Werther lebt!

https://www.youtube.com/watch?v=pmBlwilQVsg

 

Jörg-Uwe Albig: „Die bürgerliche Jugend des ausgehenden 18. Jahrhunderts ist empfindsam. Die gerade erwachsen gewordenen Frauen und Männer tragen sich Gedichte vor, tauschen keusche Küsse, fallen wirkungsvoll in Ohnmacht, spielen kokett mit dem Gedanken an den Freitod. 1774 erscheint ein Roman, der das Lebensgefühl dieser Generation perfekt einfängt: "Die Leiden des jungen Werthers". Das Buch über eine unglückliche Liebe stammt aus der Feder des verkrachten Juristen Johann Wolfgang Goethe, wird zu einer europäischen Sensation - und macht aus seinem Verfasser einen umjubelten Großdichter.“

https://www.geo.de/wissen/weltgeschichte/debuetroman--werther---goethe-zur-stimme-einer-generation-wurde-35014310.html

 

„Die Suche nach dem Ich, die Rebellion gegen gesellschaftliche Schranken und eine unerfüllte Liebe - all das bietet Goethes unsterblich gewordene Jugenddichtung, die zum Kanon deutscher Literaturgeschichte gehört.

250 Jahre ist es her, dass der Briefroman des jungen Goethe auf der Leipziger Buchmesse erschien und über Nacht zum Bestseller wurde.

Werther, ein Rechtspraktikant, landet in einer Erbschaftsangelegenheit seiner Mutter im idyllischen Dörfchen Wahlheim. Dort lernt er Lotte, die älteste Tochter des verwitweten Amtmann S. kennen, die sich um ihre acht Geschwister kümmern muss. Ihre Zugewandtheit und Fürsorglichkeit berühren ihn tief. Er, der auf der Suche nach einem Lebenssinn ist, schwankend zwischen übergroßem Lebensverdruss und überbordender Lebensfreude, entdeckt in der jungen Frau all das, was ihm zum Glücklichsein fehlt. Aber Lotte ist Albert versprochen, einem gut situierten, redlichen Geschäftsmann. Der Versuch einer schwärmerischen Menage á trois misslingt. Werther flieht, verdingt sich als Angestellter an einem Fürstenhof und verzweifelt an der Enge des bürgerlichen Daseins und der Unerfüllbarkeit seiner Liebe.

Das Aufbegehren des Ichs gegen die Schranken von Herkunft und Tradition und die unbändige Kraft der im Roman geschilderten Gefühle lösten nach der Veröffentlichung v.a. beim jungen Publikum eine wahre Lesesucht aus. Shitstorm und Heiligsprechung folgten prompt.“

https://www.nationaltheater-weimar.de/de/programm/stueck-detail.php?SID=3328

 

Die Leiden des jungen Werther

 

Zusammenfassung

 

https://www.youtube.com/watch?v=vhPr3A8Y-Wg

 

https://www.projekt-gutenberg.org/goethe/werther/werther.html

 

„Der junge, etwa 20-jährige Werther schreibt an seinen Vertrauten Wilhelm, um ihm von einer Reise in die Heimatstadt seiner Tante zu berichten. Dort kümmert sich Werther um eine Erbschaftsangelegenheit und versucht die Streitigkeiten zwischen seiner Mutter und der Tante zu schlichten. Die Luftveränderung kommt ihm ganz recht, denn überdies flüchtet er vor der Liebe eines Mädchens, dessen Gefühle er nicht erwidern kann. Die Gründe für seine Fahrt werden für Werther jedoch bald zur Nebensache: Während er die Stadt nicht sonderlich mag, begeistert er sich für die herrliche Natur in der Umgebung. Stundenlang wandert er durch die idyllische Landschaft, liest die Dichtungen des Homer, genießt die berauschend schönen Gärten und begeistert sich für jedes Pflänzchen und jede Blume, die er am Wegesrand findet. Obwohl Werther die besten Motive zum Zeichnen vorfindet, leidet seine künstlerische Produktion; so sehr ist er von der Ausdruckskraft der Natur hingerissen.

„Eine wunderbare Heiterkeit hat meine ganze Seele eingenommen, gleich den süßen Frühlingsmorgen, die ich mit ganzem Herzen genieße.“

In den Dörfern der Umgebung ist er schnell bekannt und besonders bei den Kindern beliebt. Zwar sind die einfachen Leute zunächst etwas zurückhaltend - schließlich ist der Neuankömmling ein Bürgerlicher -, aber Werther sind übertriebene Standesdünkel ein Gräuel, sodass die Bauern bald bereitwillig mit ihm plaudern. Eine Stunde vor der Stadt findet er in dem kleinen Örtchen Walheim eine Landschaft, die ihm vortrefflich gefällt. In einem Gasthaus unter zwei Linden lässt er es sich bei einem Glas Wein gut gehen und zeichnet. Hier begegnet er einem Bauernknecht, der ihm von seiner großen Liebe berichtet. Das Pikante daran ist, dass er sich in seine Dienstherrin verliebt hat, die bereits Witwe ist und keine weitere Heirat wünscht. Werther ist von der ehrlichen Zuneigung des einfachen Mannes gerührt.

Werthers sonst regelmäßiges Schreiben gerät ins Stocken. Der Grund hierfür ist ein Ereignis, das sein ganzes Leben umstürzen wird. Er berichtet von einem Ball auf dem Lande, zu dem einige seiner inzwischen zahlreichen Bekannten eingeladen haben. Werther begleitet ein Mädchen, das ihm zwar nichts bedeutet, aber dessen Tanzpartner für den Abend er sein möchte. Auf dem Weg zum Ball fahren sie an einem Jagdhaus vorbei, um ein weiteres Mädchen zu der Feier mitzunehmen. Ihr Name ist Charlotte. Sie ist die älteste Tochter eines gewissen Amtmannes S., dessen Frau kürzlich verstorben ist. Und so trifft Werther Lotte umringt von ihren sechs kleinen Geschwistern, denen sie auf höchst possierliche Weise ihr Abendbrot reicht. Werther, der kleine Kinder abgöttisch liebt, ist sofort begeistert. Seine Begleitung hat ihn schon in der Kutsche darauf hingewiesen, dass Lotte ein besonders hübsches Mädchen ist. Ihre Warnung, sich bloß nicht in sie zu verlieben, hat Hand und Fuß, denn sie gilt als so gut wie verlobt mit dem elf Jahre älteren, grundsoliden Albert. Dieser sei zurzeit jedoch verreist, um Familienangelegenheiten zu regeln.

„Du fragst, ob du mir meine Bücher schicken sollst? - Lieber, ich bitte dich um Gottes willen, lass mir sie vom Halse! Ich will nicht mehr geleitet, ermuntert, angefeuert sein, braust dieses Herz doch genug aus sich selbst; (...)“

Werther ist diese Warnung zunächst gleichgültig. Jetzt aber, wo er Lotte vor sich sieht, ist er von ihr fasziniert. In der Kutsche sprechen sie über Literatur und stellen fest, dass sie die gleichen Interessen haben. Auf dem Ball ergibt es sich, dass Lotte fast nur mit Werther tanzt, der seine eigentliche Tanzpartnerin mit Wonne an den Partner Lottes abtritt. So verbringen sie den ganzen Abend gemeinsam. Plötzlich entlädt sich ein furchtbares Gewitter über der Ballgesellschaft, die sich nach und nach aufzulösen beginnt. Die Stimmung nach dem Sturm vergleicht Lotte mit einer Ode von Klopstock, dem Dichter der Empfindsamkeit. Werther ist von diesem Vergleich hingerissen. Es scheint ihm, dass er eine verwandte Seele gefunden hat, die so empfindet wie er selbst. Mit Tränen in den Augen küsst er Lottes Hand und begleitet sie nach Hause.

In der folgenden Zeit ist Werther fast täglich bei Lotte. Hier tollt er auch mit ihren kleinen Geschwistern herum. Mit großer Freude übernimmt er Botengänge oder andere Besorgungen, um immer wieder in ihre Nähe zu gelangen. Er begleitet sie auf Spaziergängen und zu ihrer kranken Freundin. Wenn Werther einmal nicht zu Lotte gehen kann, weil ihn wichtige Geschäfte aufhalten, schickt er einen Bediensteten zu ihr, um sich im Nachhinein berichten zu lassen, was vorgefallen ist, und damit er einen Menschen um sich hat, der in ihrer Nähe gewesen ist. Er möchte Lotte zeichnen, aber er muss zugeben, dass seine Kunst nicht ausreicht, um ihrer Anmut und Schönheit gerecht zu werden. Kurzerhand zeichnet er nur ihren Schattenriss. Werther wird klar, dass er sich in Lotte verliebt hat, obwohl er weiß, dass sie Albert versprochen ist. Aber solange dieser sich nicht blicken lässt, kann er dessen Existenz weitestgehend verdrängen.

Dies ändert sich Ende Juli, als Albert von seiner Reise zurückkehrt. Werther wird bewusst, dass seine Liebe niemals erwidert werden wird und er keinen Anspruch auf Lotte erheben kann. Die heitere, glückliche Beziehung zu ihr verfinstert sich zusehends, weil Werther keinen Ausweg aus seiner Zwickmühle findet, in die ihn seine Gefühle für Lotte hineinmanövriert haben: Beim Lesen seiner Tagebucheintragungen muss er sich eingestehen, dass er offenen Auges in sein Verderben gerannt ist. Zu allem Überfluss ist Albert ein ausgesprochen angenehmer Mensch, der Werther offenherzig begegnet und ihm die Freundschaft anbietet. Werther gibt zu, dass ihm Alberts gelassener und ausgeglichener Charakter sehr zusagt, zumal dieser das genaue Gegenteil von seinem eigenen ist. Dennoch spürt er, dass es nicht mehr das Gleiche ist, wenn er Lotte und ihren Verlobten gemeinsam antrifft. Das führt sogar so weit, dass er sich vor den beiden zum Narren macht, indem er Possen reißt. Dies wiederum irritiert Lotte, die ihn dringlich bittet, das zu lassen. Werther ist Albert dankbar dafür, dass er seine Verlobte niemals in seiner Gegenwart küsst, denn das würde ihm das Herz zerreißen.

„Kurz und gut, ich habe eine Bekanntschaft gemacht, die mein Herz näher angeht.“

Zwei Wochen nach Alberts Rückkehr kommt das Gespräch zwischen ihm und Werther auf zwei Pistolen, die an der Wand angebracht sind. Werther erbittet eine davon für einen Ausritt in die Berge. Albert hat nichts dagegen, allerdings seien sie nicht geladen. Er berichtet von einem unschönen Erlebnis: Als er die Pistolen vor geraumer Zeit von einem Bediensteten putzen ließ, wollte dieser das Dienstmädchen damit erschrecken. Ein Schuss löste sich und das Mädchen verlor einen Daumen. Aus Spaß hält sich Werther eine der Pistolen an die Stirn. Albert reißt sie ihm sogleich aus den Händen und tadelt ihn dafür. Selbstmord erscheint ihm als eine törichte und lasterhafte Tat, die nur von Wahnsinnigen und einfältigen Gemütern begangen werden kann. Albert hält Selbstmord für eine Tat der Schwäche. Dem kann Werther nicht zustimmen, weil der Mensch nur ein bestimmtes Maß an Leid ertragen könne und der Freitod für eine arme, unglückliche Seele zumindest ein letztes Maß von Freiheit und Würde bedeute. Die beiden Männer trennen sich, ohne sich in ihren gegensätzlichen Meinungen einander angenähert zu haben: Ihre Wertvorstellungen in dieser Sache sind einfach zu verschieden.

Die herrliche Natur, die Werther bislang so bewundert hat, erlebt er plötzlich als großes Übel. Das paradiesische Wachsen und Blühen vor seiner Haustür empfindet er nun nur noch als Vorstufe der Vergänglichkeit, die Natur selbst als ewig wiederkäuendes Ungeheuer. Werther leidet an seiner unerfüllten Liebe. Er kann nicht arbeiten, aber auch nicht ruhen. Er fasst den Entschluss, fortzugehen, um sich abzulenken. Ein letztes Mal besucht er Lotte und Albert. Lotte spricht über den Tod ihrer Mutter und wird vom Andenken an sie stark mitgenommen. Ohne sich wirklich zu verabschieden, verlässt Werther den Ort und tritt in den Dienst eines Ministers ein. Zu diesem Schritt hat ihm sein Vertrauter Wilhelm schon seit längerer Zeit geraten.

