Gutmenschen an der Macht

„Hat die Gesellschaft das Recht, die Todesstrafe zu verhängen? Diese Frage ist mit einem Wort gelöst: Die Gesellschaft kann kein anderes Recht haben als eines, das jeder Mensch ursprünglich besaß, nämlich die Wiedergutmachung persönlich zugefügten Unrechts anzustreben. Wenn aber die Wahrnehmung dieses Rechtes, sogar unabhängig von der Staatsgemeinschaft, ihre durch die Gesetze der Natur und der Vernunft gesetzten Grenzen hat, die dem Menschen verbieten, eine maßlose Wiedergutmachung zu fordern und gräßliche Rache zu üben, kann dieser dann seinen Feind töten? Ja; aber nur in einem einzigen Fall, nämlich wenn diese schreckliche Tat aus reiner Notwehr geschieht …

Ich habe gesagt, vor der Existenz des Gesellschaftsvertrages hatte der Mensch nur dann das Recht seinen Feind zu töten, wenn diese finstere Tat aus reiner Notwehr geschah. Kann aber dieser Ausnahmefall für die Gesellschaft gegenüber einem Schuldigen überhaupt eintreten? Es braucht nur dieser Punkt geklärt zu werden und das Urteil über die Todesstrafe ist gefällt …

Es besteht keinerlei Zweifel, daß das Glück der Gesellschaft nicht an die Todesstrafe gebunden ist, wenn eine große Gesellschaft, die keineswegs die Gebräuche eines freien Volkes hat, fortbesteht, obgleich die Todesstrafe dort abgeschafft worden ist. Es kann also auch kein Zweifel bestehen, daß das sanfte, empfindsame, freizügige, in Frankreich ansässige Volk, dessen Tugenden sich unter der Herrschaft der Freiheit insgesamt entwickeln werden, die schuldig gewordenen menschlich behandeln wird, und es steht außer Frage, daß Erfahrung und Weisheit Sie zu den Prinzipien hinführen werden, die das Grundsätzliche meines Antrages ausmachen, nämlich die Todesstrafe abzuschaffen.“

Diese Rede vom 10. Mai 1791 in der französischen Nationalversammlung hielt ein Mensch, der später Tausende von Menschen hinrichten ließ und vor 230 Jahren selbst hingerichtet wurde: Maximilien de Robespierre.

 

Vergangenheit und Gegenwart

 

Wie geht ein Staat mit seinen Gegnern um? Darf er sich gegen sie zur Wehr setzen?

Eine endgültige Antwort darauf hat auch der Wurm nicht, aber er hat diese Frage gestellt, siehe http://www.ansichten-eines-regenwurms.de/index.php/359-pax-romana

Gewalt ist nie eine gute Sache – aber so richtig verabscheuenswert ist sie dann, wenn sie von Gutmenschen nach dem Motto „Töten ist Liebe“ begangen wird. Die Religion oder Quasi-Religion der Gutmenschen beruht darauf, dass sie im alleinigen Recht sind und alles andere vernichtet werden muss. Das zeigt sich etwa im Stalinismus, siehe http://www.ansichten-eines-regenwurms.de/index.php/1310-stalin oder den radikalen Anhängern von Jean-Jacques Rousseau in diesem Fall.

Am Anfang faseln sie noch von Nächstenliebe oder halten Reden gegen die Todesstrafe, geben sich progressiv, befinden sich im Widerspruch zu ihrer Zeit. Aber wehe, wenn sie an der Macht sind, bestimmen können, was getan wird. Dann entpuppen sie sich als die übelsten Schlechtmenschen, die es je auf Erden gegeben hat.

Wenn das einfache Volk etwas will und sich einig ist, kann es alles erzwingen. Durch Propaganda ist es aber auch leicht zu beeinflussen: Es klatscht selbst dann noch Beifall, wenn die eigenen Interessen-Vertreter auf‘s Schafott geführt werden

Mensch möge Parallelen zwischen damals und heute ziehen. Etwa Jakobiner = Grüne und Sansculotten, die den Jakobinern ihren Radikalismus aufzwingen = Basis-Gruppen der Grünen im vorpolitischen Raum.

Mensch möge seine eigenen Schlüsse ziehen.

 

Eric Hobsbawm über die Französische Revolution

 

Der Wurm zitiert Eric Hobsbawm (siehe auch http://www.ansichten-eines-regenwurms.de/index.php/1287-hobsbawm ) aus seinem Buch „Das lange 19. Jahrhundert: Europäische Revolutionen 1749-1848“:

„Der dritte Stand hatte den Widerstand des Königs und der privilegierten Stände gebrochen. Er konnte diesen Erfolg erreichen, nicht weil er die Ansichten einer gebildeten und kämpferischen Minderheit ausdrückte, sondern weil er sich auf weit mächtigere Kräfte stützen konnte: auf die arbeitenden Armen der Städte, besonders in Paris, und in Kürze auch auf die revolutionierende Bauernschaft.“

 

„Die Grundlinien der französischen und aller späteren Politik bürgerlicher Revolutionäre wurden nun klar erkennbar, und dieser dramatische dialektische Tanz würde die kommenden Generationen beherrschen. Immer wieder werden wir sehen, wie gemäßigte bürgerliche Reformer Massen gegen äußerste Reaktionäre und die Konterrevolution mobilisieren; wie dann die Massen über die Ziele der Gemäßigten in die Richtung ihrer eigenen sozialen Revolution hinausdrängen, die Reformer sich in eine Rechte und eine Linke spalten. Die rechte konservative Gruppe wird dann mit den Reaktionären zusammengehen, während die Linke bereit sein wird, ihre noch unverwirklichten gemäßigten Reformen mit Hilfe der Massen zu verwirklichen - trotz des Risikos, die Kontrolle über die Massen zu verlieren. Und so geht der Tanz weiter, mit seinen Wiederholungen und seinen Variationen nach dem Muster: Widerstand, Massenmobilisierung, Linkswendung, Spaltung der Gemäßigten und Rechtswendung  - bis entweder die gesamte Bourgeoisie in das Lager der Konservativen übergeht oder von der sozialen Revolution besiegt wird. In den meisten späteren Revolutionen zogen sich die gemäßigten Liberalen schon in den ersten Stadien zurück oder stießen zu den Konservativen. Im Verlauf des 19. Jahrhunderts sehen wir vor allem in Deutschland, wie sie immer weniger bereit sind, Revolutionen auch nur zu beginnen, und aus Furcht vor unvorhersehbaren Konsequenzen Kompromisse mit König und Adel vorziehen. Die Besonderheit der Französischen Revolution besteht darin, daß ein Teil der liberalen Bürger bereit war, bis zuletzt, und sogar bis in die Anfänge der antibürgerlichen Revolution hinein, revolutionär zu bleiben. Das waren die „Jakobiner“, und so werden von da ab radikale Revolutionäre in ganz Europa bezeichnet.“

 

„Die Konservativen haben eine dauerhafte Vorstellung vom Terror, der Diktatur und dem entfesselten hysterischen Blutdurst geprägt. Aber nach den Maßstäben des 20. Jahrhunderts und auch verglichen mit den konservativen Repressionen sozialer Revolutionen, etwa den Massakern, die auf die Pariser Kommune von 1871 folgten, war die Zahl der Opfer verhältnismäßig gering: 17.000 offizielle Hinrichtungen in 14 Monaten. Revolutionäre - vor allem französische Revolutionäre - sahen im Jahr II die erste Volksrepublik, ein Vorbild für alle kommende Auflehnung. Für alle war dies eine Zeit, die nicht nach den Maßstäben des menschlichen Alltags zu beurteilen ist, sondern aus der Perspektive eines grauenvollen Terrors.

Und das ist wahr. Für den soliden Franzosen aus dem Mittelstand, der hinter diesem Terror stand, war dieser jedoch weder pathologisch noch apokalyptisch, sondern in erster Linie die einzig praktische Methode, sein Land zu retten. Dies gelang der Jakobinischen Republik in der Tat, und ihre Leistung war übermenschlich. Im Juni 1793 befanden sich 60 der 80 französischen Departements im Aufstand gegen Paris; die Armeen der deutschen Fürsten drangen vom Norden und Osten ein; die Briten griffen im Süden und Westen an - das Land war hilflos und bankrott. Vierzehn Monate später befand sich ganz Frankreich unter der Herrschaft einer zentralen Regierung, die fremden Heere standen wieder jenseits der Grenzen, die französischen Armeen hatten Belgien besetzt und eröffneten die zwanzigjährige Epoche beinahe ununterbrochener französischer Triumphe. Und doch kostete die dreimal so starke Armee im März 1794 halb soviel wie jene von 1793, und der Wert der französischen Währung (besser gesagt der Papier-assignats, die als Währung fungieren) blieb - in deutlichem Gegensatz zur Vergangenheit und Zukunft - mehr oder weniger stabil.“

 

„Der Fall Robespierres führte zu einer wahrhaft epidemischen Aufhebung staatlicher Kontrollmaßnahmen, zu Korruption und dunklen Geschäften, die in einer galoppierenden Inflation gipfelten und zum Staatsbankrott von 1797 führten. Aber auch vom engsten Klassenstandpunkt aus gesehen, hingen die Aussichten der Bourgeoisie vom Bestehen eines geeinten, starken, zentralisierten Staates ab. Und überhaupt, wie hätte die Revolution, die die modernen Begriffe „Nation“ und „Patriotismus“ geprägt hatte, die Grande Nation aufgeben können?

