung seiner kaum ausgesprochenen Gebote nicht zu streng mit der ärgsten Folter gesühnt werden kann; daß er noch immer der Gütige und Milde und Barmherzige heißen muß, wenn er einen Frechen, der etwa in seiner Gegenwart zu nießen wagt, in siedendes Öl tauchen läßt: diese Voraussetzung – ins Unendliche übersetzt – läßt auch einen allgütigen Gott zu, der nur die allernotwendigste Gerechtigkeitsforderung erfüllt, indem er ungezählte Millionen seiner Geschöpfe im Feuer der Hölle ewig, ewig, ewig büßen läßt … Die Ungeheuerlichkeit dieser Vorstellung ist eine solche, daß sie eigentlich die Moloch-Idee noch übertrifft. Denn was sind die paar Opferabschlachtungen, mit der schnell überstandenen Todespein, an welchen sich der Götze erfreute, gegen die „ewigen“ Qualen seiner Kinder, die den väterlichen Christengott in seiner All-Seligkeit nicht stören sollten? …“
Mensch denke nur mal nach, wofür sie sich eingesetzt hat: Anerkennung der Naturwissenschaften, internationaler Friede, Menschenrechte, Gleichberechtigung der Frauen, „freie Liebe“, Erziehung nach wissenschaftlichen Methoden, Lösung der sozialen Frage, Tierschutz, gegen Antisemitismus – samt und sonders Punkte, gegen die die Vertreter der christlichen Religion auf massivste Art und Weise herzogen. Und das im 19. Jahrhundert der Existenz des Christentums. Hier handelt es sich um keine „Ausrutscher“ – es ist alles in der Religion angelegt.
Bertha von Suttner hätte sich sehr über einige der heutigen Kirchen-Ansichten (allerdings nur im westlichen Europa und teilweise gegen den eigenen Glauben gerichtet) gewundert. Und hätte sich in der Urne geschüttelt, wenn sie mitbekommen hätte, dass heutige Christen versuchen, sie als eine der Ihren darzustellen. Damals wie heute herrschte unter einfacher strukturierten Christen die Meinung vor, dass ein „guter“ Mensch ein gläubiger Mensch sein müsse. Dass erfahrungsgemäß eher das Gegenteil der Fall ist, ignorieren sie und biegen es sich zurecht.
Noch ein schönes Zitat von ihr: „Wer gegen arme, hilflose Mitgeschöpfe, die unter ihm stehen, erbarmungslos gewesen ist, hat kein Recht, wenn er in hilflose Lage kommt, zu einem höher stehenden Wesen zu beten: Herr, erbarme dich meiner!“
Frauen
Ein wunderbarer, zu großen Teilen heute noch gültiger Text ist in „Das Maschinenzeitalter“ zu lesen (siehe dort).
Zur Gleichberechtigung der Frauen hat sich Bertha von Suttner eindeutig und ausgiebig geäußert, hat sich allerdings nicht in Frauen-Vereinen engagiert. Sie stand zwar in persönlichem Kontakt mit der Frauen-Bewegung, war bei Frauen-Kongressen dabei und 1904 wurde ihr sogar die Präsidentschaft des Weltbundes der Frauen angeboten. Sie war aber so sehr mit dem Frieden beschäftigt, dass sie sich da nicht auch noch engagieren konnte („Nein, ich kann das nicht alles anpacken“). Dennoch verwundert es sehr, dass sie heute nicht zu den Ikonen der Frauenbewegung gehört.
Mit ein Grund könnte darin liegen, dass sie Frauen zwar den Männern gegenüber gleichwertig sah, aber nicht als besser. Mit Entschiedenheit verwahrte sie sich gegen alle Versuche, die Friedensbewegung als typisch weibliche Bewegung gegen das männliche Prinzip des Krieges hinzustellen: „Die Generalisierung auf die Politik aller Frauen in Hinblick auf meine Politik hat En Löwos wieder einmal in helle Wut versetzt – jedes einzelne Mähnos sträubt sich!“ (sie nannte sich selbst gerne „En Löwos“ oder „Es Löwos“).
