Das Leben des Byron

https://www.youtube.com/watch?v=nrIPxlFzDi0

 

Mick Jaggers Aufschrei der persönlichen und gesellschaftlichen Unzufriedenheit war nicht neu.

Vor 200 Jahren starb George Gordon Noel, 6. Baron Byron, besser bekannt als Lord Byron.

Für seine Generation war er eine Mischung aus Mick Jagger und James Dean und galt als „The World's First Sex Symbol“.

 

https://www.youtube.com/watch?v=mjpEAiccugo

 

In seinem Leben und in seinen Werken lehnte er sich auf gegen jegliche gesellschaftliche und politische Bevormundung bis hin zur Tyrannei.

Denn ich lehre, wenn ich kann auch noch die Steine,

sich gegen die Tyrannen dieser Erde zu empören.

Legendär ist seine Unterstützung im griechischen Unabhängigkeits-Kampf gegen das Osmanische Reich, ohne die es wahrscheinlich kein unabhängiges Griechenland gegeben hätte.

 

Wenn nicht anders angegeben, zitiert der Wurm aus folgenden Büchern:

André Maurois: „Don Juan oder Das Leben Byrons“, 1952

Gerhart Hoffmeister: „Byron und der europäische Byronismus“, 1983

„Lord Byron – Ein Lesebuch mit Texten, Bildern und Dokumenten“. Herausgegeben von Gert Ueding, 1988

 

Das Wesen des Byron

 

Stendhal über Lord Byron: „Der einzige Gegenstand seiner Aufmerksamkeit war er selbst … er konnte sich niemals in einen anderen Menschen versetzen“.

Anders ausgedrückt: es war nicht mit ihm auszuhalten. Oberflächliche Beziehungen waren denkbar, aber je näher mensch ihm kam, umso mehr musste er damit rechnen, massiv vor den Kopf gestoßen zu werden. Und da solche Menschen nun mal ausschließlich an sich selbst interessiert sind, merken sie nicht mal, wie sehr sie ihre Mitmenschen verletzen oder in Wut versetzen. Darauf angesprochen, wundern sie sich, vielleicht entschuldigen sie sich sogar – machen aber im nächsten Moment da weiter, wo sie vorher aufgehört haben.

Ein Lied davon singen konnte seine Ehefrau Annabella, die sehr verständnisvoll war, es aber auch nur ein Jahr lang mit ihm ausgehalten hat. Der einzige Mensch, der ihm auf Dauer nahe sein konnte, war seine Halbschwester Augusta, mit der er ein sexuelles Verhältnis hatte, welches letztendlich zu seiner Ächtung in England beitrug.

 

Porträt

 

„Da Byron schon als Kind auf die Atmosphäre eines harmonischen Familienlebens verzichten mußte, entstand bei ihm früh eine innere Leere, die sich in Depressionen äußerte. Dieser Seelenzustand, seit Rousseaus Tagen als Modekrankheit der Zeit unter verschiedenen Begriffen wie Melancholie, Ennui oder Weltschmerz bekannt, hat sich bei dem Dichter so ausgewirkt, daß er sich oft lange nicht davon lösen konnte, seine Helden in gesteigertem Maße darunter leiden ließ (etwa Childe Harold) und die Leser von hier aus wieder auf Byron als „gloomy egoist“ rückschlossen. Niedergeschlagenheit, Lebensüberdruß, Ennui, das war anscheinend die Grundstimmung, aus der sich Byron immer wieder zu befreien bemühte, und zwar meistens durch leidenschaftliche Tätigkeiten - ob es sich nun um Schwimmen, Reiten, Kämpfen, Reisen oder erotische Abenteuer handelte. Auf die schwimmende Überquerung des Hellespont war er etwa besonders stolz gewesen, weil sie ihm bewies, daß er über seinen körperlichen Defekt triumphieren konnte. Was er über sich selbst aussagte:

Das große Ziel meines Lebens ist das Empfinden – zu spüren, daß wir existieren - wenn auch unter Schmerzen - es ist diese „sehnsuchtsvolle Leere“, die uns antreibt zum Spielen – zu Schlachten – zu Reisen – zu zügellosen, aber heftig empfundenen Unternehmungen jeder Art, deren hauptsächlicher Reiz in der Erregung liegt, die mit der Durchführung untrennbar verbunden ist,

bestätigt seine Frau, die sein Unglück in „einer gewohnheitsmäßigen Leidenschaft für Aufregung“ sah:

Es ist die Langeweile einer eintönigen Existenz, die die herzensgutsten Menschen dieser Art auf die gefährlichsten Wege treibt und oft den Anschein erweckt, als würden sie aus schlechten Motiven handeln, obwohl sie in Wirklichkeit nur durch einen äußeren Reiz vor innerem Leid fliehen. Die Liebe zum Quälen entspringt hauptsächlich dieser Quelle.

Sein schlaffes, in melancholischem Dahinbrüten sich ergehendes Temperament konnte also unmittelbar in sein Gegenteil, von Leidenschaften entbrannte Tätigkeit umschlagen, was manchen Zeitgenossen, besonders seine weiblichen Verehrer, aber auch die Byronkritiker zu der Fehlannahme verleitete, in ihm etwa einen glücklichen Menschen oder einen durchaus positiven Charakter zu vermuten …

Bis dahin konnte er nur schwer irgendwo im Leben Wurzeln schlagen und hinterließ in seinem Bekanntenkreis auch kaum den Eindruck einer in sich gefestigten Persönlichkeit, denn dazu war sein Charakter zu komplex und enthielt offenbar zu viele Paradoxien …

Erst der jüngste Byron-Biograph, Leslie A. Marchand, hat erkannt, daß der behauptete Dualismus zweier Seelen in Byron, der Konflikt von Herz und Kopf, Gefühl und Zynismus zwei durchaus echte Seiten desselben Sachverhaltes darstellen, nämlich der Sehnsucht des Dichters, der prosaischen Wirklichkeit zu entkommen, auf deren Scheitern seine Ironie oder sein aggressiver Spott dann bitter reagierten.

Byron zählt zu den Frühvollendeten und Frühgealterten der romantischen Dichterbewegung, denn als er mit 36 Jahren einem Sumpffieber in Missolunghi erlag, hatte er von seiner Studienzeit in England bis 1816 (Venedig) ein ausschweifendes Leben geführt und sein Altern bereits antizipiert. Antizipation des Lebens durch die Phantasie und verfrüht ausgeschöpfte Leiden und Leidenschaften erklären denn auch zum Teil seinen Lebensüberdruß, von dem er in seinen Briefen, Tagebüchern und Gesprächen, diesen genialen Produkten seiner launisch-ichbesessenen Natur, zumindest seit 1811 immer wieder sprach, wobei er darauf hinwies, daß er seine ersten sexuellen Erfahrungen schon mit neun machen mußte (Kindermädchen May Gray). Kein Wunder, mit 23 schien ihm die Blüte des Lebens vorbei, mit 33 war er lebensmüde und bei der Abreise aus Genua heißt es: „Ich bin von Gefühlen erschöpft; denn obwohl ich erst 36 bin, fühle ich mich wie 60“. Das sagte er zu einem Zeitpunkt als sein Dichterruhm in England und auf dem Kontinent im Zenit stand. Was ist hier noch von dem „dämonischen Individualismus“ seiner Helden oder dem „dämonischen Instinkt“ ihres Autors übrig geblieben, der nach Goethe andere zu führen verstand? Und dennoch wäre es falsch, die Attraktivität Byrons, des adligen Dichters, der durch sein persönliches Erscheinungsbild alle Welt beeindruckte und wenn nicht durch seine Scheidung, dann durch seine Helden ins Mysteriöse hinüberspielte, zu unterschätzen und etwa allein der Legende zuzuschreiben. Sein Umgang mit Freunden und Frauen beweist das.

In einem lieblosen Elternhaus aufgewachsen, sehnte sich Byron schon früh nach Liebe, suchte nach einem Ideal, dem in der Wirklichkeit kaum eine Person entsprechen konnte; die Enttäuschungen waren desto größer, und der Idealsucher strebte auf weniger begangenen Pfaden der Erfüllung näherzukommen …

Byron bekämpfte zwar die intolerante Orthodoxie, den Dogmatismus von Calvinismus und ‚Evangelical Christianity‘ und setzte seinen ganzen Willen - wie der rebellische Lucifer – ein, die Scheinheiligkeit in Kirche, Gesellschaft und Politik anzugreifen, doch war er immer auf der Suche nach Gott, an dessen Existenz er glaubte und kann darum letztlich als eine im Grunde religiöse Natur angesehen werden …

Dessenungeachtet, weil seine Helden gegen Gott rebellieren, ist Byron bis in die 40er Jahre dieses Jahrhunderts als melancholischer oder satanischer Dichter angesehen und verunglimpft worden.“

 

„Der engen und traurigen Religion, die ihm seine ersten schottischen Lehrer mitgaben, war, ohne sie zu zerstören, durch Cambridge der voltairische Deismus aufgesetzt worden, der naiven Empfindsamkeit des Jünglings ein starker ironischer Humor. Das Weltbild, das aus dieser inneren Landschaft entstand, war einfach. Die Erde war ohne erkennbaren Sinn von einem Gott geschaffen, den unsere Leiden gleichgültig ließen. Die Menschen, getrieben von ihren Leidenschaften, vom Schicksal, jagten nach schönem Gefühl, was klug war, oder nach Ruhm, was närrisch war. Reiche kamen und gingen wie die Wogen des Meeres. Alles war nichtig, außer dem Vergnügen.

Die Reise in den Orient befestigte diese Doktrin. Überall, wo Byron sich aufgehalten hatte, war das Leben hart gewesen, die Laster universell, der Tod gegenwärtig und leicht. Der Fatalismus der Muselmanen hatte den seinen gestärkt. Ihm hatte gefallen, wie sie die Frauen behandelten. Die Vielfalt der Religionen hatte ihm deren Kraftlosigkeit bewiesen. Er brachte Zweifel mit zurück, an denen er wie an Glaubenssätzen festhielt. In der langen Zeit des Alleinseins hatte er einige Wahrheiten über sich selbst gelernt. Er wußte nun, daß er nur außerhalb von Sitte und Gesetz glücklich sein konnte. Er hatte jene Länder geliebt, in denen er sich um niemanden und in denen sich niemand um ihn kümmerte. Die Entfernung hatte ihn Geringschätzung gelehrt; kann man sich über den feindseligen Zeitungsartikel eines Pedanten aufregen, wenn sich zwischen ihm und dem Beschimpften das Mittelmeer und der Atlantik wälzen, wenn der Donner der nördlichen Zeitschriften vom Brausen des Hellespont übertönt wird? Wenn die Dinge in England eine Wendung zum Schlechten nehmen sollten, wußte er nun, daß er nach 14 Tagen auf dem Meer weiße Inseln und ewig blauen Himmel finden werde.“

 

„Er entschloß sich nach London zu ziehen, wo er jedenfalls das Parlament hatte und Druckbogen zum Korrigieren: „Irgend etwas, das mich davon heilt, immer wieder das eine verdammte Verb zu konjugieren: sich langweilen.““

 

„Man war nur zu gern bereit, ihn eines Verbrechens anzuklagen, für das, wie Lady Melbourne sagte, keine Entschuldigung gelten konnte, weil er heftig gehaßt wurde. Er hatte im Parlament eine radikale Whig-Position eingenommen, was schon mißfiel. Er hatte niemals seine Bewunderung für Napoleon verborgen; obwohl die Alliierten in Frankreich eingerückt waren, hoffte er nach wie vor, sein Bonaparte, „sein Romanheld“, würde sie schlagen. Er war entsetzt, die Rückwendung zum „alten, dummen, langweiligen europäischen Gleichgewicht“ vorauszusehen, „das darin besteht, Strohhalme vor den Nasen der Könige im Gleichgewicht zu halten“. Solche Meinungen vertrat er öffentlich in einem Land, das sich im Krieg befand und in dem er sich durch sein Talent und seine Liebschaften einer Welt von Feinden gegenübersah. London war mit so viel Gehässigkeit gegen den Poeten geladen, der es sich erlaubte, schön zu sein, Talent zu haben und mit unbekümmerter Offenheit zu reden, daß nur ein kleiner Schock noch fehlte, um diese mit Haß übersättigte Lösung explodieren zu lassen.“

 

Sexualität

 

Rupert Everett im oben erwähnten Film: „Er jagte keine Frauen – Frauen jagten ihn“.

Anfangs noch recht schüchtern, wurde er schnell zum Frauen-Helden, pflegte aber auch sexuellen Umgang mit Männern.

 

Erwin In het Panhuis: „Bereits die frühe Homosexuellenbewegung entdeckte ihn als "einen von uns" … In seinem Leben hatte Lord Byron sowohl heterosexuelle als auch homosexuelle Beziehungen. Es fällt auf, dass er engere Beziehungen auch zu männlichen Jugendlichen und zu Männern hatte, die nicht seinem gesellschaftlichen Stand entsprachen.“

https://www.queer.de/detail.php?article_id=49193

 

Annabella

 

„Sie hatte an ihrer Seite einen zugleich bedeutenden und naiven Menschen. Er war von einer schmerzgepeinigten Empfindsamkeit, einem beinahe unglaublichen physischen und moralischen Egoismus. Er redete unaufhörlich von seiner Gesundheit, seinem ausgefallenen Haar, von einem schmerzenden Zahn. Streifte irgend etwas seine körperliche Behinderung, war seine Eigenliebe sofort auf dem Plan. In den ersten Tagen sprach er darüber kein Wort; sie war es, die das Thema anschnitt, um ihr gemeinsames Leben von solcher Verlegenheit zu befreien, denn sie hatte gerade von Erasmus Darwin über die Krankheiten des Willens gelesen. Darwin sagte, ein Patient könnte Linderung darin finden, daß er sich frei über sein Leiden ausspräche. Und wirklich, von diesem Augenblick an ließ er zu, daß sie davon wußte, aber er hatte dabei immer ein gezwungenes Lächeln und sprach ohnehin von „meinem kleinen Fuß“. Wenn er spazierenging und von weitem Schritte laut wurden, hielt er an und blieb unbeweglich stehen, damit kein Fremder ihn hinken sah, gelegentlich fing er auch an zu laufen. Es war ihm schrecklich, beobachtet zu werden; jeder Blick, den er auf sich ruhen fühlte, rief einen Wutanfall hervor.

Er begann auch zugleich gegen Annabellas Moralempfinden zu kämpfen. „Der erste Schritt ist immer der schwerste“, sagte er. Abends versuchte er ihr zu beweisen, daß weder in der Religion noch in der Moral die Wahrheit läge. Hochmütig schloß er dann: „Und nun bekehren sie mich!“ Sie gab es auf, darauf zu antworten. Sie sagte nur, daß Verzeihen, Verzicht, Mut und Fröhlichkeit die besten Mittel seien, ihm zu beweisen, daß nicht alle Menschen schlecht waren. Was er Religion nannte, war jene düstere Lehre seiner Kindheit, die auf ihn, so entdeckte sie, großen Einfluß gehabt und gemeinsam mit den zwei Jahren muselmanischer Umgebung seinen Fatalismus geprägt hatte. Annabella machte sich nun nicht etwa den Gedanken an das Walten eines blinden Geschicks zu eigen: „Ich glaube an die lebendige Gegenwart Gottes bei denen, die nicht ihren eigenen Willen, sondern den seinen tun wollen“.

Bevor sie mit Byron zusammenlebte, hatte sie geglaubt, er sei skeptisch, ein Anhänger Voltaires. Die Wirklichkeit schien ihr nun anders. Byrons Intellekt war von Voltaire beeinflußt, aber ein latenter Calvinismus durchtränkte die Tiefen seines Geistes. Kein anderer hätte so von der Wirklichkeit Gottes erfüllt sein können, doch wurde für ihn die Gerechtigkeit Gottes von keinem Erbarmen gemildert. Seine Religion war die nackte Furcht und folglich Empörung. Er glaubte wirklich, die einen seien für den Himmel und die anderen für die Hölle bestimmt, und er gehörte zu dieser zweiten Gruppe, daraus wuchs in ihm ein natürlicher Zorn gegen den Tyrannen des Alls, der Hang zu verzweifelter Ausschweifung. Einmal nach einem Streitgespräch ließ er sich erschöpft in einen Sessel fallen und sagte zu seiner Frau: „Das Schlimmste von allem ist, daß ich glaube!“ Wenn er an diesen Gott dachte, der sich an den Leiden seiner Geschöpfe weidete, vielleicht darüber lachte, überkam ihn Wut. „Das ganze Unglück“, schrieb Annabella traurig nieder, „kommt aus diesem Glauben seiner Kindheit, der die Rückkehr des Verlorenen Sohnes leugnet“.

Es war eine wahrhaft tragische Verbindung, denn sogar die besten Eigenschaften eines jeden von ihnen mußten in der Verknüpfung mit den Fehlern des anderen Qualen erzeugen. Durch ihre Gespräche, durch das Thema, um das ihre Gedanken stets kreisten, rührte sie an die tiefernste Seite von Byrons Natur. Doch wer Byron zwang, an die Weltordnung zu denken, der stieß ihn förmlich in die Heftigkeit. Nicht ohne Grund liebte er die hübschen und ein wenig verrückten Frauen. Die Rettung hätte in einer Leichtigkeit gelegen, zu der Annabella nicht fähig war. Es fehlte ihr keineswegs an psychologischer Einsicht, sie analysierte Byrons Wesen vortrefflich. „Sein Unglück“, schrieb sie, „ist eine leidenschaftliche Sucht nach höchster Erregung, die man bei Menschen mit starkem Temperament immer findet, wenn die Ziele, die es zu erreichen gilt, nicht jedenfalls bis zu einem gewissen Grade fest umrissen sind. Die Langeweile einer eintönigen Existenz führt Menschen dieses Typs, selbst wenn sie ein gutes Herz haben, gefahrvolle Wege … Aus dieser Quelle kommt die Lust zu quälen, wie die Lust zum Trinken und Spielen“. Besser hätte man es nicht sagen können, aber sie war nicht imstande, die notwendigen Konsequenzen daraus zu ziehen.

Manchmal, wenn er ihr auseinandersetzte, nichts habe Bedeutung, die Moral sei eine Frage des Klimas und der Epoche, wünschte sie fast, sie könnte es glauben „Ich kann mich daran erinnern“, sagte sie später, „daß ich mir wünschte, meine Pflicht nur darin zu sehen, alles für ihn aufzugeben, seine Sklavin und sein Opfer zu werden … Eine Frau kann einen Mann nicht um seiner selbst willen lieben, wenn sie ihn nicht auch in seinen Freveltaten liebt …  Keine andere Liebe ist dieses Namens wert“. Aber ihr unbestechlicher Verstand verweigerte ihr das Recht auf Schwäche; Annabellas Logik war zu fest gefügt, als daß ihr Herz sie hätte überlisten können.

Erstaunt war sie über seinen Aberglauben. In ihm lebten nebeneinander ein klarer Verstand und kindische Ängste. Er erzählte ihr, wie sehr es ihn damals in Aberdeen erschreckt habe, neben einem Friedhof wohnen zu müssen. Jedes zufällige Zusammentreffen wurde als Wunder ausgelegt. Er glaubte an Vorzeichen: es war unheilvoll, ein schwarzes Kleid zu tragen, eine Fledermaus im Hause brachte Unglück. Nachts schauten sie im vom Schnee weißen Garten zum Himmel und sahen, wie sich eine Schäfchenwolke auf den Mond zuschob. „Wenn sie vor den Mond zieht, ist alles für mich verloren, geht sie an ihm vorüber, bin ich gerettet“. Die Wolke zog vor den Mond.“

 

„Er machte für alle Unannehmlichkeiten seine Frau verantwortlich, die gegen seinen Willen unbedingt an seinem Leben hatte teilhaben wollen. Er hatte ihr vorausgesagt, daß es an Geld fehlen würde. Es fehlte daran. Die Gläubiger drohten, seine Möbel und seine Bücher verkaufen zu lassen. Von der Treppe her hörte man den Schritt des Gerichtsvollziehers, Herr im Hause eines Byron. Und immer war diese Frau da mit ihrer entnervenden Tugendhaftigkeit. Er war sich wohl bewußt, dass er sie schlecht behandelte. Er machte sich Vorwürfe, oft sehr heftige, aber selbst diese Selbstanklagen waren ein neuer Grund, sie zu hassen. „Wenn er sich meiner würdig gefühlt hätte“, sagte sie einmal, „wäre er gut gewesen“. Sie war häufig penetrant, die Lady Byron. Ja, es war so, sie war wie ein personifiziertes Gewissen, und manchmal möchte man seinem Gewissen ausweichen. Er war eifersüchtig auf sie, wie er es auf den „anderen Byron“ gewesen war.“

 

Anbei sei auf den Film „Byron“ verwiesen. Zumindest zeigt er deutlich das Wesen des Byron.

 

https://www.youtube.com/watch?v=1t3xHPn2JH0

 

Leben und Werk

 

Albanien und Griechenland

 

„Albanien war damals nahezu unbekannt. Seine wilden Berge erinnerten Byron an das Schottland seiner Schulferien. Die Männer trugen einen kurzen Rock, ähnlich dem Kilt, und einen Mantel aus Ziegenfell. Ali, der Pascha von Janina, berühmt für Mut und Grausamkeit, erfuhr durch einen englischen Reisenden von der Ankunft eines jungen Mannes aus vornehmen Geschlecht und lud die Reisenden ein, ihn zu besuchen. Byron bewunderte die prächtige Kulisse; die Albanier in gestickten Röcken, die Tataren mit ihren hohen Frisuren, die schwarzen Sklaven, die Pferde, die Trommeln und die Muezzins, die vom Minarett der Moschee sangen: „Es gibt keinen anderen Gott als Gott“. Der schreckliche Ali Pascha war ein kleiner Herr von 70 Jahren, 5 Fuß und 6 Zoll hoch, mit einem weißen Bart und würdigem, höflichem Benehmen. Man wußte, daß er einen Feind ohne Zögern auf dem Rost schmoren oder 15 Frauen in den See werfen ließ, weil sie das Mißfallen seiner Stieftochter erregt hatten.

Er fragte Byron, warum er sein Land in so jungen Jahren verlassen habe und fügte hinzu, Byrons edle Herkunft habe er sogleich erkannt, und zwar an seinen kleinen Ohren, seinem gelockten Haar und seinen weißen Händen. Diese Bemerkung gefiel Byron so gut, daß er sie monatelang in jedem seiner Briefe verwendete. Ali Pascha, ein wirklicher Zeluco, gehörte für lange Zeit zu Brons Helden. Die Liebe zur Macht, die Mißachtung aller moralischen gesellschaftlichen Regeln, das Geheimnisvolle, mit dem er sich gern umgab, Alis ganze Persönlichkeit, erregten in Byron lebhafte Gemütsbewegung. Räuber, Corsar, Banditenhäuptling, jeder Angehörige einer solchen verachteten Klasse fand sein Interesse: aus Widerspruch gegen Heuchelei und aus Vergnügen am Mut. Die Sympathie war gegenseitig, und der Pascha gab den jungen Engländern für den Rückweg Führer und eine bewaffnete Escorte mit.

Unter dem Schutz halbbarbarischer Soldaten durch eine wilde Landschaft zu ziehen, das war ein gewagtes und zugleich berauschendes Unterfangen. Byron hatte von Kind auf die Vorstellung gepflegt, für ein kriegerisches Leben geschaffen zu sein. Er hatte vor nichts Angst. Er liebte seine albanischen Krieger, fand, daß sie einfach und treu waren. Er hatte immer Gefallen an kreatürlichen Wesen gefunden, sie unterhielten den Sinn, ohne ihn zu belasten. Unter ihnen, in Janina, begann er seinen Childe Burun zu schreiben, aus dem, nach dem ersten Gesang, Childe Harold wurde …

Von Albanien wollten sie etwas mehr nach Griechenland, aber die Unfähigkeit der Seeleute und ein Sturm verhinderten dies …

Das Meer hatte sie abgewiesen, so versuchten sie, Griechenland auf dem Landweg zu erreichen Es wurde ein großartiger Ritt über die Berge. Abends sang die suliotische Eskorte Lieder, die Byron mit Hilfe eines Dolmetschers übersetzte. Sie erreichten schließlich die Ebene und machten in der Stadt Missolonghi halt, die an einem ausgedehnten Meerbusen lag. Sie waren in Griechenland.