„Ich ertrug’s nicht, neigte mich auf ihre Hand und küsste sie unter den wonnevollsten Tränen.“

Tatsächlich gelingt es Werther, Lotte für einige Zeit zu vergessen. Im Februar erfährt er eher zufällig von ihrer Heirat mit Albert. Der Gesandte, mit dem Werther bei seiner neuen Tätigkeit zusammenarbeiten muss, ist ihm ein Dorn im Auge. Der Mann ist bürokratisch, umständlich, langweilig, stets unzufrieden und pedantisch. Auch die Adeligen bei Hofe erregen Werthers besonderen Missmut: In seinen Augen sind sie die Verkörperung des blanken Opportunismus, weil sie nach oben buckeln und nach unten mit den Füßen treten. Sein Bestreben, als Bürgerlicher von ihnen respektiert zu werden, endet in einer Demütigung: Obwohl Werther beim Grafen zu Tisch geladen ist, muss er weichen, als die adelige Abendgesellschaft den Saal betritt. Da der unerwünschte Bürgerliche jedoch zögert, wird ihm dieses in den Augen der Adeligen hochpeinliche Verhalten arg verübelt. Im Nachhinein muss Werther erfahren, dass die Geschichte bei Hofe sofort die Runde gemacht hat. Er ist verärgert und beklagt sich bei seinem Freund Wilhelm darüber, dass die Anstellung von Anfang an eine Schnapsidee gewesen sei. Werther verlangt eine Woche später seine Entlassung vom Hofe. Auf dem Weg zu den Gütern eines Fürsten, der ihn zu sich eingeladen hat, reist er durch die Landschaft seiner Kindheit, die er wie auf einer Wallfahrt durchwandert und Erinnerungen wachruft.

Seinen kurzzeitigen Plan, in den Krieg zu ziehen, gibt Werther schnell wieder auf. So verbringt er bis in den Sommer seine Zeit beim Fürsten. Dann beginnt er sich zu langweilen und kehrt nach Walheim in die Nähe von Lotte zurück. Werther nimmt seine regelmäßigen Besuche wieder auf. Seine Liebe für Lotte entflammt erneut, aber auch seine Eifersucht gegenüber Albert, dem er das große Glück missgönnt.

„Sie ist mir heilig. Alle Begier schweigt in ihrer Gegenwart.“

Werther ist der festen Überzeugung, dass er Lotte mehr liebt als ihr eigener Mann. Er reagiert bestürzt, als er den Knecht wieder trifft, dessen Liebe zu seiner Bäuerin ihn bei seinen ersten Besuchen in Walheim so gerührt hat. Der Knecht gesteht unter Tränen, dass er versucht hat, sich sein Liebesglück mit Gewalt zu verschaffen. Jedoch jagte ihn daraufhin der Bruder der Bäuerin vom Hof. Werther erkennt die Parallelen zu seiner eigenen unglücklichen Liebe. Später erfährt er, dass besagte Bäuerin einen neuen Knecht fand, dieser aber wurde von dem alten, liebestrunkenen aus Eifersucht erschlagen. Werther zeigt Verständnis für die Tat, ganz im Gegensatz zu Albert, der den Knecht aufs Schärfste verurteilt.

Werther steigert sich immer mehr in die verzweifelte Liebe zu Lotte hinein. Seine Briefe an Wilhelm werden immer ekstatischer, aber auch fragmentarischer. Dies führt dazu, dass der anonyme Herausgeber sich genötigt sieht, die wenigen Briefe mit ergänzenden Kommentaren zu versehen.

„Wilhelm, was ist unserem Herzen die Welt ohne Liebe!“

Am Sonntag vor Weihnachten wird es Lotte zu bunt: Sie ermahnt Werther höflich, aber bestimmt, sich ein wenig mehr zurückzuhalten und sie bis Weihnachten nicht mehr aufzusuchen. Werther ist verstört, geht frühzeitig nach Hause und verfasst einen Abschiedsbrief: "Ich will sterben", schreibt er an Lotte. Er kommt zu der bitteren Einsicht, dass sich einer von ihnen opfern muss, damit die anderen beiden in Frieden weiterleben können.

„Ich habe mir schon manchmal vorgenommen, sie nicht so oft zu sehn. Ja, wer das halten könnte!“

Am nächsten Tag regelt Werther seine Hinterlassenschaften und kehrt, entgegen ihrem ausdrücklichen Wunsch, zu Lotte zurück. Albert ist abwesend und Werther liest ihr aus einigen Gesängen des Barden Ossian vor, die er zuvor übersetzt hat. Die düsteren Naturbeschreibungen und der melancholische Tonfall der gälischen Heldendichtung wühlt die beiden auf. Sie erkennen darin ihr eigenes grausames Schicksal. Lotte bricht unter Tränen zusammen, Werther drückt sie an sich und küsst sie. Fassungslos weist sie ihn von sich und droht, dass sie ihn nie wieder sehen will. Werther kauert eine Weile in ihrem Zimmer. Dann verlässt er das Haus ohne Abschied und beendet seinen Brief an Lotte.

„Umsonst strecke ich meine Arme nach ihr aus, morgens, wenn ich von schweren Träumen aufdämmere, vergebens suche ich sie nachts in meinem Bette, wenn mich ein glücklicher unschuldiger Traum getäuscht hat, als säß’ ich neben ihr auf der Wiese und hielt’ ihre Hand und deckte sie mit tausend Küssen.“

Tags darauf schickt er einen Boten zu Albert und erbittet sich von ihm unter einem Vorwand die Pistolen. Am nächsten Morgen findet der Diener Werther in seiner Stube. Er hat sich um Mitternacht, in voller Montur mit blauem Frack und gelber Weste, eine Kugel durch den Kopf geschossen. Auf seinem Schreibtisch liegt Lessings bürgerliches Trauerspiel Emilia Galotti aufgeschlagen. Die herbeigerufenen Ärzte können für Werther nichts mehr tun. Albert ist bestürzt. Lotte sinkt in Ohnmacht. Auf Werthers Wunsch hin lässt ihn Lottes Vater zwischen den beiden Linden in Walheim begraben.“

 

„Werther kann als empfindsamer Mensch gesehen werden, der aufgrund seiner übersteigerten Liebe zu Lotte und deren Unmöglichkeit zugrunde geht - und darüber hinaus an den Konventionen der Standesgesellschaft scheitert.

Werther kann aber auch als überspanntes Genie verstanden werden, das sich nicht helfen lassen will und mit offenen Augen in sein Verderben rennt.

Werther ist im Grunde genommen ein Narzisst, der Lottes Liebe gar nicht um ihretwillen, sondern nur um seiner selbst Willen braucht. Diese Liebe ist darum auch nur so lange wertvoll für ihn, wie es eine unmögliche und unerfüllte Liebe ist.

Werthers Selbstmord ist Ausdruck seines Naturrechts auf Freiheit, das er sich - entgegen allen moralischen Konventionen - einfach nimmt.

Die Briefe bilden einen langen Monolog, der zeigt, dass Werther nur in der Beziehung zu Lotte glücklich sein kann. Seine Versuche, im Beruf und in der Gesellschaft Beziehungen aufzubauen, scheitern kläglich.

Die Naturbeschreibungen bilden die innere Verfassung des Romanhelden ab: Zu Beginn besingt Werther ekstatisch die Schönheit der Natur, später erscheint sie ihm nur noch wie ein Grab.

Auch die Literatur, die Werther liest, ist ein Spiegel seiner selbst: Homer versetzt ihn in erhabene Stimmung, die empfindsame Dichtung Klopstocks passt zu seiner Verliebtheit, Ossian ist Ausdruck von Düsternis und Melancholie, und Lessings bürgerliches Trauerspiel schließlich scheint zu Werthers Selbstmord beizutragen.“

https://www.getabstract.com/de/zusammenfassung/die-leiden-des-jungen-werther/3694

 

Aufbau und Stil

 

„Goethe gaukelt seinen Lesern im Werther Authentizität vor: Noch vor dem ersten Brief versichert der Herausgeber dem Leser, dass er alles, was er über Werthers Schicksal auffinden konnte, gesammelt und in dem Büchlein abgedruckt hat. Das Buch ist in zwei Teile gegliedert, die aus einer Sammlung von Briefen bestehen. Werthers Briefe sind in einer kraftvollen, ekstatischen Sprache verfasst: Ausrufe (Interjektionen), umgestellte (Inversionen) und verkürzte Sätze (Ellipsen) dominieren, wenn Goethes Held in Verzückung gerät oder den Kummer seiner vergeblichen Liebe beklagt: "Ich bitt dich - Siehst du, mit mir ist’s aus, ich trag’ es nicht länger! Heute saß ich bei ihr - saß, sie spielte auf ihrem Klavier, mannigfaltige Melodien, und all den Ausdruck! all! - all! - Was willst du?"“

„Die Sprache, die Werther in seinen Briefen verwendet, ist die Sprache eines typischen Sturm-und-Drang-Helden: emotional, leidenschaftlich, temperamentvoll und im Ton sehr nah an der gesprochenen Sprache. Charakteristisch für diesen Ton sind die unmittelbare, gefühlvolle Ansprache des Adressanten und zahlreiche Ausrufe oder auch Fragen. Beides findet sich bereits in den ersten Sätzen des ersten Briefes: »Wie froh bin ich, daß ich weg bin! Bester Freund, was ist das Herz des Menschen! Dich zu verlassen, den ich so liebe, von dem ich unzertrennlich war, und froh zu seyn!«. Nicht nur seinen Briefpartner, sondern auch sich selbst spricht Werther häufig in dieser Art an: »Unglüklicher! Bist du nicht ein Thor? Betrügst du dich nicht selbst? Was soll all diese tobende endlose Leidenschaft?«

Neben Interjektionen und Fragen sind es Ellipsen, also Redeteile, die durch Gedankenstriche, Klammern oder Pünktchen ersetzt werden, welche Werthers Sätze unterbrechen, sie unvollständig machen und damit sehr natürlich wirken lassen. Werther selbst behauptet (auch wenn der Roman das Gegenteil beweist) in seinem Brief vom 10. Oktober 1772, er würde ungern Gedankenstriche setzen, erklärt aber, warum er sie verwendet: »daß Albert nicht so beglükt zu seyn scheinet, als er – hoffte – als ich – zu seyn glaubte – wenn – Ich mache nicht gern Gedankenstriche, aber hier kann ich mich nicht anders ausdrukken – und mich dünkt deutlich genug.«

Auch finden sich in den Briefen viele sogenannte Parenthesen, Satzteile, die syntaktisch nicht der übergeordneten Struktur des Satzes entsprechen, in den sie eingeschoben werden. Die häufige Verwendung von Ellipsen, Parenthesen und Inversionen (Umkehrung der üblichen Wortstellung) erzeugt den Eindruck, Werther werde in seinen Schilderungen und Argumentationen immer wieder von plötzlich einbrechenden, neuen Gedanken unterbrochen; eine Gedankenflut, die ihn als inspiriertes, kreatives Subjekt kennzeichnet und damit in die Nähe des im Sturm und Drang apostrophierten »Genies« rücken.