Brigitte Hamann: „Der Kampf für den Frieden sei ein allgemein menschliches Anliegen, das von Männern wie von Frauen gleichermaßen vertreten werden müsse. Jenen ihrer ‚Schwestern‘, die allzu viel von der weiblichen Überlegenheit in Sachen Frieden redeten, gab sie zu bedenken, ‚daß es gleichfalls Frauengruppen sind, die Sammlungen für Torpedoboote einleiten und in kürzester Zeit 800 000 Kronen zu diesem Zweck zusammenbringen; daß Fürstinnen es sich zur höchsten Ehre rechnen, Regimentschef zu sein, daß von keiner der gegenwärtig regierenden Königinnen noch ein Wort, geschweige denn eine Tat gegen den Krieg gekommen ist, daß die Mütter die besten Kunden der Bleisoldatenfabriken sind, daß Bismarck mit aller Zuversicht zu der ihm huldigenden Frauendeputation sagen konnte, die Frauen werden das heranwachsende Geschlecht zu patriotisch-kriegerischer Gesinnung heranziehen.‘“
Voller Bewunderung (und auch etwas neidisch) sah sie auf die Frauenbewegung in den angelsächsischen und skandinavischen Ländern. Schon zur damaligen Zeit waren die deutschsprachigen Länder in gesellschaftlicher Hinsicht rückständig. Während hier (salopp ausgedrückt) ein paar Hansel aktiv waren, saßen dort Frauen teilweise in Parlamenten, durften selbst wählen, durften an die Universitäten. In den USA hatten sich sogar 300.000 Männer den Frauenvereinen angeschlossen …
Während es im 19. Jahrhundert allein in England mehrere schriftstellernde Frauen gab, deren Werke heute noch zu den Klassikern der Weltliteratur zählen (wie Mary Shelley, Jane Austen, die Bronte-Schwestern und George Eliot), galt dieser Beruf hierzulande als für Frauen ungehörig und in "wissenschaftlichen" Werken der Zeit wurde "bewiesen", dass Frauen gar nicht zur Schriftstellerei befähigt seien. Bertha von Suttner zitiert solche Werke in "Das Maschinenzeitalter", das zuerst unter dem Pseudonym "Jemand" erschien. Aus dem Grund, damit es überhaupt von Männern gelesen wurde. Die Tatsache, dass keiner drauf gekommen ist, dass dieses Buch eine Frau geschrieben hatte, war für sie der Beweis, dass es keine spezifisch "weibliche" Literatur gab.
Soziale Frage
"Das Arbeitervolk ist es müde, zu leiden, und unter uns gibt es solche, die müde sind, es leiden zu sehen. Ich für mein Teil kann nicht länger müßig zusehen, bei all den unnützen Schmerzen, Lasten und Gefahren, unter denen meine Mitgeschöpfe leiden.“
Aus dem Kapitel „Die Religionen“ in „Das Maschinenzeitalter“:
"… wenn ich aber wieder gesunde Beine erlangen kann, so ist mir das lieber und ich werde mir eher Mühe geben, dieses zu erreichen, als die aus dem Leim gehenden Krücken auszubessern:- Trost im Elend ist ganz schön, aber das weggeräumte Elend ist schöner. Wer einmal angefangen hat, sein Unglück abschütteln zu wollen – und das war bei der damaligen Menschheit der Fall – der verlangt nicht mehr, getröstet, am allerwenigsten vertröstet zu werden. Diejenigen, gegen welche die frommerseits so oft geäußerte Anschuldigung erhoben wurde: Wie, ihr wollt dem armen Volk, welches unter tausend Entbehrungen, unter dem Joche der Unwissenheit, der Armut, der Militärpflicht sein freudloses Dasein dahinbringt, den einzigen Trost rauben, den ihm der Glaube bietet? – die hätten wohl antworten können: Was wir aufheben wollen, das ist ja die Unwissenheit, die Armut, der Krieg … dann braucht das sogenannte „arme“ Volk euren leeren Trost – eure Vertröstungen auf das Jenseits – nicht, welche nur dazu angethan sind, die Energie des diesseitigen Besserungskampfes zu lähmen.“
Es gab zwar gegenseitigen Respekt, aber leider kam es in Deutschland (im Gegensatz etwa zu England oder der Schweiz) zu keiner größeren Zusammenarbeit zwischen der Arbeiter- und der Friedensbewegung. Die Sozialdemokratie war der Überzeugung, dass „allein die Schaffung der sozialistischen Gesellschaftsordnung“, „der energische Protest des Proletariats gegen die Kriegsgelüste“ und der „Sturz des Kapitalismus“ den Weltfrieden sichern bzw. herstellen könnte.