Byron war ergriffen. Von Kind an hatte er dieses Land durch seine Dichter und durch die Geschichtsschreiber geliebt. Er war nicht enttäuscht. Für seine Augen, die das raue Klima des Nordens, seine nebelverhangenen Landschaften und treibenden Wolkenschleier gewohnt war, schufen der indigoblaue Himmel, die leicht zu atmende Luft, die felsigen, von ockerfarbenen und safrangelben Tupfen gezierten Berge ein Bild von Licht und Glück. Er überquerte den Golf von Lepanto, zunächst hinüber nach Patras, der weißen Feste, dann in anderer Richtung zum Fuße des Parnaß. Jedes Wort seines Führers weckte eine Erinnerung. Dieser Landstrich beschwor Meeagros, jener Atlanta und dieser den Eber Erymanthes, der schneeige Gipfel in der Ferne war der Helikon, und es war schön, nahe der Höhle der Pythia zu ruhen. In Delphi ritzten Hobhouse und Byron ihre Namen in die Säulen eines Tempels. Große schwarze Vögel kreisten über ihnen. Byron sah Adler in ihnen, Hobhouse Bussarde. Aber selbst Hobhouse war erregt, als sie sich Athen näherten. Zur natürlichen Schönheit dieses Ortes gesellten sich machtvolle Vorstellungen. Mut, Freiheitsliebe, Achtung vor der Schönheit, die größten menschlichen Tugenden waren auf dieser trockenen reinen Erde geboren worden.

Schließlich, am 24. Dezember 1809, rief einer der Führer: „Herr, Herr! Das Dorf!“ Es handelte sich um Athen. In der Ebene wurde, weit entfernt noch, die Stadt sichtbar, die sich um einen hohen Felsen drängte und über die Stadt hinaus das Meer. So unrecht hatte der Führer nicht, Athen war damals ein großes Dorf.“

 

Er fühlte sich zu den Griechen hingezogen. „Sie sind undankbar, sagt man, aber wer hat je etwas für das griechische Volk getan?“ Schuldeten sie den Türken Dank, die sie unterdrückten, den Engländern, die der Akropolis ihre Schätze entrissen, den Franzosen, die ihnen gute Ratschläge aber keine Unterstützung gaben? Byron sah es voll Zorn, wie die Abgesandten Lord Elgins die Metopen des Parthenons durch bloße Gleichgültigkeit beschädigten. Der türkische Statthalter weinte, als einer die Giebel zerbrach. Im übrigen hielt Byron bei aller Zuneigung zu den Griechen auf gute Beziehungen zu den Türken.“

 

Zurück in England

 

„Der kalte Winter stimmte ihn trüb, aber auch die geistige Atmosphäre dieses Landes. Es war eine Zeit autoritärer Politik. Der Krieg berührte die herrschenden Klassen kaum; ihr Leben war leicht. Fuchsjagd, Liebe und Parlament füllten die reichlich vorhandene freie Zeit. Äußere Kämpfe waren ein willkommener Vorwand zur Unterdrückung der Gedankenfreiheit. Cobbett hatte 2 Jahre im Gefängnis gesessen, weil er einen Militärskandal aufdeckte. Das Volk litt unter der industriellen Revolution, ohne etwas davon zu begreifen und mußte zusehen, wie seinen Klagen Staatsraison und Patriotismus entgegengehalten wurden.

Im House of Lords wurde ein Gesetz zur harten Bestrafung von Arbeitern diskutiert, die Maschinen zerstörten, weil sie durch sie brotlos wurden. Byron hatte es selbst während seines Aufenthaltes in Newstead erlebt; bei Nottingham hatten die Fabrikanten neue Webstühle zur Strumpfherstellung angeschafft, die 7 Arbeiter durch einen einzigen ersetzen konnten. Die Arbeitslosen hatten sich mit der Kavallerie ein Gefecht geliefert. Zwei Ersatzregimenter mußten nach Nottingham kommandiert werden. Die Regierung wollte die Todesstrafe für Maschinenstürmer durchsetzen.

Byron, der die armen Leute gesehen hatte und davon überzeugt war, daß sie in gutem Glauben handelten, entschloß sich, das Wort zu ergreifen. Später sagten seine Feinde, er habe in einer politischen Rede eine nützliche Reklamemöglichkeit für sein bald darauf erscheinendes Werk gesehen. Aber Byrons Motive waren viel schlichter: es war ihm ein Vergnügen, inmitten dieser großen Herren aufzustehen und Ihnen einige unliebsame Wahrheiten über ihre Grausamkeit zu sagen. Er hatte die Erinnerung an den kleinen Jungen von Aberdeen nicht verloren, der in eine Volksschule ging und um Äpfel für seine arme Mutter bettelte. Der Milizhauptmann, der die Arbeiter von Nottingham so brutal zusammenschlagen ließ, war Jack Musters, der Mann, der ihm Mary-Ann weggenommen hatte.

Musters konnte zu einem Bauern wegen dessen hübscher Frau recht wohlwollend sein, aber Arbeiter konnte er nicht leiden und hatte schon immer ein unbarmherziges Vergnügen darin gefunden, sie hartnäckig gegen Wilddiebereien zu verfolgen. Die persönlichen Erinnerungen Byrons vereinten sich hier glücklich mit der Tradition der mütterlichen Seite seiner Familie und machten in dieser Frage einen fortschrittlichen Whig aus ihm. Er setzte sich mit Lord Holland in Verbindung, der zum selben Thema reden sollte.

Dallas wurde gebeten, sich in St James‘ Street einzufinden, und Byron hielt mit völlig unnatürlicher Stimme seine nicht eben schlechte Rede. Er schilderte die Leiden der Arbeiter, „Menschen, die sich augenfällig des Verbrechens schuldig gemacht haben, arm zu sein … und wie sehen ihre Heilmittel aus? … die Zuckungen sollen mit dem Tode enden? ... gibt es in Ihren Gesetzen nicht genug Todesstrafen? … Und wird der elende ausgehende Mensch, der Ihren Bajonetten trotzte, noch vor Ihrem Galgen zittern?“ Der Redner schien sehr brillant, vielleicht ein wenig theatralisch. Es war nicht sehr geschickt zu sagen, daß er „in den am schwersten unterjochten Provinzen der Türkei niemals so schmutziges Elend gesehen habe wie im Herzen des christlichen England“.“

 

Childe Harolds Pilgerfahrt

 

„Childe Harold ist der moderne Odysseus nach der Französischen Revolution, der erste Byronische Held, der selber seelisch ruiniert vor den Ruinen der Vergangenheit steht und in seinem Weltschmerz im Reisen vergeblich seinen Frieden sucht, - wie Byron, der allerdings als Erzähler zunächst von seinem Helden Abstand hält und sich erst vom 3. Gesang an immer mehr mit ihm identifiziert. Das begeisterte Lesepublikum nahm von vornherein den Bekenntnischarakter von ‚Self-exiled Harold‘ wahr. Nicht nur die englische Jugend, sondern vor allem die Jugend Europas hat sich in der rousseauistischen Poesie des Weltenwanderers wiedererkannt, der nach dem Scheitern der Französischen Revolution und befremdet von dem Niedergang der westlichen Zivilisation in exotische südliche (Spanien, Portugal) und östliche Gefilde (Albanien) auswich und sowohl Spanier als auch Griechen zum Freiheitskampf gegen ihre Unterdrücker aufrief. Lebensüberdruß und Freiheitsdrang wechseln in Childe Harold genauso wie topographische Beschreibungen mit den empfindsamen Bekenntnissen oder auch satirischen Analysen. 1816 erschien der 3., der sich vorwiegend anhand einer Rheinreise mit der Napoleonischen Ära beschäftigt, 1818 der 4. Gesang, der dem Italien der Renaissance gewidmet ist.“

 

Ein Jüngling lebte einst an Englands Küste,

Der an der Tugend kein Vergnügen fand,

In Schwelgen bracht' er seine Tage hin und wüste

Und hob mit Lärm der stillen Nacht Gewand.

Ach sein Getreibe roch nach Schimpf und Schand'!

Er lebte nur für wilde Zechgelage,

Nur wenig Dinge fand er int'ressant,

Vor Allem Dirnen von gemeinem Schlage

Und schnöde Brüderschaft aus jeder Lebenslage.

 

Childe Harold hieß er; doch woher sein Namen

Und sein Geschlecht – erklär' ich weiter nicht.

Genug, daß einst von hohem Ruf sein Samen,

Ja ruhmvoll selbst in Sage und Gedicht;

Jedoch für immer tilgt den Ruhm ein Wicht,

So groß er auch vor dieser Zeit gewesen;

Und was die Inschrift stolzer Särge spricht,

Was wir in Prosa und in Reimen lesen,

Macht üble That nicht schön, und Sünden nicht zu Späßen.

 

Childe Harold kochte in der Mittagssonne

Und freute sich wie jede Fliege dort,

Er dachte nicht, wie kurz des Tages Wonne,

Wie bald ihn schütteln werde kalter Nord;

Doch eh' ein Drittel seines Tags war fort,

Befiel ihn Schlimmres als des Unglücks Welle,

Zum Ekel ward ihm seiner Heimat Ort,

Er sehnte sich weit weg von dieser Stelle,

Die öder ihm erschien als eines Klausners Zelle.

 

Er war gewandert durch der Sünde Haine

Und sühnte nie, was er darin verbrach;

Für Manche seufzend, liebte er nur Eine

Und dieser ach! stellt er vergebens nach;

Die Glückliche! daß sie entging der Schmach,

Befleckt zu sein von seinen geilen Küssen,

Bald läg' sie doch um wüst're Lüste brach,

Er fräß' ihr Hab in seinen Schandgenüssen

Und träte häuslich Glück und Frieden nur mit Füßen.

 

Jetzt aber war Childe Harold krank am Herzen

Und sann darauf, der Zecher Kreis zu fliehn.

Oft wollt' 'ne Thräne künden seine Schmerzen,

Jedoch sein Stolz ließ sie nicht weiter ziehn.

In düstern Träumen wallt' er einsam hin,

Er war gewillt, die Heimat zu verlassen,

Weit über's Meer zum Süden zog es ihn!

Der Freuden satt, wollt' er nun Weh' umfassen,

Er flöh' – zu wechseln nur – selbst nach der Hölle Gassen.

 

Der Ritter ließ die väterlichen Hallen;

Es war ein großer, Ehren würd'ger Bau,

Trotz seinem Alter mocht' er nicht zerfallen,

Ihn stützten Pfeiler, massig, wenn auch grau;

Ein Kloster war's, jetzt ein mißbrauchtes Gau;

Wo Aberglauben baute seine Lauben,

Stolzirte jetzt der Venus Kind als Pfau,

Ein Mönch konnt' neu die alten Zeiten glauben,

Wenn Märchen nicht die Ehr' den heil'gen Männern rauben.

 

Doch oft in tollsten Ausgelassenheiten

Fuhr's über Harold's Stirne wie ein Schmerz,

Wie wenn Erinn'rung an ein tödtlich Leiden,

Getäuschte Leidenschaft stieg' Haupteswärts;

Doch Niemand wußt's und Niemand kannt' sein Herz.

Er hatte keine jener offnen Seelen,

Die leichter trägt, wenn schmilzt des Busens Erz

Und die durch Freundestrost sich sucht zu stählen,

Was immer Schweres mag das Innerste zerquälen.

 

Ihn liebte Niemand! Wenn aus weiter Runde

Er auch die Zecher rief nach seinem Haus,

So waren's Schmeichler in des Glückes Stunde,

Schmarotzer nur so lange wogt' der Schmaus.

Ja, Niemand liebt' ihn! Sie nicht nehm' ich aus,

Die ihn gekos't: das Weib denkt nur an Schimmer,

Aus ihm flicht Eros seinen schönsten Strauß,

Durch Glanz fängt Mücken man und Frauenzimmer,

Der Mammon siegt gewiß, wo Engel weichen immer.

 

Und seine Mutter? – Sie ward nicht vergessen,

Obschon von ihr den Abschied er vermied;

Auch seine Schwester mocht' er nicht mehr pressen

An seine Brust, eh' er für lange schied.

Den Freunden auch sang er kein Abschiedslied,

Doch war deshalb sein Busen nicht von Eisen.

Ihr, die ihr wißt, wie schwer es uns geschieht,

Von unsrer Theuern Kreis uns loszureißen,

Ihr wißt, daß Trennung hart, und nicht als Glück zu preisen.

 

Haus, Vaterland und was er einst sollt' erben,

Die holden Damen, die ihn oft entzückt,

Die einem Klausner selbst gebracht Verderben

Mit ihren Augen und was sonst berückt,

Und die so lang das Leben ihm geschmückt;

Die Becher voll von kostbar'n Elyxiren

Und was nur immer die Verschwendung pflückt,

Verließ er nun, um Meere zu passiren,

Die Heidenwelt zu schaun bis zu Olymp's Revieren.

 

In dieser zwischen 1812 und 1818 veröffentlichten Verserzählung in vier Gesängen verarbeitet Byron Eindrücke seiner Reise nach Südeuropa, Griechenland und in die Türkei die er in den Jahren 1809 bis 1811 zusammen mit seinem Freund Hobhouse gemacht hatte. Den Helden seiner Erzählung gestaltet Byron als einen Entwurzelten und Umhergetriebenen, der, ausgestoßen von der Gesellschaft und zugleich bewußt distanziert von ihr, im Reisen Frieden vor dem eigenen Weltschmerz sucht …

Mit Childe Harolds Pilgerfahrt trifft Byron eine herrschende Zeitstimmung: Die Mischung aus Weltschmerz, ungebrochener Romantik und Exotik, die Flucht vor den von vielen als sinnlos empfundenen Kriegen des nachrevolutionären Frankreich unter Napoleon und das allgemeine Empfinden eines Niedergangs der abendländischen Kulturwelt weckt schlagartig das Interesse einer breiten literarischen Öffentlichkeit. Die Unbedingtheit und Kompromisslosigkeit des Helden Junker Harold verkörpern darüber hinaus eine Haltung, die als Byronismus das geistige Klima der Zeit wesentlich geprägt hat.“

 

„Wenige Tage später veröffentlichte Murray die beiden ersten Gesänge von Childe Harold. Bis zum letzten Augenblick hatte Byron am Wert der Dichtung gezweifelt, er hatte nur mit Unbehagen davon gesprochen. Auch Dallas war nun, erschreckt von der übernommenen Verantwortung, ängstlich geworden. Dennoch war ein Erfolg zu erwarten. Murray war ein aktiver und geschickter Verleger, er sprach schon seit langem bei allen Freunden von Childe Harold. Er hatte „gute Blätter“ daraus an Schriftsteller und Leute von Welt verteilt, die ihn möglicherweise lancieren konnten. Rogers hatte seit Januar Fahnenabzüge; er las seiner Schwester das Poem vor und sagte: „Die wird dem Publikum trotz seiner großen Schönheit niemals gefallen; niemand wird den weinerlichen und unzufriedenen Ton mögen oder die zügellose Lebensweise des Helden“. Er war des Mißerfolges so sicher, daß er den jungen Dichter gern lobte und in Gesellschaft Strophen aus dem Gedicht zu zitieren pflegte, die immerhin Neugier erregten.

Rogers beherrschte einige literarische Salons, darunter den der Lady Caroline Lamb, die er wegen ihres Geistes „in alle Himmel lobte“. Ihr gab er seine Abzüge des Gedichts und bat sie, niemanden etwas davon sehen zu lassen. Noch am selben Tag machte sie die Runde durch die Stadt und erzählte aller Welt, sie habe das neue Werk gelesen und es sei hervorragend. Zu Rogers sagte sie: „Ich muß ihn sehen. Ich sterbe vor Begierde, ihn kennenzulernen!“ – „Er hat einen Hinkefuß“, sagte Rogers, „und er kaut an den Fingernägeln“. – „Und wäre er so häßlich wie Äsop, ich muß ihn einfach sehen“. Und alle Frauen dachten bald wie sie. Wie eine orientalische Märchenfigur durch die Berührung mit dem Stab eines Zauberers verwandelt wird, so schlagartig hatte sich Byrons Leben geändert. „Ich wachte eines Morgens auf und war berühmt“, schrieb er. Das war die getreue Beschreibung seines Abenteuers. Bis zu einem Abend war London für ihn eine von 3 oder 4 Freunden bewohnte Wüste gewesen. Am nächsten Morgen war es eine Stadt aus Tausendundeine Nacht, besät mit strahlenden Palästen, die sich dem erlauchtesten aller jungen Engländer öffneten.

Eine große mondäne Gesellschaft (das heißt, wie Byron sagte, die 4000 Personen, die noch auf sind, wenn alle Welt schläft) ist dem steten Wechsel von Bewunderung und Abscheu unterworfen; unter diesen Damen und Herren, die sich alltäglich und allabendlich trafen, machte ein frischer Ruhm seinen Weg in Blitzesschnelle. Sie hatten das Bedürfnis, etwas bewundern zu können. Die Französische Revolution, dann Bonaparte, hatten in Tausenden junger Europäer phantastische Hoffnungen keimen lassen, die Napoleon enttäuscht hatte. Vor allem in England war ein Gefühl der Vergeblichkeit alles Seienden stark entwickelt; denn hier war eine Gesellschaft des bloßen Vergnügens müde, weil es zu leicht fiel; kriegsüberdrüssig durch zu lange Kriege und unpolitisch durch die Kontinuität einer konservativen Regierung, deren Bestand durch die stete Gefahr von außen zementiert war.

Die Schriftsteller hatten, diesem heimlichen Überdruß, entweder aus Unvermögen oder aus Furcht nie Ausdruck gegeben. Childe Harold war das erste Echo der Skepsis einer enttäuschten Generation. Hier entsprach die Kunst endlich dem Leben, hier zeigte endlich ein junger moderner Engländer, der denen glich, die ihn lasen, ein Europa von 1812, so wie Revolution und Kriege es hinterlassen hatten. Für ein Volk, seit 10 Jahren vom Leben auf dem Kontinent abgeschnitten, mußte dieser Bericht einer Reise durch Albanien und zu den Sulioten weit spannender wirken als der über eine Fahrt nach Indien oder zu den Inseln des Pazifik. Es war schließlich ein Meeresgedicht und die durch die Blockade ihres Ozeans beraubten Nachfahren der Wikinger fanden daran den Wind voller Meerschaum wieder, dessen Salz ihnen zu fehlen begann. Die Gegnerschaft der Konservativen half Byron. Es war lächerlich, ihn, wie die Quarterly Review es tat, zu tadeln, weil er mit Geringschätzung vom „Metier der Raufbolde“ gesprochen habe, und hinzuzufügen: „Man fragt sich mit Sorge, ob das die Ansichten eines Peers das Königreichs über die britische Armee sind“. Seit 20 Jahren hatten sich die Schriftsteller, einer nach dem anderen, zur Staatsklugheit bekehrt. Doch gibt es in der Geschichte eines Volkes immer wieder einen Augenblick, in dem selbst diejenigen der etablierten Ordnung müde sind, die sie in der Hand haben. Im Leben Englands erschien Childe Harold in einem solchen Augenblick.

Es kommt häufig vor, daß der Autor eines erfolgreichen Werkes als Person enttäuscht. Hier dagegen entsprach der Autor dem Werk. Er war der Repräsentant eines alten Geschlechts, und die große Welt war dankbar dafür, daß er einer so oft angegriffenen Klasse den Ruhm, ein Genie hervorgebracht zu haben, schenkte. Er war jung, schön; „seine graublauen Augen strahlten von innerem Leben durch die langen Wimpern … Seine bleiche Gesichtsfarbe war rein bis zur Transparenz … Sein Mund war wie der einer reizenden Frau, sinnlich und launenhaft.“ Selbst seine körperliche Behinderung erhöhte nun das Interesse, das man ihm entgegenbrachte. Die düstere Geschichte seines Helden war seine eigene. Wußte man nicht, daß er wie Childe Harold aus Griechenland und der Türkei zurückkam? Man schrieb ihm die unendliche Traurigkeit, das Unglück und die Einsamkeit Childe Harolds zu. Ein Kunstwerk soll die Wirklichkeit der Gefühle suggerieren, die es zum Ausdruck bringt; und wieviel stärker ist die Suggestivkraft und um wieviel natürlicher ist sie, wenn das Publikum zu Recht oder Unrecht glaubt, diese Gefühle seien die des Autors.

Die ganze Stadt sprach nur noch von ihm. Unzählige wichtige Leute baten um die Ehre seines Besuches, hinterließen bei ihm ihre Visitenkarten … Auf den Abendgesellschaften des Jahres 1812 war Byron der unangefochtene Löwe. Er kannte „jenes schimmernde Meer aus Edelsteinen, Federn, Perlen und Seide“. Die Frauen träumten voller Rührung von der weiträumigen Abbey, den verbrecherischen Leidenschaften und dem abgewiesenen doch begehrten marmornen Herzen Childe Harolds. Sie alle belagerten es auf einmal. Sie waren voller Bangigkeit und fanden ein hohes Vergnügen an dieser Angst …

Die Melancholie war ein Teil der Figur, die seine Leser in seinem Werk geliebt hatten, Byron fühlte es wohl. Auch wußte er genau, daß alle die, die ihn einluden, in Wahrheit Childe Harold erwarteten, und so betrat er die Salons mit verachtungsvoll umflortem Blick und verbarg die angeborene Schüchternheit der Byrons hinter kühler Zurückhaltung. „Lord Byron“, schrieb Lady Morgen, „der Autor des köstlichen Childe Harold ist kühl, schweigsam und zurückhaltend in seinem Benehmen“. Nun kam es nicht mehr wie zu Zeiten von Elizabeth Pigot vor, daß er verzweifelt „eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben …“ murmelte, wenn er einer Frau vorgestellt wurde. Es gelang ihm, sein Unbehagen hinter einigen trockenen Worten zu verbergen. In dieser Welt voller Leben und Farbe, die ihn so lärmend empfing, nachdem sie ihn so lange übersehen hatte, hatte er keinen Verwandten, keinen Freund. Diese Männer und Frauen schienen sich alle von Jugend an zu kennen, sie nannten sich beim Vornamen oder gebrauchten Spitzennamen. Er kannte niemandem von ihnen. Er war voller Furcht, sich mit seinen Southwell-Manieren lächerlich zu machen, aber selbst diese Angst verlieh ihm einen Charme, dessen er sich noch nicht bewusst war. Wenn er, während die anderen tanzten, wegen seiner schwachen Füße steif herumstand, dann glich er unter den Rahmen der vergoldeten Türverkleidungen ganz seinem Helden, der auf dem Vorschritt stand und den Blick auf die tanzenden Wogen gerichtet hielt.