Am 24.12.1771 beklagt Werther sich gegenüber Wilhelm über seinen Vorgesetzten, den Gesandten, und dessen Pedanterie. Die Kritik, die er daran übt, kann geradezu als Programmatik der Sprache des Sturm und Drang gelesen werden: »Ich arbeite gern leicht weg, und wie’s steht so steht’s«, aber der Gesandte sei »im Stande, mir einen Aufsatz zurückzugeben und zu sagen: er ist gut, aber sehen sie ihn durch, man findet immer ein besser Wort, eine reinere Partikel«. Werther, offenbar nicht sehr kritikfähig, reagiert darauf mit einem Wutausbruch: »Da möcht ich des Teufels werden. Kein Und, kein Bindwörtchen sonst darf aussenbleiben, und von allen Inversionen, die mir manchmal entfahren, ist er ein Todtfeind.«

Wie schon im Abschnitt Aufbau des Werkes angerissen, steht der nüchtern-sachliche Ton, in dem der Herausgeber Werthers Briefe und Notizen im letzten Viertel des Romans kommentiert, im Gegensatz zu Werthers gefühlvollem, expressivem Stil. Sie geben dem letzten Abschnitt streckenweise dokumentarischen Charakter. Zudem rahmen sie den Roman als Ganzes, da dieser mit einer kurzen Vorbemerkung des Herausgebers eingeleitet wird und mit einer längeren Schilderung endet, in der der Herausgeber auf Werthers Sterben und sein Begräbnis eingeht.“

https://www.inhaltsangabe.de/goethe/die-leiden-des-jungen-werthers/sprache-und-stil/

 

Sturm und Drang

 

Die literarische Epoche des „Sturm und Drang“ benennt sich nach der gleichnamigen Kömödie von Friedrich Maximilian Klinger. Sie ist nicht identisch mit der Romantik, kann aber als eine Art Vorläufer gelten, siehe http://www.ansichten-eines-regenwurms.de/index.php/1321-koenig-der-romantik oder https://www.ansichten-eines-regenwurms.de/index.php/1367-das-leben-des-byron

 

„Goethes Werther erschien 1774 in einer Literaturperiode, die als Sturm und Drang oder Geniezeit bekannt ist. Der Künstler, das Genie galt als Bild des höheren Menschen, der schöpferisch tätig ist. Um dieses Genie entwickelte sich ein regelrechter Kult. In den Jahren zuvor hatte die Aufklärung den Menschen "aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit" (Kant) befreit. Doch für die Poesie bedeutete die fortschreitende Rationalität vor allem eines: starre Konventionen. Ein enges Regelwerk von Vorschriften drohte die Literatur zu erdrücken, denn diese sollte stets zweckgerichtet sein und den menschlichen Verstand bilden. Der Sprachwissenschaftler Johann Gottfried Herder widersetzte sich dieser Auffassung von Poesie: Dichtkunst sei nicht erlernbar, sie erfordere vielmehr ein "Originalgenie". Goethe, der mit Herder in Straßburg zusammentraf, übernahm dessen Thesen und verarbeitete sie u. a. in seinem Götz von Berlichingen, Prometheus und im Werther.

Der Sturm und Drang glich einem Frontalangriff auf die Aufklärung. Die "jungen Wilden" der Literatur, zu denen auch Friedrich Schiller, Gottfried August Bürger, Friedrich Maximilian Klinger, Anton Leisewitz, Friedrich Heinrich Jacobi und Heinrich Leopold Wagner gehörten, lehnten jedes Regelwerk ab und gehorchten nur ihrer eigenen poetischen Eingebung und Schaffenskraft. Für viele von ihnen wurde Friedrich Gottlieb Klopstock, selbst kein Stürmer und Dränger, sondern Dichter der Empfindsamkeit, zum Vorbild. Der neue Held in der Literatur fühlte schrankenlose Liebe, tiefe Sehnsucht und rasende Verzweiflung. Er durfte alles - nur nicht lauwarm sein.“

https://www.getabstract.com/de/zusammenfassung/die-leiden-des-jungen-werther/3694

 

„»Die Leiden des jungen Werthers« ist eines der berühmtesten Werke der literarischen Epoche des Sturm und Drang. Sie umfasst die Jahre von etwa 1767 bis 1785. Die Jugendbewegung war geprägt vom Protest gegen die reine Vernunft der Aufklärung und vom Geniegedanken. Zu ihren bekanntesten Vertretern gehören Herder, Goethe und Schiller.

Die Autoren dieser Epoche lehnten sich gegen gesellschaftliche Regeln auf und übten Kritik am Adel und der Ständegesellschaft. Im Vordergrund standen für sie Selbstbestimmung und freier Wille, was sie mit den Vertretern der Aufklärung verband. Darum vertreten einige Literaturwissenschaftler:innen die These, dass der Sturm und Drang keine Gegenbewegung zur Aufklärung, sondern vielmehr ein Teil von ihr, eine Art Unterkategorie sei. Ein wesentlicher Unterschied zur Sachlichkeit und zum Rationalismus der Aufklärung war aber der Primat der Gefühle, für den die Stürmer und Dränger eintraten. Persönliche Leidenschaften konnten so, wie in den »Leiden des jungen Werthers« zum zentralen Thema werden. Weitere wichtige Motive des Sturm und Drang, die ebenfalls in diesem Werk enthalten sind, sind die Natur, das schöpferische Individuum, das nur eigenen inneren Gesetzen verpflichtet ist, und der tragische Held, der bereit ist, für diese Gesetze zu sterben.

Noch vor dem Aufkommen der Sturm-und-Drang-Bewegung gab es eine andere Gegenbewegung zur Aufklärung im 18. Jahrhundert: die Empfindsamkeit, die sich bemühte, Verstand und Gefühl im Gleichgewicht zu halten. Der Briefroman wurde in jener Zeit zu einer verbreiteten literarischen Form. Neben dem Tagebuch eignen sich vor allem Briefe zur Selbstbeobachtung und unmittelbaren Wiedergabe von Empfindungen. Während allerdings der klassische Briefroman die (fiktive) Korrespondenz zweier Figuren wiedergibt, hat Werther keinen Briefpartner, der in Erscheinung tritt. Damit rückt Goethe allein seinen Protagonisten und dessen selbstbezogene Gefühlswelt in den Mittelpunkt. Der Ausdruck der Empfindsamkeit wird auf diese Weise enorm verstärkt, und eine Balance zwischen Verstand und Gefühl ist hier nicht mehr erkennbar.“

https://www.inhaltsangabe.de/goethe/die-leiden-des-jungen-werthers/historischer-hintergrund-und-epoche/

 

„»ein Kerl, der um anderer willen, ohne daß es seine eigene Leidenschaft ist, sich um Geld, oder Ehre, oder sonst was, abarbeitet, ist immer ein Thor«

– Werther in seinem Brief vom 20. Juli 1771 an Wilhelm, S. 27

Hier findet sich eines der zentralen Merkmale des Sturm und Drang, nämlich der Wunsch nach individueller Freiheit und Möglichkeiten zur persönlichen Entfaltung. Werther möchte keiner Arbeit nachgehen, wenn es nicht aus innerem Antrieb heraus geschieht, sondern nur, um es anderen recht zu machen. Für ihn ist es Torheit, sich so sehr um Geld und Ehre zu bemühen, dass man dafür die Freuden des Lebens aufgibt.“

https://www.inhaltsangabe.de/goethe/die-leiden-des-jungen-werthers/zitate-und-textstellen/

 

„Ein Hauptmotiv des Romans sind die Unterschiede und Konflikte zwischen Adel und Bürgertum in der Ständegesellschaft. Werther gehört zum Bürgertum, ist also Angehöriger des sogenannten dritten Standes. Der erste Stand umfasst den gesamten Klerus, der zweite den gesamten Adel. Zum dritten Stand gehören alle übrigen Personenkreise, also sowohl die gebildete Bürgerschicht als auch Bauern, Handwerker und Dienstpersonal. Es existiert somit innerhalb des dritten Standes eine weitere Hierarchie, was in Werthers Briefen immer wieder zum Ausdruck kommt.

Werther bemerkt gelegentlich, dass ihm ›einfache Leute‹ wie Landarbeiter oder Dienstmädchen zunächst mit Misstrauen begegnen, bis sie erkennen, dass er nicht auf sie herabblickt. Werther sieht sich anderen Menschen gegenüber weder als über- noch als unterlegen an. Gerade Bürger wie er sind es, die die Ständegesellschaft kritisieren und Adel und Klerus infrage stellen. Diese kritischen Zeitgenossen, von aufklärerischem Gedankengut inspiriert, wollen darum auch ihrerseits keine Überlegenheit gegenüber anderen ausspielen.

Dennoch bleibt es Werther nicht erspart, seinerseits in die Position des ›Unterlegenen‹ zu geraten, als er beim Grafen von C. mit Verachtung behandelt und sogar gebeten wird, ein Fest zu verlassen. Diese Demütigung trägt zu seiner wachsenden Verzweiflung bei und ist neben der unerfüllten Liebe zu Lotte zumindest ein Mitgrund für seinen Entschluss zum Suizid.

Die Natur und ihre Bedeutung für das subjektive Erleben sind zentrale Themen im Sturm und Drang, die sich in den »Leiden des jungen Werthers« wie ein roter Faden durch das Werk ziehen. Seismographisch bilden die Naturbeschreibungen sein inneres Empfinden ab. Am Anfang wirkt die frühlingshafte Natur rund um Wahlheim belebend, ja euphorisierend auf Werther. Bereits im ersten Brief an Wilhelm preist Werther ihre Schönheit und benennt sie als seinen persönlichen Rückzugsort, mit dem er förmlich verschmelzen möchte: »Jeder Baum, jede Hecke ist ein Straus von Blüten, und man möchte zur Mayenkäfer werden, um in dem Meer von Wohlgerüchen herumschweben, und alle seine Nahrung darinne finden zu können.«

Dass am Abend der ersten Begegnung Werthers mit Lotte ein Gewitter ausbricht, ist ein Hinweis auf die künftigen Konflikte. Je schlechter es Werther geht, desto dunkler und bedrohlicher wirken auch seine Naturbetrachtungen. Damit korrespondiert seine Hinwendung zu Ossian, dem fiktiven schottischen Dichter, dessen Gesänge sturmumtoste, wilde Landschaften voller Abgründe und Gefahren als Schauplätze haben. Nach Alberts Rückkehr finden sich diese düsteren Naturbilder immer häufiger. Dies ist charakteristisch für Werthers allgemeinen Blick auf die Dinge, der nicht rational und wissenschaftlich geprägt ist, sondern sein Innenleben in den Mittelpunkt stellt und auch die Natur in erster Linie zur Projektionsfläche macht.

Zum Schluss verschwindet selbst die Düsternis und weicht einer Gleichgültigkeit, die sich darin offenbart, dass die Natur nurmehr zur Staffage wird, die scheinbar keiner besonderen Erwähnung mehr wert ist. Man könnte darin das Symptom einer beginnenden Depression erkennen; ein Wissen, das freilich im 18. Jahrhundert so noch nicht vorhanden war.

Zentrale Motive jedes geistigen und literarischen Schaffens im Sturm und Drang sind Gefühl (Emotio) und subjektive Empfindung. Nach Auffassung seiner meist jungen literarischen Vertreter kann der Einzelne Regeln und Normen außer Acht lassen, um Bedeutsames zu leisten. Die Leidenschaft der Stürmer und Dränger stellt das Charakteristische und Ursprüngliche, das Originalgenie und seine kreativen Impulse in den Mittelpunkt.

Dass auch Werther diesem Credo folgt, zeigt sich u. a. in seiner ablehnenden Haltung gegenüber seinem Vorgesetzten, dem Gesandten, der als Inbegriff der Autoritäten erscheint, gegen die sich die Stürmer und Dränger auflehnen. Der weitere Verlauf der Handlung offenbart jedoch, dass Werthers Auflehnung lediglich eine innere ist. Eine echte Revolte bleibt ihm versagt, er scheitert gesellschaftlich und schließlich bleibt ihm nur noch der Rückzug nach Wahlheim. Auch diese Rückkehr, die seine letzte Hoffnung auf Glück ist, erweist sich als enttäuschend und mündet schließlich in die Katastrophe des Selbstmords.

Berühmt ist die Deutung Werthers des ungarischen Philosophen und Literaturkritikers Georg Lukács (1885–1971) als »Helden«, der »in der Morgenröte der heroischen Illusionen des Humanismus vor der französischen Revolution tragisch unter[geht]« (zitiert nach Wiethölter und Brecht 941). Diese Deutung hat im Laufe der Jahrzehnte viel Zustimmung, aber auch viel Gegnerschaft hervorgerufen: »Man verwies auf den Dualismus von äußerer und innerer Welt, auf die Antinomien der bürgerlichen Gesellschaft, die durch Werthers suizidalen Abgang weniger erschüttert als befestigt wurden.« (ebd.)