Die erste Aufgabe des Jakobiner-Regimes bestand in der Mobilisierung der Massen gegen den Abfall der Gironde und der provinziellen Notabeln. Dafür mußte sie auf die Unterstützung der schon mobilisierten Pariser Sansculotten rechnen können. Doch viele von den Forderungen zugunsten eines revolutionären Krieges - allgemeine Wehrpflicht (die levée en masse), Terrormaßnahmen gegen die „Verräter“ und allgemeine Preiskontrolle (das „Maximum“) - entsprachen dem jakobinischen gesunden Menschenverstand, obgleich andere Forderungen der Sansculotten die Jakobiner beunruhigten. Eine neue, etwas radikalere Verfassung, deren Verkündung von den Girondisten aufgehalten worden war, wurde programmiert. Dieses edle, aber durchaus akademische Dokument verlieh dem Volk das allgemeine Wahlrecht, das Recht auf den Aufstand, auf Arbeit oder Lebensunterhalt und enthielt auch - und das war besonders bedeutsam - die offizielle Erklärung, daß das Glück aller das Ziel der Regierung sein müsse und daß die Rechte des Volkes nicht nur auf dem Papier stehen sollten. Es war die erste echt demokratische Verfassung eines modernen Staates. Im einzelnen hoben die Jakobiner alle noch übriggebliebenen feudalen Rechte ohne jegliche Entschädigung auf, gaben dem kleinen Mann mehr Möglichkeiten zum Ankauf konfiszieren Bodens der Emigranten und schafften einige Monate später die Sklaverei in den französischen Kolonien ab, um die Neger von Santo Domingo zum Kampf für die Republik und gegen die Engländer aufzustacheln. Diese Maßnahmen hatten ungemein weitreichende Folgen. In Amerika trugen sie dazu bei, den ersten unabhängigen farbigen Revolutionsführer in Gestalt des Toussaint Louverture zu schaffen. In Frankreich errichteten sie die uneinnehmbare Zitadelle der kleinen und mittleren selbständigen Bauern, des kleinen Handwerks und des Kleinhandels - ökonomisch regressive, aber der Revolution leidenschaftlich ergebene Schichten, die das Leben des Landes seither beherrschten. Die kapitalistische Verwandlung des kleinen Unternehmertums und der Landwirtschaft wurde ungeheuer verlangsamt, und damit wurden die Prozesse der Verstädterung, der Ausdehnung des inneren Marktes, die Vermehrung der Arbeiterklasse und so auch der spätere Vormarsch der proletarischen Revolution verzögert. Sowohl das große Unternehmertum wie die Arbeiterbewegung wurden auf lange Sicht dazu verurteilt, Minderheiten in einem Meer von kleinen Lebensmittelhändlern und Cafébesitzern zu sein. Das Schwergewicht der neuen Regierung, die das Bündnis der Jakobiner mit den Sansculotten ausdrückte, rückte merkbar nach links. Dies spiegelt sich in der Zusammensetzung des Wohlfahrtsausschusses wider, der schnell zu einer leistungsfähigen Kriegsregierung wurde.“

 

„… Aber Robespierre ist (neben Napoleon) die einzige von der Revolution emporgehobene Gestalt, die zum Mittelpunkt eines Kultes geworden ist. Das hat seinen Grund darin, daß für ihn - wie für die Geschichte - die Jakobiner-Republik nicht ein aus den Erfordernissen des Krieges geborenen Notbehelf, sondern ein Ideal darstellte, das schreckliche und glorreiche Reich der Gerechtigkeit und der Tugend, in dem alle Bürger vor der Nation gleich waren und die Verräter niederschlugen. Jean- Jacques Rousseau und die kristallharte Überzeugung, im Recht zu sein, waren die Quellen seiner Kraft. Er hatte keines der Befugnisse eines Diktators und kein besonderes Amt. Er war nur eines der Mitglieder des Wohlfahrtsausschusses, der seinerseits nichts anderes war als ein - freilich das mächtigste, wenn auch nicht allmächtige - Subkomitee des Konvents. Seine Macht war die des Volkes, der Pariser Massen, und sein Terror war auch dessen Terror. Er fiel, als die Massen ihn verließen.

Die Tragödie Robespierres und der Jakobiner-Republik bestand darin, daß sie nicht anders konnten, als die Unterschichten sich selbst zu entfremden. Das Regime beruhte auf einem Bündnis der Bourgeoisie mit den arbeitenden Massen. Für die bürgerlichen Jakobiner waren aber Konzessionen an die Sansculotten nur darum und insoweit erträglich, als sie die Massen an das Regime banden, ohne die Eigentümer zu erschrecken und in diesem Bündnis waren die bürgerlichen Interessen entscheidend. Dazu kam, daß die Kriegführung jedes Regime dazu verpflichtete, zu zentralisieren und zu disziplinieren. Diesen Notwendigkeiten mußten die freie, lokale, direkte Demokratie der Klubs und Sektionen, die freiwillige Miliz, die freien, von Debatten begleiteten Wahlen - mit einem Wort alles, was zum Wesen des Sansculottismus gehörte - zum Opfer fallen.“

„… 1794 waren Regierungen und Politik monolithisch, in den Händen von direkten Agenten des Wohlfahrtsausschusses oder des Konvents, der Delegierten en mission und einer großen Zahl von jakobinischen Beamten und Offizieren, die mit lokalen Polizeiorganisationen zusammenarbeiteten. Dazu gesellten sich die wirtschaftlichen Notwendigkeiten des Krieges, deren Folgen ebenfalls die Unterstützung der Massen verringerten. In den Städten hatten sie Vorteile aus der Preiskontrolle und der Rationierung, aber Nachteile aus dem Einfrieren der Löhne. Auf dem Land verärgerte die Beschlagnahme von Nahrungsmitteln - die zuerst von den städtischen Sansculotten verlangt wurde - die Bauernschaft. Das alles führte zur Unzufriedenheit der Unterschichten. Verwirrt zogen sie sich in eine grollende Passivität zurück, besonders nach dem Prozeß und der Hinrichtung der Hébertisten, der lautesten Wortführer der Sansculotten. Zur gleichen Zeit waren die gemäßigten Anhänger durch die Angriffe auf die nunmehr von Danton geführte rechte Opposition beunruhigt. Diese Fraktion war zum Zufluchtsort der zahlreichen Schieber, Spekulanten, Schwarzhändler und anderer korrupter Elemente geworden, die sich selbst bereichern wollten; das war um so leichter, als Danton selbst jene amoralische, einem Falstaff ähnliche, zu freier Liebe und Verschwendung neigende Haltung verkörperte, die immer am Anfang sozialer Revolutionen auftaucht, um dann vom harten Puritanismus überwältigt zu werden, der sich schließlich durchsetzt. In der Geschichte werden die Dantons immer von den Robespierres (oder jenen, die nach außen hin eine solche Einstellung heucheln) besiegt, weil zähe, zielstrebige Hingabe dort zum Erfolg führen kann, wo die Boheme versagt. Wenn aber die Robespierres auf die Gemäßigten zählen konnten, solange sie (wie es auch im Interesse der Kriegsführung lag) gegen die Korruption kämpften, verloren sie die Unterstützung der Gemäßigten, als sie begannen, die Freiheiten und die Verdienstmöglichkeiten des Geschäftsmannes zu beschneiden. Dazu kam, daß nur wenigen die etwas phantastischen ideologischen Abenteuer zusagten: die systematischen, aus dem Sansculotten-Eifer geborenen Dechristianisierungsfeldzüge oder Robespierres neue zivile Religion des „Höchsten Wesens“ mit ihrem ganzen Zeremoniell, die versuchte, den Atheisten entgegenzuwirken und die Anweisungen des göttlichen Jean-Jacques (Rousseau) durchzuführen. Und das unaufhörliche Geräusch der fallenden Guillotine erinnerte die Politiker ständig daran, daß niemand sicher war: Die Revolution fraß ihre eigenen Kinder.

Im April 1794 waren die Rechte und die Linke aus Schafott gewandert, und die Anhänger Robespierres waren politisch isoliert. Nur die kritische Situation an den Fronten hielt sie an der Macht. Als Ende Juni 1794 die neuen Armeen der Republik ihre Stärke bewiesen, indem sie die Österreicher bei Fleuris entscheidend schlugen und Belgien besetzten, war das Ende herangerückt: Am 9. Thermidor des revolutionären Kalenders (am 27. Juli 1794) stürzte der Konvent Robespierre. Am nächsten Tag wurde er zusammen mit Saint-Just und Couthon hingerichtet. Einige Tage darauf folgten ihnen 87 Mitglieder der revolutionären Kommune von Paris.“

 

Eric Hobsbawm bietet eine hervorragende Diskussions-Grundlage, allerdings stimmt der Wurm vor allem nicht mit der Rechtfertigung der Schreckens-Herrschaft überein.