Moore, der Byron während ihrer kurzen Freundschaft immer nur als fröhlichen Gefährten mit beinah kindlichem Lachen erlebt hatte, versuchte mehrmals, ihn mit dieser düsteren und sieghaften Traurigkeit zu necken. Aber Byron weigerte sich, eine Pose darin zu sehen. Nein, er war aufrichtig melancholisch und im Grunde hoffnungslos; die Heiterkeit war nichts weiter als Oberfläche. In dieser Welt blieb er ein Fremder. Man versicherte ihm, daß er sie erobert hatte; er zweifelte daran. Er hatte Mühe, an den Erfolg eines Gedichtes zu glauben.“

 

Walter Scott: „Dieses Gedicht machte einen Eindruck auf das Publikum, der bei keinem Schriftsteller in den beiden letzten Jahrhunderten größer gewesen sein konnte. Während alle Childe Harold bewunderten, waren auch alle gestimmt, den Verfasser mit dem Ruhme zu begrüßen, der die beste Belohnung eines Dichters ist, und der um so mehr einem Geiste gebührt, welcher sich eine neue Bahn bricht. Unter diesen Gefühlen der Bewunderung erschien gewissermaßen Lord Byron zuerst auf der öffentlichen Bühne der großen Welt …

Von edler und alter Abkunft, ausgerüstet mit den Schätzen der Alten und der Bildung der Neueren, ein Pilger durch ferne, wilde Länder, einer der ersten Dichter, welche Großbritannien erzeugt hat, verbreitete er einen geheimnisvollen Zauber um sich, welcher vorzüglich von dem düsteren Tone seiner Gedichte herrührt. Lord Byron beschäftigt aller Augen und entzückt aller Gefühl: die Enthusiasten bewundern ihn, die Ernsthaften und Bedächtigen wünschen ihn zu warnen, die Gefühlvollen möchten ihn bedauern. Selbst der literarische Neid verzeiht dem Manne, dessen ruhmvolles Glück seine Nebenbuhler verdunkelt.“

 

Dennoch stieg das Byron-Fieber während der ganzen Saison. „Gegenstand der Unterhaltung, der Neugier, der Begeisterung sind im Augenblick weder Spanien noch Portugal, noch der Krieg, noch der Patriotismus, sondern ist einzig Lord Byron! …“ schrieb die Herzogin von Devonshire, „das Gedicht liegt auf jedem Tisch, und er selbst wird hofiert, ihm wird geschmeichelt, er wird gelobt, überall, wo er erscheint. Er ist blaß, sieht krank aus, sein Körper ist häßlich, aber sein Gesicht ist schön; kurz und gut, er ist Gegenstand jedes Gesprächs – die Männer sind eifersüchtig auf ihn und die Frauen eine auf die andere“. Die wenigen Personen, die ihn kannten, Rogers, Tom Moore, Lord Holland, wurden mit Gesuchen nach einer Einführung bei ihm bestürmt.“

 

„Jene aristokratische, noch ganz von den Sitten des 18 Jahrhunderts geprägte Gesellschaft, in die er mit viel Glück und doch noch vorgedrungen war, war sinnlich und nicht gefühlvoll. Sie war vielleicht nicht dem tiefen Byron gemäß, paßte aber gut zum sarkastischen, enttäuschen Byron, wie unglückliche Umstände ihn geformt hatten. In seiner Prosa zog er den „Madame de Merteuil-Ton“ der alten Lady Melbourne dem romantischen Stil ihrer Schwiegertochter vor, Lady Melbourne bekannte sich zu einer geradezu methodischen Leichtfertigkeit, die Byron bewunderte, nachzuahmen versuchte und doch nie ganz erreichen konnte, weil die Zone seines zärtlichen Gefühls schon für den leisesten Anstoß verletzbar war. Aber gerade weil ihm diese kalte Philosophie insgeheim unerreichbar war, empfand er eine beinahe unterwürfige Hochachtung für die Männer und vor allem für die Frauen, die sie sich zur Lebensmaxime gewählt hatten."

 

Der Korsar

 

„Stofflich und motivisch knüpft Byron mit dieser Verserzählung an sein erstes großes Werk, Childe Harolds Pilgerfahrt, an. Die Handlung ist wiederum in die Exotik des Orients verlegt und weist durchaus autobiographische Grundzüge auf. Der Held Conrad ist ein nunmehr schon für die Erzählungen Byrons typischer Protagonist: Er rebelliert gegen die Gesellschaft, die ihn in seiner Jugend enttäuscht und getäuscht hat. Als Pirat führt er in der Ägäis daher nicht nur einen Krieg gleichsam gegen die ganze Welt, er bricht auch mit den gängigen Konventionen der Zeit.“

 

„Er arbeitete an einem neuen Gedicht, dem Korsaren, „geschrieben con amore und sehr nach dem Dasein“. Als Motto hatte er einen Vers von Tasso gewählt: „Seine Gedanken konnten nicht schlafen in ihm“. Obwohl das Werk „nach dem Dasein“ geschrieben wurde, war Konrad, der Korsar, nicht Byron; aber er war ein Held byronschen Typs, so wie ihn Byron schon im Oktober 1811 Hodgson geschildert, wie er ihn schon im Giaour gezeichnet hatte: wild, einsam, wunderlich, getrieben von innerem Zwang, ein über der Erde entfesselter Orkan, „wie der Samum“. Man weiß nicht, woher er kommt, man weiß nicht, wohin er geht, er ist von Geheimnis umgeben. Immer gibt es in seiner Vergangenheit ein Verbrechen, das uns nicht entdeckt wird. „Für ihn gibt es keine Reue, keine Buße, keine Sühne; was er getan hat, kann nicht ungeschehen gemacht werden, man löscht das Unauslöschliche nicht aus; erst im Grabe wird er Frieden finden. Meistens ist er ein Renegat oder ein Atheist; er verlangt nicht nach dem Paradies, sondern nach Ausruhen. Um sich abzulenken, stürzt er sich in die Aktion, in den Kampf; Korsar oder Räuber, er erklärt der Gesellschaft den Krieg; er folgt heftigen Regungen. Und sollte er darin verderben, um jeden Preis will er der Öde des Lebens entgehen“.

Die Ähnlichkeiten zwischen Byron und dem byronschen Helden waren offensichtlich: hohe Geburt, eine verletzliche, glühende Seele in der Jugend, Enttäuschung, Zorn, Verzweiflung. Der byronsche Held erlebte die Dramen, von denen Byron träumte. Konrad war ein Mann der Tat, ein Piratenhauptmann; Byron, der seine Trägheit beklagte, handelte nicht. Konrad war stark; Byron hinkte. Konrad war sonnverbrannt, Byron bleich. Konrads Lachen war ein Gelächter, „das zugleich Wut und Schrecken erregte“, Byrons Lachen war fröhlich und charmant. Es lag darin etwas vom Kind Byron. Er besaß Witz und Humor. Während seiner Wutanfälle war er für einen Augenblick Konrad, aber im allgemeinen waren der lebendige Byron und der byronsche Held keineswegs geschaffen, um miteinander auszukommen; sie waren vielmehr einer für den anderen eine glücklose Gesellschaft; der byronsche Held wurde für Byron zu einem falschen, theatralischen Vorbild, das nachzuahmen er verpflichtet zu sein glaubte. Wenn er für Konrad plädierte, plädierte er für sich selbst.

 

Dennoch war Konrad von Natur aus nicht dazu geschaffen

Verbrecher anzuführen – selbst Instrument des Bösen.

Seine Seele war verändert, ehe er durch Taten in einen

Kampf trat gegen Gott und Menschen.

Erzogen in der Schule der Enttäuschung,

in Worten allzu weise, Narr in seinen Taten;

zu starr, sich anzupassen, zu stolz, um sich zu bücken,

von seinen Tugenden zum Narren gemacht,

glaubte er, die Tugend sei der Grund für all sein Leiden.

 

„Von seinen Tugenden zum Narren gemacht“, das war er selbst, der junge gutgläubige Byron. Männer und vor allem Frauen hatten ihn durch die Schule der Enttäuschung gehen lassen. Seitdem wollte er sich als Korsaren sehen, als einen Gesetzlosen, einen „Mann der Verbrechen und der Liebe“, ritterlich nach seiner Weise, ein Feind des Menschengeschlechts bis auf ein einziges Wesen, denn Konrad liebte eine Frau, die Byron zunächst im Andenken an Lady Frances „Francesca“, später „Medora“ nannte.“

 

„Wie gewöhnlich hatten diese Angriffe „das Buch auf den höchsten Gipfel der Popularität hinaufgetragen“. Am Tag der Veröffentlichung wurden 13.000 Exemplare verkauft, eine bisher beispiellose Zahl für ein Poem. Es war nicht allein der Skandal, der den Erfolg ausmachte, viele fanden in dieser Poesie trotz des fremdartigen Stoffes (der damals niemanden befremdete) eine unmittelbare und moderne Inspiration, die eigenen Vorstellungen entsprach. „Der gebotene Stil, die Geringschätzung all dessen, was mittelmäßig und niedrig ist, der Mut - Wurzel aller Tugend -, der immer noch mehr wagt bis zum Ende, die Liebe zur Schrankenlosigkeit, zur Freiheit, und dieser Rhythmus, der an den von Wellen, die sich an der Küste brechen, erinnert, gefielen ihnen über alle Maßen“. Im unvermeidlichen Konflikt zwischen Individuum und Gesellschaft fand das Individuum den Dichter seit mehr als einem Jahrhundert im Lager der Gesellschaft. Ein Konrad repräsentierte für eine Generation, die man ihrer starken Gefühle beraubt hatte, einen Mann, der bis ans Ende seiner Eingebung ging. „Byrons Einfluß war einzigartig. Alle Welt las ihn. Selbst Männer und Frauen, die von keiner anderen Dichtung erreicht wurden, lasen die seine; alte Seeleute, Krämer, Angestellte, Schneider, Modistinnen ebenso wie die besseren Richter kannten ganze Seiten seiner Verse auswendig“. Mehr noch als mit Childe Harold wurde Byron mit dem Korsar Dichter aller Empörer, alle jener in Europa, die an der politischen Freiheit und der Freiheit der Gefühle verzweifelten.“

 

Rhein-Romantik: Der turmgekrönte Drachenfels

 

„Die Romantik als gesamteuropäische kulturelle Bewegung gewann am Ende des 18. Jahr­hun­derts zunehmenden Einfluß in allen Bereichen künstlerischen Schaffens. Einer der sie prägenden Inhalte sollte von nachhaltiger Bedeutung für die Rheinlande werden: Ein neues Landschaftsempfinden ließ nunmehr auch solche Regionen interessant erscheinen, die zuvor von Reisenden allenfalls als unvermeidliche Hindernisse zwischen den für sie attraktiven Zielorten wahrgenommen wurden.

Insbesondere englische Reisende waren es, die den Rhein als neue Reiseroute auf ihrem Weg zu den Stätten klassischer Antike nutzten. Das Siebengebirge als erster landschaftlicher Höhepunkt dieser Route fand ihre Bewunderung und wurde schnell zur Attraktion - und damit zum Gegenstand von Gemälden, Zeichnungen und Reisebeschreibungen. Seine Verherrlichung fand Eingang in Reiseführer und schließlich auch in die lyrische Produktion der bekanntesten zeitgenössischen Dichter.

Am Anfang dieser "lyrischen Karriere" stand der englische Poet Lord Byron, dessen Drachenfels-Zeilen zahllose Reisende beeinflußten und zum Pflichtbestandteil englischer Reiseführer wurden. In der Lyrik der folgenden Jahrzehnte finden sich die jeweils zeittypischen Strömungen wieder - seien sie politisch motiviert oder auch den jeweiligen "Modetrends" verpflichtet. Es finden sich hier auch die ersten Anzeichen späterer Klischees, die teilweise bis heute das Bild des Rheinlandes und seiner Bewohner prägen ...“

 

Weit droht ins offne Rheingefild

Der turmgekrönte Drachenstein;

Die breite Brust der Wasser schwillt

An Ufern hin, bekränzt vom Wein,

Und Hügeln, reich an Blüt' und Frucht

Und Au'n, wo Traub' und Korn gedeihn,

Und Städten, die an jeder Bucht

Schimmern im hellen Sonnenschein:

Ein Zauberbild! - Doch fänd' ich hier

Zwiefache Lust, wärst du bei mir!

 

Und manche holde Bäuerin

Mit Frühlingsblumen in der Hand

Geht lächelnd durch das Eden hin;

Hoch oben blickt vom Felsenrand

Durch grünes Laub das Räubernest,

Und manches Riff mit schroffer Wand

Und kühnen Bogens stolzer Rest

Schaut weit hinaus ins Vaterland;

Nur eines fehlt dem schönen Rhein: -

Dein Händedruck, - ich bin allein!

 

Die Lilien, welche ich empfing,

Send' ich zum Gruße dir ins Haus:

Wenn auch ihr Duft und Schmelz verging,

Verschmähe nicht den welken Strauß!

Ich hielt ihn hoch, ich weiß es ja,

Wann deine Augen bald ihn sehn,

Dann ist mir deine Seele nah':

Gesenkten Hauptes wird er stehn

Und sprechen: Von dem Tal des Rheins

Schickt diesen Gruß sein Herz an dein's.

 

Der stolze Strom erbraust und fließt,

Der schönen Sagen Zaubergrund;

In tausend Windungen erschließt

Sich neue Schönheit, reich und bunt;

Wer wünschte nicht mit Herz und Mund

Ein Leben lang zu rasten hier?

Kein Raum wär' auf dem Erdenrund

So teuer der Natur und mir,

Wenn deine lieben Augen nur

Noch holder machten Strom und Flur.

 

https://www.siebengebirgsmuseum.de/lyrischer-rhein

 

Percy Shelley, Madame de Staël und Genfer See

 

Shelley und Byron befreundeten sich schnell. Beide liebten sie große Ideen, beide hatten politisch liberale Ansichten, beide betrachteten Waterloo als den Beginn einer hassenswerten Reaktion. Sie teilten überdies die Freude an sehr einfachen Dingen, und das eint Männer vielleicht noch mehr.“

 

„Um den 2. Juni machten Shelley und Byron gemeinsam eine Bootsfahrt auf dem See und konnten dem Doktor Polidori glücklicherweise in Diodati lassen, denn er hatte sich den Fuß verstaucht. Während der Fahrt wurden sie vom Sturm überrascht. Byron hatte schon die Kleider abgelegt, und da Shelley nicht schwimmen konnte, bot Byron sich an, ihn zu retten. Shelley lehnte ab, er saß ruhig im Heck des Bootes und erklärte, er werde kampflos untergehen.

Sie erlebten gemeinsam das Land Rousseaus, sie waren miteinander zufrieden, obwohl der Lebensrhythmus jedes von ihnen sehr verschieden war. Shelley stand mit der Sonne auf und kletterte auf engen Pfaden hinauf zu den Bergen, Byron erhob sich gegen Mittag, er ging nicht gern zu Fuß. Aber sie erfreuten sich damit, die Neue Heloise inmitten der Landschaft wiederzulesen, die in diesem Buch dargestellt war. Das Schloß von Chillon beeindruckte sie sehr. „Ich habe nie zuvor“, schrieb Shelley, „ein schrecklicheres Zeugnis jener kalten und inhumanen Tyrannei gesehen, die der Mensch über den Menschen auszuüben vermag“. Im Gefängnis Bonivards, in dessen Mauer Byron seinen Namen ritzte, ließen sie sich die Geschichte dieses Tyrannenopfers erzählen, und Byron schrieb in einer einzigen Nacht den Gefangenen von Chillon, während Shelley die Hymne an die intellektuelle Schönheit verfaßte. Während dieser Reise schrieb Byron eine ganze Reihe neuer Strophen von Childe Harold. Einige davon waren über Rousseau, einige davon über Clarens, „das süße Clarens, Geburtsstätte der wahren Liebe“, andere über das Lausanne Gibbons und über das Ferney Voltaires. Im Garten Gibbons brach Byron einen Zweig von der Akazie, unter die Gibbons getreten war, um den Mont Blanc zu sehen, nachdem er die letzte Zeile seines Buches niedergeschrieben hatte. Shelley weigerte sich, es ihm gleich zu tun, denn er fürchtete, damit den ungleich größeren Namen Rousseaus zu beleidigen.

Shelleys Einfluß auf Byron wuchs während dieser Reise. Er flößte ihm „portionsweise Wordsworth“ ein. Byron hatte sich stets geweigert, Wordsworth zu lesen. Doch in dieser friedlichen Umgebung und gefangen von der Sanftmut des Sees fand er Geschmack an einer Poesie, in der jene pantheistische Liebe wirkte, die Shelleys Religion war. Unter diesem zwiefachen Einfluß erschienen für ihn neue Themen in seinen Versen. Zu dem „Eitelkeit der Eitelkeiten“, dem Grundbaß aller Byronschen Poesie, gesellten sich sanftere Klänge. Vielleicht war das Leben schließlich und endlich doch nicht nur hassenswert. Am Ufer dieser friedlichen Gewässer, im Anblick der schönen Berge glaubte sogar Harold, Frieden zu finden. Einsamkeit und Natur, vielleicht waren sie das Geheimnis eines Glückes, das er bislang für unmöglich gehalten hatte.

 

Ich lebe nicht mehr in mir selbst, ich werde

ein Teil von alledem, was mich umgibt;

die hohen Berge sind für mich wie ein Gefühl …“

 

„Shelley, der für Claire eine zärtlich brüderliche Zuneigung empfand, konnte den Ton, in dem Byron von ihr sprach, nicht ertragen. Er bewunderte immer noch den Dichter Byron, dessen Kraft und Begabung ihn bis zur Entmutigung beeindruckten, aber der Mensch Byron beunruhigte ihn und brachte ihn manchmal in Zorn. In der Theorie war Byron liberal, aber andererseits legte er allergrößten Wert auf Herkunft; es ließ ihn keineswegs unberührt, daß Shelley der Sohn eines Baronets war, er selbst dagegen ein Lord, und er ließ es den anderen fühlen. In seiner Art von Frauen zu sprechen, lag so viel Arroganz und Gleichgültigkeit, daß Shelley davon abgestoßen wurde. Byron seinerseits fand Shelleys logische Sicherheit inhuman. Seine scharfe Stimme ermüdete ihn. Stets voller Mißtrauen bezweifelte er manchmal die Reinheit Shelleys …“

Jedoch nach Shelleys Tod: „Sie alle haben sich unsagbar über Shelley getäuscht, er war, ohne irgend jemanden auszunehmen, der beste und am wenigsten egoistische Mann, den ich jemals gekannt habe. Ich habe niemanden gekannt, der mit ihm verglichen nicht ein Tier gewesen wäre.“

Zu Percy Shelley siehe auch http://www.ansichten-eines-regenwurms.de/index.php/538-ich-bin-philanthrop-demokrat-und-atheist-percy-b-shelley

 

„Seine Besuche bei Madame de Staël waren sein einziger Kontakt zur Außenwelt. Er liebte das kleine Schloß von Coppet, mit den hübschen braunen Dächern, dem von zwei Türmchen flankierten Hof, dem romantischen Park, den Wasserspielen, dem Hohlweg. Er traf dort gelegentlich englische Besucher, die ihn anschauten, als sei er der Fürst der Unterwelt. Eine Mrs. Harvey wurde bei seinem Eintreten ohnmächtig, worauf die Tochter Madame de Staëls, die sanfte und schöne Herzogin von Broglie, ausrief: „Mit 65 Jahren ist das wirklich übertrieben“. Die anderen Gäste auf Coppet mochten ihn nicht sehr. Der Herzog von Broglie fand seine Reden „gespickt mit gottlosen Scherzen und den Gemeinplätzen eines vulgären Liberalismus“. Madame de Staël schalt ihn: „Sie hätten der Welt nicht gleich den Krieg erklären sollen“, sagte sie, „das ist unmöglich. Die Welt ist zu stark gegen den Einzelnen, wer er auch sei. In meiner Jugend habe ich es selbst versucht, aber es ist unmöglich“. Sie hatte sicher recht. Byron hatte die nebelverhangenen Gipfel, auf denen die britannischen Konventionen ruhten, im Sturm nehmen wollen, doch niemand kann ungestraft die Götter bekriegen, an die er im geheimen selber glaubt, und nun hatte er es soweit gebracht, daß er vom Haß an seinen einsamen Felsen gekettet lag, ein Prometheus, lächerlich bequem vom mageren Chor der godwiniensischen Ozeanider, umgeben.“

 

Zu Madame de Staël siehe auch http://www.ansichten-eines-regenwurms.de/index.php/469-ueber-deutschland

 

„In Genf wurde die Witterung regnerisch und trüb. Byron hatte Lust, die Schweiz zu verlassen. Von der anderen Seite des Sees aus richteten englische Touristen ihre Marinegläser auf seinen Balkon, in der Hoffnung, dort einen Rock zu sichten. Empfindlich wie alle, die einmal verfolgt worden sind, glaubte er, der Haß, den er bei seiner Abreise erlebt hatte, habe ihn nun hier an seinem Zufluchtsort eingeholt. Er wäre gern über das Gebirge bis zu den Wellen der Adria gelaufen, „wie ein Hirsch, der bis zum Äußersten gehetzt, sich ins Wasser rettet“.“

 

Die Nacht aller Nächte

 

Wieland Freund: „… Mary Shelleys Schilderung dürfte das meistzitierte Zeugnis aus der Villa Diodati sein: „… endloser Regen zwang uns oft, tagelang im Haus zu bleiben. Dabei gerieten wir an ein paar Bände Gespenstergeschichten, die aus dem Deutschen ins Französische übersetzt waren … ‚Wir werden auch jeder eine Gespenstergeschichte schreiben‘ , schlug Lord Byron vor, und dieser Vorschlag wurde von uns vieren aufgenommen.“

Die Legende will, dass die Inspiration gleich danach zubiss wie die Schlange in Coleridges „Christabel“, aber natürlich war die Sache komplizierter: Anfangs kam bei keinem etwas Rechtes heraus. Percy Shelley soll an einer Jugenderinnerung herumgedoktert haben, Polidori versuchte sich an einer Dame mit Totenkopf, Mary „dachte“ fürs Erste vergeblich „hin und her“, und selbst Byron, in diesem Sommer produktiv wie selten, verlor nach ein paar vielversprechenden Seiten die Lust an einer Geschichte, in der der Icherzähler nicht mehr als eine angenehme Stimme ist, der geheimnisvolle, offenbar untote Augustus Darvell aber, von dem er erzählt, unverkennbar Byron selber: Ein Mann „aus alter Familie“, dessen Empfindungskraft „teils erloschen, teils verdichtet und verstärkt“ ist. „Wo aber Rätselhaftigkeit herrscht“, heißt es in Reinhard Kaisers maßgeblicher Übersetzung des Fragments, „da liegt nach Meinung vieler auch das Böse nicht fern.“

Dass Darvell ein bisschen wie „devil“ klingt, dürfte kein Zufall sein. Byron betrachtete den deformierten Fuß, mit dem er geboren war, „als Zeichen einer satanischen Verbindung und nannte sich selbst … den hinkenden Teufel … „Die Missbildung“, schreibt seine Biografin, „verwundete ihn tiefer als alle späteren seelischen Verletzungen. Sein nach innen gewandter Zorn verwandelte sich in Depression, aber auch in noch etwas Heimtückischeres: das Gefühl nämlich, von allen moralischen Sanktionen, wie sie für andere galten, ausgenommen zu sein und einen lebenslangen Anspruch auf das Verbotene zu besitzen.“

Byron lebte Betrug, seelische Folter und womöglich auch sexuelle Gewalt gegen beide Geschlechter – seine Memoiren wurden von seinem Verleger und zwei Freunden aufgrund ihres schockierenden Gehalts nach seinem frühen Tod verbrannt. Doch auch so kann man ihn sich leicht als menschliche Inkarnation eines Vampirs vorstellen: „Dieses schöne, bleiche Gesicht ist mein Schicksal“, schrieb seine spätere Geliebte Caroline Lamb nach ihrer erster Begegnung mit Byron. Ihr Roman „Glenarvon“, der Schauerroman ihrer Affäre mit ihm, war im Gespenstersommer erschienen. Polidori hatte ihn gleich gelesen, was für den Fortgang der Ereignisse von Bedeutung war.

Die gespenstische Party in der Villa Diodati löste sich auf, ohne dass ihre Gäste in dem Bewusstsein auseinandergingen, Literaturgeschichte geschrieben zu haben. Der geschmähte Polidori allerdings machte auf Anregung einer in Genf ansässigen russischen Gräfin weiter und erlebte seine fünfzehn Minuten Ruhm, als er Byrons Fragment zum Ausgangspunkt einer eigenen Vampirgeschichte machte. Weil sie später unter Byrons Namen erschien, hielt Goethe sie für das „beste Product“ des Lords, tatsächlich aber war sie keine Erzählung von, sondern eine über Byron, ein Porträt auf Basis eines Selbstporträts. Aus Augustus Darvell war bei Polidori ein Lord Ruthven geworden – und eben so heißt Byron in Caroline Lambs Roman. Bei Polidori ist er ein „Ungeheuer“ aus „Gelüsten“ mit „sterbgrauen Augen“, dem die Frauen nachlaufen, obwohl er ihr „Vernichter“ ist.