Werthers Leidenschaft für Lotte, die sich zu einer verhängnisvollen Obsession entwickelt, ist das Hauptthema des Werkes. Es bleibt also die Frage, ob und inwieweit die innere Abhängigkeit, die der Protagonist im Laufe der Handlung gegenüber der angebeteten Frau entwickelt, mit den Themen von Freiheit und Selbstbestimmung, weiteren Leitsternen des Sturm und Drang, in Einklang zu bringen ist. Angesichts der Unmöglichkeit, politisch und gesellschaftlich selbstbestimmt zu wirken, flüchtet Werther immer mehr in seine Innenwelt, wobei sich auch dieser Ausweg am Ende als zerstörerisch erweist. Die Gefahren der für den Sturm und Drang charakteristischen (Über-)Betonung des Ichs, welche von der darauffolgenden Epoche der Klassik abgelehnt wurde, sind hier also bereits vorgezeichnet.“

https://www.inhaltsangabe.de/goethe/die-leiden-des-jungen-werthers/interpretation/

 

Johann Wolfgang Goethe

 

„Johann Wolfgang von Goethe wird am 28. August 1749 in Frankfurt am Main geboren und wächst in einer gesellschaftlich angesehenen und wohlhabenden Familie auf. Nach dem Privatunterricht im Elternhaus nimmt der inzwischen 16-Jährige auf Wunsch seines Vaters ein Jurastudium in Leipzig auf, das er 1770 in Straßburg mit dem Lizentiat beendet. Dort macht er die Bekanntschaft von Johann Gottfried Herder und verfasst erste Gedichte. In Frankfurt eröffnet Goethe eine Kanzlei, widmet sich aber vermehrt seiner Dichtung. 1774 veröffentlicht er Die Leiden des jungen Werther; einige Dramen folgen. 1775 bittet ihn der Herzog Karl August nach Weimar; Goethe macht dort eine schnelle Karriere als Staatsbeamter. Nach zehn Jahren Pflichterfüllung am Hof reist er 1786 nach Italien. Diese "italienische Reise" markiert einen Neuanfang für sein Werk. 1788 kehrt Goethe nach Weimar zurück und lernt Christiane Vulpius kennen, mit der er bis zur Heirat 1806 in "wilder Ehe" zusammenlebt. Nach anfänglichen Differenzen freundet sich Goethe 1794 mit Friedrich Schiller an, in dessen Zeitschrift Die Horen Goethe mehrere Gedichte veröffentlicht. Die beiden Dichter verbindet fortan eine enge Freundschaft, auf der die Weimarer Klassik und ihr an der griechischen Antike orientiertes Welt- und Menschenbild aufbaut. Als "Universalgenie" zeigt sich Goethe an vielen Wissenschaften interessiert: Er ist Maler, entwickelt eine Farbenlehre, stellt zoologische, mineralogische und botanische Forschungen an, wobei er die Theorie einer "Urpflanze" entwickelt. 1796 erscheint der Bildungsroman Wilhelm Meisters Lehrjahre, 1808 das Drama Faust I und 1809 der Roman Die Wahlverwandtschaften. Ab 1811 arbeitet Goethe an seiner Autobiografie Dichtung und Wahrheit. Kurz vor seinem Tod vollendet er Faust II. Am 22. März 1832 stirbt Goethe im Alter von 83 Jahren in Weimar. Er gilt bis zum heutigen Tag als der wichtigste Dichter der deutschen Literatur. Seine lyrischen Werke, Dramen und Romane liegen als Übersetzungen in allen Weltsprachen vor.“

https://www.getabstract.com/de/zusammenfassung/die-leiden-des-jungen-werther/3694

 

Bedeutung und Wirkung

 

„In nur wenigen Wochen geschrieben, erschien im Frühjahr 1774 Goethes erster Roman, der gleich zum Sensationserfolg wurde. Die Leiden des jungen Werther war schon damals ein Buch, das man guten Gewissens als Bestseller bezeichnen kann. Goethe traf damit den Nerv der Zeit, sodass innerhalb kürzester Zeit mehrere Auflagen erschienen. Die Leser empfanden Mitgefühl für den unglücklich verliebten Werther, dessen Leidenschaft ihn zugleich liebens- und bedauernswert macht. Gleichzeitig konnte der Briefroman auch als Anklage an die Standesgesellschaft gelesen werden, die den individuellen Nöten und Bedürfnissen des Einzelnen keinen Raum gestattete. Die Urkraft der Worte, mit der Werther die Liebe zu einer unerreichbaren Frau schildert, hat bis heute nichts von ihrer beeindruckenden Stärke verloren. Werther entwickelte sich zur Initialzündung des Sturm und Drang, einer kraftvollen literarischen Gegenbewegung zur vernunftorientierten Aufklärung.

 

Goethes Werther kann als der erste moderne deutsche Roman bezeichnet werden.

Er ist in Form von Briefen verfasst, die Werther an seinen Freund Wilhelm schreibt.

Werther ist ein Unangepasster, der nur aus seinen Gefühlen heraus lebt und mit gesellschaftlichen Konventionen Schwierigkeiten hat.

Auf einem Ball verliebt er sich in Lotte, die bereits einem anderen Mann versprochen ist.

Solange ihr Verlobter fort ist, besucht Werther Lotte fast täglich.

Werthers Liebe wird zum Problem, als ihr zukünftiger Mann Albert zurückkehrt. In einem Streitgespräch mit ihm verteidigt Werther das Recht des Menschen auf Selbstmord.

Werther versteht die Unmöglichkeit seiner Liebe und verlässt Lotte, kehrt jedoch bald wieder zu ihr zurück.

Schließlich sieht er keinen Ausweg mehr und erschießt sich mit Alberts Pistole.

Die Handlung beruht auf Ereignissen, die Goethe selbst erlebt hat.

Das Buch vereinigt Motive zweier literarischer Strömungen: der Empfindsamkeit und des Sturm und Drang. Beide richteten sich gegen die Rationalität der Aufklärung.

Der Roman wurde als Rechtfertigung des nur aus seinen Gefühlen handelnden Menschen gelesen, aber auch als Anklage gegen die damalige rigide Standesgesellschaft. Der Erfolg war sensationell; einige Zeitgenossen wurden sogar zum Selbstmord im "Werther-Stil" angeregt.

Goethes steile Karriere als Dichter und späterer Geheimrat in Weimar nahm mit dem Werther ihren Anfang …“

 

„Das Werk entwickelte sich zu einem echten Renner. Sozusagen über Nacht wurde Goethe ein gefeierter Schriftsteller. Wie bei heutigen Popstars pilgerten Menschen zu ihm, um dem Autor zu seinem Überraschungserfolg zu gratulieren. Innerhalb kürzester Zeit erschienen mehrere Ausgaben. Goethe selbst überarbeitete den Roman noch einmal im Jahr 1782 für eine Sammelausgabe seiner Schriften. Das Buch wurde in unterschiedliche europäische Sprachen übersetzt und brach sämtliche Verkaufserfolge. Es traf den Zeitgeist, weil es Empfindungen und Gefühle bewusst gegen die Ratio der Aufklärung setzte. In allen Schichten gehörte der Roman zur Pflichtlektüre. Vor allem jugendliche Leser fanden sich in dem Buch wieder: Die Generation der Stürmer und Dränger begeisterte sich für die kraftvolle Sprache und die unbändige Liebe, die Werther empfindet. So wurde Werther zum Sprachrohr einer ganzen Generation.

Die Kritiker, allen voran die Kirche, stießen sich nicht nur daran, dass in dem Roman ein Selbstmord beschrieben, sondern dass hierfür sogar Verständnis vom Leser gefordert wird. Diese ungeheure Provokation gegen die Moral wurde noch verschärft, als in der Folge vermehrt Suizidfälle bekannt wurden, die ganz offensichtlich durch den Roman inspiriert waren. Aus Chroniken lässt sich ersehen, dass die Opfer den Freitod in der Werther-Kluft und teilweise mit dem Büchlein in der Tasche verübten. Goethe distanzierte sich von diesen Ereignissen. Trotzdem blieben sie nicht folgenlos: Das Buch wurde als gefährlich eingestuft und in Leipzig, Bayern und Österreich aus dem Verkehr gezogen und auf den Index gesetzt. Der amerikanische Soziologe David Phillips benannte im 20. Jahrhundert den "Werther-Effekt" nach Goethes Buch. Dabei handelt es sich um einen Suizid, der nach Vorbildern in den Medien verübt wird. Künstlerisch inspirierte der Roman viele Nachahmer. Die bekannteste Variante bildet sicherlich das Bühnenstück Die neuen Leiden des jungen W. von Ulrich Plenzdorf, das in den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts für Furore sorgte.“

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„Johann Wolfgang von Goethes Briefroman »Die Leiden des jungen Werthers« erschien im September 1774 beim Leipziger Verleger Weygand anlässlich der Leipziger Herbstmesse. Im selben Jahr wurde Goethes historisches Schauspiel »Götz von Berlichingen« uraufgeführt. Ebenso wie das Drama war auch der Roman ein sensationeller Publikumserfolg. Es waren diese zwei Werke, mit denen Goethe im Alter von nur fünfundzwanzig Jahren schlagartig europaweite Berühmtheit erlangte. Beide gehören zu den wichtigsten literarischen Schöpfungen der »Sturm und Drang«-Epoche.

In dem Roman geht es um den jungen Rechtspraktikanten Werther, der in die (fiktive) Beamtenstadt Wahlheim kommt und sich hier in eine verlobte Frau namens Lotte verliebt. Im Laufe der Handlung gerät er angesichts seiner unerwiderten Liebe zunehmend in Verzweiflung, bis er sich schließlich mit einer Pistole das Leben nimmt. Die Handlung erstreckt sich über anderthalb Jahre von Ostern 1771 bis Weihnachten 1772.

Formal unterscheidet sich das Werk von anderen Briefromanen des 18. Jahrhunderts – etwa Rousseaus »Julie oder die neue Héloïse« (1761) oder Sophie von La Roches »Geschichte des Fräuleins von Sternheim« (1771) – dadurch, dass es einstimmig ist, also ausschließlich die Briefe des Adressanten Werther wiedergibt. Adressat ist Werthers enger Freund Wilhelm, dessen Antworten den Lesern jedoch verborgen bleiben. Wilhelms Einschätzungen und Ratschläge lassen sich allenfalls indirekt aus Werthers Reaktionen darauf erschließen. Der Briefroman nähert sich dadurch der Gattung des Tagebuchs, und die Fokussierung auf Werthers Perspektive verabsolutiert die subjektive Gefühlswelt des jungen Mannes.

Die zentralen Themen in Werthers Innenschau, das Werben um eine verlobte Frau und die Planung des Suizids, wirkten aufgrund ihres Widerspruchs zu christlichen Moralvorstellungen auf Goethes Zeitgenossen skandalös. Vor allem aus kirchlichen Kreisen gab es berechtigte Warnungen vor einem Nachahmungseffekt. Tatsächlich stieg die Zahl der Selbstmorde in den Jahren nach dem Erscheinen des Romans; ein dunkles Kapitel der Wirkungsgeschichte, das unter dem Schlagwort »Werther-Effekt« bekannt wurde.

1787 schuf Goethe eine zweite Fassung des Romans (»Die Leiden des jungen Werther«), die objektivierende Elemente enthält und dem Leser die Identifikation mit der Hauptfigur erschwert. Außerdem ergänzte er darin die Handlung um die sogenannte »Bauernburschenepisode« und veränderte die Figur des Albert positiv, sodass sie dem Ideal der Aufklärung entsprach …

Heute gehört das Werk zu den Klassikern unter den deutschen Liebesromanen. Es ist fester Bestandteil gymnasialer Lehrpläne und Lektürelisten, was auch auf die reiche Rezeptionsgeschichte zurückzuführen ist. Zu interessanten Vergleichen regt beispielsweise Ulrich Plenzdorfs Roman »Die neuen Leiden des jungen W.« (1972) an. Plenzdorf bezieht sich explizit auf Goethes Roman, indem er seine Hauptfigur Edgar Wibeau daraus zitieren lässt und dessen eigene Liebesgeschichte mit dem historischen Vorbild verknüpft.“

https://www.inhaltsangabe.de/goethe/die-leiden-des-jungen-werthers/

 

„Nach der Veröffentlichung des Werkes gab es sofort große Zustimmung dafür. Der Roman war nicht nur bei Goethes literarischen Freunden, sondern auch beim Publikum sehr beliebt und entwickelte sich zu einem regelrechten »Bestseller«. Bis heute wird er gern als erster Bestseller der europäischen Literatur und als literarische Sensation (vgl. Wiethölter und Brecht 916) bezeichnet. In den Jahren bis 1781 entstanden Übersetzungen des Werks ins Englische, Französische und Italienische, und allein zu Goethes Lebzeiten gab es mehr als 50 Druckauflagen. Als Goethe im Jahr 1784 mit Napoleon zusammentraf, versicherte ihm dieser, er habe den Roman sieben Mal gelesen und zeigte sich im Gespräch als differenzierter Kenner des Textes. (ebd. 929/30)

Zeitgleich mit den Verkaufserfolgen und positiven Rezensionen von Zeitgenossen wie Jakob Michael Reinhold Lenz oder Wilhelm Heinse wurde mit den Themen der Liebe zu einer verheirateten Frau und des daraus resultierenden Suizids aber auch heftige Gegnerschaft ausgelöst. Nicht nur der Klerus, sondern auch die Fraktion der Aufklärer brachte sich gegen das Werk in Stellung. Georg Christoph Lichtenberg monierte, dass Werther seine Talente nicht richtig, also zur »Belehrung und Besserung anderer« eingesetzt hätte und befand als beste Stelle des Romans jene, wo sich der »Hasenfuß erschießt« (zitiert nach Bernhardt Abschnitt 4.). Friedrich Nicolai veröffentlichte 1775 unter dem Titel »Freuden des jungen Werthers« eine Parodie, und Lessing kritisierte vor allem den Bezug zu Jerusalem, den er persönlich gekannt hatte und der aus seiner Sicht ein viel ernsthafterer Denker und tiefgründigerer Zeitgenosse gewesen war, als es die literarische Adaption in der Figur Werthers vermuten ließ.