 

Johannes Willms über die Französische Revolution

 

Der Wurm zitiert Johannes Willms aus seinem Buch „Tugend und Terror – Geschichte der Französischen Revolution“.

 

Jakobiner: schlagkräftige politische Gruppierung

 

1791: „Die informelle Eröffnung des Jakobiner-Clubs, der von seinen Mitgliedern einen Jahresbeitrag von 24 livres und eine einmalige Aufnahmegebühr von 12 livres verlangte, sollte sich im weiteren Fortgang der Revolution als höchst folgenreich erweisen. Während sich die Mitgliedschaft der Jakobiner-Clubs durch eine große soziale Homogenität auszeichnete, die von Magistraten, Offizieren, Kaufleuten, Ärzten, Rentiers, aber auch erstaunlich vielen Pfarrern repräsentiert wurde, rekrutierten sich die informellen „Ableger“, die besonders in den 48 Pariser Sektionen in großer Fülle erblühten und wesentlich geringere Mitgliedsgebühren einforderten, aus der großen Masse der unterbürgerlichen Schichten und der Passivbürger. Diese bildeten eine ebenso lärmende wie bedrohliche Hilfstruppe, die mit Geschick gelenkt den Jakobinern einen Einfluss verschaffte, der es ihnen binnen Jahresfrist gestattete, die Legislative zu verjagen und den nachfolgenden Konvent ihrer Kontrolle zu unterwerfen.

… Darauf reagierte Le Chapelier mit einem von ihm am 29. September im Namen des Verfassungsausschusses vorgelegten Gesetz, das den Clubs jegliche Einmischung in das politische Leben untersagen sollte. Das war die vordergründige Absicht dieses Gesetzentwurfs. Letztlich zielte er darauf ab, die Revolution dadurch zu beenden, dass die neu geschaffenen Institutionen innerhalb des repräsentativen Systems der konstitutionellen Monarchie ungestört funktionieren konnten.

Dazu mussten allerdings zuvor die patriotischen Gesellschaften mit ihren sowohl politischen wie außerparlamentarischen Bestrebungen zum Schweigen gebracht werden. Ihre Aktivitäten liefen darauf hinaus, die Anerkennung der gewählten Nationalversammlung als alleinigen Ausdruck der nationalen Souveränität infrage zu stellen. Eine Fortführung dieses Treibens, so erkannte Le Chapelier hellsichtig, könne nur in Anarchie einmünden, deren Rechtfertigung es sei, die Revolution fortzuführen. Damit formulierte er deutlich das Dilemma, mit dem man sich in den folgenden Jahren herumschlagen sollte: Entweder übten die gewählten Repräsentanten der Nation die Macht innerhalb des von der Verfassung definierten Rahmens aus. Oder die Aktivitäten verschiedener außerparlamentarischer Gesellschaften und Vereinigungen, die jeweils nur Ansichten und Interessen einer Fraktion artikulierten, höhlten das repräsentatives System aus, indem sie es durch ein System direkter Demokratie ersetzten. Das beschwor die Gefahr herauf, dass das Land einer sich immer stärker radikalisierenden Revolution anheimfiel.

Natürlich sollten sich, so Le Chapelier, alle Bürger in einem freien Land versammeln und ihre Meinungen austauschen können, zumal auf diese Weise auch die Kenntnis der Verfassung verbreitet würde. Dessen ungeachtet gebe es aber nur jene „Gewalten, die vom erklärten Willen des Volkes, den seine Repräsentanten bekundeten, geschaffen wurden; es gibt nur diejenigen Autoritäten, die vom Volk als solche eingesetzt worden sind; deshalb sind nur die Inhaber öffentlicher Funktionen handlungsbevollmächtigt“. Gesellschaften wie die „Freunde der Verfassung“ beanspruchten aber für sich eine gleichsam öffentliche Existenz und einen politischen Einfluss, der in keiner Weise legitimiert sei. Zudem vertieften sie durch ihre Mitgliederauswahl die Unterschiede zwischen den Bürgern, anstatt sie zu überwinden, und leisteten damit der Ausbildung eines „exklusiven Privilegs von Patriotismus“ Vorschub, „das alle Individuen, die nicht dazu gehören, ins Unrecht setzt und die Feindschaft auf andere Gesellschaften, die ihnen nicht angeschlossen sind, schürt“. Besonders der Jakobiner-Club mit seinem Netzwerk von Vereinigungen im ganzen Land trete in Konkurrenz zu den legitimen Verfassungsorganen und sei eine Gefahr für die politische Ordnung. Sein Ziel sei es, die Macht zu monopolisieren, wobei er bestrebt sei, diesen Anspruch mit dem angeblich „reinen“ Patriotismus in den Tugenden seiner Mitglieder zu rechtfertigen.

Das dürfe aber nicht geduldet werden, denn: „Alle haben den Eid auf die Verfassung geleistet, alle rufen nach Ordnung und öffentlichem Frieden, alle wollen, dass die Revolution beendet ist. Da haben Sie nunmehr die untrüglichen Zeichen des Patriotismus. Die Zeit der Zerstörungen ist vorbei; es gibt keine Missbräuche, die abgestellt, keine Vorurteile, die bekämpft werden müssen. Vielmehr gilt es jetzt, dieses Gebäude auszuschmücken, dessen Fundamente die Freiheit und die Gleichheit sind, die neue Ordnung selbst denen schmackhaft zu machen, die sich als deren Gegner zu erkennen gaben; stattdessen müssen jetzt die Menschen als unsere ärgsten Feinde identifiziert werden, die darauf aus sind, die Verfassungsorgane zu verleumden und herabzusetzen, die sich dafür irgendwelcher Gesellschaften bedienen, um ihnen eine aktive Rolle in der öffentlichen Verwaltung zu verschaffen, sie zu willkürlichen Zensoren, Unruhestiftern und vielleicht sogar zu alles beherrschenden Despoten der öffentlichen Verwalter zu machen … Es liegt in der Natur der Dinge, dass solche Gesellschaften danach trachten Einfluss zu gewinnen, perverse oder ehrgeizige Menschen in ihnen zu Einfluss gelangen und sie zu nützlichen Instrumenten ihrer Ambition oder ihrer Rache zu machen suchen. Wenn die Beschlüsse dieser Gesellschaften veröffentlicht werden, sei es, dass sie von ihren Filialen übernommen, sei es, dass die Zeitungen sie verlautbaren, wird sich dies schnell darauf auswirken, eine verfassungsmäßige Autorität herabzuwürdigen und zu diskreditieren, einen Bürger zu diffamieren; und es wird niemanden geben, der sich dieser Verleumdung erfolgreich zu widersetzen vermag“.“

 

Druck von unten

 

„Dieses Rumoren ging vor allem vom Fußvolk, den Sansculotten aus. Mit dem Erscheinen dieses neuen Akteurs auf der Pariser Bühne kündigte sich der Beginn einer neuen Etappe der Revolution an. Die Sansculotten belegten das wieder erstarkte Selbstbewusstsein des peuple, der sich nach seinen anfänglichen großen Erfolgen auf der Revolutionsbühne zwischenzeitlich mit einer Statistenrolle begnügt hatte. Das änderte sich jetzt. In ihren politischen Zielen stimmten die Sansculotten weitgehend mit den radikalen Revolutionären, den Demokraten, überein, unterschieden sich aber von diesen in ihren sozialen und wirtschaftlichen Erwartungen. Ihnen war es um eine umfassende Reglementierung und Kontrolle des Wirtschaftslebens zu tun, mit dem Ziel, dass ein jeder seinen natürlichen Bedürfnissen entsprechend Arbeit und Auskommen fände. Dahinter stand der Glaube an die Utopie einer idealen sozialen Gleichheit aller. Ansonsten besaßen die Sansculotten keinerlei ideologische Kohärenz, die sie befähigt hätte, aus eigener Kraft die politische Macht zu erobern. Ausschlaggebend für diesen Mangel waren die trotz ihrer sozialen Homogenität - sie waren Angehörige des Kleinbürgertums, Ladenbesitzer, Handwerker oder qualifizierte Arbeiter - unterschiedlichen Interessenlagen innerhalb der Bewegung.