Doch das ist nicht die letzte Pointe des Gespenstersommers. 1818 erschien Mary Shelleys Roman „Frankenstein“, der sich am Ende auch dem Schauder und den Diskussionen in der Villa Diodati verdankte. Und nicht nur der Genfer See und das furchtbare Wetter fanden Eingang, auch der Gastgeber Byron und sein lebenslanger Anspruch auf das Verbotene hinterließen im Manuskript Spuren – allerdings hat Mary Shelley das allzu Offensichtliche in späteren Fassungen getilgt. „Eine frühe Frankenstein-Version“, schreibt Benita Eisler, „liebäugelt mit dem Inzestmotiv, macht Victor (Frankenstein) und seine Braut zu Blutsverwandten, während die monströse Kreatur sämtliche Qualen von Byrons ausgestoßenen Helden erleidet: vereitelte Sexualität, Blutschuld, Isolation und Exil.“

Im Jahr ohne Sommer ging George Gordon Lord Byron nicht nur als erster Vampir in die Literaturgeschichte ein. Ein Stück weit war er auch Victor Frankenstein. Und sein Monster.“

https://www.welt.de/kultur/literarischewelt/article156324642/Warum-1816-der-absolute-Horrorsommer-war.html

 

Siehe auch http://www.ansichten-eines-regenwurms.de/index.php/479-das-monster-im-menschen

 

Prometheus

 

Titan! Deß hehrem hohem Blick

Der Menschen Noth und Mißgeschick

In seiner trüben Wirklichkeit

Nicht dünkte, ein verächtlich Leid.

Was wurde deines Mitleids Lohn?

Ein stummer Schmerz, der tiefste Hohn:

Fels, Geier und die Kette dran,

Was nur den Stolzen drücken kann,

Die Todtesnoth, die er nicht zeigt,

Das Schmerzgefühl, das würgt, doch schweigt,

Und nur wenn es allein ist, spricht,

Daß man es ja erlausche nicht,

Und das erst dann nach Seufzern ringt,

Wenn seine Stimme nicht mehr klingt.

 

Titan! Dir ward ein Kampf bestimmt,

Der zwischen Thun und Lassen schwimmt,

Der foltert, aber tödtet nicht.

Des harten Himmels Strafgericht,

Des Fatums taube Tyrannei,

Des Hasses alte Quälerei,

Der sich zum Spaß schafft Wesen an.

Damit er sie vernichten kann,

Versagten dir den Tröster Tod,

Unsterblichkeit ward deine Noth;

Doch du ertrugst sie wunderbar.

Was dir der Donn'rer abrang, war

Der Fluch nur, der wie einen Strahl

Auf ihn zurückwarf deine Qual;

Du sahst sein Schicksal wol vorher,

Doch wolltst's nicht sagen ihm zur Lehr';

Dein Schweigen ihm das Urtheil sprach,

Bald folgte bittre Reue nach

Und böse Angst, so schlecht versteckt,

Daß selbst sein Blitz gebebt erschreckt.

 

Die Güte war dein stolz Vergehn:

Durch dich könnt' leichter nun bestehn

Der Mensch des Elends Zwingherrschaft:

Du zeigtest uns die eigne Kraft,

Und ob von oben auch gehemmt,

Hast du in deinem Duldermuth,

Mit starkem Geist und kaltem Blut,

– Die stets dagegen sich gestemmt,

Die Erd' und Himmel nicht bekehrt, –

Die größte Lehre uns gelehrt:

Ein Zeichen wardst du uns, ein Bild

Von jeder Kraft, die in uns quillt;

Wie du sind wir auch göttlich halb,

Ein trüber Strom vom Quell der Alp;

Und theilweis sieht der Mensch vorher

Sein leichenhaftes Ungefähr,

Sein Elend, seinen Widerstand,

Sein Dasein ohne Freundes Hand,

Doch dem sein Geist begegnen kann

Durch sich – jedweder Qual ein Mann,

Durch festen Willen, tiefen Sinn,

Der seine Folter selbst nimmt hin

Als einen ausgesuchten Lohn,

Dem ein Triumph das Trotzen schon

Und selbst das Grab ein Siegerthron.

 

Der Gefangene von Chillon

 

Du Geist der Freiheit, der die Brust erregt,

Im Kerker leuchtest du mit hellster Pracht,

Denn in dem Herzen thront dann deine Macht,

Das nur um deinetwillen Fesseln trägt;

 

Und wenn man deine Söhn' in Ketten schlägt

Und sie begräbt in dumpfer Mauern Nacht,

So wird dem Vaterlande Sieg gebracht,

Wenn ihrer Leiden Ruhm die Welt bewegt.

 

Chillon, ein Heiligthum sind deine Mauern

Und deines Kerkers Boden ein Altar,

In ihn, als wär' er Sand, grub Bonnivard

 

Einst seiner Schritte Spuren, die noch dauern;

Sie mögen bleiben dort unwandelbar,

Sie schrei'n um Rache, wo Tyrannen lauern!

 

Mein Haar ist grau, doch durch die Jahre

Ist's nicht so weiß gemacht,

Auch nicht in einer Nacht,

Wo jäher Schreck entfärbt die Haare;

Nicht hat mich Arbeit so gekrümmt,

Doch träge Ruh' hat mich verzehrt;

Des Kerkers Loos war mir bestimmt,

Wie's solchen das Geschick bescheert,

Die, aus der Welt herausgerissen,

Der frischen Luft entsagen müssen.

Für meines Vaters Glauben trug

Ich diese Ketten, oft genug

Hab' ich um meinen Tod gefleht!

Weil er den Widerruf verschmäht,

Erlitt mein Vater an dem Pfahl

Für seine Lehre Todesqual;

Uns aber, seine Söhne, stieß

Man in dies finstre Burgverließ;

Von sieben blieb allein ich nach …

 

Zuletzt, nach Tagen, Monden, Jahren, –

Ich weiß nicht mehr wie viel' es waren,

Und hoffte nichts in dieser Oede,

Auch mein Gesicht ward trüb' und blöde –

Da traten Männer zu mir ein,

Um wiederum mich zu befrein.

Ich fragte nicht warum? woher?

Am Ende war's mir einerlei,

Ob ich gefesselt war', ob frei,

Ich kannte keine Hoffnung mehr.

Als nun sie endlich zu mir kamen

Und meine Fesseln von mir nahmen,

Da waren meines Kerkers Wälle

Mir lieb wie einem Mönch die Zelle!

Mir schien es fast, die Männer kämen,

Die zweite Heimat mir zu nehmen;

Betrachtet hatt' ich oft die Spinnen,

Um ihre Freundschaft zu gewinnen,

Der Mäuse Spiel im Mondenschein,

Warum denn sollt' ich anders sein?

Wir wohnten all' an einem Ort

Und ich erschien als Herrscher dort,

Mein war ihr Leben – sonderbar,

Daß unter uns stets Friede war!

Selbst meine Kette ward mir lieb,

Denn es beherrscht, was auch er sei,

Den Menschen der Gewohnheit Trieb: –

Mit einem Seufzer ward ich frei.

 

Manfred

 

Im August hatte Byron zu Diodati den Besuch von Lewis, dem Autor des Mönch empfangen. Lewis hatte ihm einige Passagen aus Goethes Faust übersetzt. Ein Thema, das ihn tief anrühren mußte. Die Fragen Fausts an das Universum, der Pakt mit dem Teufel, der Verlust Gretchens, war das nicht seine eigene Geschichte? Doch wenn er, Byron, Schöpfer des Faust gewesen wäre, er hätte ihn kühner und düsterer gemacht. Warum vor den Geistern zittern? Ein Mann, ein wirklicher Mann, forderte sie heraus und forderte den Tod heraus.

Ein Werk entsteht fast immer durch einen Schock, der ein bereitetes Feld gefruchtet. In Byron war ein solches Feld bereitet; es war die glühende Masse unausgesprochener Gefühle, Schrecken, Liebe, Verlangen, Bedauern; eine Lava, die noch einmal alles zu entflammen drohte. Die Lektüre des Faust und das Erlebnis der Alpenlandschaft lösten den Schock aus, der das Entstehen eines großen dramatischen Gedichts ermöglichte: Manfred. Die beiden ersten Akte schrieb er in 12 Tagen nieder, noch während der Reise. Die Landschaften, die er in Prosa in dem für Augusta bestimmten Tagebuch beschrieb, wurden durch geringfügige Veränderungen Teile des neuen Dramas, sie vermischten sich darin mit dem Geständnis seiner Ängste. Alle realen Szenen der Reise, die Begegnung mit einem Jäger, die mit einem Hirten, der einen Kuhreigen sang, sie gingen unmittelbar ein in dieses Werk, dessen Themen weit genug gefaßt waren, um das alles in sich einzuschließen.

Manfred, Herr einer Lehnsburg in den Alpen, hat sich der Magie verschrieben; er ist reich, gebildet, doch seine Seele scheint von der Erinnerung an ein schweres Verbrechen verstört zu sein. In einer ersten, sehr faustischen Szene, beschwört er die Geister der Erde des Meeres, der Gebirge und des Lichts. „Was willst du von uns, Erdenkind?“ fragen die Geister. – „Vergessen“. – „Wessen?“ - „Dessen, was in mir ist …“ Was war in ihm? Er läßt es uns ahnen … Die Sehnsucht nach einer Frau, Astarte, die er verlor und mit der er vereint sein möchte; das Verlangen, an einer anderen Frau gerecht zu werden, die keinen Namen hat. Gegen sie spricht eine mysteriöse Stimme eine fürchterliche Zauberformel, und weil Byron nicht dazu fähig ist, von sich selbst abzusehen, seine Identität zu vergessen, weil die Andeutungen nur zu klar sind und die Symbole transparent, wissen wir, daß Manfred Byron ist, Astarte Augusta und der Gegenstand der Zauberformel Annabella.

 

So tief dein Schlaf auch sei,

dein Geist soll nie mehr schlafen;

es gibt Schatten, die nicht weichen,

es gibt Gedanken, die du nicht verbannen kannst;

eine unbekannte Macht in dir

verbietet dir, allein zu sein

Du bist wie von einem Leichentuch umgeben

bist von einer Wolke gefangen;

 

Und für immer wirst du

mit diesem Fluche leben …

Bei dem Hochmut deiner harten Seele,

bei der Kunst der Verstellung,

die selbst dein Herz menschlich scheinen ließ,

bei deiner Lust am Leiden anderer,

bei deiner Bruderschaft mit Kain,

suche ich dich heim! und verfluche dich,

deine eigene Hölle zu sein!

Meine Einsamkeit ist keine Einsamkeit mehr,

sie ist von Furien bewohnt;- Ich habe gezittert

von der Abenddämmerung bis zum Morgen;

dann habe ich mich bis zum Sonnenuntergang verflucht –

und habe darum gebeten, daß Wahnsinn mir

wie eine Segnung geschenkt werden möge … sie blieb

mir versagt.“

 

„Während seiner Krankheit hatte Byron den dritten Akt des Manfred abgeschlossen; ein etwas kurz geratener Akt übrigens (Byron verstand nicht wie Goethe, das Übernatürliche in großer Masse zu behandeln), aber interessant wegen seiner Theorien. Man sah darin Manfred im Angesicht des Todes. Der Abt eines benachbarten Klosters versuchte, ihn mit sich selbst auszusöhnen, und vielleicht war diese Szene der Widerhall von Byrons Gesprächen mit den armenischen Patres. Der katholische Priester bot dem Sünder Buße und Vergebung an. „Ich spreche nicht von Rache, mein Sohn (mein ist die Rache, spricht der Herr). Aber unser Amt hat mir die Macht gegeben, den Weg des Sünders zu der höchsten Hoffnung hin zu ebnen“. – „Es ist zu spät“, entgegnet Manfred. „Nichts kann den bösen Geist austreiben, wenn er die Seele des Sünders selbst ist. Kein Priester kann einen Mann lossprechen, dessen Hölle in seinem Inneren liegt“- Nicht mit Gott kann Manfred sich aussöhnen, nur mit sich selber.

 

O mein Vater! Ich habe jene frühreifen Visionen gekannt,

die edlen Träume meiner Jugend,

aus meinem Geist den Geist der anderen zu machen,

und der zu sein, der die Nationen lehrt …

Das alles ist vorüber-

Mein Denken hat nicht einmal sich selbst begriffen.

Ich konnte meine wilde Natur nicht zähmen.

… Ich weigere mich, zu einer Herde

zu gehören und sei es, um ein Rudel Wölfe anzuführen.

Der Löwe ist allein, ich bin wie er.

 

In der letzten Szene wollen die Höllengeister Manfred ergreifen und ihn mit sich ziehen. Er jagt sie davon:

 

… Zurück in deine Hölle!

du hast keine Gewalt über mich, ich fühle es;

du wirst mich nie beherrschen, ich weiß;

was geschehen ist, ist geschehen: in mir selber trage ich

eine Qual, der deine nichts hinzuzufügen hätte;

der unsterbliche Geist besorgt es selbst,

die guten wie die schlechten Gedanken zu belohnen …

 

Nicht du hast mich versucht, denn du konntest mich nicht versuchen;

ich war weder dein Narr noch deine Beute –

doch meine eigene Vernichtung war ich und

werde mein eigenes Jenseits sein …

 

Auf diese Weise versuchte Byron zum erstenmal, nachdem ihn Shelley zur metaphysischen Überlegung angeregt hatte, sein unüberwindliches Gewissen mit seiner skeptischen Philosophie zu verbinden, die ihn die orthodoxen Ideen der Hölle und Strafe nicht akzeptieren ließ. Durch eine ausgesprochene byronsche Lösung erreichte er es, sich selbst zum einzigen Mittelpunkt des ganzen Systems zu machen. Nur Byron selbst war Byrons Versucher. Nur Byron selbst strafte Byron in Byron. Nur Byron, aber nicht die kindische Hölle May Grays. Es gibt die Hölle, doch ist sie in uns und die Lebenden stürzen sich selbst hinein.

Alter! Es ist nicht so schwierig zu sterben …

Das war der letzte Satz Manfreds an den Abt; das aber war gleichzeitig, so schrieb Byron an Augusta, „die ganze Moral des Gedichts“. Nicht alle Menschen haben Angst vor dem Tod. Die einen fürchten, weil sie das Leben lieben; andere, weil sie ein zukünftiges fürchten. Doch das menschliche Dasein ist ein harter Kampf, und es gibt empfindsame Geschöpfe, die sich eines inneren Konfliktes ohne Ausweg bewußt sind, ihnen erscheint der Tod wie eine willkommene Ruhestatt. Byron gehörte zu ihnen. Da er zu tapfer war, um das Leben zu fliehen, doch zu müde, um den Tod zu fürchten, war in diesem sonderbaren Karneval der Gedanke an ihn stets gegenwärtig. Wie einst über den grauen Mauern Newsteads zog ein Totentanz über die Dächer seiner venezianischen Zuflucht.“

 

Italien

 

Seit mehreren Monaten hatte er sich in die politische Bewegung Italiens eingemischt. Er war bereit, sein Leben für die Freiheit Italiens zu geben, vor allem, weil er Italien und die Freiheit liebte, ein wenig, weil er das Leben nicht liebte. In Bologna hatte er sich der Societa Romantica angeschlossen. Jetzt war er ein verschworener carbonaro und sogar, weil sein Prestige als englischer Edelmann der Sache diente und er besser als jeder Italiener vor der Polizei sicher war, der Anführer der carbonari-Gruppe von Ravenna: der americani.

Im Jahr 1820 begann Europa, das bis zu diesem Zeitpunkt von den Schlägen der Heiligen Allianz betäubt gewesen war, seine Lebensgeister wiederzufinden. Spanien bekam nach einer Revolution, „die nur sechs Jahre Geduld und einen Tag Erklärungen gefordert hatte“, eine Verfassung. Dieses Beispiel erregte die Untertanen des Papstes, des Königs von Neapel und Metternichs. In Neapel hatten es hundert Soldaten mit dem Ruf „Es lebe der König und die Verfassung!“ erreicht, den König so zu ängstigen, daß er am 6. Juli 1820 eine Proklamation unterzeichnete, mit der eine konstitutionelle Regierung eingesetzt wurde. In Ravenna waren die Stadtmauern mit Inschriften bedeckt: „Es lebe die Republik. Tod dem Papst!“ Der Kardinal von Ravenna erbleichte unter seinem Purpur. Die carabinieri beklagten sich darüber, daß Byrons Diener Livreen mit militärischen Epauletten trugen. Byron gab zur Antwort, dies sei die Livree der Byronschen Leute seit dem Jahr 1066 und befahl seinen Leuten zu schießen, wenn man sie angriff. In den Straßen von Ravenna riefen die Kinder: „Es lebe die Freiheit!“ In der Pinetta traf Byron, wenn er zu Pferd seine Ausflüge machte, die americani, die mit dem Lied: „Wir alle sind Soldaten der Freiheit …“ vorüberzogen. „Sie brachen in Hochrufe aus, als ich sie überholte. Ich habe zurückgegrüßt und bin weitergeritten. Das zeigt den Geist des heutigen Italien“. Allen seinen Freunden schrieb er, sie sollen ihm Degen und Pulver schicken, im Palazzo Guiccioli organisierte er ein Arsenal von 150 Gewehren. Das alles verlangte Mut, denn in anonymen Briefen wurde ihm geraten, seine Ausritte einzustellen und sich vor der Polizei des Buon Governo in acht zu nehmen.“

 

Kain

 

„Cain, sein Mysterienspiel von 1821, führte Byron dann zum Gedankendrama zurück. In dieser biblischen Gestalt konnte der Dichter alles, was ihn seit seiner Jugend bewegt hatte, seine religiösen Zweifel und seinen Freiheitsdrang, zum Ausdruck bringen. Denn Cain ist die prometheisch-stolze Gestalt der Auflehnung gegen alle Orthodoxie, der die Frage nach dem Bösen in der Welt stellt und die Verantwortung dafür nicht übernehmen will; aus wütender Verzweiflung über den Widerspruch von Ideal und Wirklichkeit bringt er seinen Bruder um.“

 

In der biblischen Figur des Kain personifiziert Byron den Drang des Menschen nach Erkenntnis. Mit Hilfe Luzifers, der Kain in seiner von Unrast gekennzeichneten Suche nach freier Erkenntnis unterstützt, lehnt er sich gegen die von Gott gewollte geistige Einschränkung. Beim gemeinsamen Opfer mit seinem Bruder Abel kann er die Kluft zwischen seinem eigenen Anspruch und der von Gott vorgegebenen Wirklichkeit nicht länger ertragen. Er erschlägt den Bruder, der ihn nicht tolerieren kann und ihm den eigenen doktrinären Glauben aufzwingen will.“

 

„Von diesen Dramen war Kain das enthüllendste. Von Kind auf war er von dem Thema der Prädestination besessen gewesen, vom Thema des vor dem Verbrechen von Gott verdammten Menschen. Kain war sein Versuch, seinen leidenschaftlichen Protest gegen die Existenz des Bösen in einer göttlichen Schöpfung in die Form eines Dramas zu übersetzen. In einer ersten Szene zeichnete er Adam und seine Kinder nach der Vertreibung; alle beteteten Jehova an, außer Kain, der schwieg. Kain hat Gott nicht verziehen. Was war Adams Sünde, fragte er.

 

Der Baum war gepflanzt, warum nicht für ihn?

Wenn nicht, warum wurde er neben den Baum gestellt? …

Auf diese Fragen ist nur eine Antwort möglich: „Es war sein Wille

und er ist gut“. Woher ich das weiß? Weil er

allmächtig ist; und folgt daraus, daß er gerecht sein muss?

Ich kann nur nach den Früchten urteilen - und sie sind bitter …

 

Nach Abels Tod kommt der Engel, der Kain zeichnen soll; Kain nimmt es hin, aber er leugnet das Verbrechen.

 

Was ich bin, bin ich; ich habe nicht nach dem Leben

verlangt, ich habe mich nicht selbst erschaffen …

 

Byrons eigener Aufschrei. Er glaubte, mit dem Kainsmal gezeichnet zu sein und verdammt wie jener über die Erde irren zu müssen. Auch er hatte einen jüngeren Bruder getötet, den Byron, der er früher einmal war. War er dafür verantwortlich? Er war, was er war; er hatte sich nicht selbst geschaffen, er hatte nicht anders handeln können, und er rief hadernd einem ungerechten Gott entgegen: „Warum hast du mich so behandelt?““

 

Don Juan

 

„Mit Don Juan schuf Byron in jeder Beziehung sein Meisterwerk. Künstlerisch hat er sich höchste formale Freiheit zu eigen gemacht … So schoß in Byrons Don Juan nahezu die gesamte heroikomische Tradition des Abendlandes zu einem Feuerwerk zusammen, dessen Seele künstlerische Freiheit war, dessen Stoff aber aus dem eigenen Leben stammte.

 

Entscheidend bei diesem Amalgam von Liebesabenteuern, Selbstbekenntnis und Sozialkritik ist der ironische Ton, der ständige Wechsel zwischen Ernst und Scherz, Selbstparodie und Parodie der epischen Form … Doch handelt es sich um ein Epos, das nach 16 Gesängen noch unvollendet blieb und sich von Anfang an über das klassizistische decorum hinwegsetzt. Entsprechend stellte Byron auch mit der Wahl seines Protagonisten die Tradition auf den Kopf: aus dem Wüstling der Überlieferung ist ein unschuldiger, bildsamer, anpassungsfähiger junger Mann geworden … Während sich die englischen Leser über die amoralischen Abenteuer der ersten Gesänge aufhielten, hatte Byron die dort bereits spielerisch vorgetragene Kritik an der Hypokrise der Gesellschaft in den letzten Cantos immer sichtbarer in den Mittelpunkt gerückt.“

 

Don Juan sollte ein modernes Heldengedicht werden …

Noch nie hatte Byron so viel leuchtenden Geist, eine so angemessene und starke Form gezeigt. Der Ton war der des Beppo, eine Poesie, die sich selbst verspottet und die eine bittere Philosophie unter heiterer Leichtigkeit und etwas verrückten Strophen verbirgt. Er hatte sich so lange dem Auf und Ab der Empfindungen überlassen. Mit der Ruhe der Distanz trat der Verstand in seine Rechte ein. Die Schreie, Klagen waren überwunden. Natürlich blieb Byron komplizierter und empfindsamer als Voltaire. Zwar war seine theoretische Philosophie wie die Voltaires ein deistischer Rationalismus, doch war Voltaire weder in den Erinnerungen an eine calvinistische Kindheit befangen, noch in dem Konflikt eines sinnlichen Temperamentes und einer tief religiösen Seele. Das Umfeld seines Denkens war übersichtlich und klar. In Byron war der lichte Bereich des Verstandes von ungeheuren Landstrichen unerforschter, düsterer und mit Gespenstern bevölkerten Gebieten umgeben. Voltaire war mit sich selbst zufrieden, nachdem er ein „Mysterium durch zehn knappe Wahrheiten ausgelöscht“ hatte. Byron bewahrte sich das Mysterium, weil er die Bedeutung der Sünde gekannt hatte. Aber das Mysterium hatte den Platz gewechselt; es ging nicht mehr um das Geheimnis von George Gordon Lord Byrons Schicksal, vielmehr um das des Menschen, dadurch nahm es universelle, klassische Ausmaße an.

Nur der erste Gesang blieb autobiographisch, jedoch ohne die frühere Bitterkeit. Schon in den ersten Zeilen erschien Annabella. Die Mutter Don Juans war nach ihrem Vorbild gezeichnet

Ihr Hauptfach war das mathematische, Und Großmut ihre schönste Leidenschaft

Doch sehr bald wurde das Gedicht weiträumiger und heiterer. Wozu sich über die Welt erregen? Die Erde muß sich um ihre Achse drehen und die Menschheit mit ihr. Es galt zu leben, zu sterben, zu lieben und Steuern zu bezahlen. Alles dies war unterhaltend, gefahrvoll, melancholisch und unvermeidlich.

nie wieder nimmers wieder und niemals wieder wird’s wie die Morgenröte die Frische in mein Herz einziehen

Manchmal erinnerte Byrons neue Weisheit an Shakespeare. Auch Shakespeare hatte deutlich erkannt, daß die menschlichen Sehnsüchte, Liebe, Ehrgeiz nur Vorspiegelungen sind. Der Prospero des Sturm weiß, daß das Leben ein Traum ist. Dennoch bewahrt er sich Zuneigung und Achtung vor der Liebe junger Menschen. Byron selbst glaubte sich zwar von allen Illusionen geheilt, war jedoch weiterhin der Meinung, daß die Illusionen der Jugend schön und notwendig sind.