Ihren Höhepunkt erreichte die Auseinandersetzung zwischen Befürwortern und Gegnern, als einige Leser:innen des Werkes Werthers Selbstmord nachahmten:

Durch Quellen belegt ist in jedem Fall eine zweistellige Zahl von Suiziden in verschiedenen europäischen Ländern, die in direkte Verbindung mit Goethes Buchpublikation gesetzt werden. Das Phänomen der Nachahmung des literarischen Vorbildes war bei diesen Fällen insofern evident, als sich die Suizidenten genau wie die tragische Romanfigur in blaue Jacke und gelbe Weste kleideten oder das Buch direkt beim Suizid bei sich führten, wie im Fall eines jungen Mannes namens Karstens, der sich bei aufgeschlagenem Buch erschoss.

Die scharfe Kritik von Theologen wie Johann August Ernesti, der das Werk geradezu als »Apologie und Empfehlung des Selbstmords« betrachtete, führte zu einem zeitweisen Verbot des Romans z. B. in Sachsen und Österreich – was, wie kaum anders zu erwarten, das Interesse und die Nachfrage nach dem Titel nur noch steigerte.

In den folgenden Jahrhunderten gab es immer wieder Adaptionen, Umarbeitungen und Neuinterpretationen des Romans. Zu den bekanntesten musikalischen Aneignungen gehört Jules Massenets Oper »Werther« (Uraufführung 1895), zu den bekanntesten literarischen Ulrich Plenzdorfs Roman »Die neuen Leiden des jungen W.« (1973). Franziska Walther holt den Titelhelden mit ihrer Graphic Novel »Werther reloaded« (2016) in die Gegenwart und macht aus ihm einen New Yorker Art Director zwischen Leistungsdruck, Drogenkonsum und möglicher Rettung durch eine Frau namens Lotte.

Unter dem Begriff »Werther-Effekt« wird bis heute der Einfluss von Medien auf das reale Verhalten vor allem Jugendlicher diskutiert, wobei sich die Kontroverse heute kaum noch auf literarische Werke, sondern hauptsächlich auf Spielfilme, Serien oder Computerspiele, aber auch auf die Art der Berichterstattung über Gewalt und Verbrechen bezieht.“

https://www.inhaltsangabe.de/goethe/die-leiden-des-jungen-werthers/rezeption-und-kritik/

 

Lotte in Weimar

 

„1816. Weimar ist in Aufruhr: Charlotte Kestner, geborene Buff, die Urgestalt der Lotte im »Werther«, dem genialen literarischen Jugendstreich des Dichterfürsten Goethe, ist im Hotel Elephant eingetroffen, um …, nein, nicht um zuvörderst den Dichter selbst, sondern ihre teuren Anverwandten zu treffen. Aber vielleicht gibt es doch ein Fünkchen Interesse daran, was aus dem feurigen Poeten nach 44 Jahren geworden ist? Jedoch nicht nur sie ist neugierig. Auch die Weimarer stehen Schlange und versuchen, einen Blick auf die, wenn nicht gar ein Rendezvous mit der Dame zu erhaschen, die vor vielen Jahren die umschwärmte Muse des Meisters war. Und so schlagen diejenigen bei ihr auf, die dem weltberühmten Mann nun nahestehen. Sie alle wollen über IHN sprechen, den sie verehren und hassen, dessen Größe sie adelt und erdrückt. Anstatt in aller Heimlichkeit eine zarte Erinnerung auffrischen zu können, muss Charlotte ihren Besuchern die Beichte abnehmen.

Dann endlich kommt die erhoffte Einladung zum Dinner. Aber nicht die erträumte Wiederbegegnung findet statt. Der Fürst hält Hof! Und Charlotte Kestner erfährt, was sie schon ahnte: »Ein großer Mann ist ein öffentliches Unglück«.

Thomas Manns Roman beschreibt eindrücklich das Klima der deutschen Kleinstadt Weimar, die sich zu Großem berufen fühlt und Großes nur schwer erträgt, aber auch die eitle Einsamkeit des einzigartigen deutschen Dichters, der nichts neben sich dulden mag, was ihm ebenbürtig ist, engstirnige Provinzialität allerdings verachtet.“

https://www.nationaltheater-weimar.de/de/programm/stueck-detail.php?SID=1440

 

„„Lotte in Weimar“ ist ein Roman Thomas Manns, der 1939 erstveröffentlicht wurde und zwar in Schweden. Mann befand sich zu dieser Zeit schon im Exil, nachdem ihm drei Jahre zuvor aufgrund seiner Positionierung gegen das Nazi-Regime die deutsche Staatsbürgerschaft aberkannt worden war.

Ein Roman über Goethe, aufgehangen am historischen Besuch der Charlotte Kestner, geb. Buff, in Weimar, der 1816 stattfand, im September dieses Jahres. Weimar, in dessen unmittelbarer Nähe einmal das Konzentrationslager Buchenwald eingerichtet werden sollte, war zu dieser Zeit der „Weimarer Klassik“ ein Fixstern, ein überaus hell strahlender Fixstern am geistigen Himmel Deutschlands, ja Europas. Schiller, der ein paar Jahre zuvor gestorben war und eben Goethe, aber auch viele andere Dichter und Gelehrte waren mit der Stadt verbunden wie z.B. Wieland und Herder.

Die Zeit nach der Jahrhundertwende war aber auch eine politisch turbulente Epoche. Napoleon (für den Goethe große Sympathie hatte, was auf Gegenseitigkeit beruhte) wirbelte die europäische Landkarte durcheinander, die Befreiungskriege sorgten für Turbulenzen im Sinne einer Liberalisierung im Inneren; auch wenn im Wiener Kongress die alten Zustände noch einmal zementiert werden sollten, ist der Anbruch einer neuen Zeitepoche nicht mehr fern.

In diesem Weimar trifft also eine Kutsche ein, hält vor dem (heutigen Luxushotel) „Zum Elephant“ am Markt, eine ältere Dame entsteigt in Begleitung einer jüngeren und einer weiteren Frau, offensichtlich dem Dienstmädchen. Der Hoteldiener namens Mager (gesprochen: Mahcher) empfängt die Damen, führt sie zur Rezeption und erkennt nach dem Eintrag in den Empfang, um wen es sich bei der älteren Dame handelt. Es ist jene Lotte in personam, der der Gewaltige, the one and only, in seinem weltberühmten Frühwerk, dem Werther, Unsterblichkeit verliehen hat als unerreichbarer Jugendliebe, jene Charlotte Buff aus Wetzlar, wo er weiland ab anno 1772, vordergründig als Praktikant am Reichskammergericht, in Wirklichkeit aber mehr an der kurzweiligen Lebensgestaltung interessiert, weilte. Auch diesmal Vordergründigkeit: nach außen hin führt Lotte den längst überfälligen Besuch bei ihrer Schwester und ihrem Schwager, den Riedels, in Weimar als Grund ihrer Anwesenheit an, in Wirklichkeit will sie jetzt, vierundvierzig Jahre später, den damaligen Jugendfreund, der sich weiland wie ein Kuckuck in das Nest ihrer seinerzeitigen Verlobung mit Kestner gesetzt, noch einmal treffen, um einen Abschluss einer Affäre zu machen, die zum einen keine war und die zum anderen ihre Seele immer noch beschäftigt. Bildhaft kommt dies zum Ausdruck in dem Kleid, in dem sie Goethe gegenübertreten will: es ist das Kleid, an dem eine Schleife fehlt, welche nämliche war, die sie damals dem Dichter schenkte…

Sie will etwas ruhen, die alte Dame (Mann erinnert des öfteren so uncharmant und unverblümt an ihr Alter), schickt die junge Dame (diese heißt im Roman ebenfalls Charlotte und ist ihre zweitälteste Tochter von insgesamt 9 Kindern, die sie groß zog, zuzüglich zweier, die sie zu Grabe tragen musste) schon einmal zu den Verwandten, das eigene Erscheinen zur Mittagszeit in Erwartung zu bringen und legt sich hin. Doch nur kurz ist ihr Ruhe vergönnt und ein Umherstreifen der Gedanken im Vergangenen und doch noch so Gegenwärtigen, bevor Mager – den sie schon zuvor kaum hinausexpedieren konnte – Besuch meldet, unwillkommenen Besuch, will sie, Charlotte, doch ihre Ruhe haben.

Doch vor die Ruhe hat Gott wohl den Mager gesetzt, den Literaturbegeisterten, den Verehrer Goethes und jetzt auch Lottes, Mager, das Plappermaul, das die Ankunft Lottes in Windeseile in ganz Weimar zu verbreiten wusste (als Bild erschien mir, las ich vom Auftreten Magers immer Karl Valentin in meiner Vorstellung….). Derart ist der kleine Tumult, der Menschenauflauf vor dem Hotel (von dem wir im Verlauf des Romans erfahren) zu erklären und auch die folgenden Besuche bei Lotte (Lotte!!!)…

Derart in etwa ist die Ausgangskonstellation des Mann´schen Romans, dem jetzt auf Hunderten von Seiten keine Handlung folgt. Man kann sich das Ganze in etwa so vorstellen: Lotte sitzt in ihrem Hotelzimmer, wackelt mit dem Kopf (auch häufig auf diese altersbedingte Erscheinung bei Lotte hinzuweisen vergisst Mann nicht…), empfängt – prinzipiell der dadurch bedingten Verzögerung wegen verärgert, dann aber doch hoch interessiert – einen von Mager gemeldeten Besucher nach dem anderen, lauscht den schier endlosen Monologen der Besucher, und hat kurzfristig ein schlechtes Gewissen wegen ihrer Säumigkeit den Verwandten gegenüber, bei denen sie schon längst erschienen hätte sein müssen.

So empfängt sie nacheinander den Dr. Riemer, seines Zeichens der ehemalige Hauslehrer des Goethe-Sohnes August, von diesem aber dann de facto aus dem Haus getrieben, nachdem sich der Dichter selbst noch einige Jahres des gebildeten Mannes bediente. Riemer ist Goethe verfallen, nichtsdestotrotz kommt im Laufe seines schier endlosen Monologs häufiger auch Kritik am Dichter vor, an seinem an Arroganz geltenden Selbstbewusstsein, seiner Eigenart, sich Fähigkeiten und Kenntnisse anderer Menschen zu eigen zu machen, auch seiner Kälte gegenüber. Das lange Sprechen strengt Riemer an, letztlich sitzt er ausgelaugt mit zitternden Händen am Knauf seines Stockes vor der ebenfalls – am und mit dem Kopfe – wackelnden Lotte …

Vor dem Dr. war schon jemand anders bei Lotte, eine junge, unerschrockene Irin, die als Vorgängerin zu sehen ist für die Paparazzi der heutigen Welt. Die Dame, Miss Rose Cuzzle, reist durch die Welt und porträtiert die Celebrities, deren sie habhaft werden kann. So taucht sie auch sofort, nachdem sie Kenntnis erlangt hatte, bei Lotte auf … die sich hernach in Nachbarschaft von Napoleon, diversen Herren des Wiener Kongresses und Rahel von Varnhagen wiederfindet … Rose Cuzzle nordet mit einem einzigen kleinen Satz alles ein: für sie ist Weimar „.. this nice little place..“ der deutschen Geisteskultur. Billigt man ihr den unverstellten Blick von aussen zu und vergleicht ihn mit den im Roman auf hunderten von Seiten ausgebreiteten Selbstbeweihräucherungen der echten oder der eingebildeten Bewohner dieser Geisteskultur, so tut einem diese schnörkellose Relativierung der Weimarer Verhältnisse auf menschliches Maß gut.