Weil es keine verbindende Ideologie gab, waren die Sansculotten von sich aus eher defensiv eingestellt. Sie reagierten mehr spontan, statt selbständig zu agieren Was wie eine Schwäche anmutet, war jedoch gerade ihre Stärke. Die Sansculotten stellten eine ständige latente Gefahr dar, die sich umso größer ausnahm, als sie, einmal in Bewegung gekommen, Volksmassen mobilisieren konnten, deren Ansturm nicht einmal die Bastille widerstanden hatte. Wer es verstand, ihren Mangel an ideologischer Kohärenz für seine Absichten zu nutzen, für den waren sie ein unschätzbares Instrument. Robespierre war einer der Ersten, die das erkannten. Mit Hilfe der Pariser Sektionen - das war der Plan, den er in einer Rede vor dem Jakobiner-Club am 10. Februar 1792 entwickelte - müsste es gelingen, die Nationalversammlung einer rigorosen Kontrolle zu unterwerfen und damit den Jakobinern die Macht zu verschaffen …

Das Manifest war in zweifacher Hinsicht eine folgenschwere Dummheit. Zum einen steigerte es die Panik, die in der Legislative wegen des unaufhaltsamen Vormarschs der feindlichen Truppen ohnehin schon herrschte und gab zum weiteren den Anstoß für den am 30. Juli gefassten Beschluss, die Nationalgarde auch für die „Passivbürger“ zu öffnen. Dadurch wurde eine Praxis sanktioniert, zu der seit dem Frühjahr schon die meisten Pariser Sektionen übergegangen waren, um die Ränge der „Garde nationale sédentaire“ aufzufüllen. Sie folgten damit der Erfahrung, dass sich die „Passivbürger“ im Vergleich mit den aus dem Besitzbürgertum stammenden „Aktivbürgern“ als die besseren Patrioten erwiesen hatten. Außerdem genügten für deren zünftige Bewaffnung Piken, die sich schnell und preiswert herstellen ließen. Bei diesen Entscheidungen wurde allerdings übersehen, dass sich so die soziale Schichtung der Pariser Nationalgarde veränderte, der bislang großer Wert beigemessen worden war. Die auf Recht und Ordnung bedachten Bürger sahen sich mit einem Mal von Elementen majorisiert, die nichts zu verlieren hatten und die deshalb mit jeder Umsturzparole, die Gewinn versprach, zu überzeugen waren. Kurz, die Pariser Nationalgarde mutierte zum bewaffneten Arm der Sansculotten, die in den meisten Sektionen und in der Commune de Paris schon das Heft in der Hand hatten …

Das Ergebnis der Sitzung vom 10. August blieb hinter den Erwartungen der Aufständischen zurück. Ihnen war es zwar gelungen, das Regiment in der Stadt an sich zu reißen und die Commune als neues Machtzentrum zu errichten. Aber sie hatten es weder geschafft, die Monarchie endgültig zu beseitigen, noch die Legislative auseinanderzujagen. Lediglich der Sitz des Königs war vom peuple in Besitz begonnen worden, und die einzige bewaffnete Macht, auf die sich die Krone innerhalb Frankreichs noch stützen konnte, die Schweizer Garde, hatte für ihre Loyalität einen entsetzlichen Preis bezahlt. Insofern ähnelte dieser 10. August 1792 in mancher Hinsicht dem 14. Juli 1789. Im einen wie im anderen Fall wurde ein Symbol gestürzt, und nicht das, wofür es stand. So wie damals galt es auch jetzt wieder, diese zweite Revolution zu vollenden. Das war diesmal allerdings leichter, denn es stand lediglich die Legislative im Wege. Sie aber war nur noch ein stark geschwächter Rumpf und sollte alsbald einem Konvent weichen …

… Also hatten die Brissotins weder ein Interesse noch einen Anteil an der Vorbereitung der Revolution des 10. August gehabt. Diese war allein das Werk der Pariser Sansculotten und der verbündeten Fédéres aus Marseille und Brest, die damit endgültig als neue und stärkste Bewegungskraft in Erscheinung traten …

Wie sehr die Legislative seit dem 10. August unter der Fuchtel der revolutionären Commune stand, zeigt das weitere Schicksal des Königs und seiner Familie. Die Commune verlangte von den Abgeordneten von Anfang an die Unterbringung des Königs im Temple. Nach einigem Hin und Her gaben sie schließlich am 13. August 1792 nach und verfügten die sofortige Überstellung der königlichen Familie an die Organe der Commune, die sie an den Ort verbringen sollte, der ihr als „Domizil“ angewiesen wurde. Dieses „Domizil“ war der Temple, ein finsterer mittelalterlicher Turm, einziger Überrest einer Festungsanlage im Nordosten von Paris. Einst hatte sie das Kloster der Tempelritter umschlossen, eines sehr reichen geistlichen Ritterordens, dessen Mitglieder auf Weisung von König Philippe IV nach Scheinprozessen vor Inquisitionsgerichten 1307 hingerichtet worden waren. Die Entscheidung für dieses Gefängnis nahm also in gewisser Weise das Urteil vorweg, das über Louis XVI im Januar 1793 verhängt werden sollte …

Gewiss, seit dem 10. August war der König in politischer Hinsicht nur noch ein non valeur, für dessen Schicksal ein größerer Einsatz nicht mehr lohnte; dennoch war der Umgang mit ihm symptomatisch für das neue Kräfteverhältnis: In den rund sieben Wochen, in denen sich die Rumpflegislative noch an ihre Rolle zu klammern suchte, erfüllte sie in vorauseilendem Gehorsam fast alle Forderungen der Commune. Als deren Sprachrohr fungierte jetzt Robespierte, der ihr dank der Wahl durch die Sektion der Place Vendome seit dem 11. August angehörte. Sein Ziel war es, die Commune bis zum Zusammentritt des Konvents als sein Machtzentrum zu nutzen und der von den Brissotins beherrschten Legislative das Gesetz des Handelns zu diktieren. Angesichts des radikal veränderten Machtgefüges ging das auch glänzend auf. Das „Volk“, auf dessen Willen und Mandat sich Robespierre von nun an berufen sollte, waren die Pariser Sansculotten, die die Revolution des 10. August zum Erfolg geführt hatten …

Die Legislative war realistisch genug, ihre Ohnmacht anzuerkennen. Als Erstes willigte sie widerstandslos in ihre Beseitigung ein. Schon seit Juli waren gelegentlich im Jakobiner-Club Forderungen laut geworden, die Legislative durch einen Nationalkonvent zu ersetzen, dessen Aufgabe die Ausarbeitung einer neuen Verfassung sein sollte. Dieses Verlangen ließ sich nun nicht mehr länger ignorieren, weshalb Vergniaud schon am Nachmittag des 10. August die Einberufung einer Convention nationale ankündigte. Ein Entwurf für das Wahlverfahren zur Konstituierung wurde bereits am folgenden Tag verabschiedet. Abweichend von den bislang gültigen Bestimmungen wurde die Unterscheidung in Aktiv- und Passivbürger abgeschafft. Alle 21-Jährigen, die ein Arbeitseinkommen hatten, konnten wählen und gewählt werden. Ausgenommen waren lediglich Domestiken …

Mit der Herrschaft der revolutionären Commune war es auch um die bislang geltende Pressefreiheit geschehen. Von nun an herrschte revolutionärer Konformismus …

… Für Brissot war diese Schlappe politisch umso fataler, als weder er noch seine Parteigänge, die Robespierre als die „Fraktion der Girondins“ zu bezeichnen begann, bei ihrer Kriegspropaganda je daran gedacht hatten, der Feind könne so tief nach Frankreich eindringen und Paris, das Zentrum der Revolution, bedrohen. Angesichts dessen erschien es als noch viel unverantwortlicher, dass sie ausgerechnet die Commune de Paris entmachten wollten, die seit dem 10. August alles getan hatte, um das Vaterland und die Revolution vor Schaden zu bewahren. So kam unter den Sansculotten und in den Sektionen der Verdacht auf, die Girondins stünden wie zuvor die Feuillants im geheimen Einverständnis mit dem Feind und wollten mit dessen Hilfe die Revolution abwürgen.

 

September-Massaker: Kanalisierung des Volkszorns

 

„Als in der Nacht auf den 2. September die Nachricht in Paris eintraf, Verdun stünde unmittelbar vor dem Fall, näherte sich die Krise ihrem Höhepunkt. Am Morgen erschien Danton in der Legislative und beschwor die Abgeordneten, dem peuple äußerste Anstrengungen abzuverlangen. Jeder, der sich weigerte, in den Krieg zu ziehen, müsse mit dem Tod bestraft werden … Damit verpflichtete Danton die Legislative zu einer Totalmobilmachung, die zuvor schon von der Commune beschlossen worden war. Also hielt sich die Commune de Paris umso mehr für die legitime Verkörperung der revolutionären volonté générale. Die Autorität der Legislative galt ohnehin nicht mehr viel, seitdem sie beschlossen hatte, einem Nationalkonvent zu weichen, der am 20. September zusammentreten sollte.

Die von Danton eingeforderte Kühnheit zeigte sich zunächst keineswegs darin, dass der peuple de Paris mannhaft zu den Waffen griff und die Feinde des Vaterlands in die Flucht schlug, sondern in einem Verbrechen, das als Septembermassaker in die Geschichte eingegangen ist. Es ließ bereits die Zeitgenossen erschaudern und fügte der Revolution einen Makel zu, der ihr unauslöschlich anhaftet …

So begannen die Septembermassaker, denen in Paris bis zum 7. September, als der Blutrausch verebbte, über 1000 Häftlinge in den Gefängnissen zum Opfer fielen … Nach Robespierre waren die Massaker Ausdruck einer Grande Peur, einer Mischung aus Angst und Rachsucht, einer kollektiven Paranoia also, von der die Sansculotten angesichts des Falls von Verdun und der sich Paris nähernden preußischen Truppen ergriffen worden seien. Die wehrlosen Gefangenen seien abgeschlachtet worden, weil sich der peuple ängstigte, sie könnten aus ihrem Gewahrsam ausbrechen, die Bevölkerung massakrieren und den Feind in die Stadt einlassen.