Die Friedensbewegung, deren Vertreter zu einem nicht geringen Teil dem Großbürgertum und dem Adel entstammten, passte da nicht so richtig dazu. Eine vertane Chance.
Tiere
So sehr sich Bertha von Suttner um die Menschen kümmert, so vergisst sie nicht die Tiere. Von Menschen gerne überlesen, sieht sie in ihren Romanen die Tiere aus einem humanen Gesichtspunkt, wie bereits in „Die Waffen nieder!“ erwähnt.
Hier noch ein paar Zitate:
"Der Tod an sich ist nichts Furchtbares, nichts Höllenhaftes - wohl aber ist dies die Todesangst und die physische Qual. Dass bei der Tötung der Tiere diese beiden dem Opfer tunlichst zu ersparen seien, darüber ist doch kein gesitteter Mensch im Zweifel. Meiner Überzeugung nach wird auch einst die Zeit kommen wo niemand sich wird mit Leichen nähren wollen, wo niemand mehr sich zum Schlächterhandwerk bereit finden wird. Wie viele unter uns gibt es schon jetzt, die niemals Fleisch äßen, wenn sie selber das Messer in die Kehle der betreffenden Tiere stoßen müssten!"
"Von hundert gebildeten und feinfühlenden Menschen würden schon heute wahrscheinlich neunzig nie mehr Fleisch essen, wenn sie selber das Tier erschlagen oder erstechen müssten, das sie verzehren."
"Wer die Opfer nicht schreien hören, nicht zucken sehen kann, dem es aber, sobald er ausser Seh- und Hörweite ist, gleichgültig ist, dass es schreit und zuckt - der hat wohl Nerven, aber - Herz hat er nicht."
„Die Religion rechtfertigt nicht den Scheiterhaufen, der Vaterlandsbegriff rechtfertigt nicht den Massenmord, und die Wissenschaft entsündigt nicht die Tierfolter.“
Zum Ende
Rilkes anfangs angeführtes Gedicht gibt schon eine leise Vorahnung, welchem öffentlichen Dreck, Spott und Hohn Bertha von Suttner ausgesetzt war. Sie hätte es sich einfach machen können, fühlte sich aber der Menschheit verpflichtet.
„Gehässige Karikaturen über die dicke „Friedensbertha“ hatte es schon lang gegeben, keine Österreicherin wurde häufiger karikiert (so berühmt wie sie waren ja auch nur Sängerinnen oder Schauspielerinnen); am Vorabend des Weltkriegs wurden die Bilder noch höhnischer. 1913 traf Stefan Zweig sie auf der Straße und überliefert, wie die sonst leise redende Suttner ihn ohne Rücksicht auf Passanten erregt anschrie, die ‚Kriegsmaschine‘ sei schon im Gang: ‚Warum tut ihr nichts, ihr jungen Leute? Euch geht es vor allem an! Wehrt euch, schließt euch zusammen! Lasst nicht immer alles uns paar alte Frauen tun, auf die niemand hört!‘“
http://diepresse.com/home/zeitgeschichte/3821311/Die-gebeugte-Bertha_Suttners-Ende-in-Wien
„Dicke Bertha“ war denn auch die Bezeichnung für deutsche Geschütze im 1. Weltkrieg. Angeblich ist nicht genau bekannt, woher die Bezeichnung kam – bezogen wurde dieser Begriff von den feixenden Soldaten aber sehr wohl auf die großen Friedensaktivistin.
Im Vergleich zu vor 100 Jahren hat sich tatsächlich einiges gebessert, einiges nicht. Statt eines Kaisers als Staatsoberhaupt, der zackig von der Überlegenheit der deutschen Nation schwadroniert, gibt es heute in der gleichen Funktion einen zackigen Pfarrer, der wg. „Bewahrung der Menschenrechte“ zu mehr „deutscher Verantwortung in der Welt“ aufruft.