Adele Schopenhauer ist nächster Gast der Charlotte. Auch sie einer der Fixsterne, die um Goethe kreisen, aber nicht ohne Ausnahmen. Einer jüngeren Generation an- und zugehörig, finden sie und ihre Freunde auch an anderen Dichtern, vor allem solchen, die die neue, liberalere Zeit nach den Befreiungskriegen verkörpern, Gefallen – ein Gefallen, das vor ihm auf jeden Fall verborgen bleiben muss. Von Adele bekommt Lotte ebenfalls nähere Kenntnis vom Goeth´schen Sohn August, der dem Vater als Sekretär und Hilfe zur Hand geht. Dieser junge Mann ist von eher jähzornigem Charakter, er hat in der Stadt einen schlechten Leumund, der Vater bewahrte ihn seinerzeit davor, in gefährliche Kriegsscharmützel zu geraten… so haftet August (auch noch wegen anderer Vorkommnisse) ein unguter Ruf an. Zudem scheint er dem Alkohol zuzusprechen und auch den Damen, deren Ruf zweifelhaft ist – beides scheint den Vater nicht zu irritieren. Die große Bitte der Adele an Lotte ist es nun, daß diese gegen die geplante Hochzeit des Adel´schen Lieblings, der Ottilie von Pogwisch mit just diesem August interveniert, die Ehe können nicht glücklich sein, ihr Liebling würde nur die Pflicht fühlen, diesen Mann zu lieben und jener nur den Wunsch des Vaters erfüllen, heirate er dieses Persönchen … in diesem Moment naht der so Geschmähte und Adele verschwindet mit Hilfe Magers, nicht ohne Lotte das Versprechen abzunehmen, von ihrem Besuch nichts zu erwähnen, sie fürchtet wohl, August könne erraten, was ihr Begehr an Lotte war ( Lotte erwähnt den Besuch der Schopenhauerschen aber einige viele -zig Seiten später dann doch, ohne daß es August auffällt…)

Letztlich also an diesem (Vor)Mittag erfährt Lotte dann auch noch aus Augustens Mund dessen Leben mit und unter dem Vater, auch vom Tod der Mutter, mit der Goethe eine Liaison hatte, die von der Gesellschaft geduldet wurde, das wirkliche Naserümpfen begann erst nach der Legalisierung der Beziehung zu der so ganz anderen Frau als es der Dichter war … August kommt auch als Bote, er überbringt eine Einladung des Vaters zu einem Mittagessen in kleinerem Kreise im Hause Goethes, nichts besonderes, das übliche Touristenprogramm. Sowieso scheint der Alte nicht begeistert vom Auftauchen der Jugendliebe, ein durchaus störendes Element, mit dem er nichts anfangen kann. Das zeigt sich dann auch beim Essen, es .ist ein halboffizielles Essen, das keine Zeit läßt für Privates oder Persönliches …

Lottes Blick schweift über die Runde der Eingeladenen, eine Runde, die von Goethe dominiert wird. Lacht der Meister, lachen alle, schweigt er, warten alle auf sein nächstes Wort. Leichte Panik entsteht, wenn dieser in´s Sinnieren fällt, es wird ihm doch nicht schlecht gehe? Und Stürme ungebremster Liebedienerei branden auf, wenn auch nur die erste Zeile eines neuen Gedichts von ihm rezitiert wird … Goethe ist ein Tyrann, weil er diese Rolle, die ihm die anderen aufdrängen, annimmt. Wie Trabanten umkreisen ihn die Riemers und die Meyers, er ist das Zentralgestirn, das Leben spendet in diesem nice little place. Lieg ich mit der Assoziation von des Kaisers neuen Kleiders so falsch? Lotte jedenfalls sieht diese Menschen sich von Goethes Licht nähren und ihn sich von ihrer Bewunderung … nein, es ist nicht mehr der Goethe, der damals ihr nachstellte (konnte sie das wirklich erwarten?), den, den sie erkannte, kannte sie nicht mehr …

Aber noch ist der Roman nicht zu Ende, Goethe ermöglicht der Jugendfreundin einen Theaterbesuch in seiner Loge, ohne jedoch mitzukommen. Auf der Rückfahrt vom Theater zum Elephanten kommt es in seiner Kutsche zu einer Begegnung, in einem Winkel sieht die eingestiegende Lotte Goethe sitzen und es kommt doch noch zu einem Gespräch der beiden … Vor dem Hotel hält der Wagen und Mager geleitet Lotte hinaus. Von einem Mann, von Goethe gar, ist nicht die Rede, so wird´s vielleicht ein Traumgespräch gewesen sein, das Lotte führte mit dem einst so Geschätzten, dessen Leben ihr so fremd geworden ist.

„Lotte in Weimar“ ist ein schon in der Emigration entstandener Roman, es wäre verwunderlich, wenn Mann hier nicht auch Gedanken zur seinerzeit aktuellen politischen Situation in Deutschland eingebracht hätte. Er legt sie dem Fixstern der „Handlung“ in den Mund, dem Dichter, dem er sich als Schriftsteller eh verwandt fühlt.  Viele Stellen, in denen Goethe spricht oder zitiert wird, lassen sich entsprechend interpretieren, im allgemeinen ist er skeptisch, was die politische Reife des Deutschen angeht: „Ist denn wirklich das Volk erwacht? Weiß es, was es will und was es vermag?“. Im Kreise des Mittagessens gibt er, dies kaum anders als mit Bezug zum Dritten Reich zu interpretieren, eine Erzählung zu Gehör über ein Progrom, welches in vergangenen Zeiten in Eger stattgefunden hat und er verbindet dies mit der Befürchtung, nein: der Angst: „…es möchte eines Tages der gebundene Welthaß gegen das andere Salz der Erde, das Deutschtum, in einem historischen Aufstande frei werden ….“

 

Einer (nach außen) kritiklosen Goethzenverehrung gleich erscheint die Liebedienerei, die Lobhudelei, die allerorten zu vernehmen ist, eine neue Zeile des Meisters reicht, alle in Verzückung zu versetzen. Es erinnert ein wenig an die Szene in Bertoluccis Film „Der letzte Kaiser“, in der der Kindkaiser im Großen Saal auf dem Topf sitzt und seine Berater auf der Ergebnis der Sitzung warten, das dann endlich hörbar im Topf landet, woraufhin sich alle auf selbigen stürzen, anhand der kaiserlichen Hinterlassenschaft das Schicksal zu deuten …

Im erwähnten Rundblick Lottes über die Mittagsrunde registriert diese das sehr genau, die unterwürfige Begeisterung, den geschmeichelten Knechtssinn, das dienstwillige Lachen und den ergebensten Beifall. Sie registriert den Einschlag von Devotion in der Runde, der bei ihr Verachtung auslöst, sowie die unverhältnismäßigen Dankbarkeitsreaktionen der Menschen. Es sind für mich die schönsten Zeilen im Buch, die Entlarvung einer Gesellschaft, die sich devot in eine Hierarchie einbindet und von den vom Tisch fallenden Brosamen nährt. Eine Gesellschaft, die in dieser Form von der politischen und auch kulturellen Entwicklung abgehängt werden sollte …“

https://radiergummi.wordpress.com/2014/06/25/thomas-mann-lotte-in-weimar/

 

Die neuen Leiden des jungen W.

 

https://www.youtube.com/watch?v=Z9hWpOR9Oj4

 

Werther 2.0

 

„Edgar Wibeau ist 17 Jahre alt und steckt mitten in der Pubertät. Er begehrt auf, eckt an – und stößt sich den Kopf besonders hart, denn in der DDR, wo er aufwächst, ist kaum Platz für Individualisten wie ihn. So flüchtet er aus dieser Gesellschaft, versteckt sich in einer alten Laube und entdeckt dort bei der Lektüre von Goethes Die Leiden des jungen Werther, dass er mit diesem berühmtesten aller Liebeskranken einiges gemeinsam hat ... Die DDR gibt es seit 1990 nicht mehr, doch Ulrich Plenzdorfs Roman ist heute noch so aktuell und lesenswert wie bei seinem Erscheinen Anfang der 70er Jahre. Natürlich ließen sich die Probleme des Helden vor dem damaligen historischen Hintergrund besonders prägnant darstellen – und doch sind es die gleichen Leiden, an denen Jugendliche in aller Welt heute wie eh und je kranken: Edgar kämpft um seine Freiheit, stürzt sich freimütig in Konflikte und fühlt sich abgrundtief unverstanden. Kein Problem, sich in dieser aktualisierten Werther-Story wiederzuerkennen. Selbst wenn man keine 17 mehr ist.“

 

„Die neuen Leiden des jungen W. war einer der ersten Romane der DDR, die sich kritisch mit dem Staat auseinandersetzten.

Am Beispiel des Jugendlichen Edgar Wibeau zeigt Plenzdorf, wie wenig Freiraum es in der DDR-Gesellschaft für den Einzelnen gab.

Dabei orientiert er sich stark an Goethes Roman Die Leiden des jungen Werther.

Edgar Wibeau sehnt sich nach persönlicher Freiheit, lebt aber nach außen hin perfekt angepasst, als Musterknabe.

Er möchte Maler werden, aber seine abstrakten Bilder stoßen auf Unverständnis.

Nach einem Konflikt mit einem Ausbilder haut Edgar ab und versteckt sich in einer Laubenkolonie, die bald abgerissen werden soll.

Dort lernt er die Kindergärtnerin Charlie kennen und verliebt sich in sie.

Charlie ist mit dem vorbildlichen, aber langweiligen Dieter verlobt und heiratet ihn später.

Weil Edgar Geld braucht, schließt er sich einer Anstreicherbrigade an, bekommt dort aber wegen seines provozierenden Verhaltens bald Schwierigkeiten.

In seiner Freizeit bastelt er an einem neuartigen Farbspritzgerät, mit dem er seine Kollegen beeindrucken will.

Weil er dafür weder richtiges Material noch Werkzeug hat, wird das Ergebnis ziemlich abenteuerlich. Beim Versuch, das Gerät einzuschalten, stirbt Edgar an einem Stromschlag.

Interessant ist der Roman nicht zuletzt wegen seiner Sprache: Edgar spricht im Jargon der Jugendlichen der 70er Jahre.“

 

Zusammenfassung: Ein Musterknabe ergreift die Flucht

 

Edgar Wibeau, 17 Jahre alt, lebt Anfang der 1970er Jahre in der Kleinstadt Mittenberg in der DDR. Er wohnt mit seiner Mutter zusammen; der Vater hat die Familie verlassen, als Edgar fünf war. Seitdem haben sich Vater und Sohn nicht mehr gesehen. Die Mutter ist die Leiterin des Betriebs, in dem Edgar seine Ausbildung macht. Sie ist eine ehrgeizige Frau und versucht ihren Sohn möglichst mustergültig zu erziehen. Tatsächlich entwickelt sich Edgar vorbildlich, er war ein guter Schüler und ist jetzt auch in der Ausbildung der Beste seines Jahrgangs.

Ein Musterknabe ist Edgar allerdings nur gegen außen; er stellt sich sein Leben ganz anders vor. Maler möchte er werden, doch seine abstrakten Bilder stoßen bei den Erwachsenen auf wenig Verständnis. Eines Tages, für sein Umfeld völlig unerwartet, bricht der brave Edgar aus: Als er mit einem Ausbilder wegen einer Nichtigkeit in Streit gerät, lässt er eine schwere Metallplatte auf dessen Fuß fallen. Der Ausbilder bricht sich den Zeh – und statt die Konsequenzen zu tragen und sich zu entschuldigen, verschwindet Edgar spurlos.

Nur einer weiß, wo Edgar geblieben ist: sein bester Kumpel Willi. Die beiden reisen erst einmal zusammen nach Berlin. Dort bewirbt sich Edgar mit seinen Bildern an der Kunsthochschule; freilich ohne dass seine sonderbaren Werke bei den Verantwortlichen auf Gegenliebe stoßen würden. Edgar ist tief enttäuscht. Zurück nach Mittenberg will er trotzdem nicht. In einer Laubenkolonie, die leer steht, weil sie bald abgerissen werden soll, hatten Willis Eltern früher eine Hütte. Zum Glück hat Willi noch den Schlüssel. Er bringt Edgar in der alten Laube unter und fährt allein nach Mittenberg zurück.

Edgar ist glücklich. Zum ersten Mal steht er nicht unter Kontrolle und kann sein Leben so gestalten, wie er will. „Echte“ Musik hören, herumgammeln, sich lange Haare wachsen lassen. Nur zu lesen hat er leider nichts mitgenommen, vor allem vermisst er seine beiden Lieblingsbücher, Robinson Crusoe und Der Fänger im Roggen. Auf der Suche nach Lesematerial wird er aber in der Laube nicht fündig. Auf der Toilette hat er mehr Glück: Dort fällt ihm ein altes Reclamheft in die Hände. Um welches Werk es sich handelt, kann er in der Dunkelheit nicht erkennen. Einband, Titelblatt und Nachwort benutzt er als Toilettenpapier, den Rest nimmt er zur Lektüre mit. Zunächst kann Edgar mit dem altertümlichen Text wenig anfangen, doch da er nichts anderes hat, vertieft er sich doch in das Heft: Es geht um einen gewissen Werther, der sich aus unglücklicher Liebe zu einer Charlotte umbringt. Ziemlich lächerlich, findet Edgar erst mal.