Wie weit verbreitet diese Hysterie in den unterbürgerlichen Schichten war, ist vielfach belegt. Eine Pogromstimmung war also zweifellos vorhanden. Das beantwortet aber nicht die Frage, wer den Funken schlug, wer sein Interesse daran hatte, dieses brisante Gemisch zur Explosion zu bringen …

Tatsache bleibt, dass die Pariser Gefängnisse seit dem 10. August überfüllt waren, weil die Commune révolutionnaire die Sektionen ermächtigte, in eigener Regie ohne richterlichen Befehl Hausdurchsuchungen vorzunehmen und Verdächtige zu verhaften. Das war in zweierlei Weise bedeutsam: Zum einen wurde damit überdeutlich, dass die Commune eine unanfechtbare und quasi diktatorische Exekutivmacht ausübt; zum anderen verstärkte die nackte Willkür dieses Vorgehens die diffusen Ängste und fokussierte sie gleichzeitig auf einen bestimmten Personenkreis, die Verhafteten, und auf bestimmte Orte, die Gefängnisse. Das schuf die Voraussetzungen dafür, dass die Septembermassaker gleichwohl kontrolliert abliefen.

Diese Kontrolle war ebenso infam wie umfassend. Infam, weil ihr informeller Charakter eine hierarchische Befehlskette überflüssig machte. Dies bot den unschätzbaren Vorteil, die Verantwortlichkeiten zu verschleiern. Zugleich wurde damit der Charakter eruptiver Spontaneität betont, die das Massaker angeblich kennzeichnete. Die Kontrolle war andererseits gleichwohl umfassend, weil die Exzesse von vorneherein auf die Gefängnisse und auf den dort inhaftierten Personenkreis, vorzüglich Priester, Ordensleute und Adelige beschränkt blieben. innerhalb dieser Grenzen konnte sich der Volkszorn austoben. Das galt auch für den Täterkreis, die Schlächter, die sich entweder aus den noch in Paris sich aufhaltenden Fédéres aus Marseille oder den „Putzkolonnen“ der Sektionen rekrutierten, deren Mitglieder sich schon bei diversen Unruhen hervorgetan hatten …

Allenfalls für die Mörder trifft also die Erklärung zu, die gemeinhin für die Septembermorde genannt wird: Ihr Tatvorsatz war beherrscht von psychotischen Ängsten, die in den Schichten grassierten, denen sie entstammten; mit ihren Mordtaten verschafften sie sich Entlastung. Das Ausmaß dieser Exzesse binnen weniger Tage lässt sich dagegen nur mit der durch den bisherigen Verlauf der Revolution abgesenkten Tötungshemmung erklären. War diese niedrige Schwelle erst einmal überschritten, steigerten sich die Täter rasch in einen Blutrausch, der selbst die in der Salpètrière verwahrten Dirnen, Geschlechtskranken und Waisenkinder nicht verschonte.

Diese Motivation der Mörder lässt sich nur sehr bedingt auch jenen unterstellen, die sich die Hände nicht schmutzig machten, aber die Voraussetzungen für das Morden schufen und dessen kontrollierten Ablauf gewährleisteten. Bei der Commune révolutionnaire und dem Comité de surveillance kann man ein entsprechendes Kalkül vermuten: Die Massaker öffneten ein Ventil, aus dem die diffusen Ängste jener Bevölkerungsschichten entweichen konnten, deren Zuspruch die Commune ihre Legitimation verdankte und die dadurch zusätzliche Stärkung erfuhr. Das war aber nur eine Nebenfolge des Massakers, das auch den britischen Geschäftsträger beschäftigte: In seinem Bericht vom 4. September heißt es, einer in den frühen Morgenstunden des Vortags überall in der Stadt proklamierten Aufforderung, sich auf dem Marsfeld einzufinden, wo eine Truppe von 60.000 Mann aufgestellt werden sollte, habe niemand Folge geleistet. Kaum aber war der Blutrausch vom 9. September verebbt, bot sich ein ganz anderes Bild: „Die Anzahl von Männern, denn ich kann sie nicht Truppen nennen, die heute zur Armee abgegangen sind, ist gewaltig. Die umliegenden Ortschaften einmal beiseite gelassen, hat Paris allein rund 70.000 aufgeboten, die noch immer zur Rekrutierung anstehen. Viele davon, die ich gesehen habe, denn mein Hotel liegt in unmittelbarer Nachbarschaft zum Kriegsministerium, haben mir als Militär den Eindruck gemacht, dass sie einen entschieden größeren Beitrag dazu leisten werden, in einer regulären Armee Unordnung zu stiften, als dieser von irgendeinem Nutzen zu sein.

Das entscheidende Kalkül, das die verborgenen Drahtzieher mit den Septembermassakern verfolgten, war auf den großen Schrecken und dessen politischer Wirkung abgestellt. Der Hauptnutznießer war vordergründig die Commune révolutionnaire, der es so gelang, die Widerstände der bürgerlichen Schichten und der von den Girondins beherrschten Legislative zu beseitigen und ihre quasi-diktatorische Herrschaft zu festigen. Der am 30. August von den Girondins in der Legislative unternommene Versuch, die Commune révolutionnaire aufzulösen, wurde am 2. September erfolgreich zu Fall gebracht. Am selben Tag begannen die Massaker, mit denen unmissverständlich klar wurde, wo sich nunmehr das revolutionäre Machtzentrum befand.

Während die Commune révolutionnaire die Regie für die Septembermassaker übernahm, übersah sie jedoch, dass sie damit die ihr von Robespierre zugedachte Funktion erfüllt hatte. Diese bestand darin, den Einfluss der Girondins zu brechen und einen Erdrutschsieg der linken Jakobiner bei den im September in Paris anstehenden Wahlen für den Konvent zu garantieren. Sie glich damit Shakespeares Mohr: Sie hatte ihre Schuldigkeit getan und konnte abtreten. Paris war durch ihr Schreckensregiment auf Linie gebracht. Nachdem das Pariser Wahlergebnis feststand, verschwand einen Tag vor Zusammentritt des Konvents am 20. September 1793 die Commune révolutionnaire sang und klanglos in der Versenkung. Alle 24 Abgeordneten, die Paris in den Konvent entsandte, waren Jakobiner des linken Flügels, davon 16 Mitglieder der Commune.“

 

Machtkampf gegen Girondisten, ansonsten Einigkeit über Wirtschaftsliberalismus

 

„Im Unterschied zu den Montagnards, die sich unter dem Einfluss Robespierres nach dem 10. August 1792 aus dem Kern der 24 Pariser Abgeordneten zu einer Kaderpartei entwickelten, blieben die Girondins immer eine politische Strömung ohne programmatische Kohärenz, die Abstand zu den Pariser Sektionen und den Sansculotten hielten. Gegenüber den klein- und unterbürgerlichen Schichten verspürten sie eine instinktive Abneigung, in der sie sich durch manche Exzesstaten seit dem 14. Juli 1789 bestätigt sahen. Zu spät, erst nach dem 10. August 1792, wurden sich die Girondins des Gefahrenpotentials bewusst, das diese Schichten darstellten, sobald eine entschlossene Führung ihnen ein Ziel wies. Den schrecklichen Beweis dafür hatten die Septembermassaker gegeben. Von nun an sahen die Girondins in den Sansculotten Blutsäufer, Mörder, Anarchisten und Septembriseurs und begegneten ihnen mit einer Verachtung, die jede Verständigung unmöglich machte. Die Pariser Sansculotten vergalten ihnen dies mit einem Hass, der auf Vernichtung abzielte. Das spielte Robespierre in die Karten. Er hatte sich schon vor dem 10. August den Sansculotten angenähert, um mit ihnen ein Zweckbündnis zu schließen, das ihm den Weg zur Macht ebnete. Dieser Schulterschluss wurde von den Girondins gefördert, als sie die politisch-moralische Verantwortung für die Septembermorde Robespierre und Marat sowie der revolutionären Commune de Paris anlasteten. Das verstanden die Sansculotten nicht als Angriffe auf ihre Idole, sondern auf sich selbst. Umso selbstverständlicher wurde es für sie, in den Montagnards die politische Führung in Konvent zu sehen, die als Gegenleistung für ihre Unterstützung die Interessen der Sansculotten durchsetzten …

Das große Drama des Prozesses gegen den König hatte die Gemüter von der herrschenden Misere ebenso abgelenkt wie die Siege der Revolutionsarmeen. Jetzt verstellte nichts mehr den Blick auf den Marasmus, in dem das Land und die Revolution zu versinken drohten. Das zeigt der Stimmungsbericht, den die in die tiefste Provinz, in den Lot und die Dordogne, entsandten Kommissare Jeanbon Saint- André und Elie Lacoste am 26. März 1793 nach Paris sandten: „Überall ist man der Revolution überdrüssig. Die Reichen verachten sie, die Armen leiden unter Mangel an Brot, und man redet ihnen ein, dass wir dafür verantwortlich sind. Die Journalisten haben die öffentliche Meinung vollends verhetzt. Selbst die Sociétés populaires haben alle Kraft eingebüßt … Schlimmer noch: alle diejenigen, die man zuvor als die Gemäßigten bezeichnete, die immer irgendwie gemeinsame Sache mit den Patrioten machten und die auch mehr oder weniger für irgendeine Revolution eintraten, wollen diese heute nicht mehr. Sie sinnen darauf, diese wieder rückgängig zu machen, kurz sie treten für die Gegenrevolution ein … der Arme hat kein Brot, aber es mangelt keineswegs an Getreide, das gehortet wird, wie uns alle Verwalter, die wir gesprochen haben, versicherten. Es gilt also zuvörderst, dem Armen Nahrung zu verschaffen, wenn Sie wollen, dass er Ihnen dabei hilft, die Revolution zu vollenden“.