Doch sie sei es, alles ist die erste große Liebe

Deshalb war Don Juan gefühlvoller als Candide. Der neue Byron war ein bekehrter Romantiker, aber ein unbußfertiger Schwärmer.“

 

Don Juan schien sich aus der Verdrossenheit und der Einsamkeit von Byrons geistiger Verfassung zu nähren. In Pisa und Genua schrieb er zehn Gesänge mit einer Leichtigkeit, einer Mannigfaltigkeit von Einfällen, einem Reichtum der Stilmittel, die bewunderungswürdig waren. Das Gedicht hatte sich ausgedehnt. Juan blieb sein Held, aber seine Abenteuer waren nicht mehr als ein Vorwand. Das wahre Thema war das des Gulliver, das des Candide: eine Satire auf die europäischen Eliten. Byron hatte die „herrschenden Klassen“ nie geliebt. Von Kind auf puretanisch, das heißt in der Opposition erzogen, war er auch nur in das House of Lords eingetreten, um seinen Peers einige ernste Worte zu sagen. In der Welt fühlte er sich, selbst zu den Zeiten, da er wie ein Grandseigneur des 18. Jahrhunderts zu leben schien, als Fremder. Der Sturm, der ihn aus ihr vertrieb, hatte ihn hart angefaßt, aber überrascht hatte er ihn nicht. Da er nun von einem friedlichen Beobachtungsplatz aus zusehen konnte, was diese gar so harten Menschen aus Europa gemacht hatten, gefiel es ihm, ihnen die blutige Schlappe ihrer Doktrinen vor Augen zu stellen.

Man beschuldigte ihn, die menschliche Natur zu verspotten? Lieber Himmel! Was sagte er denn, fragte er, was nicht vor ihm Dante, Cervantes, Swift, Machiavell gesagt hatten, „die alle wußten, daß dieses Leben keine Kartoffel wert ist“. Weder aus der Betrachtung der Natur noch aus der Prüfung unseres eigenen Denkens läßt sich eine Gewissheit ziehen. Ein System frißt das andere, wie der alte Satan seine Kinder:

 

Und ich, ich weiß nichts; ich leugne nichts,

Ich bejahe, ich verurteile, ich verachte nichts …

Und du, was weißt denn du, wenn nicht vielleicht

Daß du geboren bist um zu sterben?

 

Das hatte Byron schon in Childe Harold ausgesprochen, aber zu den Zeilen von Childe Harold hatten ihn die Nutzlosigkeit von Religionen und Systemen auch dazu geführt, an der Nützlichkeit menschlichen Bemühens zu zweifeln; damals hatte er von der Knechtschaft Griechenlands nur gesprochen, um an seinem Schicksal zu verzweifeln. Jetzt jedoch, vielleicht unter dem Einfluß seiner vorhergegangenen italienischen Konspirationen, vielleicht durch sein unbändiges Verlangen nach Aktion, verband er seinen universellen Zweifel mit einem sehr scharf umrissenen politischen Glauben. Er entdeckte, daß der metaphysische Skeptizismus nicht unbedingt mit einem politischen Skeptizismus verbunden sein muß. Im Gegenteil. Wenn wir unglücklichen Menschen alle in ein schreckliches und sinnloses Abenteuer verstrickt sind, helfen wir uns doch gegenseitig, wie Shelley mit Goethe sagte, unsere kleine Welt im großen Universum zu bauen. So wie der Skeptiker Voltaire für Calas gestritten hatte, wollte er für die Freiheit kämpfen.

 

Ich will sie bekämpfen, jedenfalls in Worten

Und, habe ich Glück, in Taten,

alle, die gegen den Gedanken streiten …

 

Ich will dem Volke nicht schmeicheln,

Demagogen gibt es ohne mich genug;

genug Ungläubige, um alle Kirchtürme zu zerstören

und ihrer Stadt etwas Besseres zu bauen.

Ob sie Skepsis säen, um die Hölle zu ernten,

wie es das harte Dogma des Christentums lehrt,

ich weiß es nicht; - was ich will, ist, daß die Menschen sich befreien,

vom Plebs so gut wie von Königen - von dir und mir.

 

Vor allem anderen verurteilte er den Krieg. Er entsandte Don Juan während des russisch-türkischen Feldzuges zum Sitz Ismaels, um zu zeigen, wie wenig die „Metzger en gros“, die Völker führen, das Menschenleben achten. Er machte sich über militärischen Ruhm lustig, über seine Rang- und Medaillenjäger, die ihr Leben für eine Litze opfern, für Namensnennung, für die Karriere eines Suwarow oder eines Wellington: „Der Mann, der eine einzige Träne trocknet“, sagte er, „verdient mehr Ruhm als derjenige, der ein Meer von Blut vergießt …“ Er verspottete selbst den Nationalhelden, den Fürsten, „Retter einer Nation, die nicht gerettet wurde, Befreier eines immer noch versklavten Europas, den Krückenflicker der Legitimität“. Dieser starke Ton war danach angetan, Europa aufzurütteln, das voller Männer war, die auf Halb-Sold saßen. Die „moderne“ Poesie mußte alle ins Herz treffen die sich geschlagen hatten, alle, die unter dem Egoismus ihrer Herren gelitten hatten.

 

Denn ich lehre, wenn ich kann auch noch die Steine,

sich gegen die Tyrannen dieser Erde zu empören.“

 

Griechische Kampf um die Unabhängigkeit

 

„Seit zwei Jahren verfolgte Byron mit einem wechselnd starken, wehmütigen Interesse die Fortschritte der griechischen Erhebung. Als Mavrocordato in Pisa aufgebrochen war, um zu den Empörern zu stoßen, hatte Byron allen, die um ihn waren, gesagt, daß er dem Fürsten nur zu gern gefolgt wäre. Er hatte es an Moore geschrieben, er hatte es Gamba wiederholt, auch Medwin gegenüber (der hatte den Satz notiert: „Ich werde nach Griechenland zurückkehren, und es ist wahrscheinlich, daß ich dort sterben werde“), Trelawney gegenüber ,der es skeptisch aufnahm. In Wahrheit nahm niemand in der Pisaner Gruppe einen Byronschen Plan ernst, um was es auch gehen mochte. Er hatte sie zu oft gewechselt. Venezuela, die Vereinigten Staaten, England, Griechenland, seine Vorstellungskraft verband sich augenblicksweise mit diesen Träumen. Dann klagte eine Frau, ein Gedicht hielt ihn auf, ein Omen erschreckte ihn, und er blieb. Für seine Freunde stand sein Ruf fest: er war feminin, schwach, empfindsam und in jeder Beziehung das Gegenteil eines Tatmenschen.

Damals schien der griechische Plan dauerhafter als alle anderen Projekte zu sein. Nicht daß Byron irgendeinen Haß gegen die Türken genährt hätte. Er hatte sich das schönste Andenken an die weißbärtigen Paschas bewahrt, die ihn 1810 empfangen hatten. Damals hatte er die Versklavung Griechenlands beklagt, doch gab es kein Heilmittel dafür. Jetzt sah es so aus, als könnte die Erhebung gelingen. Die Türken hatten dem Land ihre Verwaltung nicht aufzwingen können. Sie bildeten „ein provisorisch in Europa aufgeschlagenes Lager“, doch ein Lager läßt sich im Sturmangriff nehmen, es mußte relativ leicht sein, sie zu verjagen.

Warum hatten sich die Griechen nicht schon im 18. Jahrhundert befreit? Weil von allen menschlichen Kräften nur die geistigen wirksam sind. Um sich zu empören, muß man an den Aufruhr glauben. Erst durch die Französische Revolution lernten die Griechen wie die Italiener und wie die Polen die Worte Freiheit und Völkerrecht. Die Marseillaise wurde für sie übersetzt. Mit den Strophen seines Childe Harold lenkte Byron das Interesse Europas auf ihr Schicksal. Sie hörten auf, ihre Versklavung als Naturgesetz anzusehen. Das aber bedeutete, daß sie aufhörten, Sklaven zu sein.

Die Erhebung hatte in geheimen Gesellschaften ihren Anfang genommen, zunächst in der Hoffnung auf die Hilfe Rußlands. Doch Herr von Metternich war wachsam, er zeigte dem Zaren „das revolutionäre Signum in den griechischen Ereignissen“. England war nicht weniger feindlich gesinnt als Österreich. Pitts Wort: „Ich lehne es ab, mit jemandem zu diskutieren, der in der Integrität des Ottomanenreiches nicht eine Notwendigkeit für die englischen Interessen sieht“, blieb eines jener überholten und magischen Axiome, von denen die britische Außenpolitik stark bestimmt wurde. Frankreich, noch unter der Vormundschaft der Heiligen Allianz, konnte nur einzelne Freiwillige entsenden. Die Griechen waren auf sich selbst angewiesen …

Die Uneinigkeit der griechischen Anführer hatte die Türken vor dem Schlimmsten bewahrt. Im Ausland jedoch hatten die griechischen Siege in den liberalen Kreisen aller Länder eine große Begeisterung ausgelöst. Ehemalige napoleonische Offiziere, Jenaer Studenten, schwärmerische Schweizer kamen, um sich für Griechenland zu schlagen.

Die englische Regierung blieb bei ihrer feindseligen Haltung, aber als im Januar 1823 ein griechischer Abgesandter, Luriotis, kam, um für die griechische Sache zu plädieren, erkannte eine gewisse Zahl fortschrittlicher Whigs die Möglichkeit „zu einem leichten und dramatischen Schachzug im innerpolitischen Spiel“ und gründete ein Komitee, das seinen Sitz in der Taverne „Zur Krone und zum Anker“ hatte und das wie alle Komitees unnütze Schriften herausgab, vorzügliche Dinners veranstaltete und wenig tat. In dem Komitee fanden sich Männer wie der bemerkenswerte Jeremie Bentham (Erfinder der Wörter „international“ und „kodifizieren“, ein Reformer von Gesetzen, Gefängnissen und Universitäten), radikale Abgeordnete wie Burdett, Hobhouse, Bankiers wie Kinnaird, als Sekretäre fungierten Mr. John Bowring, Polyglott und Bentham-Schüler …

Im April stiegen Blaquiere und Luriotis zur Casa Saluzzo hinauf, und Byron erbot sich, im Juli in die Levante aufzubrechen, wenn es das Komitee für nützlich hielt. Und warum sollte er es nicht tun? Dieser Aufbruch entsprach zugleich seinem Bedürfnis nach aufwühlendem Erlebnis, dem sein einförmiges Leben in Genua so wenig zu bieten hatte, und sein Wunsch war, zu beweisen, daß er etwas anderes war als nur ein Verseschmied. „Der erste Mann eines Landes zu sein (nicht der Diktator), nicht der Sulla eher der Washington oder der Aristides, der Anführer aus Begabung und Wahrheit, das heißt, sich der Gottheit nähern“. Dies sagte er einst, er glaubte immer noch daran. Er war immer versucht, das zu tun, „was wenige Menschen getan hätten oder niemand vollbracht hatte“. Das Fiasko des Liberal, der relative Mißerfolg seiner letzten Veröffentlichungen, alles ließ ihn daran denken, wie er die öffentliche Meinung wieder für sich gewinnen konnte. Der Dichter gefiel nicht mehr. Er selbst glaubte, seine wahren Fähigkeiten würden in einem aktiven Leben eher deutlich werden. Er hatte sich immer als Soldaten und Staatsmann betrachtet, der des Lebens, für das er geschaffen war, durch die Unvollkommenheit seines Körpers beraubt worden war. Von nun an wollte er „sich der Politik und dem Anstand widmen“. – „Wenn ich noch zehn Jahre leben sollte, werden sie sehen, daß es noch nicht zu Ende ist mit mir. Ich will nicht sagen, in der Literatur, denn das bedeutet gar nichts; und - so sonderbar es scheinen könnte - ich glaube nicht, daß dies meine Berufung war. Sie werden es sehen - wenn Zeit und Glück es mir erlauben - daß ich etwas tun werde, das die Philosophen aller Zeiten in Erstaunen setzen wird“.

Gewiß war es nicht nur ein Ablaß in dem Urteil der Welt, den sich Byron von diesem Opfer versprach. Er hatte schon im Manfred gezeigt, daß die Hölle für ihn ein inneres Drama war. Vielmehr konnte ein großer Heroismus den Konflikt beenden, der ihn seit seiner Jugend quälte, den Konflikt zwischen dem Byron, der er hätte sein können und dem Byron, der er gewesen war, vielleicht könnte er ihn zugunsten des leidenschaftlichen Schülers lösen. Auf ein Schreibheft kritzelte er ein paar Verse, den Beginn eines unvollendeten Gedichts.

 

Die Toten wurden auferweckt - sollte ich schlafen?

Die Welt steht im Kampf gegen die Tyrannen - sollte ich mich beugen?

Die Ernte ist reif - soll ich zögern, sie aufzulesen?

Ich schlummere nicht; der Dorn durchdringt mein Laken,

jeden Tag klingt eine Trompete in meinem Ohr,

und ihr Echo in meinem Herzen …

 

… Wünschte das philhellenische Komitee in London seine Mitarbeit wirklich? Seit der Ächtung von 1816 bewahrte er allem gegenüber, was englisch war, den ängstlichen Sinn eines Paria. Die Feinde, die man nicht sehen kann, sind in der Vorstellung die schlimmsten. Er glaubte, sie seien immer noch unüberwindlich voreingenommen gegen ihn, und er war entschlossen, nichts von ihm zu erbitten, um ihnen keine Gelegenheit zu einer Weigerung zu geben. Mit unbedingter Bescheidenheit bot er sich Hobhouse an und war entzückt, als er, nach langem kränkenden Schweigen, zum Komiteemitglied ernannt wurde. Seine Briefe zeigten ihn in seinem besten Licht, voller Großzügigkeit (er verkündete sogleich, daß er bereit war, aus eigener Tasche beizusteuern, und er begann auf seine Kosten Medikamente und Pulver zu verschicken), einfach und vor allem fabelhaft präzis.

Der Brief, den ihm Mr. Bowring geschrieben hatte, enthielt die üblichen Klischees über das „klassische Land der Freiheit, die Wiege der Künste und des Genies, den Wohnsitz der Götter, das Paradies der Dichter und andere schöne Dinge“. Es war der Ton, vor dem Byron einen buchstäblichen Horror hatte. „Enthusiasmus“, sagte er voll Widerwillen. Er antwortete mit einem Bericht über die Lage in Griechenland, der eines vorzüglichen Generalstabschefs würdig gewesen wäre: „An Material wird für die Griechen zunächst folgendes vonnöten sein; eine Feldartillerieausrüstung - leicht und für den Bergeinsatz tauglich; zweitens Kanonenpulver, drittens Sanitätsfahrzeuge …“. Auf vier Seiten voller Fakten zeichnete er die Bedürfnisse auf, die besten Transportmethoden und die Adressen möglicher Verbindungsleute. Der ganze rechnerische Verstand Kitty Gordons, wie sie den Wert Newsteads abschätzte. Es war ein aufreizender Gegensatz zu der nutzlosen Eleganz des Komitees.

War er also doch, wie er selber glaubte und entgegen der Meinung seiner Freunde, ein Mann der Tat? Die Wahrheit war vielschichtiger. Er war begabt zu handeln, weil er Mut, Realismus und Genauigkeiten in sich vereinte, dennoch war Byron zum Träumen verurteilt aus Mangel an Entschlossenheit. Er hatte immer gleichzeitig ein Verteidiger der Völker und ein ausschweifender Grandseigneur, ein Ehemann und ein Don Juan sein wollen, ein Voltairianer und ein Puritaner. Er hatte die englische Gesellschaft bekämpft, und er begehrte ihre Vorzüge. Weder konservativ noch radikal, hatte er in der englischen Politik zu den unglücklichsten aller Kreaturen gehört, zu den Whigs. Immer hatte es ihm an jener Übereinstimmung von Denken und Tun gefehlt, die allein große Vorhaben erfüllen kann.

In diesem griechischen Unternehmen jedoch war alles einfach. Seine angeborenen Vorurteile traten mit dem Verlangen, ein fremdes Volk zu befreien, nicht in Widerstreit. Er fühlte im Gegenteil, daß die öffentliche Meinung Englands ihn aus verborgenen und tiefen Gründen unterstützen würde, wenn er diese Partie spielen würde. Nun, da sein Geist beruhigt war, arbeitete er mit voller Hingabe. Seine Klarsicht und seine Klugheit taten ihre Wirkung, und er wurde zu einem Anführer, wie man ihn sich nur wünschen kann.“

 

„Weil es ihm offensichtlich um die griechische Nation ging, versuchte er, sich aus allem Parteienstreit herauszuhalten, was ihm nicht gelang und ihm auch alle großen Hoffnungen auf den baldigen Erfolg des Kampfes nahm, den er mit seinem eigenen Vermögen großzügig unterstützte. Zeitweise war er deprimiert, gab aber nicht auf, weil ihm die Sache selber gut dünkte. Während der letzten Monate, bevor ihn ein Sumpffieber hinwegraffte, führte Byron einen zähen Kampf gegen die täglichen Unzulänglichkeiten in der griechischen Befreiungsbewegung und wandelte sich zu einem realistisch denkenden und planenden Soldatenführer bei der Verteidigung von Missolunghi. Trotzdem hat sein Tod wahrscheinlich mehr für die Unabhängigkeit der griechischen Nation geleistet, als alle seine vorherigen Bemühungen, weil er, als Signal der Opferbereitschaft aufgefaßt, die zerstrittenen Griechen zur Geschlossenheit und zum selbstlosen Einsatz zwang. Damit hatte Byron im Tode, als Mann und als Dichter, die Gemüter der europäischen Jugend erobert. Selbst in England wurde er vorübergehend Held einer philhellenisch gesonnenen Nation. Das ist umso erstaunlicher, als der Tod in Griechenland für Byron durchaus nicht der ersehnte Heldentod auf dem Schlachtfeld war, sondern ein Unternehmen glücklos beendete, an das der Dichter selbst im Grunde seines Herzens nicht geglaubt hatte.“

 

Über den Tod hinaus

 

Wirkung in England und Europa

 

„Byron war unter den englischen Romantikern eine ziemlich isolierte Erscheinung, denn mit der ‚Lake School‘ von Wordsworth, Coleridge und Sothey hatte er es seit English Bards gründlich verdorben. Er hatte nur Spott und Verachtung für sie übrig, weil sie ihm voller Anmaßung die klassizistische Dichtungstradition seit Pope in poetischer und moralischer Hinsicht zu verwässern schienen. Ihr politischer Konservatismus kam noch hinzu. Kunst hatte bei ihnen – wie durchweg bei den deutschen Idealisten - die Funktion der Erziehung und Gesellschaftserhaltung, Byrons Dichtung stand dagegen ganz illusionslos im Dienste der scharfen Sozialanalyse und Rebellion.“

 

„Mit seinem ironisch-schillernden Mischstil, der offenen Form, dem Selbstbekenntnis entsprach er ungewollt den Schlegelschen Forderungen nach der „Heterogenität der Mischungen“ und der „progressiven Universalpoesie“ als Kennzeichen romantischer Kunst; mit der rebellischen Pose seiner von der Gesellschaft isolierten Helden beeindruckte er die jungen Schriftsteller Europas, die ihn nachahmten; besonders nach seinem Tode verwandelte sich Byron zumindest in Kontinentaleuropa in die Inkarnation der Romantik schlechthin, während er in England von der Kritik und von der sogenannten guten Gesellschaft noch vor 1824 offiziell verpönt und nur vom breiten Publikum über die Jahrhundertmitte hinaus viel gelesen wurde.“

 

„Tatsächlich hatte Byron der Weltliteratur neue exotische Provinzen erobert und zugleich überall die Sehnsucht unterdrückter Völker nach Freiheit erkannt.“

 

Der Byronische Held

 

„Durch Umformung und Verschmelzung dieser verschiedenartigen Herkunftselemente entstand nun der Außenseiter der Gesellschaft, der einsam und stolz seinen Weg ins Exil geht, sich entweder in seinen Weltinnenraum zurückzieht oder gegen Gott und die Welt auflehnt. Obwohl die Übergänge gelegentlich verfließen, lassen sich wohl diese zwei Varianten des Grundtyps unterscheiden, die des Melancholikers und die des prometheischen Rebellen.

a) Der Melancholiker. Mit Werther und René im Hintergrund hat Byron diesen ihm vielleicht verwandtesten Tipp des passiven, introspektiven Helden in Childe Harold zuerst vorgestellt; Harold ist lebensüberdrüssig und vor der Zeit gealtert, weil er das Leben in der Jugend antizipiert hat Es war ein Leben voller Leidenschaft und Verbrechen gewesen, wodurch Harold nun in die Nähe Satans rückt, des rebellischen, ehrgeizigen, von Gewissensbissen gepeinigten Protagonisten von Miltons Paradise Lost. Er sehnt sich nach Ruhe und Vergessen, und da er ohne seelische oder ethische Bindungen ist, ohne Wurzeln in der Vergangenheit und ohne Hoffnung auf die Zukunft, zieht er sich in die Natur zurück und genießt narzißtisch seine eigenen Schmerzen Er nennt sich einen stolzen, einsamen, manchmal verzweifelten Menschen, der sich über die Meinung der Welt erhoben hat. Harold steht in einem doppelten Konflikt: von der Gesellschaft entfremdet, ist er auch mit sich selbst zerfallen; zwischen Ideal und Wirklichkeit, Sehnsucht und Erfüllung findet er keinen Ausweg. Wie Ahasver fühlt er sich zur ewigen Wanderschaft verurteilt, als ob er von einer geheimnisvollen Schuld getrieben würde. Schließlich verschwindet er als Abgebrannter des Lebens (Jean Paul) wie ein Schatten in den römischen Ruinen.

b) Der prometheische Rebell. Neben Childe Harold haben die edlen Räuber- und Piratengestalten der „Oriental Tales“ den größten Eindruck auf die Zeitgenossen gemacht. Hier trat ihnen zuerst der homme fatal entgegen, der gezeichnete Held, der sich selbst und seine Geliebten zerstört. Mit der Gesellschaft durch ein geheimnisvolles Vergehen zerfallen, tritt er als Beschützer der Unterdrückten sowie als Empörer gegen die Tyrannen auf und trachtet sie durch entschuldbare Verbrechen zu bessern („edler Räuber“). Diese stolzen Helden handeln ohne Rücksicht auf die katastrophalen Folgen, denn sie überragen alle anderen Menschen und schwingen das Schwert der Rache („gefallener Engel“). Das Bewußtsein früh begangener Schuld stört ihre sonst edlen Gesichtszüge. Charakteristisch sind die bleiche Stirn, schwarze Haare, eingefallene Wangen und böser Blick, Stolz und zugleich Verzweiflung verratend. Mit Macaulay könnte man diesen Typ zusammenfassend folgendermaßen kennzeichnen: „ein Mann, stolz, launisch, zynisch, mit Trotz auf der Stirn und Elend im Herzen; ein Verächter seiner Art, unversöhnlich in der Rache, aber dennoch fähig zu tiefer und starker Zuneigung“. Für eine geliebte Frau setzt er ritterlich sein Leben aufs Spiel, bleibt aber sonst in der Isolierung, auch als Führer einer Räuberbande. Ein besonders ausgeprägter Reizkontrast machte diesen Heldentyp äußerst attraktiv, nämlich neben der Kombination des Edlen mit dem Kriminellen der des Nordens mit dem Orient (bzw. Süden), der des schwermütig Leidenden in üppig-exotischer Umgebung.