Eines Morgens wird er in seiner Laube durch Lärm geweckt. Nebenan ist ein Kindergarten, und da die Grundstücke nicht eingezäunt sind, kommen die Kinder, wenn sie ins Freie dürfen, ganz in seine Nähe. Völlig verschlafen tappt Edgar aus der Laube. Charlie, die Kindergärtnerin, entdeckt den verwahrlosten jungen Mann auf dem verlassenen Grundstück und ruft die Kinder zurück. Mit wenig Erfolg: Als sich Edgar mit seinen Malsachen hinter die Laube setzt, siegt die Neugierde – bald stehen alle Kinder um ihn herum und sehen ihm zu. Als Charlie erneut versucht, die Kinder zurückzuholen, sieht Edgar sie – und verliebt sich auf den ersten Blick in sie, die nur wenig älter ist als er selbst. Charlie schaut sich Edgars Skizze an und ist sich sicher, dass er gar nicht zeichnen kann, sondern nur das verkannte Genie spielen will. Nach dieser ersten Begegnung mit Charlie kommt Edgar auf die kuriose Idee, einen kurzen Text aus dem Werther-Roman auf Band zu sprechen und dieses an Willi zu schicken, um ihn zu verwirren. Er wählt eine Stelle, wo Werther die von ihm verehrte Charlotte beschreibt.

„Ich hatte das aus dieser alten Schwarte oder Heft. Reclamheft. Ich kann nicht mal sagen, wie es hieß. Das olle Titelblatt ging flöten auf dem ollen Klo von Willis Laube.“

Da auch der Kindergarten bald abgerissen werden soll, bietet Charlie Edgar an, dass er eine der Wände bemalen darf. Edgar sagt zu, geht aber nicht selbst ans Werk, sondern überlässt den Kindern das Wandgemälde. Am nächsten Tag kommt Charlie zu ihm in die Laube. Sie bringt ihm Geld, angeblich das Honorar für die bemalte Wand. Aber Edgar ahnt, dass das Geld von ihr selbst stammt und sie ihm nur helfen will. Schließlich kommt er auf die Idee, ihren Schattenriss zu zeichnen. Das gibt ihm die Chance, sie anzufassen und ihren Kopf so zu drehen, wie er ihn braucht. Charlie wehrt sich nicht gegen diese Annäherung. Als das Bild fertig ist, möchte sie es haben – für ihren Verlobten Dieter, der seit Längerem bei der Armee dient und bald entlassen werden soll. Dass Charlie verlobt ist, beeindruckt Edgar wenig, und den Schattenriss behält er für sich. Wieder spricht er danach einen passenden Text aus dem Werther-Roman auf Band und schickt es an Willi.

Nun ist Edgar öfters im Kindergarten und hilft dort mit, allein schon, um Charlie zu sehen. Eines Tages wird er beim Luftballonaufblasen ohnmächtig. Als er wieder zu sich kommt, hält Charlie seinen Kopf in ihrem Schoß. Sie macht ihm Vorwürfe, weil er nicht genug esse. Da taucht plötzlich Charlies Chefin auf und teilt ihr mit, dass sie heute früher Feierabend machen könne: Dieter sei aus der Armee entlassen worden und gerade angekommen. Charlie geht, und Edgar kehrt in seine Laube zurück. Wieder findet er im Werther-Roman einen Text, der ihm aus dem Herzen spricht, und nimmt ihn für Willi auf. Der hat inzwischen geantwortet, ebenfalls per Tonband. Edgars sonderbar altertümliche Texte irritieren ihn, er hält sie für eine Art Geheimsprache und bittet um den Code.

Ein paar Tage später taucht Charlie zusammen mit Dieter bei Edgar in der Laube auf. Dieter ist schon 25 und wirkt auf Edgar angepasst, gewissenhaft und spießig, also unsympathisch. Er betrachtet aufmerksam einige von Edgars Bildern, die in der Laube hängen, und rät ihm dann, mehr auf Perspektive und Proportionen zu achten. Edgar, nun endgültig aufgebracht, kontert mit einem Zitat aus seinem „Old Werther“, worauf Dieter nichts zu entgegnen weiß.

„Ein verkannteres Genie als mich hatte es noch nie gegeben.“

Als die beiden gehen, schließt Edgar sich kurzerhand an und begleitet sie bis in Dieters Wohnung. Wie zu erwarten war, ist sie sehr ordentlich, fast steril. An der Wand hängt ein Druck von van Goghs Sonnenblumen. Charlie scheint zu ahnen, was Edgar über Dieter und die Wohnung denkt. Sie fängt an, Dieter zu verteidigen. Edgar nimmt Dieters Luftgewehr von der Wand und spielt damit herum, worauf Dieter es ihm abnimmt und ihn und Charlie aus der Wohnung komplimentiert. Draußen legt Edgar ihr den Arm um die Schultern, aber Charlie wehrt sich und läuft weg. Edgar sieht ein, dass er im Moment keine Chancen bei ihr hat.

Von Willi hat er wieder ein Band bekommen. Diesmal hat auch Edgars Mutter ein Stück besprochen. Sie bittet ihn, wieder zurückzukommen und nicht herumzugammeln.

Nach Mittenberg möchte Edgar nicht zurück, aber wenn er weiter in seiner Laube leben will, braucht er Geld. Da er einsieht, dass es zurzeit keinen Sinn hat, weiter den Kontakt zu Charlie zu suchen, entscheidet er sich, wieder zu arbeiten. Er schließt sich einer Anstreicherbrigade an. Dort eckt er mit seinem provozierenden Verhalten erst einmal an. Mit dem alten Kollegen Zaremba versteht sich Edgar gut, aber mit dem cholerischen Addi gibt es ständig Konflikte. Edgar versteht Anweisungen absichtlich falsch und denkt gar nicht daran, das zu tun, was die anderen von ihm erwarten. Die Kollegen basteln gerade an einer Erfindung, einer Farbspritze, die nicht nebelt. So etwas gibt es bisher auf der ganzen Welt nicht, das Gerät wäre eine Sensation. Sie haben auch schon etwas zusammengebastelt, aber es funktioniert nicht recht. Dennoch führen sie es irgendwann einigen Experten vor. Die Vorführung geht schief, das Gerät nebelt. Schließlich platzt auch noch der Schlauch, und alles ist voll Farbe. Ausgerechnet in dieser Situation gibt Edgar wieder mal ein Werther-Zitat zum Besten. Das ist zu viel für Addi, er wirft Edgar hinaus.

Darauf beschließt Edgar, seinen Vater in Berlin zu besuchen. Die beiden haben sich seit Jahren nicht mehr gesehen. Edgar weiß, dass sein Vater ihn nicht wiedererkennen wird, traut sich aber auch nicht zu sagen, wer er ist. Deshalb kommt er in seiner Arbeitskleidung und gibt sich als Heizungsmonteur aus. Er inspiziert die Heizung, heimlich auch die Wohnung und die Freundin des Vaters, und geht wieder, ohne seine Identität offenbart zu haben.

An diesem Abend entscheidet er sich, selbst eine nebellose Farbspritze zu bauen und sie dann seinen ehemaligen Kollegen vorzuführen. Dazu hat er zwar weder Material noch Werkzeug. Aber er sucht sich in der verlassenen Laubenkolonie alles zusammen, was er für irgendwie brauchbar hält, und fängt an zu basteln. Ein paar Tage später stehen die Kollegen auf einmal vor der Tür. Sie wollen ihn zurückholen. Edgar hat sie rechtzeitig kommen sehen und seine Erfindung in der Küche eingeschlossen. Als die Kollegen in der Laube stehen, liegt er auf der Couch und hustet. Addi entschuldigt sich für sein Verhalten, und sie bieten ihm die Rückkehr an. Edgar sagt zu. Von nun an verzichtet er auf Provokationen und erledigt brav seine Arbeit. Eigentlich aber wartet er nur auf den Tag, an dem er den anderen stolz seine Farbspritze vorführen kann.

Charlie hat er derweil aus den Augen verloren, der Kindergarten ist umgezogen. Aber eines Abends findet er einen Brief von ihr vor. Sie ist inzwischen mit Dieter verheiratet und lädt Edgar ein, sie beide zu besuchen. Sofort macht er sich auf den Weg zu Dieters Wohnung – sein plötzliches Erscheinen begründet er mit dem Vorwand, eine Rohrzange ausleihen zu wollen. Charlie freut sich, Edgar wiederzusehen. Sie erzählen sich einiges und vergessen darüber die Rohrzange. Also hat Edgar einen Grund, am nächsten Tag erneut zu kommen. Wieder spielt er mit Dieters Luftgewehr, und Charlie schlägt vor, sie könnten zu dritt nach draußen gehen, um zu schießen. Dieter ist nicht begeistert, kommt aber mit. Am Bahndamm lässt sich Charlie von Edgar Schießunterricht geben, während Dieter gelangweilt danebensteht. Schließlich schmiedet Charlie Pläne für einen Ausflug am nächsten Sonntag. Ob Edgar auch mit eingeladen ist, lässt sie offen. Dieser fasst es mal so auf und erscheint prompt am Sonntag bei den beiden.

Es ist ein regnerischer und kalter Dezembertag. Dieter, inzwischen fleißiger Germanistikstudent, möchte lieber zu Hause bleiben und lernen. Charlie dagegen hat sich sehr auf den Ausflug gefreut und ist nun enttäuscht. Die beiden streiten sich, und aus Trotz fordert sie schließlich Edgar auf, allein mit ihr zu kommen. Sie mieten ein Boot und fahren damit im Regen auf der Spree herum. Charlie kommt zu Edgar unter die Pelerine und kuschelt sich an ihn. Schließlich bietet sie ihm einen Kuss an. Edgar küsst sie, gibt sich aber damit nicht zufrieden. Charlie wehrt sich nicht, doch auf der Rückfahrt ist sie sehr einsilbig. Als Edgar mit dem Boot anlegt, läuft sie einfach davon.

In seiner Laube findet Edgar lange keine Ruhe, schläft aber schließlich doch ein. Plötzlich weckt ihn das Geräusch eines Bulldozers – der Abriss der Lauben hat begonnen. Edgar kann sich gerade noch bemerkbar machen. Mit dem erschrockenen Bulldozerfahrer vereinbart er, dass er noch drei Tage in der Laube bleiben kann, bis nach Weihnachten. Als er anschließend einen Brief von Willi findet mit der Mitteilung, dass er Edgars Mutter die Adresse gegeben habe, ist Edgar endgültig klar, dass er nicht mehr viel Zeit hat, um seine bahnbrechende Erfindung fertig zu bauen. Seine Mutter kann jederzeit vor der Tür stehen und ihn zurückholen. Edgar schließt sich in die Laube ein und bastelt fieberhaft an der Farbspritze. Die ganze Zeit schon hat er mit primitivsten Mitteln arbeiten müssen, aber jetzt, in der Eile, fängt er auch noch an zu pfuschen. Er möchte auf alle Fälle wissen, ob wenigstens das Prinzip funktioniert. Irgendwann ist er so weit, dass das Gerät funktionstüchtig sein müsste. Edgar drückt auf den Einschaltknopf – und wird durch einen Stromschlag getötet.