Zweifelhaft, ob ihr das gefallen hätte.
Das Verhalten der allermeisten Menschen lässt sich aus „der Zeit“, Erziehung oder „den Umständen“ nachvollziehen. Dadurch lässt sich einiges erklären – aber nichts entschuldigen. Die Bewohner des Erdreichs wünschen und erwarten sich Menschen, die sich ihres eigenen Verstandes bedienen und ausschließlich eines sind: Menschen. Egal, welches Geschlecht, Alter, Hautfarbe, Nationalität, Körpergröße oder was auch immer sie haben mögen. Und andere Menschen genau so behandeln, wie sie selbst gern behandelt werden möchten. Egal, in welche Zeit sie hinein geboren wurden, egal, welche Erziehung sie hatten, egal, mit welchen Menschen sie zu tun hatten.
Bertha von Suttner ist der Beweis, dass es solche Menschen schon immer gegeben hat. Der Wurm ist bisher auf keinen einzigen Satz, keine einzige Meinung von ihr gestoßen, wo er nicht sagen könnte: „ja, genau das ist es“.
Der Wurm verneigt sich vor diesem großen Menschen.
Es wäre schön, wenn die Menschen zumindest einmal im Jahr, bei der Verleihung des Friedens-Nobelpreises, an sie denken würden.
http://www.zeno.org/Literatur/M/Suttner,+Bertha+von/Autobiographisches/Memoiren
Anbei noch der Text von einem Lied von Reinhard Mey aus dem Jahr 2004:
„Gebor’n in einer Stadt, vom Krieg verwüstet und zerstört,
Habe ich, seit ich hören kann, „nie wieder Krieg!“ gehört.
Ich hab’ meine Lektion so gut gelernt, hab’ von so nah
Den Krieg gesehn, daß auch das Kind begriff, was da geschah.
Manch Ängste, weiß ich, werd ich nie verlieren
Und Bilder nicht aus meinem Kopf radieren.
Und Krieg ist ein Verbrechen, kein Krieg ist je gerecht
Und ihr, die ihn uns schönredet und das Gelübde brecht,
Euch fromme Beter hör ich nun eifrig die Trommel rühr’n,
Um andrer Leute Kinder in eure Schlachten zu führ’n.
Erinnert ihr euch, ihr wolltet nie wieder, nie wieder Krieg –
Die Waffen nieder!
Es heißt, sie machen ihren Job, sie tun nur ihre Pflicht.
Wie ihr es auch verharmlost, so täuscht ihr uns doch nicht:
Der Job heißt Minen legen, die Pflicht heißt bombardier’n,
Vernichten und verstümmeln, auslöschen und liquidier’n,
Heißt brandschatzen, Menschen zu Tode hetzen,
Die eigne Seele für immer verletzen.
Manchmal seh ich unter dem großen Helm ein Kindsgesicht,
Aus dem blankes Entsetzen, die schiere Verzweiflung spricht,
Wenn es erschüttert sehen muß, für welch schändliche Tat,
Für welch schmutz’ges Verbrechen es sich hergegeben hat
Und ahnt: Die Schuld wirst du nicht los, nie wieder. Nie wieder Krieg,
Die Waffen nieder!
Glaubst du, in deinem gottverlaßnen Loch im Wüstensand
Verteidigst du deine Kinder, dein Dorf oder dein Land?
Glaubst du, wenn du mit deinen großen High-Tech-Stiefeln kommst,
Das Land aus hellem Himmel zurück in die Steinzeit bombst,
Du könntest es befrei’n durch Blutvergießen,
Frieden in die Herzen der Menschen schießen?
Nein, wieder wirst du für eine schlechte Sache mißbraucht:
Für Macht, für Öl, für Stahl, damit der Rüstungsmotor faucht,
Für diese große Kumpanei, die dich, wie’s ihr gefällt,
Am Ende der Welt als lebende Zielscheibe hinstellt.
Verwehr’ ihr den Gehorsam, sag: Nie wieder! Nie wieder Krieg,
Die Waffen nieder!“
http://www.reinhard-mey.de/start/texte/alben/die-waffen-nieder