Mit Manfred und Cain gestaltete Byron metaphysische Rebellen, denen stärker als den türkischen Helden prometheisch-satanische Züge anhaften. Egozentrisch und leidenschaftlich, vereinsamt in seiner Größe, schuldgequält und lebensmüde, läßt sich Manfred nicht von äußeren Mächten (Dämonen) besiegen, sondern zerstört sich selbst. Manfred und Cain sind noch wie Childe Harold und die Räuberfiguren vom nihilistischen Weltschmerz angefressen, aber gleichzeitig suchen sie faustisch nach Erlösung, Manfred von sich selbst, Cain von der Sinnlosigkeit der Welt. Die göttliche Weltordnung bezweifelnd, sucht Cain nach der letzten Wahrheit, nach dem Sinn des Lebens, der Erbsünde, des Todes in der Welt, nach Gottes Existenz: ‚durch seine eigene Seele für eine solche Kameradschaft geeignet‘ erscheint im Luzifer, eine ihm verwandte Seele: ‚Seelen, die es wagen, dem allmächtigen Tyrannen in sein ewiges Angesicht zu schauen und ihm zu sagen, dass sein Böses nicht gut ist‘. Hier ist Prometheus nicht weit von Satan entfernt und Satan seinerseits nicht als Prinzip des Bösen, sondern in Anlehnung an das Miltonsche Vorbild als stolzer Rebell konzipiert, der aus erhabenem Selbstgefühl den tyrannischen Gott der Konvention, Quell des Bösen in der Welt, herausfordert. Cain erscheint als Wohltäter.

Die Hölle, an der die Protagonisten leiden, ist immanent. Fast alle Byronischen Helden haben etwas mit dem gefallenen Titanensohn gemeinsam, Beschützer der Menschheit, aber Verräter an den Göttern. Zur Strafe wird die Leber des Abgefallenen ständig weggefressen, und das ist angesichts der an sich selbst leidenden Gestalten Byrons durchaus metaphorisch zu verstehen.

 

Philhellenismus

 

„… Die mit Winckelmann anhebende und von den „hesperischen“ Dichtern der Goethezeit (Goethe, Schiller, Hölderlin etc.) geforderte Wiedergeburt des Humanismus aus innerster Wesensverwandtschaft zum Griechentum gehört unbedingt zu den geistigen Vorläufern des Philhellenismus, wie er sich zu Beginn des 19 Jahrhunderts ausprägte …

Obgleich sich Byron erst ab 1823 ernstlich für das Schicksal der unterdrückten Griechen zu interessieren begann, hatte er letztlich die Entscheidung für sein Handeln durch seine Dichtungen vorbereitet In Englisch Bards und in The Curse of Minerva hatte er Lord Elgin angegriffen, der wie ein Vandale Skulpturen und Friese aus der Phidias-Schule vom Parthenon entfernt und nach London geschickt hatte. Die Elgin-Kontroverse war noch nicht beigelegt, als Childe Harold I-II in London und darauf in Übertragungen in den meisten westeuropäischen Ländern erschien, worin Byron Griechenland als die Mutter der Freiheit und Wiege der abendländischen Kultur besang, den gegenwärtigen Zustand völliger Versklavung beklagte und die Griechen zur Tat aufrief: „Erbknechte! Wisst ihr nicht, wer selbst frei sein möchte, muss den Schlag ausführen?“ In The Giaour betrauerte er in den Eingangszeilen die Knechtschaft Griechenlands im Vergleich zu seiner glorreichen Vergangenheit. In Don Juan II-III idealisierte er den Naturzustand der goldenen Zeit und ermahnte auch die Griechen zur Aktion in dem berühmten Lied „The Isles of Greece“. Diese Dichtungen fanden um so mehr Widerhall bei den zeitgenössischen Lesern, als Byron - außer Chateaubriand - der einzige Schriftsteller war, der Griechenland tatsächlich bereist hatte: „Lord Byron war auch ein Reisender, ein Mann, dessen Ideen dadurch befeuert wurden, dass er in fernen Szenen voller Schwierigkeiten und Gefahren die Orte gesehen hatte, deren Namen in unserem Herzen als Schreine antiker Poesie aufgezeichnet sind (Walter Scott). Vor seinen Dichterkollegen Shelley und Keats zeichneten Byron seine Griechenlandkenntnisse und sein -verständnis aus, was ihn in die Lage versetzte, die griechischen Probleme, wenn auch meist in einem banalen bzw. sentimentalen Stile im allgemeinen realistisch darzustellen. Demgegenüber kannten die beiden anderen Dichter Griechenland nur durch ihre Bildungserlebnisse aus erster (Theokrit) und vor allem aus zweiter Hand (Milton, Gray, Collins). Keats entwickelte in England seine eigene „griechische Manier“ und, so wie Hölderlin, seine eigenen Mythen, und Shelley folgte ihm mit seinem lyrischen Prometheus Unbound. Ihre neuplatonische Sicht verstellte ihnen den Blick auf die Wirklichkeit. So konnte allein Byron als politische Inspiration für die Philhellenen Europas dienen, als „einer der großen Meinungsdünger im 19. Jahrhundert“ (Chr. M. Woodhouse). Byrons Einsatz für Griechenland erschien zudem in einem besonders günstigen Licht, weil die britische Regierung mit ihrem Außenminister Castlereagh nur die Ionischen Inseln und ihre griechische Bevölkerung gekauft hatte (1814), aber das Ottomanische Reich und damit auch die griechische Halbinsel als Pufferstaat gegen eine russische Expansion im Mittelmeer benutzen wollte. Von staatlicher Seite war also keine Hilfe zu erwarten. Die englische Öffentlichkeit wurde erst aufgeschreckt nach dem Griechenmassaker auf Chios (1822). Ein Londoner Griechenkomitee wurde im folgenden Jahr gegründet, dem vor allem Mitglieder der liberalen Whig-Partei aus politisch-oppositionellen Überlegungen heraus beitraten. Die griechischen Aufrührer sollten ein Darlehen erhalten, das Byron verwalten sollte. Vorher waren allerdings schon zahlreiche philhellenische Vereine in Deutschland (Leipzig, Hamburg, Stuttgart, Darmstadt), in der Schweiz (Zürich, Genf) und in Paris gegründet worden. Denn die Griechenlandbegeisterung diente nach den Napoleonischen Befreiungskriegen, die in der „Heiligen Allianz“ zur Restauration der alten Zustände in Europa geführt hatten, angesichts der Karlsbader Beschlüsse (1819) gegen alle liberalen Tendenzen in Deutschland, als Ventil für die enttäuschten Hoffnungen der Menschen. Der Aufstand in Spanien gegen Napoleon (1808), die Karbonari-Verschwörung in Italien und in den überseeischen Kolonien Spaniens (1810 - 1825; siehe Polen 1830 bis 1831) waren weitere Signale der Zeit. Shelley hat in seinem Vorwort zu Hellas (1822) die allgemeine Lage und den Konflikt zwischen Despotismus und Liberalismus überaus treffend gekennzeichnet:

„Dies ist das Zeitalter des Krieges der Unterdrückten gegen die Unterdrücker, und jeder einzelne dieser Rädelsführer der privilegierten Banden von Mördern und Betrügern, sogenannte Souveräne, sucht gegenseitig Hilfe gegen den gemeinsamen Feind und unterbricht ihre gegenseitige Eifersucht Präsenz einer mächtigeren Angst. Dieser „heiligen Allianz“ sind alle Despoten der Erde virtuelle Mitglieder. Aber in ganz Europa ist eine neue Rasse entstanden, die im Abscheu vor den Meinungen genährt wird, die ihre Ketten sind, und sie wird weiterhin neue Generationen hervorbringen, um das Schicksal zu erfüllen, das Tyrannen vorhersehen und fürchten. Byron drückte den Gedanken prägnanter aus: „Die Königszeiten gehen zu Ende ...““

Der Anlaß für sein lyrisches Drama Hellas war der Aufstand in Griechenland, dessen erfolgreichen Ausgang Shelley voraussagte. Er sprach für alle Philhellenen seiner Generation, wenn es heißt:

„Die Apathie der Herrscher der zivilisierten Welt gegenüber den erstaunlichen Umständen der Nachkommen jener Nation, der sie ihre Zivilisation verdanken – sozusagen aus der Asche ihres Untergangs auferstanden – ist für einen bloßen Zuschauer der Darbietungen völlig unerklärlich in dieser tödlichen Szene. Wir sind alle Griechen. Unsere Gesetze, unsere Literatur, unsere Religion, unsere Künste, haben ihre Wurzeln in Griechenland“.

 

Zu Johann Joachim Winckelmann siehe auch http://www.ansichten-eines-regenwurms.de/index.php/556-winckelmann-und-seine-jahrhunderte

 

Pessimismus und Weltschmerz

 

„Hebbel gab eine weiterführende Definition, wenn er in bezug auf den „Byronschen Weltschmerz“ meinte: „es ist ein sehr wirkliches, ein sehr handgreifliches unglück, wenn ein mensch licht und luft anders verlangt, als sie nun einmal sind …“. Diesem Es-anders-haben-Wollen liegt der Konflikt zwischen Realität und idealer Welt zugrunde, den W. Rose zur Basis seiner Studie über den Weltschmerz machte, wofür man allerdings auch Ennui, mal du siècle, Wertherismus oder Byronismus gesagt hat. Doch sollte man bei aller Gemeinsamkeit die Unterschiede in der historisch verschiedenen Ausprägung nicht übersehen. Weltschmerz ist grundsätzlich eine ichbezogene (narzißtische), subjektive, passive Geisteshaltung oder besser Gefühlslage, mit Goethes Werther zu sprechen, „eine Krankheit der Seele zum Tode“, die sich nach Unerreichbarem sehnt, jeglichen Sinn für diese Welt verloren hat und sich entfremdet aus ihr zurückzieht …

Im Falle Werthers und Manfreds können wir wohl beistimmen, aber hat das epochale Ereignis der Französischen Revolution nicht die historischen Voraussetzungen grundlegend verändert? Beide leiden an der „englischen Krankheit“, aber Werther geht mit den unbedingten Ansprüchen der Jugend an der Eingeschränktheit der bürgerlichen Verhältnisse zugrunde; Manfred ist alt geworden vor der Zeit, weil er, wie sein Autor, nach dem Scheitern der Französischen Revolution und Napoleons enttäuscht vom Leben nichts mehr zu erhoffen hatte; derart repräsentierte er eine ganze Generation von desillusionierten Jugendlichen, für die es in der Epoche der „Heiligen Allianz“ keine Hoffnung auf Freiheit weder im individuellen noch im politischen oder nationalen Bereich gab.“

 

Titanismus, Satanismus

 

„Bertrand Russell hat in seiner History of Western Philosophy Byron als Urbild des aristokratischen Rebellen bezeichnet, dessen Aufbegehren die Form von „titanische kosmische Selbstbehauptung, oder … Satanismus“ annehme. Damit sah er Byron wie viele andere Kritiker bis ins 20 Jahrhundert hinein als Titanen mit satanischen Zügen an, als gefallenen Engel der Finsternis, der von seinen Helden im Grunde nicht zu unterscheiden sei. Insofern, als etwa im Manfred weltschmerzliche Haltung und trotzige Auflehnung verschmelzen, stellt der Titanismus eine Antwort und zugleich einen Versuch der Überwindung des Lebensüberdrusses dar. Denn Titanismus ist die Kehrseite der Welt- und Lebensenttäuschung des Romantikers, aus ihr geborener Kampf um des Kampfes willen, heroische Geste angesichts des Nichts oder eines überwältigenden Schicksals. Einerseits, und darauf weist V. Cerný nachdrücklich hin, besteht Titanismus in der Revolte gegen die Götter, andererseits in der Hinwendung zum Irdischen, zum Menschen …

Prometheus, Symbolfigur der europäischen Romantik seit dem jungen Goethe, verkörpert am besten den Sturm gegen die alte erstarrte Weltordnung und den Drang nach der Selbstbestimmung und Autonomie des Menschen, der aus dem Selbstgefühl und dem Bewußtsein eigener schöpferischer Kräfte entsprang. Als der rebellische Halbgott von den Göttern gestürzt wird, fällt der Makel des Bösen paradoxerweise auf den tyrannischen Jupiter, während Prometheus die Kennzeichen des Ausgestoßenen, Verfluchten und Leidenden annimmt und zugleich zum Repräsentanten menschlicher Freiheit und Selbstvervollkommnung wird …

Dieses Schicksal teilt Prometheus mit Satan, und darum ist es kein Wunder, wenn bei Byron und dann besonders in der französischen Romantik zahlreiche Helden in der Literatur auftauchen, die Züge des griechischen Mythos mit dem biblischen Bericht von dem gefallenen Engel mischen. Nicht umsonst spricht man mit Southey, der es rein polemisch meinte, von der „satanischen Romantik“, die Byron, Spiegelbild seiner Protagonisten, ins Leben gerufen haben soll, wobei ihm freilich Miltons Satan und die Sturm- und Drangfigur des edlen Räubers Pate gestanden haben. Neben Byron selber, dem „Engel der Finsternis“, dann Manfred mit seinem satanischen Stolz und seiner trotzigen Auflehnung gegen die Geister, und außerdem Cain, dessen Meister Luzifer ist. Sie alle haben etwas von der Hybris der Titanen an sich und stürzen darum um so tiefer.“

 

Byronismus

 

Byronismus entsteht auf der Basis einer pessimistischen und gleichzeitig aristokratischen Einstellung zum bürgerlichen Leben, zur Welt und zu Gott überhaupt. Die überkommenen Werte der Moral, die Gesellschaftshierarchie und der „Überbau“ schlechthin haben abgewirtschaftet, sind durchschaut vom einzelnen, der egoistisch auf die Freiheit des Individuums von jeglicher Einschränkung pocht.

Bei dem unausweichlichen Konflikt zwischen der starren Weltordnung und dem Freiheitsanspruch des einzelnen, der sich gegen die tyrannischen Systeme auflehnt und auszubrechen versucht, kommt es zu antibürgerlichen Gewalttaten (siehe den byronischen Typ des „edlen Räubers“) oder im metaphysischen Bereich zur Rebellion gegen die Kirche und ihre orthodoxe Gottesvorstellung (vgl. den Typ des „gefallenen Engels“, leidend und doch stolz wie Satan); der Freiheitsdrang kann sich freilich auch passiv in der Flucht vor der Welt äußern, als Sehnsucht nach dem Vergessen eines Verbrechens oder seiner selbst in der Natur, die dem Einsamen seine Gemütszustände sympathetisch widerspiegelt. In der Selbstbespiegelung, die er narzißtisch genießt, findet der Mensch kein Heil, vielmehr verstärkt sich meist das Gefühl des Lebensüberdrusses.

Die weltschmerzliche Pose fand allerdings jedoch im allgemeinen weniger Andrang als die heroische Geste, der Drang des Byronischen Helden nach Aktion, sei es nach von Leidenschaften getriebenen Taten (bzw. Untaten), sei es nach Heldentaten im Dienste einer politischen Befreiungsaktion Auf jeden Fall hat Byron mit seinen Protagonisten einen Heldentyp vorgebildet, der durch seine Antibürgerlichkeit, durch seinen Totalanspruch auf absolute Liebe und Freiheit, die in den neoklassizistischen Literaturen bisher ungewohnte Mischung von bösen und edlen Zügen, durch seine Schicksalhaftigkeit (homme fatal) revolutionär wirkte. Im wesentlichen stellt er eine allen anderen Menschen überragende Führernatur dar, eine Variation auf Napoleon und eine Antizipation des „Übermenschen“. Wenn Macauly den Byronisten vorwerfen konnte: „Aus der Poesie von Byron schöpften sie ein ethisches System aus Menschenfeindlichkeit und Wollust; ein System, in dem die beiden großen Gebote lauteten: den Nächsten zu hassen und die Frau des Nächsten zu lieben“, dann hat er zwar nicht Byrons Werk charakterisiert, aber angesichts seiner zahllosen mittelmäßigen Nachahmer den Nagel auf den Kopf getroffen. Überhaupt könnte man Goethes Urteil über die französische Romantik als 50jährige Verspätung des Sturm und Drang auch auf Byron und seine „Schule“ übertragen, denn Prometheus, Symbol der Geniezeit. ist ebenso repräsentativ für die neue „satanische Schule“, die sich das Gesetz der Selbstbestimmung und der Willkür in allen Bereichen von Leben und Dichtung zu eigen gemacht hatte. Poetisch gewandt setzte sich mit Byron und dem Byronismus, und zwar im Widerstand gegen den Klassizismus, überall Genietreiben und genialer Stil durch, und zwar getragen von der Erkenntnis, daß Kunst Selbstbekenntnis sein und der Künstler wie Prometheus sein eigenes Maß setzen müsse.

Insofern sind Byronismus und europäische Romantik zumindest in Frankreich, Italien, Spanien und im slawischen Raum teilweise identisch. Byronismus, kurzum, ist Weltliteratur im Dienste künstlerischer und politischer Emanzipation, wobei das Erbe aus dem 18. Jahrhundert nicht übersehen werden darf. Rousseau, Chateaubriand, Alfieri und Goethe, alle haben sie zu dieser endgültigen Entfesselung von Gefühl und zur Befreiung von den Konventionen die Voraussetzungen geschaffen …

Obwohl sich Byron selber nicht als Romantiker verstand, wirkte er durch Person, Stil und Helden romantisierend auf das klassizistische Europa. Er lieferte nach Waterloo eine reizvolle Synthese von erotischen und politischen Abenteuern in exotischer Kulisse, von Freiheitsdrang und Natursehnsucht, Selbstbekenntnis und Mysterium, die berauschend wirkte und Erfolg hatte, weil sie an der Zeit war. Bei diesem Versuch, den europäischen Byronismus als Gesamtphänomen in den Griff zu bekommen, darf freilich nicht übersehen werden, daß es unterschiedliche nationale Tendenzen gegeben hat, die es uns als ratsam erscheinen lassen, das anvisierte „System“ nicht fest zu schließen. Denn – das hat das kürzlich von P.G. Trueblood editierte Symposium Byrons politischer und kultureller Einfluss im Europa des 19. Jahrhundert bewiesen - der Byronismus wirkte sich im parlamentarischen England mehr auf den sozialkritischen Reformgeist in Literatur und Politik aus, während er auf dem Kontinent zur direkten politischen Befreiungsaktion aufrief, freilich mit Ausnahme der von Metternich beherrschen Gebiete, wo Sozialkritik und politischer Aktivismus nach den verlorenen Freiheitsbewegungen (1815, 1830, 1848), wie sie von Byron, seinem Werk und Mythos ausstrahlten, kein Ventil fanden (siehe aber den Philhellenismus) …

Abschließend mögen einige Hinweise auf den Byronismus in der Musik, Malerei und Mode folgen. Den romantischen Malern, die nach packenden, dramatischen Motiven suchten, kamen Byrons Werke wie gerufen. Seine großartig entworfenen Szenen, die den Helden in verlockender Landschaft zeigen, boten ideales Material zur Illustration und regten zu selbstständigen Gemälden an …

Überwältigend ist Byrons Wirkung auf die Musik des 19 Jahrhunderts. H.W. Kimmerl-Armac hat in seiner lexikalischen Aufstellung 94 Opern statistisch erfaßt, außerdem 2 Oratorien, 4 Ballette, 6 Kantaten, 10 Konzerte, 82 Liedvertonungen, 3 Melodramen, 6 Ouvertüren, 13 symphonische Gedichte, 30 Bühnenmusiken.“

 

Im Urteil seiner Zeitgenossen und späterer Bewunderer

 

Walter Scott

 

„Während der allgemeinen Ruhe an unserem politischen Horizont hat uns aus der Fremde einer jener Todesstöhne erschüttert, die zuweilen erschallen, als kämen sie aus der Posaune eines Erzengels, um die Seelen einer ganzen Nation auf einmal aufzuregen. Lord Byron, lange ein glänzender Meteor, nach dem aller Augen blickten, ist dem Los der Menschheit unterlegen. Er starb am 19. April in Missolunghi. Der mächtige Geist, welcher unter den Menschen einherschritt, wie ein Wesen, erhaben über die gewöhnliche Sterblichkeit, dessen Kraft man bewunderte, ja mit Schauer anstaunte, zweifelhaft, ob sie sich zum Guten oder Bösen neigte, liegt nun so ruhig da wie der arme Landsmann, dessen Denkkraft nicht über den Kreis seines Tagewerks hinausgeht. Die Stimme billiger Zurechtweisung und boshaften Tadels ist nun auf immer zum Schweigen gebracht. Es scheint fast, als wäre plötzlich das große Licht vom Himmel gerade in dem Moment verschwunden, als eben alle Teleskope darauf gerichtet waren, die Flecken zu untersuchen, welche seinen Glanz verdunkelten.

Die Frage ist jetzt nicht, was Byrons Fehler und Irrtümer waren, sondern wie die Leere, die er in der englischen Literatur zurückgelassen, ausgefüllt werden kann. Nicht in diesem Menschenalter, wie wir fürchten, welches zwar mehrere hochbegabte Männer hervorgebracht hat, aber keinen einzigen, der dem Lord Byron in Originalität gleichkäme, dem ersten Erfordernis des Genies. Nur 37 Jahre alt, und schon so viel getan für die Unsterblichkeit, und noch so viel Zeit übrig, wie es uns kurzsichtigen Menschen dünkt, seinen Ruhm zu erhalten und zu erweitern und manchen Fehler des Wandels, manchen Leichtsinn in seinen Schriften zu verbessern. Wen muß es nicht schmerzen, daß eine solche Laufbahn abgekürzt worden ist, obgleich sie nicht immer den geradesten Weg einschlug; daß ein solches Licht erlosch, obgleich seine Flamme zuweilen blendete und sogar irreführte? Noch ein Wort über das unangenehme Thema, ehe wir auf immer den Schleier davor ziehen.

Lord Byrons Fehler entsprangen aus keinem verdorbenen Herzen; die Natur stand in keinem solchen Widerspruch mit sich selbst, um einen schlechten moralischen Sinn mit solchen außerordentlichen Talenten zu vereinigen. Ebensowenig entstanden sie aus Unfähigkeit, die Tugend zu begreifen und zu bewundern. Kein Mensch besaß je ein mitfühlenderes Herz, eine offnere Hand, Elend zu erleichtern; kein Gemüt zollte edlen Handlungen einen enthusiastischeren Beifall, wenn die Überzeugung da war, daß sie aus uneigennützigen Grundsätzen hervorgingen. Auch war er von der Schmach und Herabwürdigung frei, welche so oft auf Schriftstellern lastet, wir meinen ihre Eifersucht und ihren Neid. Aber sein bewunderungswürdiges Genie schüttelte auch jede Fessel ab, selbst da, wo Zwang heilsam gewesen wäre. Auf der Schule gerieten ihm die Arbeiten am besten, die er freiwillig unternommen hatte. Seine Lage, als junger Mann von Stande, mit aufbrausenden Leidenschaften und ihm unbeschränkten Genuß eines beträchtlichen Vermögens, vermehrte die angeborne Heftigkeit, die er jedem Widerspruch, jeder Zurechtweisung entgegensetzte. Als Schriftsteller verwarf er den Ausspruch der Kritik, und als Mensch glaubte er nicht moralisch verantwortlich zu sein vor dem Richterstuhle der öffentlichen Meinung. Die Vorstellungen eines Freundes, von dessen wohlmeinenden Absichten er überzeugt war, hatten oft großes Gewicht bei ihm; aber nur wenige durften etwas so Schwieriges wagen.

Vorstellungen hörte er mit Ungeduld an, Vorwürfe bestärkten ihn nur in seinen Fehlern, so daß er oft dem mutigen Kriegsrosse glich, welches sich vorwärts in den Stahl hineinstürzt, der es bereits verwundet hat. Während der peinlichsten Krisis seines Privatlebens äußerte sich diese Reizbarkeit und Heftigkeit gegen Tadel ungefähr so, wie bei dem edlen Opfertier im Stiergefecht, welches die Raketen, Pfeile und Neckereien der Zuschauer wilder machen als die Lanze seines eigentlichen Gegners. Kurz, sein größter Fehler war die trotzige Verachtung, die er seinen Tadlern entgegensetzte, und wodurch er, wie Drydens Despot, seine Eigenmacht dartun wollte. Daß dies eine falsche Ansicht war, braucht nicht erst erörtert zu werden; denn wenn auch der edle Sänger einen Triumph darin fand, die Welt zu zwingen, Gedichte zu lesen, deren Stoff oft schlecht genug war, bloß weil er sie geschrieben hatte, sogar er sich doch auch der Schadenfreude der Boshaften preiste und betrübte diejenigen, deren Beifall ihm in kältern Momenten teuer und schätzbar war.