Als Edgar am nächsten Tag nicht zur Arbeit kommt, suchen ihn die Kollegen. Auf dem Grundstück sind Polizisten, die ihnen erzählen, was passiert ist. In der Küche der Laube finden die Kollegen die Überreste eines sehr merkwürdigen Apparates. Addi nimmt die Teile mit, die übrig geblieben sind, und versucht zu rekonstruieren, was Edgar eigentlich bauen wollte, aber er schafft es nicht. Deshalb möchte er nach Weihnachten noch einmal in die Laube. Als er dort ankommt, ist sie schon eingeebnet.“

 

Aufbau und Stil

 

„Der Roman beginnt mit vier Zeitungstexten: einer kurzen Meldung über den Unfall eines gewissen Edgar W. und drei Todesanzeigen. Dass Edgar tot ist, erfährt der Leser so als Erstes, ohne die Hintergründe zu kennen. Danach wechseln sich im Roman zwei Perspektiven ab: Edgars Vater versucht nachträglich, das Geschehen zu rekonstruieren, und führt dazu Gespräche mit Edgars Bekannten. Diese Textpassagen sind als reine Dialoge wiedergegeben und werden optisch durch Einrückung vom übrigen Text abgesetzt. Die zweite Perspektive liefert Edgar selbst, der sich, sozusagen aus dem Jenseits, immer wieder rückblickend zu Wort meldet, die Aussagen der anderen kommentiert, seine eigene Version der Geschichte liefert und dabei den Leser oft direkt anspricht. Seine Berichte machen den größten Teil des Buches aus. Edgars Sprache ist der Jargon eines Jugendlichen: flapsig, manchmal vulgär, mit bestimmten stereotypen Wendungen, Über- und Untertreibungen und englischen Begriffen. Auch in den Dialogen zwischen dem Vater und den übrigen Personen wird Umgangssprache verwendet, sie sind allgemein recht knapp und nüchtern gehalten. Eine besondere Rolle spielen im Roman die Zitate aus Goethes Die Leiden des jungen Werther, die Edgar immer wieder einstreut, um seine Lage zu kommentieren oder andere zu verblüffen. Mit ihrer etwas altertümlichen Sprache heben sie sich deutlich vom übrigen Text ab.“

 

Interpretationsansätze

 

„Plenzdorfs Roman ist eine Neufassung von Goethes Die Leiden des jungen Werther. Sowohl das Motiv der Rebellion gegen althergebrachte Normen als auch das der unglücklichen Liebe findet sich in beiden Romanen. Kein Wunder, dass sich Edgar immer mehr mit „Old Werther“ identifiziert. Ironischerweise findet er Goethes Roman auf der Toilette, und von den übrigen Romanfiguren erkennt keine den klassischen Text, nicht einmal der Germanistikstudent Dieter.

Plenzdorf übt deutliche Kritik an der sozialistischen Gesellschaft, die dem Einzelnen wenig Raum für eine individuelle Lebensgestaltung lässt. Allerdings ist Edgar kein Gegner des Sozialismus. Sein provokantes Verhalten ist typisch für Jugendliche – was aber in dieser Gesellschaft schon reicht, um zum Außenseiter zu werden.

Edgars künstlerische Ambitionen werden nicht gefördert, weil seine abstrakten Bilder nicht den offiziellen Vorstellungen von Kunst entsprechen. Seine Basteleien an der Farbspritze sind ein weiterer Versuch, kreativ zu sein und etwas Eigenständiges zu leisten. Aber auch hier scheitert er, der Versuch kostet ihn das Leben.

Charlies Verlobter Dieter ist ein Musterbeispiel der Systemtreue und des Angepasstseins. Auf Edgar wirkt er nicht vorbildlich, sondern eher abschreckend, da er langweilig und ohne eigene Persönlichkeit ist.

Neben der Auflehnung Edgars gegen die Gesellschaft spielt auch die – nicht vorhandene – Vater-Sohn-Beziehung eine Rolle: Edgars Vater kennt ihn gar nicht mehr und versucht erst nach dessen Tod vergeblich zu ergründen, was für ein Mensch sein Sohn eigentlich war.“

 

Historischer Hintergrund: Jugend in der DDR

 

„Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurde Deutschland von den Siegermächten in vier Besatzungszonen aufgeteilt: eine amerikanische, englische, französische und sowjetische. 1949 entstand aus den ersten drei Zonen die BRD, aus der letzten die DDR. Die Sowjetunion strebte in ihrer Zone einen sozialistischen Staat nach sowjetischem Vorbild an. Das Ergebnis war ein Staat mit totalitären Zügen, der seine Bürger bis ins Privatleben hinein überwachte und reglementierte. Ziel des Staates war es, die Menschen nach der Ideologie des Sozialismus zu formen. Wie sich ein guter Sozialist zu verhalten hatte, stand fest; eine Lebensgestaltung nach eigenen Vorstellungen war kaum möglich. Wer den Normen nicht entsprach, hatte mit Sanktionen zu rechnen. Auf eine entsprechende Erziehung der Kinder und Jugendlichen legte man großen Wert. Die Mitgliedschaft in den Jugendorganisationen der Sozialistischen Einheitspartei (SED) war für alle Pflicht. Mit dem Schulbeginn kamen die Kinder zu den Jungen Pionieren, mit 14 Jahren traten sie dann in die Freie Deutsche Jugend (FDJ) über. Um zu verhindern, dass sie mit Gedankengut in Berührung kamen, das nicht dem Sozialismus entsprach, wurde ihre Freizeit weitgehend verplant. Die Jugendorganisationen der SED boten dafür ein reichhaltiges Programm an, eine Teilnahme wurde selbstverständlich erwartet. Dieser staatlichen Reglementierung entzogen sich nur wenige, denn wer nicht linientreu war, riskierte seine berufliche Zukunft. So hatten Jugendliche kaum Freiräume, ihr Leben selbst zu gestalten. Auch wenn ihr Wunsch nach persönlicher Freiheit ebenso stark vorhanden war wie bei ihren Altersgenossen im Westen, passten sich viele wenigstens nach außen hin den geltenden Normen an, um nicht in Schwierigkeiten zu geraten.“

 

Entstehung

 

„Wie schon der Romantitel deutlich macht, hat Plenzdorf Johann Wolfgang von Goethes Die Leiden des jungen Werther (1774) zur Vorlage für seinen Text genommen. Goethes Roman besteht zu einem großen Teil aus Briefen, die Werther an seinen Freund Wilhelm schickt. Als typischer Vertreter des Sturm und Drang sieht sich Werther in Opposition zur Gesellschaft. Er verliebt sich in Charlotte, die jedoch bereits mit einem anderen Mann verlobt ist, den Werther als langweilig und spießig empfindet. Werthers Liebe bleibt unerfüllt, worunter er so sehr leidet, dass er sich schließlich das Leben nimmt. Plenzdorf übertrug diese Handlung in den Alltag der DDR: Bei ihm heißt die Angebetete Charlie, und anstelle von Briefen werden Tonbandnachrichten an einen Freund namens Willi geschickt. Auch Edgar hat mit einem langweiligen Nebenbuhler zu kämpfen und zieht den Kürzeren. Edgars Tod am Ende ist allerdings kein Selbstmord, sondern ein Unfall, den er durch Nachlässigkeit selbst verschuldet hat. Ein weiteres literarisches Vorbild Plenzdorfs wird ebenfalls im Text genannt: der Roman Der Fänger im Roggen von J. D. Salinger (1951). Auch hier geht es um die Auseinandersetzung eines pubertierenden Jugendlichen mit seiner Umwelt. Plenzdorf orientiert sich vor allem in der konsequenten Verwendung von Jugendsprache an Salinger. Ein Filmskript von Die neuen Leiden des jungen W. entstand schon 1968, aber im politischen Klima der damaligen Zeit war an eine Realisierung nicht zu denken. Das änderte sich erst nach dem achten Parteitag der SED 1971, auf dem den Künstlern mehr Freiheiten eingeräumt wurden, sich auch kritisch mit ihrem Staat auseinanderzusetzen. 1972 erschienen Die neuen Leiden des jungen W. als Prosatext in der Literaturzeitschrift Sinn und Form. Die Theaterversion wurde im selben Jahr in Halle uraufgeführt. 1973 wurde der Roman in Buchform in Ost- und Westdeutschland veröffentlicht.“

 

Wirkungsgeschichte

 

„Ulrich Plenzdorf war einer der ersten Schriftsteller, die es wagten, die etwas größere künstlerische Freiheit nach dem achten Parteitag der SED zu nutzen und einen z. T. DDR-kritischen Text zu veröffentlichen. Die neuen Leiden des jungen W. brachen in Inhalt und Form mit einigen Regeln, die bis dahin in der DDR-Literatur vorausgesetzt wurden. Entsprechend war die Resonanz. Bereits die Erstveröffentlichung in Sinn und Form löste heftige Debatten aus. Kritisiert wurden die flapsige Sprache des Protagonisten und die Tatsache, dass es keine positive Gegenfigur zu Edgar gibt. Die offizielle Seite vertrat die Meinung, Plenzdorf habe hier die Grenzen des Tragbaren deutlich überschritten. Von den Lesern wurde das Werk dagegen überwiegend begeistert aufgenommen, vor allem von Jugendlichen, die sich mit Edgar identifizierten – und das nicht nur in Ost-, sondern auch in Westdeutschland. Die neuen Leiden des jungen W. waren als Roman wie als Theaterstück ein Erfolg. Mit einem Schlag war Plenzdorf in ganz Deutschland berühmt. In der Theatersaison 1973/74 gehörten Die neuen Leiden des jungen W. zu einem der meistgespielten Stücke auf ost- und westdeutschen Bühnen. In der BRD wurde der Stoff 1974 zu einem Hörspiel verarbeitet und 1976 unter der Regie von Eberhard Itzenplitz verfilmt. In westdeutschen Schulen war der Roman außerdem Pflichtlektüre. Die neuen Leiden des jungen W. wurden auch in zahlreiche Sprachen übersetzt.“

 

Über den Autor

 

„Ulrich Plenzdorf wird am 26. Oktober 1934 in Berlin geboren. Beide Elternteile sind aktive Kommunisten und werden deshalb während der Zeit des Nationalsozialismus mehrfach verhaftet. Auch Plenzdorf selbst versteht sich als Kommunist. Nach dem Krieg lebt er in der DDR und unternimmt, anders als viele Schriftstellerkollegen, keine Versuche, den Staat zu verlassen. Doch zugleich kämpft er sein Leben lang für einen kommunistischen Staat, der dem Einzelnen auch Individualismus und Selbstbestimmung ermöglicht. 1954 beginnt Plenzdorf in Leipzig Philosophie und Marxismus-Leninismus zu studieren, doch die trockene Ideologie liegt ihm nicht. So bricht er das Studium schon bald wieder ab und ist zunächst als Bühnenarbeiter tätig. 1959 beginnt er ein Studium an der Filmhochschule Babelsberg und arbeitet ab 1963 als Dramaturg bei der Deutschen Film-AG (DEFA). Doch seine Werke sind nicht immer linientreu. Schon der erste eigene Film, Karla (1964), wird verboten und kann erst nach der Wende 1990 uraufgeführt werden. Ähnlich ergeht es der Erzählung kein runter kein fern, die 1974 entsteht und 1984 erscheint – jedoch nicht in der DDR, sondern in der Bundesrepublik. Ulrich Plenzdorf ist aber auch in der DDR erfolgreich, so z. B. mit dem Drehbuch zu Die Legende von Paul & Paula (1974). 1973 erhält er den Heinrich-Mann-Preis der Akademie der Künste der DDR. Nach dem Erfolg von Die neuen Leiden des jungen W. (1972) hat er zunehmend Kontakte in den Westen. Die DDR-Führung toleriert das weitgehend und ermöglicht ihm auch Lesereisen durch Westdeutschland. Zugleich nimmt aber die Überwachung zu. 1978 wird er für die Erzählung kein runter kein fern mit dem Ingeborg-Bachmann-Preis ausgezeichnet. Plenzdorf schreibt weiter Drehbücher, u. a. zu Werken anderer Autoren wie Volker Braun oder Martin Walser. Auch eine Staffel der Fernsehserie Liebling Kreuzberg stammt aus seiner Feder. Dafür erhält er 1995 den Adolf-Grimme-Preis. Ulrich Plenzdorf stirbt am 9. August 2007 in Berlin.“

https://www.getabstract.com/de/zusammenfassung/die-neuen-leiden-des-jungen-w/6778

 

 

Ich bin Philanthrop, Demokrat und Atheist. Rupert Regenwurm

 

 

Das Böse verlachen

- Satire, Realsatire, ernst Gemeintes -

 

Katina Schubert (Die Linke)

https://www.youtube.com/watch?v=N2UCf3mMQD4

 

"Unbeschreiblich weiblich": Trümmerfrauen

https://www.youtube.com/watch?v=qcACumXLL4I

 

Simone Solga: Das Ampel-Gewinsel | Folge 130

https://www.youtube.com/watch?v=2ryLPx3rsFo

 

Scheindemokratie / Steimles Aktuelle Kamera / Ausgabe 157

https://www.youtube.com/watch?v=dnVhOcWQskk

 

HallMack  Aktuelle Kamera 75 - Das "Demokratische Zentrum"

https://www.frei3.de/post/928cd55a-afe7-4874-8734-96196e1eabbd