Damit sprachen die beiden Kommissare eine Einsicht aus, der sich auch die Montagnards und die Mehrheit des Konvents auf Dauer nicht verschließen konnten. Zunächst vertrauten sie allerdings noch auf das freie Spiel von Angebot und Nachfrage. Noch am 8. Dezember 1792 hatte der Konvent die uneingeschränkte Handelsfreiheit für Getreide und andere Nahrungsmittel innerhalb Frankreichs gesetzlich verankert. Die damit verknüpften Erwartungen wurden durch die galoppierende Geldentwertung aufgrund der ungehemmt fortgesetzten Ausgabe von Assignaten unterlaufen, während die Ausweitung des Krieges den Import von Getreide erschwerte. Die Folge waren Preissteigerungen, die die Kaufkraft von immer mehr Konsumenten überforderten und Unruhen in der Provinz auslösten.

Am 12. Februar 1793 erschien eine Deputation der 48 Pariser Sektionen im Konvent, um Maßnahmen gegen die grassierende Teuerung zu verlangen: „Bürger Gesetzgeber, es reicht bei weitem nicht hin, zu erklären, dass wir französische Republikaner sind; ebenso notwendig ist, dass das Volk glücklich ist, dass es genügend Brot hat, denn wenn es ihm daran mangelt, gibt es keine Gesetze, keine Freiheit und keine Republik mehr“. Mit diesen Klagen wurde die Forderung nach Einführung von Höchstpreisen für Nahrungsmittel begründet. Die Petition der Pariser Sektion wurde jedoch von der Versammlung einvernehmlich und mit Empörung zurückgewiesen. Der Konvent war entschlossen, am wirtschaftsliberalen Dogma festzuhalten.

Die Entschiedenheit, mit der die Montagnards die wiederholten Forderungen nach Festsetzung von Höchstpreisen zunächst noch zurückwiesen, maskierte zugleich ihre Furcht vor einer Konkurrenz um den revolutionären Führungsanspruch …

Je mehr die von Roux und Varlet vorgetragene Agitation bei den Pariser-Sansculotten ein lebhaftes Echo fand, desto größer wurde bei den Jakobinern die Sorge, von den Enragés, den „Tollwütigen“, links überholt zu werden. Zu diesen Befürchtungen trugen auch die Unruhen bei, die am 25. Februar in Paris ausbrachen und den ganzen Tag über andauerten, ohne dass sich die Commune zum Einschreiten bemüßigt sah. Bäckereien und Kolonialwarengeschäfte wurden gestürmt und deren Waren – Zucker, Kaffee, Kerzen und Seife - zu willkürlich festgesetzten Preisen verkauft. Erst gegen Abend schritt die Pariser Nationalgarde ein und stellte die Ordnung wieder her.

Wie die meisten Abgeordneten über die Ausschreitungen dachten, brachte am folgenden Tag Barère zum Ausdruck: „Vergessen wir nicht die ewigen Prinzipien aller Gesellschaften, denn dort, wo es keine Achtung des Eigentums gibt, vermag ich auch keine soziale Ordnung zu erkennen … Wir machen eine Revolution der freien Menschen und nicht eine von Banditen. Je weiter wir mit der Revolution voranschreiten, desto mehr sind wir dazu verpflichtet, in diesem politischen Umbruch die zwei einzigen Anker auszuwerfen, die das Staatsschiff stabilisieren: den Anker des Eigentums und den Anker der politischen Moral“. Wie nicht anders zu erwarten, machen die Girondins Marat für die Unruhen verantwortlich, gegen den der Abgeordnete Salle die Anklageerhebung verlangte, was jedoch nach heftiger Debatte abgelehnt wurde.

Die anfängliche Entschlossenheit auch der Linken, sich der Festsetzung von Höchstpreisen zu verweigern, die der Auslöser dieser Unruhen gewesen waren, geriet aber bald ins Wanken. Den Ausschlag dafür gab die innere Lage der Republik …

Komplementär zu dieser Illusion war die Intransigenz, in der die Girondins gegenüber Paris verharrten. In dieser Haltung sahen sie sich dadurch bestärkt, dass sich an den Auseinandersetzungen zwischen Girondins und Montagnards nun auch die Sansculotten beteiligten, die sich der radikalen Linken als Schlägertruppe zur Verfügung stellten. Das zeigte die gezielte Zerstörung von Druckereien, in denen Presseorgane der Girondins hergestellt wurden. Die Drahtzieher dieser Attacken sind im Jakobiner-Club zu vermuten. Im Konvent war es der Abgeordnete Pierre-Joseph Duhem, der in der Sitzung vom 8. März wüste Angriffe gegen Presseorgane der Girondins richtete: „Man muss diese stinkenden Verleumder, die einzigen und eigentlichen Hindernisse für die Fortschritte der Revolution zum Schweigen bringen … Es gilt, alle diese Kerle, die die Patrioten herunterputzen, alle diese Redakteure von Zeitungen und Flugschriften, von denen die Departements in Unruhe versetzt werden, die Autoren aller dieser Hetzblätter endlich der nationalen Gewalt zu unterwerfen … Ich fordere also, dass der Konvent alle diese schmutzigen Wesen aus seinem Kreis verjagt und dass man den Comité de sureté générale damit beauftragt, sie zur Vernunft zu bringen …

Vom grundsätzlichen Wandel des politischen Bewusstseins einer Mehrheit im Konvent kündete auch die programmatische und viel bejubelte Rede, mit der Barère am 18. März ein Konzept zu Fragen der Staatssicherheit umriss: In Zeiten akuten Notstands, so Barère, sei es nicht mehr damit getan, sich der normalen gesetzlichen Möglichkeiten zu bedienen, sondern dann gelte es, revolutionär zu handeln, sprich die Legalität außer Acht zu lassen. Initiativen dazu sollten allein von den Repräsentanten des Volkes, also vom Konvent, und nicht von der Straße ergriffen werden. Schließlich sei das Eigentum unbedingt zu respektieren. Wer etwa eine loi agraire, also eine Gleichheit hinsichtlich der Vermögen und des Einkommens fordere, solle mit dem Tode bestraft werden …

… Gestützt auf diese Überlegung schlug Robespierre vier Zusatzartikel vor: „Eigentum ist das jedem Bürger zustehende Recht, über jenen Besitz frei zu verfügen, der ihm vom Gesetz garantiert wird; das Eigentumsrecht hat wie jedes andere Recht auch seine Begrenzung im Respekt der Rechte anderer; das Eigentumsrecht darf weder für die Sicherheit oder die Freiheit, weder für die Existenz oder das Eigentum eines anderen von Schaden sein; jedes Eigentum, jeder Handel, von denen dieses Prinzip verletzt wird, ist ungesetzlich und unmoralisch“.

Dieser wahrhaft sozialrevolutionäre Gedanke, das Eigentumsrecht vom Nutzen der Gesellschaft abhängig zu machen, war der politischen Opportunität geschuldet, den Sansculotten als Preis für ihre Unterstützung im Kampf gegen die Girondins ein Angebot zu machen, das ihren Vorstellungen weit entgegenkam. Der Konvent jedenfalls quittierte diese Vorschläge mit Schweigen, und Robespierre brachte sie zwei Monate später, als im Juni 1793 der Entwurf der neuen Verfassung ausgiebig diskutiert wurde, auch nicht wieder aufs Tapet. Das verdankte sich erneut opportunistischen Erwägungen, denn jetzt galt es, die Verfassung so rasch und reibungslos wie möglich zu verabschieden.