Ebenso verhielt es sich auch mit seinem politischen Meinungen: er nahm bei verschiedenen Gelegenheiten einen verächtlichen und drohenden Ton gegen die Verfassung seines Vaterlandes an, ungeachtet er im Grunde die Vorrechte eines Briten und die Auszeichnung, welche ihm seine Rang verschaffte, vollkommen zu würdigen wußte. Auch entging ihm nicht die geringste Nuance, welche in den Manieren eines Gentleman nicht fehlen darf. Und ungeachtet mancher Epigramme und Witzeleien, die er füglich hätte unterlassen mögen, würde er gewiß bei einem Streite zwischen den Parteien des Staates derjenigen beigestanden haben, zu welcher er eigentlich gehörte. Seine wahren Gesinnungen über diesen Punkt hat er im letzten Gesange seines Don Juan völlig dargetan, und sie stimmen mit der in seinem Briefwechsel geäußerten Meinung überein, als die Ereignisse in seinem Vaterlande einen ernsten Widerstand vermuten ließen.

Wir wollen jedoch nicht Byrons Apologie machen, er braucht jetzt leider keine mehr. Seine Vortrefflichkeit wird nun wohl allgemein anerkannt, und seine Fehler, wie wir hoffen und glauben, werden nicht auf seinem Leichenstein erwähnt werden. Man muß nicht vergessen, welche Stelle er seit der Erscheinung des Childe Harold, durch einen Zeitraum von etwa 16 Jahren, in der englischen Literatur eingenommen hat. Er pflegte nicht der Ruhe unter dem Schatten seiner Lorbeeren; ihm genügte nicht der Rückblick auf bereits erworbenen Ruhm. Er dachte nicht an jene Vorsicht, welche kleinliche Schriftsteller Sorgfalt für die Erhaltung ihres Rufes nennen. Byron überließ diese Sorgfalt seinem Rufe selbst. Sein Fuß stand immer kampffertig da; sein Schild hing stets in den Schranken; und obgleich seine bekannten Riesenkraft selbst den Kampf erschwerte, da er nichts Großes mehr schaffen konnte, welches die öffentliche Schätzung seines Genies noch zu erhöhen vermocht hätte, so schritt er doch immer und immer vorwärts zu neuen ruhmvollen Unternehmungen und beendigte sie fast immer siegreich und mit Auszeichnung …

Mit einem tiefen Gefühl erschütternder Trauer scheiden wir von ihm. Der Tod beschleicht uns bei den ernsthaftesten wie bei den geringfügigsten Beschäftigungen, und es ist ein feierlicher, tröstender Gedanke, daß er unsern Byron in keinem leichtsinnigen Moment überraschte, sondern als er eben sein Vermögen und sein Leben für ein Volk wagte, das ihm nicht allein durch seinen ehemaligen Ruhm teuer war, sondern auch als Mitgeschöpfe, die unter dem Joche eines heidnischen Tyrannen schmachteten.

In alten Zeiten wäre der Tod auf einem Kreuzzuge für Freiheit und Menschlichkeit als ein Sühnopfer für die schwärzesten Verbrechen angesehen worden, und so mag er jetzt als Buße selbst für größere Torheiten, als Übertreibung und Schmähsucht unserem Byron beigemessen haben, gelten.“

 

Johann Wolfgang Goethe

 

Stark von Faust, gewandt im Rat,

Liebt er die Hellenen;

Edles Wort und schöne Tat

Füllt’ sein Aug’ mit Tränen.

 

Liebt den Säbel, liebt das Schwert,

Freut sich der Gewehre;

Säh’ er, wie sein Herz begehrt,

Sich vor mut’gem Heere!

 

Laßt ihn der Historia,

Bändigt euer Sehnen;

Ewig bleibt ihm Gloria,

Bleiben uns die Tränen.

 

„„Mai 1816“ begann Goethes intensive Beschäftigung mit Byrons Persönlichkeit, welcher ein anfänglicher Antagonismus vorausging. Byrons Gedichte zogen Goethe „nach und nach mehr“ an, „da er mich früher durch hypochondrische Leidenschaft und heftigen Selbsthaß abgestoßen, und wenn ich mich seiner großen Persönlichkeit zu nähern wünschte, von seiner Muße mich völlig zu entfernen drohte. Ich lese den Corsaren und Lara, nicht ohne Bewunderung und Anteil“. Über Byrons Tod hinaus konnte sich Goethe nie ganz mit der „Exzentrizität“, dem „seltsamen Wesen“ des Engländers, „seiner Zügellosigkeit“, der „ewigen Selbstquälerei“ und der „polemischen Richtung“ abfinden, obgleich er ihn immer besser verstehen lernte und mit seinem Schicksal sympathisierte: „Auch wäre die diesseitige frohe Teilnahme hieran höchst vollkommen gewesen, hätte nicht der geniale Dichter durch eine leidenschaftliche Lebensweise und inneres Mißbehagen ein so geistreiches als grenzenloses Hervorbringen sich selbst, und seinen eigenen Freunden den reizenden Genuß an seinem hohen Dasein einigermaßen verkümmert“. Aus dem weiteren Verlauf geht nicht nur die Hochachtung Goethes gegenüber diesem „größten“, „inkommensurablen“ Talent des Jahrhunderts hervor, sondern auch sein Erstaunen vor dessen unberechenbarer „Bahn“, die Byron unbewußt steuerte. Denn er „wußte und bedachte nicht, was er tat. Sich selber alles erlaubend und an anderen nichts billigend, mußte er es mit sich selbst verderben und die Welt gegen sich aufregen“.

Zwei Momente sind in Goethes Byron-Bild von besonderer Bedeutung, einmal die Erkenntnis seines „dämonischen“ Wesens, das nach eigenen, Verstand und Vernunft enthobenen Gesetzen seine Mission erfüllt und darum Napoleon vergleichbar sei. Im Grunde wurde Byron in Griechenland für Goethe zum welthistorischen, andere Menschen führenden Individuum, dessen Leidenschaften die List der Vernunft für ihre Zwecke ausgenutzt hatte: „Jeder außerordentliche Mensch hat eine gewisse Sendung, die er zu vollführen berufen ist. Hat er sie vollbracht, so ist er auf Erden in dieser Gestalt nicht weiter vonnöten, und die Vorsehung verwendet ihn wieder zu etwas anderem. Da aber hienieden alles auf natürlichem Wege geschieht, so stellen ihm die Dämonen ein Bein nach dem andern, bis er zuletzt unterliegt“. Goethe hatte es erkannt; Byrons Aufbruch nach Griechenland war kein bewußter Entschluß und Einsatz oder Opferbereitschaft gewesen.

Zur Erkenntnis des Dämonischen kommt bei Goethe die einer kritisch von ihm beurteilten „ewigen Opposition und Mißbilligung“ hinzu, die er zum Teil durch das Milieu erklärte: „Und wie sollte ferner dem, der selbst aus so hohem Stande war, irgendein Stand imponieren und Rücksicht einflößen?“ und wies dabei auf die Entführungen, Duelle und das „ewige Pistolenschießen“ der vornehmen Engländer hin. Opposition zeigte sich vorwiegend in Byrons politisch-satirischen Dichtungen, die Goethe auch „verhaltene Parlamentsreden“ nannte; zugleich dachte er auch an Byrons „Zügellosigkeit“, die er mit der englischen Oberschicht geteilt habe.

Trotz dieser kritischen Sicht konnte Goethe nichts den Glauben an die Größe von Byrons Persönlichkeit und Genie nehmen, die man seines Erachtens eben nicht vom sittlichen Standpunkt aus beurteilen durfte. - Damit hatte Goethe Byron zumindest auf zweifache Weise in Schutz genommen, weil er ihn bewunderte und wie einen Sohn liebte, der ihn noch einmal, ihn selber verjüngend, an seine stürmische Jugend erinnerte. Daher erklärt sich denn auch die durchweg unkritische, voreingenommene Einstellung Goethes, der neben Byron niemand anders als Repräsentanten der modernen Weltliteratur gelten ließ („Byron ist nicht antik und ist nicht romantisch, sondern er ist wie der gegenwärtige Tag selbst“).“

 

„Als die Todesnachricht dann eintraf, war Goethes „schönste Lebenshoffnung“ auf eine persönliche Begegnung mit dem „glücklich erworbenen“ Freund zunichte gegangen. Aus der Trauer und auf die Lektüre von Parrys Buch Lord Byron‘s Last Days entstand zunächst das Gedicht „Stark von Faust, gewandt im Rath Liebt er die Hellenen“, worin Byron für Griechenland zum Säbel greift und in das Reich der Geschichte und ewiger „Gloria“ einzieht. Aber erst mit der Euphorion-Gestalt verklärt sich Goethes Byron-Andenken ins Mystische. Euphorion ist Sohn Fausts und Helenas, hat von seinem Vater den Drang geerbt, immer höher hinauf zu steigen, von der griechischen Mutter die Schönheit und Poesie. Allerdings verkörpert er die moderne Poesie, die alle Fesseln des Überkommenen sprengt. Euphorion durchläuft verschiedene Lebensbereiche und -stufen (Geburt, Kindheit, Liebe und Krieg), bevor er wie Ikarus in seinen Tod stürzt … läßt keinen Zweifel daran, daß Goethe sich für die allegorische Gestalt Euphorions Byron als „einzelnen Repräsentanten“ gedacht hatte. Noch einmal kommt hier etwas von dem Zwiespalt Goethes zum Ausdruck, in dem er sich angesichts von Byrons Person und Werk befand, einerseits der kritischen Beurteilung seiner Jugend („Leider früh dir selbst verloren, Jugendblüte weggerafft!“) sowie dem Bruch mit den englischen Konventionen („So entzweitest du gewaltsam Dich mit Sitte, mit Gesetz“) und andererseits der höchsten Bewunderung für seinen „eigensten Gesang“ zugleich mit der Anerkennung für seinen mutigen Einsatz in Griechenland. Trotz der Katastrophe („wolltest Herrliches gewinnen, Aber es gelang dir nicht“), in der Goethe noch nicht das politische Signal für die Freiheitsbewegungen der Zeit erkannte, drückte er abschließend seinen Glauben an die Erneuerung des Lebens aus, eine Wiedergeburt, die von „neuen Liedern“ begleitet sein würde.

Während Goethe von Homer bis Byron, von Troja bis Missolunghi eine Epoche der Weltgeschichte rechnete, Byron exemplarisch in den Mittelpunkt seiner Bemühungen um „Weltliteratur“ stellte und ihm mit Euphorion ein beispielloses Denkmal schuf, fühlte sich Byron ebenfalls zu Goethe hingezogen und von seinem Weg auch in vermittelter Form inspiriert …“

 

Phorkyas

Höret allerliebste Klänge,

Macht euch schnell von Fabeln frei!

Eurer Götter alt Gemenge,

Laßt es hin, es ist vorbei.

Niemand will euch mehr verstehen,

Fordern wir doch höhern Zoll:

Denn es muß von Herzen gehen,

Was auf Herzen wirken soll.

 

Chor

Bist du, fürchterliches Wesen,

Diesem Schmeichelton geneigt,

Fühlen wir, als frisch genesen,

Uns zur Tränenlust erweicht.

Laß der Sonne Glanz verschwinden,

Wenn es in der Seele tagt,

Wir im eignen Herzen finden,

Was die ganze Welt versagt.

 

Euphorion

Hört ihr Kindeslieder singen,

Gleich ist's euer eigner Scherz;

Seht ihr mich im Takte springen,

Hüpft euch elterlich das Herz.

 

Helena

Liebe, menschlich zu beglücken,

Nähert sie ein edles Zwei,

Doch zu göttlichem Entzücken

Bildet sie ein köstlich Drei.

 

Faust

Alles ist sodann gefunden:

Ich bin dein, und du bist mein;

Und so stehen wir verbunden,

Dürft' es doch nicht anders sein!

 

Chor

Wohlgefallen vieler Jahre

In des Knaben mildem Schein

Sammelt sich auf diesem Paare.

O, wie rührt mich der Verein!

 

Euphorion

Nun laßt mich hüpfen,

Nun laßt mich springen!

Zu allen Lüften

Hinaufzudringen,

Ist mir Begierde,

Sie faßt mich schon.

 

Faust

Nur mäßig! mäßig!

Nicht ins Verwegne,

Daß Sturz und Unfall

Dir nicht begegne,

Zugrund uns richte

Der teure Sohn!

 

Euphorion

Ich will nicht länger

Am Boden stocken;

Laßt meine Hände,

Laßt meine Locken,

Laßt meine Kleider!

Sie sind ja mein.

 

Helena

O denk! o denke,

Wem du gehörest!

Wie es uns kränke,

Wie du zerstörest

Das schön errungene

Mein, Dein und Sein.

 

Chor

Bald löst, ich fürchte,

Sich der Verein!

 

Helena und Faust

Bändige! bändige

Eltern zuliebe

überlebendige,

Heftige Triebe!

Ländlich im stillen

Ziere den Plan.

 

Euphorion

Nur euch zu Willen

Halt' ich mich an.

Leichter umschweb' ich hie

Muntres Geschlecht.

Ist nun die Melodie,

Ist die Bewegung recht?

 

Helena

Ja, das ist wohlgetan;

Führe die Schönen an

Künstlichem Reihn.

 

Faust

Wäre das doch vorbei!

Mich kann die Gaukelei

Gar nicht erfreun.

 

Chor

Wenn du der Arme Paar

Lieblich bewegest,

Im Glanz dein lockig Haar

Schüttelnd erregest,

Wenn dir der Fuß so leicht

über die Erde schleicht,

Dort und da wieder hin

Glieder um Glied sich ziehn,

Hast du dein Ziel erreicht,

Liebliches Kind;

All' unsre Herzen sind

All' dir geneigt.

 

Euphorion

Ihr seid so viele

Leichtfüßige Rehe;

Zu neuem Spiele

Frisch aus der Nähe!

Ich bin der Jäger,

ihr seid das Wild.

 

Chor

Willst du uns fangen,

Sei nicht behende,

Denn wir verlangen

Doch nur am Ende,

Dich zu umarmen,

Du schönes Bild!

 

Euphorion

Nur durch die Haine!

Zu Stock und Steine!

Das leicht Errungene,

Das widert mir,

Nur das Erzwungene

Ergetzt mich schier.

 

Helena und Faust

Welch ein Mutwill'! welch ein Rasen!

Keine Mäßigung ist zu hoffen.

Klingt es doch wie Hörnerblasen

über Tal und Wälder dröhnend;

Welch ein Unfug! welch Geschrei!

 

Chor

Uns ist er vorbeigelaufen;

Mit Verachtung uns verhöhnend,

schleppt er von dem ganzen Haufen

Nun die Wildeste herbei.

 

Euphorion

Schlepp' ich her die derbe Kleine

Zu erzwungenem Genusse;

Mir zur Wonne, mir zur Lust

Drück' ich widerspenstige Brust,

Küss' ich widerwärtigen Mund,

Tue Kraft und Willen kund.

 

Mädchen

Laß mich los! In dieser Hülle

Ist auch Geistes Mut und Kraft;

Deinem gleich ist unser Wille

Nicht so leicht hinweggerafft.

Glaubst du wohl mich im Gedränge?

Deinem Arm vertraust du viel!

Halte fest, und ich versenge

Dich, den Toren, mir zum Spiel.

Folge mir in leichte Lüfte,

Folge mir in starre Grüfte,

Hasche das verschwundne Ziel!

 

Euphorion

Felsengedränge hier

Zwischen dem Waldgebüsch,

Was soll die Enge mir,

Bin ich doch jung und frisch.

Winde, sie sausen ja,

Wellen, sie brausen da;

Hör' ich doch beides fern,

Nah wär' ich gern.

 

Helena, Faust und Chor

Wolltest du den Gemsen gleichen?

Vor dem Falle muß uns graun.

 

Euphorion

Immer höher muß ich steigen,

Immer weiter muß ich schaun.

Weiß ich nun, wo ich bin!

Mitten der Insel drin,

Mitten in Pelops' Land,

Erde- wie seeverwandt.

 

Chor

Magst nicht in Berg und Wald

Friedlich verweilen?

Suchen wir alsobald

Reben in Zeilen,

Reben am Hügelrand,

Feigen und Apfelgold.

Ach in dem holden Land

Bleibe du hold!

 

Euphorion

Träumt ihr den Friedenstag?

Träume, wer träumen mag.

Krieg! ist das Losungswort.

Sieg! und so klingt es fort.

 

Chor

Wer im Frieden

Wünschet sich Krieg zurück,

Der ist geschieden

Vom Hoffnungsglück.

 

Euphorion

Welche dies Land gebar

Aus Gefahr in Gefahr,

Frei, unbegrenzten Muts,

Verschwendrisch eignen Bluts,

Den nicht zu dämpfenden

Heiligen Sinn –

Alle den Kämpfenden

Bring' es Gewinn!

 

Chor

Seht hinauf, wie hoch gestiegen!

Und er scheint uns doch nicht klein:

Wie im Harnisch, wie zum Siegen,

Wie von Erz und Stahl der Schein.

 

Euphorion

Keine Wälle, keine Mauern,

Jeder nur sich selbst bewußt;

Feste Burg, um auszudauern,

Ist des Mannes ehrne Brust.

Wollt ihr unerobert wohnen,

Leicht bewaffnet rasch ins Feld;

Frauen werden Amazonen

Und ein jedes Kind ein Held.

 

Chor

Heilige Poesie,

Himmelan steige sie!

Glänze, der schönste Stern,

Fern und so weiter fern!

Und sie erreicht uns doch

Immer, man hört sie noch,

Vernimmt sie gern.

 

Euphorion

Nein, nicht ein Kind bin ich erschienen,

In Waffen kommt der Jüngling an;

Gesellt zu Starken, Freien, Kühnen,

Hat er im Geiste schon getan.

Nun fort!

Nun dort

Eröffnet sich zum Ruhm die Bahn.

 

Helena und Faust

Kaum ins Leben eingerufen,

Heitrem Tag gegeben kaum,

Sehnest du von Schwindelstufen

Dich zu schmerzenvollem Raum.

Sind denn wir

Gar nichts dir?

Ist der holde Bund ein Traum?

 

Euphorion

Und hört ihr donnern auf dem Meere?

Dort widerdonnern Tal um Tal,

In Staub und Wellen, Heer dem Heere,

In Drang um Drang, zu Schmerz und Qual.

Und der Tod

Ist Gebot,

Das versteht sich nun einmal.

 

Helena, Faust und Chor

Welch Entsetzen! welches Grauen!

Ist der Tod denn dir Gebot?

 

Euphorion

Sollt' ich aus der Ferne schauen?

Nein! ich teile Sorg' und Not.

 

Die Vorigen

Übermut und Gefahr,

Tödliches Los!

 

Euphorion

Doch! – und ein Flügelpaar

Faltet sich los!

Dorthin! Ich muß! ich muß!

Gönnt mir den Flug!

 

Chor

Ikarus! Ikarus!

Jammer genug.

 

Helena und Faust

Der Freude folgt sogleich

Grimmige Pein.

 

Euphorions Stimme

Laß mich im düstern Reich,

Mutter, mich nicht allein!

 

Chor

Nicht allein! – wo du auch weilest,

Denn wir glauben dich zu kennen;

Ach! wenn du dem Tag enteilest,

Wird kein Herz von dir sich trennen.

Wüßten wir doch kaum zu klagen,

Neidend singen wir dein Los:

Dir in klar- und trüben Tagen

Lied und Mut war schön und groß.

Ach! zum Erdenglück geboren,

Hoher Ahnen, großer Kraft,

Leider früh dir selbst verloren,

Jugendblüte weggerafft!

Scharfer Blick, die Welt zu schauen,

Mitsinn jedem Herzensdrang,

Liebesglut der besten Frauen

Und ein eigenster Gesang.

Doch du ranntest unaufhaltsam

Frei ins willenlose Netz,

So entzweitest du gewaltsam

dich mit Sitte, mit Gesetz;

Doch zuletzt das höchste Sinnen

Gab dem reinen Mut Gewicht,

Wolltest Herrliches gewinnen,

Aber es gelang dir nicht.

Wem gelingt es? – Trübe Frage,

Der das Schicksal sich vermummt,

Wenn am unglückseligsten Tage

Blutend alles Volk verstummt.

Doch erfrischet neue Lieder,

Steht nicht länger tief gebeugt:

Denn der Boden zeugt sie wieder,

Wie von je er sie gezeugt.

 

Heinrich Heine

 

„Der Todesfall Byrons hat mich übrigens sehr bewegt Es war der einzige Mensch, mit dem ich mich verwandt fühlte … Ich bin aber mit Byron immer behaglich umgegangen, wie mit einem völlig gleichen Spießkameraden“: „er hat im Schmerze neue Welten entdeckt, er hat den miserablen Menschen und ihren noch miserableren Göttern prometheisch getrotzt.“

 

Victor Hugo

 

„Durch die Schwermüdigkeit seines Genies, durch den Stolz seines Charakters, durch die Stürme seines Lebens ist Lord Byron das Vorbild der Art von Dichtkunst, in welcher er Meister war. Alle seine Werke sind tief gezeichnet mit dem Siegel seiner Eigentümlichkeit, es ist immer eine düstere und hochmütige Gestalt, die der Leser in jedem Gedichte gleichsam mitten durch einen Trauerflor gehen sieht. Unterliegend zuweilen, wie alle tiefen Denker, einem leeren Luftgebilde und dem Dunkel hat er Worte, welche eine Seele in den Grund hinein ergreifen, Seufzer, welche eine Existenz völlig beurkunden. Es scheint, daß sein Herz jedem Gedanken sich öffne, der daraus hervorspringt, wie ein feuerspeiender Berg, welcher Blitze schleudert. Die Schmerzen, die Freuden, die Leidenschaften haben für ihn keine Geheimnisse, und wenn er die wirklichen Gegenstände nur mitten durch einen Schleier sehen läßt, so zeigt er die überwirklichen, idealen Regionen nackt. Man kann ihm den Vorwurf machen, daß er die Anordnung seiner Gedichte völlig vernachlässigte; ein bedeutender Fehler, denn ein Gedicht, dem die Anordnung mangelt, ist ein Gebäude ohne Zimmerwerk, oder ein Gemälde ohne Fernschein.

Ebenso treibt er die lyrische Geringschätzung der Übergänge zu weit; und man mag wohl zuweilen wünschen, dieser so treue Maler der inneren Aufregungen möchte die physischen Beschreibungen weniger phantastisch beleuchten und wenige dunstige Farben auf dieselben auftragen. Sein Genie ist zu oft einem ohne Zweck Spazierengehenden ähnlich, der während dem Gehen träumt und in einer tiefen inneren Anschauung versunken nur ein undeutliches Bild der Örter, die er durchlaufen hat, zurückbringt. Wie dem auch sei, selbst in seinen weniger schönen Werken erhebt sich diese eigensinnige Einbildungskraft auf Höhen, zu denen man nicht ohne Flügel gelangt. Der Adler heftet vergeblich seine Augen auf die Erde, er behält gleichwohl den erhabenen Blick, dessen Weite bis an die Sonne reicht. Man hat behauptet, daß der Verfasser des Don Juan von einer Seite seines Geistes der Schule des Verfassers des Candide angehörte. Weit gefehlt! Es ist zwischen dem Lachen Byrons und dem Lachen Voltaires ein bedeutender Unterschied. Voltaire hatte keine Leiden zu erdulden. Hier wäre es Zeit, etwas von dem so gequälten Leben des edlen Dichters zu sagen; aber in der Ungewißheit, in der wir uns über die wahren Ursachen der häuslichen Unglücksfälle, die seinen Charakter verstimmt haben, befinden, wollen wir lieber davon schweigen, damit unsere Feder nicht gegen unseren Willen sich verirre. Da wir den Lord Byron nur aus seinen Gedichten kennen, so ist es uns angenehm, ein Leben nach seiner Seele und in seinem Genie bei ihm vorauszusetzen. Wie alle hervorragenden Männer, ist er zuverlässig der Verleumdung zur Beute geworden. Nur auf ihre Rechnung schreiben wir die ehrenrührigen Gerüchte, die so lange den berühmten Namen des Dichters begleitet haben …

Und wir, laßt uns ihm auch seine Fehler, seine Irrtümer, und selbst seine Werke ihm verzeihen, wo er von der doppelten Höhe seines Charakters und seines Talents herabzusteigen geschienen hat; laßt uns ihm verzeihen, er ist so edel gestorben! er ist so rühmlich gefallen! Er hatte da das Ansehen eines kriegerischen Vertreters der neumodischen Muse in dem Vaterlande der altertümlichen Musen. Edelmütig diente er in dem Hilfsheere des Ruhms, der Religion und der Freiheit; seinen Degen und seine Leier hat er den Nachkommen der ersten Krieger und der ersten Dichter gebracht, und schon hat die Schwere seiner Lorbeerblume es bewirkt, daß die Waage zugunsten der unglücklichen Hellenen sich neigte. Wir sind ihm, und wir besonders, sind ihm eine tiefgefühlte Dankbarkeit schuldig; er hat Europa bewiesen, daß die Dichter der neuen Schule, wenn sie schon die Götter des heidnischen Griechenlands nicht mehr anbeten, doch immer seine Helden bewundern, und daß, wenn sie den Olymp verlassen, sie wenigstens den Thermopylen niemals entsagt haben.

