Staeck-Brief

Wenn wir Regenwürmer unseren Kumpels in Bayern einen Besuch abstatten, besuchen wir meistens in München das Grabmal des unbekannten SPD-Wahlkämpfers, an dem wir einen Kranz nieder legen. Einige können dann ihre Tränen nicht zurück halten, denn die Existenz der bayerischen SPD ist für uns so etwas wie ein Sinnbild der Sinnlosigkeit. Vielleicht ist das jetzt etwas übertrieben, aber unser Mitleid haben die bayerischen Genossen allemal verdient.

Na ja, für die Genossen im restlichen Bundesgebiet gilt unser Mitleid aber auch. Zwar dürfen die dort manchmal mitregieren, aber was die dann in der Regierung machen, treibt die einfachen Mitglieder dann auf diesem Wege in die Verzweiflung.

Einer, der seit Jahrzehnten an das Gute im Menschen und in der SPD glaubt, ist der Grafikdesigner und (seit 2006) Präsident der Akademie der Künste in Berlin, Klaus Staeck. Berühmt wurde er durch Plakate und Postkarten, die größtenteils aus Fotomontagen und einem kurzen Text bestehen. Oft mit sehr direkter politischer Aussage und manchmal hintergründig (über „Deutsche Arbeiter! Die SPD will euch eure Villen im Tessin wegnehmen“ werden manche Menschen etwas länger nachgedacht haben).

Natürlich eignen sich die Werke von Klaus Staeck wunderbar für den Wahlkampf. Aktuell gibt es große Aufregung über ein Postkatenmotiv von Klaus Staeck, das die Jusos in 100.000-facher Vervielfältigung vor den Fußballstadien verteilen. Zu sehen sind Angela Merkel und Uli Hoeneß mit dem Text „Glückwunsch, Uli! Wir Steuern das schon.“ Erst beschweren sich alle über den langweiligen Wahlkampf, dann über solch eine Aktion. Dem Gejaule nach muss damit wohl ein wunder Punkt getroffen worden sein.

 

In seiner Laufbahn hat er schon manchen Treffer gelandet und es macht uns Würmern Spass, seine Werke auf seiner Homepage zu betrachten: Einer der Letzten seiner Art, die die Menschen und ihr System genau beschreiben können. Und einer der Letzten, die nicht aufgeben und sich noch für ihre Mitmenschen und ihre Art zu leben, einsetzen.

Wir Bewohner des Erdreiches, die mal große Hoffnungen in das Tun und die Zukunft der Menschheit setzten, stellen zu unserem Entsetzen fest, dass allüberall große Party-Stimmung herrscht und sich kaum einer mehr für ernsthafte Sachen interessiert. Es wird so ziemlich jeder schräg angeguckt, der nicht erzählt, dass er etwa im Urlaub oder am Wochenende Spass, Spass und nochmals Spass gehabt hat. Wer etwa erzählt, dass er eine Studienreise nach Indien macht, eine Kunstausstellung besucht, sich einen Vortrag über ein gesellschaftlich relevantes Thema anhört, sich überhaupt näher für Themen oder Personen interessiert, die nicht in den bunten Blättern stehen – der kann davon ausgehen, für einen Spinner gehalten zu werden.

Das ist nicht nur bei einfacheren Leuten so, sondern auch bei Künstlern. Etwa in der Literatur. Trifft die heutige Literatur (weltweit) noch irgend welche Aussagen? Selbst da, wo mensch meinen könnte, der Autor hat etwas zu sagen, indem er bestimmte Themen aufgreift (etwa bei manchen Krimi-Autoren): Mensch frage diesen Autor nach einer Lesung, ob er eine gewisse „Wirkung“ beim Leser erzielen möchte. Mit großer Wahrscheinlichkeit lautet die Antwort „nein“ und dann kommt so was wie „hab‘ nur so für mich nachgedacht und natürlich habe ich nicht die Absicht, dass andere meinen Gedanken folgen sollen“.

Es ist ein Jammer – wer sich heutzutage noch gesellschaftlich engagiert, gilt als eine Art Fossil oder Ewiggestriger, der den anderen die Stimmung verderben will.