Auch wenn es Robespierre vermied, die Forderungen der Sansculotten nach Preisobergrenzen für Nahrungsmittel anzusprechen, ließen sich seine Ausführungen dennoch als prinzipielle Zustimmung dazu verstehen. Außerdem debattierte der Konvent schon seit dem 25. April über eine von den Pariser Sektionen wie den Gemeinden des Département de Paris einhellig geforderte gesetzliche Reglementierung des Getreidehandels. Das führte zur Verabschiedung des umfangreichen Dekrets vom 4. Mai, mit dem erstmals ein Maximum für den Preis von Getreide festgelegt wurde. Das detaillierte Gesetz, dessen Anwendung einen eigenen bürokratischen Apparat erforderte, stiftete eben deshalb weit mehr Schaden als Nutzen.“

 

Justiz des Schreckens als Forderung von unten

 

„Konventsabgeordnete, die ausgesandt worden waren, um die in der Stadt herrschende Stimmung angesichts der am 21. Februar beschlossenen Aufstellung von 300.000 Mann zu erkunden, berichteten der Versammlung am 9. März, überall sei der Wille zur Verteidigung des Vaterlands groß. Zugleich aber seien die Bürger unwillig, zur Armee aufzubrechen, „denn es gebe in der Republik keine entschiedene Justiz; es fehle daran, dass die Verräter und Verschwörer verhaftet würden. Zum weiteren wird gefordert, ein Gericht zu schaffen, auf das Verlass ist, ein Tribunal, das Gegenrevolutionäre aburteilt“. Diese Berichte, die sofort die Erinnerung an die Septembermassaker wachriefen, veranlassten den Abgeordneten Jean-Baptiste Carrier, den Antrag auf Schaffung eines Tribunal révolutionnaire zu stellen, der sofort angenommen wurde …

Um sich der Loyalität der Sansculotten zu versichern und sie auch besser kontrollieren zu können, hatte der Konvent schon am 2 Juni 1793 auf Antrag von Dantons Freund Delacroix die Aufstellung einer „Revolutionsarmee“ im Prinzip beschlossen … Dabei ging es allerdings weniger um die militärische Bedeutung dieser Truppe, als um ihren symbolischen Wert. Dafür spricht auch, dass diese patriotischen Kohorten aufrechter Sansculotten lediglich im Umland von Paris eingesetzt werden sollten, um Verräter, Verdächtige oder solche, die Waren horteten, aufzuspüren und zu bestrafen …

Dazu trug auch bei, dass der Ausschuss ständig zwischen zwei konkurrierenden Kräften zu revieren hatte: den Sansculotten auf der einen und dem Konvent auf der anderen Seite. Den radikalen Forderungen, die von den Sansculotten erhoben wurden, musste er ebenso gegensteuern wie dem Widerstand, den der Konvent dagegen geltend machte. Das verschaffte dem Wohlfahrtsausschuss eine Mittlerrolle, durch die er ein hohes Maß an politischer Handlungsautonomie erlangte. Seine Verantwortlichkeit gegenüber dem Konvent nutzte er dazu, Die Sansculotten in Schach zu halten, die ihm andererseits aber dazu dienten, die Geltungsansprüche der Abgeordneten abzuwehren. Daraus gewann der Comité de Salut public einen esprit de corps, der seinen Anspruch, allein im Interesse des Staatswohls zu handeln, lange unangreifbar machte. Das änderte aber gleichwohl nichts daran, dass der Autorität des Wohlfahrtsausschusses stets prekär blieb und er sich nur behaupten konnte, solange er, gemessen an dem Interessen der einen wie der anderen, mit der von ihm verfolgten Politik erfolgreich war.

Als Reaktion auf diese Unsicherheit lässt sich auch jener Aspekt seiner Politik erklären, der wie kein anderer den Comité de Salut public im Urteil der Nachwelt in Verruf brachte: die unnachsichtig angewandte Praxis der Schreckensherrschaft. Diese entsprach zum einen dem gesteigerten Rachebedürfnis der Sansculotten; zum anderen nötigte die obrigkeitlich legitimierte Terrorherrschaft die Konventsabgeordneten zu furchtsamem Respekt. Im Übrigen ließ ich dieses Handeln als angemessene Strafe für alle Verstöße und Verbrechen rechtfertigen, die den Revolutionsfeinden vorgeworfen wurden …

Diese terroristischen Maßnahmen und Gesetze vermochten aber ebenso wenig wie die Festlichkeiten des 10. August der Enragés den Wind aus den Segeln zu nehmen. Diese suchten den andauernden Unmut der Pariser Sansculotten über den chronischen Mangel an erschwinglichen Nahrungsmitteln auszunutzen. Ebenso griffen sie deren Empörung über die als viel zu lasch empfundene Verfolgung der Verschwörungen auf, die für die Niederlagen der Republik verantwortlich gemacht wurden. Mit ihren Forderungen nach einem energischen Vorgehen gegen alle Verdächtigen setzten die Sektionen wie die Chefs der Enragés den Konvent unter Druck. Der sah sich schließlich dazu genötigt, dem ebenfalls seit längerem geäußerten Verlangen der Sansculotten nach einer massenhaften Mobilisierung aller wehrfähigen Franzosen, der levée en masse, stattzugeben.

Diese Forderung verrät die Mentalität der Sansculotten: Unter „Masse“ verstanden sie nicht nur eine möglichst große Zahl, sondern zugleich die mentale Gleichschaltung aller, die an die Front aufbrachen. Darin artikulierte sich das Verständnis eines Volksaufstands, der die Armee zu Höchstleistungen anspornen sollte. Diesem Elan standen die Verantwortlichen lange Zeit mit verständlicher Reserve gegenüber, denn mit dem massenhaften Aufbruch drohte ein Chaos, das sich schwer bändigen ließe. Außerdem fehlte es an Waffen und Ausrüstung in entsprechender Menge, so dass zu befürchten stand, dass der revolutionäre Enthusiasmus mehr Schaden als Gewinn stiftete. Dass man sich dem Ansinnen nicht länger widersetzen konnte, erkannten die Abgeordneten, als am 16. August 1793 eine Abordnung der 48 Pariser Sektionen vorstellig wurde und nochmals zu entschlossenem Handeln mahnte: „Das Volk wünscht … diesen Krieg, der uns zutiefst schädigt, durch eine plötzliche Aufwallung der Rache und der Vernichtung unserer Feinde zu beenden. Ordnen Sie also auf der Stelle an, dass die Alarmglocke der Freiheit an einem bestimmten Tag in allen Orten der Republik geläutet wird … Dass es auch keine Ausnahme gibt für jeden Mann, der in der Lage ist, Waffen zu tragen, gleich welche Funktion er ausübt; dass die Landwirtschaft lediglich die Arbeitskräfte zurückhält, die für die Einbringung der Ernte notwendig sind; dass der Handel für einen Augenblick ruht; dass jedes Geschäft zum Stillstand kommt und dass es die große, die einzige und umfassende Aufgabe der Franzosen ist, die Republik zu retten …

Dieses Dekret entsprach indes kaum den Vorstellungen, die von den Sansculotten mit einer levée en masse verbunden waren So war die Ankündigung einer allgemeinen Aushebung mit der Einschränkung verbunden, dass zuerst nur die 18- bis 25-Jährigen eingezogen wurden, die schon von der Deputation der 48 Pariser Sektionen am 16. August mit Nachdruck kritisiert worden war. Ausnahmen wurden ferner auch für alle Beamten und Verwaltungsmitarbeiter gemacht. Das Hauptproblem war allerdings, dass alle diese Ankündigungen erst noch praktisch umgesetzt werden mussten. Das warf umso größere Schwierigkeiten auf, als zugleich auch wesentliche politische und wirtschaftliche Fragen weiterhin einer Lösung harrten. Um hier einen Ausweg zu finden, brauchte es eine neue Krise und neuen Druck seitens der Sansculotten.

Die Proklamation der levée en masse erwies sich nicht als das erhoffte Ventil für den Unmut der Sansculotten, und auch die von den Enragés orchestrierte Agitation gegen die anhaltende Teuerung der Lebensmittelhit hielt unvermindert an. Die Achillesferse des von den Montagnards beherrschen Konvents wie das Comité de Salut public war nach wie vor die prekäre Versorgungslage, für die seitens der Sansculotten und der Enragés die sogenannten accapareurs - also jene, die Nahrungsmittel horteten, um ihre Profile zu steigern - verantwortlich gemacht wurden. Am 24. August 1793 verbot der Konvent alle Aktiengesellschaft mit Wirkung vom 1. Januar 1794. Bis dieses Verbot Resultate erbrachte, würde es allerdings eine Weile dauern. Auch das bereits am 26. Juli verabschiedete Gesetz gegen das Horten und die Spekulation mit Lebensmitteln hatte bislang keinerlei Verbesserung der angespannten Versorgungslage gebracht. Daraufhin begann sich auch die Jakobiner über die Langsamkeit zu erregen, mit der die Revolutionsregierung auf die brennenden Probleme reagierte. Im Zusammenhang mit einer energischeren Bekämpfung der Versorgungskrise wurde dabei auch wiederholt die Verschärfung des Schreckensregimes gefordert, ein Verlangen, das mit der Anfang September eingetroffenen Nachricht, dass die englische Flotte den Hafen von Toulon in Besitz genommen hatte, jäh an Plausibilität gewann.