Der Tod Byrons ist auf dem ganzen Festlande mit Zeichen eines allgemeinen Schmerzes aufgenommen worden. Das Geschütze der Griechen hat seine Überreste lange Zeit begrüßt, und eine Nationaltrauer hat den Verlust dieses Fremden wie eine öffentliche Kalamität gefeiert. Die stolzen Pforten des Westminsters haben sich von selbst geöffnet, damit der Grabstein des Dichters die Grabstätte der Könige ehren möge.“

 

August von Platen

 

„Byrons Don Juan

Für dein reizendes episches Lied hast wohl du verdient dir’s,

Glorreich über dem Staub griechischer Sänger zu ruhn.

 

Byron und die Moralisten

Seid ihr sittlicher? Kaum! Doch wärt ihr’s, wäre gewiß doch

Dieses: Er war zehnmal größer an Herz und Gemüt.“

 

Stendhal

 

„Hatte sich Lord Byron einen Mord vorzuwerfen, wie ihn Othello beging? Diese Frage kann heute nur noch den bloßstellen, der sie vorbringt. Wie sollte sie dem großen Manne schaden, der seit 6 Jahren in seinem Grabe ruht, aber auch aus ihm heraus noch alle Heuchler schreckt, die über das glorreiche England herrschen?

Einen Augenblick lang fürchtete ich, diesen Zweifel vorbringen zu müssen. Gibt es etwas Schlimmeres, als wenn man die üble Nachrede zu bestätigen scheint, die Lord Byron das Haupt einer satanischen Schule nennt oder ihn, raffinierter noch, angreift und vorgibt, seine schweren Verirrungen zutiefst zu bedauern?

Dieser so maßlos tiefe Haß ist politischer Natur. Wer immer über die Reise de Custines nachlesen oder nach England fahren mag, wird schnell die Überzeugung gewinnen, daß dieses Land einzig zum Nutzen von 1000 oder 1200 Familien regiert wird. Die jüngeren Brüder des Lords und die Erzieher, die ihnen zu ihrer Bildung verhalfen, finden Wohlstand und reiche Pfründe im Bereich der Kirche. Als Gegenleistung sind sie verpflichtet, ein Volk von Arbeitern zu verdummen, und lehren es, die Aristokraten zu achten, ja beinahe zu lieben, die den gesamten Zehnten unter sich aufteilen sowie ein gutes Drittel der Steuern, die das Volk erdrücken. Vor einigen Jahren wagte man es, eine eindrucksvolle Liste zu veröffentlichen, in der die Summen in Pfund Sterling angegeben waren, welche jeder Lord mit seiner Familie aus Amtseinnahmen, Pensionen, Kirchengütern, Sinekuren etc. etc. von den Staatseinkünften einbehält. In dieser Liste ist das Einkommen der Mutter Lord Byrons und das seiner Familie mit 1700 Pfund Sterling angegeben. Muß man noch hinzufügen, daß Autor und Verleger sogleich als infame Lügner beschimpft wurden?

Ich will der Liebenswürdigkeit und den privaten Tugenden der englischen Aristokratie Gerechtigkeit widerfahren lassen Es tut mir leid, die politische Stellung von Menschen solch liebenswerten Umgangs angreifen zu müssen; aber diese Aristokratie verabscheut Lord Byron, und mir liegt daran zu zeigen, daß ihre Einstellung weder Anspruch darauf erheben darf, als uneigennützig noch als unparteiisch zu gelten. In der englischen Gesellschaftsordnung ist alles miteinander verwoben: Wenn die Kirche auf der einen Seite das Volk lehrt, die Aristokratie zu verehren, protegieren die Aristokraten dafür kirchliche Angelegenheiten.

Ein reicher Mann wird Ihnen im vertraulichen Gespräch gestehen, daß er von den Wahrheiten der Kirche genauso denkt wie Hume; eine Viertelstunde später, wenn 10 Personen um ihn versammelt sind, wird er mit den schlimmsten Schmähungen alle Menschen als schändlich verdammen, die es wagen, Zweifel an den Wundern oder an der göttlichen Sendung Jesu Christi anzumelden. Die Heuchelei hat so zugenommen, seit das Heer Mode und der Handel lächerlich geworden ist, daß man jeden Tag von der Bekehrung eines weiteren Philosophen erfährt, der in seiner Jugend über den Egoismus, die Eßlust oder die grenzenlose Unterwürfigkeit der englischen Priester zu scherzen wagte.

Aus Angst vor dem, was man in London die öffentliche Meinung nennt, und aus dem Bund der Pairs mit den Priestern entstand eine ungezügelte und grausame Tyrannei. Diese Rücksichten der guten Gesellschaft drangsalierten England mehr, als Metternichs Soldaten Frankreich tyrannisierten. Alles in allem meine ich, herrscht in Italien größere Freiheit. Von den 30 oder 40 kleinen Arbeiten, die gestern Ihren Tag und den meinen bestimmten, wären in Italien 2 oder 3 durch die österreichischen Schergen vereitelt werden; ausnahmslos alle wären in England unmöglich gewesen. Eine unglaubliche und traurige Wahrheit: In diesem einstmals so einzigartigen Land gibt es keine Originale mehr.

Die Meinung der vornehmen englischen Gesellschaft hängt ganz vom Eigeninteresse ab und kann daher nicht durch Vernunft korrigiert werden.

Wie sonderbar ist das Geschick des Menschen! Die Freiheit, dieses ursprünglichste aller menschlichen Bedürfnisse, sollte sie auf Erden nicht zu verwirklichen sein? In den Ländern, wo die Menschen unter der Polizeigewalt kleiner Despoten wie in Turin, Modena oder Kassel stöhnen, lechzt man nach der Freiheit New York, und in New York hat der Mensch weniger Handlungsfreiheit als in Venedig oder Rom. Die unzensierte Presse ermöglicht die politische Freiheit; aber sobald sie, einer erstarrten Gesellschaft zuliebe, alle unsere Unternehmungen am Tage darauf veröffentlicht, nimmt sie den 100 kleinen Verrichtungen, die unser Alltagsleben recht und schlecht erfüllen, jede Freiheit. Das Paris der 30er Jahre - ist es dann nicht wirklich die freieste Stadt der Welt?

Die gute englische Gesellschaft, schon lange aufgebracht über das freimütige Auftreten Lord Byrons, wandte sich völlig gegen ihn, als ihn ein Jahr nach seiner Heirat seine Frau verließ. Er ertrug das nicht, denn wenn er auch wie Cicero philosophierte, war er doch kein Philosoph; glücklicherweise, denn er wäre sonst kein großer Dichter gewesen. Der einzige Gegenstand seiner Aufmerksamkeit war er selbst. Als Folge solcher schlechten Angewohnheiten (sie ist die Pest der Zivilisation) erschienen ihm seine Mißgeschicke übergroß, und es erging ihm wie J.-J. Rousseau, mit dem verglichen zu werden ihn so wütend machte.

Zutiefst unglücklich durch die Flut von Karikaturen, Satiren, Pamphleten und Beschimpfungen jeder Art - womit die gute Gesellschaft das vernichtende Urteil exekutierte, das sie über ihn verhängt hatte - tröstete Byron sich besonders mit einem Gedanken: Er hoffte, nach seinem Tode wenigstens rehabilitiert zu werden, schrieb seine Memoiren und vertraute sie einem Freud an, der sie ins Feuer geworfen hat. Wem zu gefallen? Und zu welchem Preis? …

Die wesentliche Verwandtschaft zwischen Lord Byron und J.-J. Rousseau bestand darin, daß beide ununterbrochen mit sich selbst und der Wirkung beschäftigt waren, die sie auf andere ausübten. Byron ist der undramatischste Dichter, den es je gegeben hat; er konnte sich niemals in einen anderen Menschen versetzen. Deshalb haßte er Shakespeare so sehr, und ich glaube, daß er ihn auch dafür verachtete, daß er sich sowohl in Shylock, einen ruchlosen Juden aus Venedig, wie in Jean Cade, einen abscheulichen Demagogen, zu versetzen vermochte.

Zu Byrons schlimmsten Ängsten gehörte es, dick zu werden. Das war eine fixe Idee von ihm. John William Polidori, ein junger Arzt, der mit ihm reiste, erklärte uns, daß seine Mutter klein und sehr füllig von Statur war. Als die Freunde de Bremes derart den Charakter Lord Byrons analysierten (das war, ich gestehe es, unsere Beschäftigung, nachdem er uns verlassen hatte; ich bewunderte den Scharfsinn der Italiener; sie lassen sich von keiner äußeren Erscheinung täuschen), als sie wie mit dem Mikroskop die Eigenart dieses großen Dichters untersuchten, der wie eine Bombe in unserer Mitte geplatzt war, kamen sie zu dem Ergebnis, daß Lord Byron ein Drittel des Tages Dandy war: er wollte schlank bleiben, seinen rechten Fuß, der etwas einwärts gedreht war, verstecken und den Frauen gefallen. Aber seine Eitelkeit in dieser Hinsicht wirkte so übertrieben und krankhaft, daß er schließlich über den Wegen das Ziel vergaß …

Wenn Abstammungsdünkel und Aussehen ihn nicht beschäftigten, wurde er vollkommen zum großen Dichter und klugen Kopf. Niemals bildete er einen Satz, wie Madame de Staël zum Beispiel, die er gerade in Coppet besucht hatte und die bald zu uns nach Mailand kam. In literarischen Gesprächen war Lord Byron das Gegenteil eines Akademikers: reicher an Gedanken als an Worten und ohne den Ehrgeiz, sich bloß elegant auszudrücken. Vor allem zu mitternächtlicher Stunde, wenn die Opernmusik ihn gerührt hatte, überließ er sich, statt beim Reden an die Wirkung zu denken, die er auf andere ausüben wollte, gleich einem Mann aus Südfrankreich ganz seinen inneren Gefühlsregungen."

 

Fedor Michailowitsch Dostojewski

 

„Der Byronismus war, wenn auch nur vorübergehend, fast nur momentan, doch eine große, heilige und notwendige Erscheinung im Leben der europäischen und vielleicht sogar der ganzen Menschheit. Er erschien in einer Zeit schrecklicher Schwermut der Menschen, im Augenblick einer großen Enttäuschung und fast sogar Verzweiflung. Nach der überschwenglichen Begeisterung für die neuen Ideale des neuen Glaubens, der gegen Ende des vorigen Jahrhunderts in Frankreich, der damals führenden Nation der europäischen Menschheit, verkündet worden war, begannen die Dinge eine Wendung zu nehmen, die so wenig den großen Erwartungen entsprach und die Menschen in ihrem hoffnungsvollen Glauben so tief enttäuschte, daß es vielleicht in der Geschichte Westeuropas noch nie eine so traurige Zeit gegeben hatte. Und nicht nur aus äußeren (politischen) Gründen stürzten die für einen Augenblick errichteten Götzenbilder, sondern auch infolge ihrer inneren Hohlheit, was alle einsichtigen Herzen und die führenden Geister auch klar erkannten. Der neue Ausgang war noch nicht erkennbar, das neue Ventil öffnete sich noch nicht; so rang man mit dem Ersticken, rang unterhalb des entsetzlich tief auf die Menschheit herabgesunkenen früheren Himmels, innerhalb eines geschrumpften Horizonts.

Die alten Götzenbilder lagen in Trümmern. Und da geschah es, daß in eben dieser Zeit ein großer und machtvoller Genius erschien, ein leidenschaftlicher Dichter. In seinen Tönen erklang die damalige kummervolle Sehnsucht der Menschheit und ihre düstere Enttäuschung, ja, ihr Irrewerden an ihrer Bestimmung auf Erden und an ihren Idealen, von denen sie sich betrogen sah. Byrons Muse war eine ganz neue, damals noch nie gehörte Muse der Rache und der Trauer, der Verfluchung und Verzweiflung. Und dieser Geist, der aus Byron sprach, sprach plötzlich aus der ganzen Menschheit: aus allen Ländern kam gleichsam ein Widerhall seiner Stimme. Es war, wie wenn ein Ventil aufgemacht worden wäre, jedenfalls war er unter dem allgemein dumpfen, zum größten Teil sogar unbewußten Stöhnen der gewaltige Schrei, in dem sich alle Schreie und Seufzer der Menschheit übereinstimmend vereinten.

Wie hätte er da nicht auch bei uns ein Echo finden sollen, und noch dazu in einem so großen, genialen und führenden Geist wie Puschkin? Denn dem Byronismus konnten sich bei uns damals kein starker Geist und kein großes Herz verschließen. Und das war durchaus natürlich und geschah nicht etwa nur aus Mitgefühl mit Europa und der europäischen Menschheit nur so „von ferne“, sondern weil sich auch bei uns in Rußland gerade um jene Zeit gar zu viele neue, ungelöste und quälende Fragen angesammelt hatten, und auch noch gar zu viele alte Enttäuschungen zu verwinden waren … Aber die Größe Puschkins, als führendes Genie, besteht ja gerade darin, daß er so schnell und als einziger in einer fast vollkommen verständnislosen Umgebung den festen Weg gefunden, den großen und ersehnten Ausweg für uns Russen gewiesen hat. Dieser Ausweg, diese Rettung war: die Anerkennung der Eigenart des russischen Volksgeistes und die Einsicht, daß wir uns ihm anschließen müssen."

 

Karl Bleibtreu

 

„Nach gewaltsamer Niederzwängung freien Denkens kann man nicht wärmenden Sonnenschein erwarten, wohl aber Entladung vulkanischen Urfeuers. Gerade die erbliche Belastung der Briten mit kirchlicher Gehirnstörung rief in Byron jene Frische der Skepsis hervor, die dem Urmenschen Kain die Zweifel aller Generationen vereinigt mit so naiver Ursprünglichkeit in den Mund legt, daß die himmelstürmendsten Spekulationen über den Ursprung des Bösen und die Ergebnisse der Naturwissenschaft zugleich mit der kindlichen Frage erörtert worden, ob die Schlange wirklich Satan gewesen oder die Menschheit durch Geschwisterehe entstanden sei! Wordsworth hingen 100 Pfund Plumpudding an den Fersen, wenn er zwischen aufgeklärtem Christentum und heimlich angeschmachtetem Heidentum balanciert. Er möchte lüstern den Triton musizieren hören und doch nicht die heilige Zäzilie erzürnen. Shelley aber ruft einfach: Lebe! Das ist ihm schon genug, als ob durch eudämonistisches Lavendelwasser das rote Meer ruhiger und Marah minder bitter würde. Wie viel fester und sicherer steht der Byronismus da! Als der Doge Foscari, der „Stoiker des Staates“, erkennt, daß alles falsch und hohl sei, rafft er sich dennoch am kategorischen Imperativ empor. „Denke und dulde! Schaffe eine innere Welt im eigenen Busen, wenn die äußere versagt!“ wird dem Kain befohlen. „So kommt der geistigen Natur ihr näher und kämpft siegreich die eigene nieder!“ Die Leidenschaft niobidenhaft zu Schmerz erstarrt, die Sansara vom Archimedespunkt der Weltverachtung aus den Angeln gehoben, dem Nirwana das absolut souveräne Ich gegenüber aufgepflanzt.

Werthers sexuelle Hysterie macht krank, weil er sich im Krähwinkel seines unbedeutenden Daseins herumdreht und nur das Individualunglück des Schwächlings bewimmert. Aber schon Childe Harold, selbst in blasiertem Lebensekel der ersten Gesänge, umfaßt die Welt. Die Menschenscheu des einsamen Jünglings und der Menschenabscheu des Mannes nach schwerer abgeschlossener Erfahrung kristallisieren sich nicht als kleines persönliches Schmerzgefühl, dies ist nur die Keimzelle, nicht das Zentrum eines weltabsagenden Weltwehs, das, an die Geschichte anknüpfend, schon in sich selber historisch wird. Herrlich weist Heine einmal die „Ganzen“ zurück, die ihm seine Zerrissenheit zum Vorwurf machen. Ja, Ehrfurcht vor den wahrhaft Ganzen! Aber besser jede wahre Zufriedenheit als eine verlogene Harmonie.

Und wer ist denn ganz? Selbst Goethe trägt einen heimlich verborgenen Riß in allem Dichten und Trachten. Wie der Spartaner den Wolf unterm Mantel nicht zeigt, den Schmerz mit kalter Majestät schweigend in sich verwindet, ist das das Dichters Amt? Ihm gab ein Gott zu sagen, was er leidet, und Goethe machte reichlich davon Gebrauch. Shakespeare, den sich gelehrte Philister als heitere Sonnenseele träumen, erfand den Weltschmerz lange vor Byron. Sein Hamlet, Macbeth, Lear sagen viel Fürchterlicheres, als Byron je getan, ein ganzes Drama widmet er im Timon seiner grimmigen Menschenverachtung und sein Sonett-Tagebuch blutet aus tausend Wunden.

Die allgemeine Vorstellung, als habe Byron den Weltschmerz in die Literatur eingeführt - ohnehin historisch falsch, da Werther und Chateaubriands René voraufgingen und das, was wir Byronismus nennen, einfach in der an der Revolution und an Napoleon gleichmäßig irregewordenen Zeit lag -, könnte sich höchstens darauf berufen, dass Byron ausschließlicher als andere Dichter ein schwarzes Wimpel aufzog. Aber auch dies wird durch „Don Juan“ widerlegt, einem Welthumor, wie er vornehmer nicht gedacht werden kann. Da Shakespeare sogar in seine Komödien viele Züge tiefer Melancholie einstreut - man denkt nur an den „melancholischen Jaques“ oder einige schreckliche Ausbrüche von Todesfurcht und Lebensverzweiflung in „Maß für Maß“ - und das Tragische völlig bei ihm überwiegt, so wird die gleiche Absurdität, die ihn als sonnigen Olympier feiert, freilich mit gleicher Logik den sporttlustigen Spötter Byron für einen weinerlichen Miesepeter ausgeben dürfen! Mit der famosen Einteilung in Olympier und Dionysier kommt man hier also nicht aus, denn das Dionysische Byrons stellt sich geradesowohl als olympisches Lachen oder als berserkerhaft männliche Schicksalsüberwindung dar. Da nun der sogenannte Weltschmerz, der sich so innig dem Ichschmerz verschwistert und als solcher tatsächlich in weibischer Wehklage schwelgt, bei Lenau, Lermontoff, Musset, Leopardi, Heine sich viel ungebärdiger ausschluchzt und bei Byron selbst in der Wehmut eine gefaßte Entsagung versöhnt, sonst aber titanischer Trotz und kampflustiger Entrüstungspessimismus alles eher als wehleidig sich austoben, so muß man aus vollem Halse über die landläufige Legende lachen. Nicht einmal das trifft zu, daß Byrons gewaltiges Riesen-Ich sich mehr vordrängte, als bei anderen modernen Dichterpersönlichkeiten. Alle oben Genannten, aber auch Lamartine und Victor Hugo, haben uns ihre eigenen Leiden und Unzufriedenheiten viel gründlicher aufgetischt. Sie reden fast immer in der Ich-Form, während Byron fast stets hinter seinen Gestalten verschwindet und nichts dafür kann, daß man ihn mit seinen Helden buchstäbliche identifizierte, weil eben der Mensch selber so über die Maßen ungewöhnlich und phantasiefesselnd war, daß seine ungewöhnlichsten und riesigsten Gebilde noch hinter der Wucht seiner eigenen Persönlichkeit zurückblieben. Geht man aber allem Torengeschwätz über ihn auf den Grund, nebst dem Gefasel über Versöhnungslosigkeit des Pessimismus, als ob die sogenannte poetische Gerechtigkeit und Versöhnung der Gegensätze etwas anderes wäre als öde alexandrinische Philisterei, um welche die große Dichtung seit Aeschylos bis Shakespeare sich nie kümmerte, so kommt man zu der lustigen Erkenntnis, daß die guten Leute sich Byron durch Phrasen vom Leibe halten, weil sie ihn als „zu hoch“ nicht verdauen können. Das ist des Pudels Kern und dieser Kasus macht fürwahr uns lachen.“

 

Max Brod

 

„Nach Max Brods eigenen Worten gehörte seine Liebe von Jugend auf „der großen Seele Byrons“. Darum wollte er die gerade damals wieder aktuelle Gestalt zum Mittelpunkt seines Dramas machen: Byron kommt aus der Mode, das heißt „das Genie der Freiheit, das den ewigen Kampf wieder alle Unterdrückung als persönliche Verpflichtung empfindet. Den politischen Herakles, dessen vornehmende Natur Verdunkelung der Welt durch Untiere einfach nicht dulden kann. Den Revolutionär …“. Brod ging es darum, sich „auf die beiden Zentralpunkte in Byrons Leben, seinen Kampf gegen alle falschen Organisationsformen der Gesellschaft … und seine durch Menschenkraft nicht mehr zu beeinflussende Grunddissonnanz (Mutterhaß, Schwesterliebe)“ einzustellen, um dadurch die „ganze ungeheure Spannung dieser Seele“ zu umschreiben.“

 

 

Ich bin Philanthrop, Demokrat und Atheist. Rupert Regenwurm

 

 

Das Böse verlachen

- Satire, Realsatire, ernst Gemeintes -

 

13. April – Wochenkommentar von Ferdinand Wegscheider

„Ich bin eine Frau!“ - Im neuen Wochenkommentar widmen wir uns heute ernsten und wichtigen Themen! Es geht natürlich um den Klimawandel, unseren Kampf gegen rääächts und das neue Selbstbestimmungsgesetz, wonach ich in Kürze eine Frau bin!

https://www.servustv.com/aktuelles/v/aake8538zwilgbaxtdw9/

 

Das TV-Duell: Gehacktes-Brötchen

https://www.youtube.com/watch?v=11UZUKSIRPY

 

MONITOR IM JAHRE 2014 ÜBER DEN UKRAINE-KONFLIKT - BEST OF

https://www.bitchute.com/video/K8ExPHtIS6d6/

 

Simone Solga: Krampf der Geschlechter | Folge 110

https://www.youtube.com/watch?v=z14HrxCqv38

 

Klima, E-Auto, Migration: Wünsch dir was! Redaktionsschluss

https://www.youtube.com/watch?v=zQ0D-26mxck

 

Elefanten Ragout / Steimles Aktuelle Kamera / Ausgabe 147

https://www.youtube.com/watch?v=4XDDPa1Djrc

 

Übrigens… Corona Leaks

https://www.youtube.com/watch?v=_QLUYnuCBZc

 

HallMack  Aktuelle Kamera 48 - Der neue Höcke-Skandal

https://www.frei3.de/post/ab93bb74-941c-4bad-972b-aee021fad582

 

HallMack  Aktuelle Kamera 49 - Fahrverbot

https://www.frei3.de/post/c23dfa01-9db4-4f65-b751-e24bc64af28d

 

HallMack  Aktuelle Kamera 50 - Der Macher in China

https://www.frei3.de/post/90607f54-4931-48dd-bc69-e62dae053199