Aktuell von dieser Woche passt dazu der folgende Satz eines ehemals seriösen Nachrichtenmagazins (es geht um Deutschlands Rolle in der Welt): „… Es wird uns nur heute von anderen Ländern und Völkern angetragen, Vorbild, Lehrer, Partner zu sein, und diese Nachfrage stillt man nicht mit ein paar Goethe-Instituten, in denen Klaus Staeck noch immer seine Plakate aufhängt oder zum x-ten Mal der Film ‚Good Bye, Lenin‘ gezeigt wird.“

Seien wir froh, dass es noch solche „Stimmungstöter“ wie Klaus Staeck gibt.

http://www.staeck.de/

 

Ein schönes Plakat von ihm hat den Text „Ein Volk das solche Boxer Fußballer Tennisspieler und Rennfahrer hat kann auf seine Uniwersitäten ruhig verzichten“.

Jetzt frage sich mal jeder, wie viele deutsche Sportler er kennt.

Und wie viele Wissenschaftler? Und wie viele Künstler? Wie viele historische Künstler?

Kennt jemand John Heartfield?

Wir Würmer kennen ihn, schließlich gehört er unserer Ansicht nach zu den bedeutendsten Künstlern überhaupt. Und ist quasi ein Vorgänger von Klaus Staeck. 1891 als Helmut Herzfeld in der Nähe von Berlin geboren, Teilnehmer des 1. Weltkriegs, währenddessen er wie viele andere zum bedingungslosen Pazifisten wird. Aus Empörung über die England-Feindlichkeit der deutschen Kriegspropaganda („Gott strafe England!“) nennt er sich fortan John Heartfield.

Nach dem Krieg arbeitet er als Grafiker, gehört zu den bedeutenden Figuren des Dadaismus und kommt auf die Idee, verschiedene Fotos zusammenzustellen, um so ein Kunstwerk daraus zu machen: Er erfindet die Fotomontage, deren unerreichter Meister er wird. Vor allem arbeitet er zusammen mit George Grosz, aber auch mit der gesamten damaligen linken Szene, wie mit Kurt Tucholsky, Bertolt Brecht oder Erwin Piscator.

Um Oskar Maria Graf aus dem Jahre 1938 zu zitieren: „John Heartfield zeigt wie kein anderer, was hinter den Dingen und Erscheinungen steckt. Er hat die Fotomontage zum weithin wirkenden Fotopamphlet gemacht … Seine Werke bewegen und aktivieren Millionen gesitteter Menschen, und selbst das trägste Herz erkennt an ihnen, welches schauerliche Übel uns alle bedroht.“

Und: „Darum die überwältigende Simplizität seiner kämpferischen Fotomontagen, darum die unnachahmliche Sinnfälligkeit und die aufwühlende Wahrhaftigkeit in seinen Blättern … Man ist sich bei den Henkern im Lande genau darüber im klaren, was für eine unschätzbare Waffe Heartfields Montage ist. Sie wissen, welchen Feind sie in dem kleinen, unscheinbaren Johnny haben. Sie hassen ihn wie kaum einen anderen und wehe, wenn sie seiner habhaft werden.“

Habhaft sind die Nazis ihm glücklicherweise nicht geworden (Heartfield lebte im Exil erst in der Tschechoslowakei und dann in Großbritannien). Ansonsten ist den Worten von Oskar Maria Graf nichts hinzuzufügen. Außer Heartfields Bilder, die es unter anderem hier zu sehen gibt:

https://www.google.de/search?gs_rn=26&gs_ri=psy-ab&cp=8&gs_id=u&xhr=t&q=john+heartfield&bav=on.2,or.r_qf.&bvm=bv.51495398,d.bGE&biw=1280&bih=676&um=1&ie=UTF-8&hl=de&tbm=isch&source=og&sa=N&tab=wi&ei=25gfUpeyCYWB4ATR74DgAg

https://www.youtube.com/watch?v=pTSOEDCLAJk

 

An die Klasse von John Heartfield kommt keiner ran, auch nicht ein Klaus Staeck.

So froh mensch sein muss, dass es wenigstens einige wenige Idealisten wie Klaus Staeck gibt, die ihre Meinung sagen und sich für andere einsetzen – die Dynamik eines John Heartfields in seinen besten Zeiten und mutige Verleger, die mehr der Wahrheit als dem Geld verpflichtet sind, fehlen heutzutage.

Eine Zeitung, die gerade jetzt John Heartfields auf dem Bajonett aufgespießte Friedenstaube großflächig auf der ersten Seite bringt: Das ist genau das, das heute fehlt.