Für den Jakobiner-Club war diese Nachricht der Anlass, am Abend ist 2. September eine Resolution mit der Forderung zu verabschieden, die Arbeit des Revolutionsgerichts zu beschleunigen und insbesondere das Verfahren gegen die Girondins umgehend zu eröffnen. Dies, die Nachrichten aus Toulon sowie die sich mehrenden Hinweise auf neuerliche Unruhen in Paris veranlassen den Konvent zum Handeln. Bereits am 3. September wurde ein emprunt forcé, eine Sondersteuer auf Einkommen, verabschiedet sowie ein weiteres Dekret, das die seit längerem geforderten Preisbegrenzungen für Getreide landesweit festlegte. Das änderte aber nichts daran, dass es am Morgen des 4. September überall in Paris zu Zusammenrottungen von Arbeitern kam, die lautstark für erschwingliche Nahrungsmittel demonstrierten. Davon ließen sich auch die Jakobiner beeindrucken. Robespierre versuchte zwar, sie von seiner Ansicht zu überzeugen, es handele sich dabei lediglich um ein gegenrevolutionäres Komplott. Die Zustimmung der Club-Mitglieder erhielt jedoch der radikale abbé Royer, der den Vorschlag machte, „die Sitzungen des Jakobiner-Clubs bis auf Weiteres auszusetzen, auf die Straße zu gehen und den peuple aufzufordern, sich seiner Führung anzuschließen, um den Konvent zu nötigen, revolutionäre Maßnahmen zu ergreifen.

Der Schulterschluss wurde am nächsten Tag, dem 5. September vollzogen, als die Jakobiner im Sitzungssaal des Conseil général de la Commune de Paris zur Menge der Demonstranten, die sich hier versammelten, hinzustießen und gemeinsam mit ihnen die Verhaftung „aller Verdächtigen“ forderten. Hier wurde auch lautstark die Adresse akklamiert, die der Procureur de la Commune, Anaxagoras Chaumette, dem Konvent vorlegte: „Sie haben kluge Sätze verabschiedet; sie versprechen das Glück aller; aber sie kamen bislang noch nicht zur Anwendung, weil es an der entsprechenden Durchsetzungskraft mangelte … Die Patrioten aller Departements und in Sonderheit der peuple de Paris haben bis jetzt sehr viel Geduld gezeigt; damit ist es jetzt genug: Der Tag der Gerechtigkeit des Zorns ist angebrochen. – Gesetzgeber, die unübersehbar große Menge von Bürgern, die zusammenströmten, hat ein Wunsch: … Nahrungsmittel, und, um diese zu haben, den Nachdruck des Gesetzes. - Deshalb haben wir den Auftrag, Sie zur Aufstellung einer Revolutionsarmee aufzufordern, die von Ihnen bereits gebilligt wurde, aber die Intrige und Angst von Schuldigen bislang vereitelt hat … Diese Armee muss ein ebenso unbestechliches wie gefürchtetes Gericht nebst dem schrecklichen Instrument folgen, das mit ein und derselben Bewegung die Verschwörungen wie die Köpfe ihrer Anstifter abtrennt“.

Diese terroristische Inbrunst, die von anderen Rednern noch gesteigert wurde, verband sich mit einer scharfen Kritik am Wohlfahrtsausschuss wie dem Konvent. Die aufgeheizte Stimmung galt es umgehend zu beruhigen; andernfalls wuchs die Gefahr, dass beide von einem drohenden Aufstand der Pariser Volksmassen fortgespült werden würden. Danton setzte sich daher dafür ein, den Forderungen der Sansculotten entgegenzukommen: Der Konvent solle sofort die Aufstellung einer Revolutionsarmee beschließen. Außerdem sollten die Sitzungen der Pariser Sektionen künftig zweimal pro Woche stattfinden, wobei den „Angehörigen des peuple“ die Teilnahme durch „eine angemessene Entschädigung“ ermöglicht werden sollte. Die Begrenzung der Sitzungen auf zwei pro Woche wie auch das in Aussicht gestellte Sitzungsgeld waren dabei gleichermaßen geeignet, den Einfluss der Radikalen zu schwächen. Schließlich ging Danton auch auf die Forderung nach einer Verschärfung des Terrors ein: „Was noch zu tun bleibt, ist, die Feinde im Inneren, die man bereits in Gewahrsam hat, wie die anderen, die es noch zu ergreifen gilt, zu bestrafen. Deshalb muss das Revolutionsgericht in eine ausreichend große Anzahl von Abteilungen gegliedert werden, damit gewährleistet ist, dass jeden Tag ein Aristokrat, ein Übeltäter mit seinem Kopf für seine Taten einsteht“.

Dantons Vorschläge wurden vom Konvent zwar sofort gebilligt, doch Billaud-Varenne, einer der Führer der Radikalen, stellte nun die Forderung, die Stadttore zu schließen und sofort mit der Jagd auf die Verdächtigen zu beginnen. Die Versammlung, die durch die lautstarke Unterstützung Billaud-Varennes auf den Zuschauertribünen ebenso eingeschüchtert war wie durch die Aussicht auf einen neuerlichen Pariser Volksaufstand, beschloss auf der Stelle die Verhaftung aller Verdächtigen und eine Säuberung der Revolutionskomitees in den Sektionen, deren Aufgabe es war, sie ausfindig zu machen.

Unmittelbar nach dieser Abstimmung erschien eine Abordnung des Jakobiner-Clubs im Konvent mit der Forderung, die Terreur auf die Tagesordnung zu setzen. Auch wurde von ihr das Verlangen geäußert, eine in mehrere Abteilungen gegliederte Revolutionsarmee zu schaffen, der jeweils ein Gericht und die Guillotine auf dem Fuße folgen sollte. Damit reihten sich auch die Pariser Jakobiner in die vorderste Front eines weiteren Volksaufstands ein, der sich nach nur drei Monaten erneut gegen den Konvent zu richten drohte. Wie stets war auch diesmal die prekäre Versorgungslage ein willkommener Vorwand, um eine breite Massenbewegung auf die Beine zu bringen. Tatsächlich war den Enragés vor allem an der Erfüllung ihrer radikalen politischen Forderungen gelegen. Worum es ihnen ging, stellte der Abgeordnete Jean-Baptiste Drouet am 5. September noch einmal in aller Deutlichkeit fest: „Der Augenblick ist gekommen, das Blut der Schuldigen zu vergießen. Was schert uns unser Ansehen in Europa? Unsere Großzügigkeit wurde uns als Schwäche ausgelegt; sie hat die Verräter in ihrem Tun bestärkt und damit neue Verbrechen provoziert … Nun gut! Da unsere Tugendhaftigkeit, unsere Mäßigung und unsere philosophischen Gedanken uns nichts genützt haben, sollten wir uns um des Glücks des Volkes willen als Briganten aufführen …“

Drouets Appell ließ sich durchaus als Aufruf zu einem neuen Septembermassaker verstehen. Im Wohlfahrtsausschuss wurden diese Bedenken jedoch nicht laut; er beeilte sich vielmehr, durch Barère seine prinzipielle Zustimmung zu fast allen Forderungen zu erteilen. Damit bewies er seine Konformität mit der Mehrheitsmeinung im Konvent, der am Abend Billaud-Varenne zum Präsidenten wählte ...

Die Journée des 5. September war gewiss nicht so spektakulär verlaufen wie die des 31. Mai oder des 2. Juni 1793, aber ihre Folgen, die alle Beteiligten irgendwie als Sieger auswiesen, sollten weitaus gravierender sein. Zu den Siegern gehörten in erster Linie die Radikalen, die Einpeitscher der Sansculotten um Jacques-René Hébert, den Redakteur des Kampfblattes Le Père Duchesne, denen es damit zum letzten Mal gelang, dem Konvent ihren Willen aufzuzwingen; Sieger waren aber auch die Sansculotten, die es allein durch die Demonstration ihrer Geschlossenheit vermochten, der Commune, dem Wohlfahrtsausschuss und dem Konvent die weitere revolutionäre Marschroute zu diktieren. Auf längere Sicht gehörten aber auch die vermeintlichen „Verlierer“ zu den Gewinnern, denn der Konvent blieb innerhalb der Legalität, weil er es diesmal durch geschmeidige Zugeständnisse vermeiden konnte, sich roher Gewalt zu beugen. Das galt auch für den Comité de Salut public, der in seiner Rolle als provisorische Revolutionsregierung gestärkt wurde …

Von herausragender Bedeutung für die Praxis der Schreckensherrschaft war das am 17. September verabschiedete Gesetz, das die Verhaftung von Verdächtigen regelte. Dieses Gesetz unterschied sich insofern fundamental von der bislang schon geltenden Regelung, als es einen ganzen Katalog von Merkmalen spezifizierte, die einen einschlägigen Verdacht rechtfertigten. Von den insgesamt sechs aufgeführten Verdachtsmerkmalen hält allenfalls die Hälfte einer Prüfung stand. Als verdächtig galten alle diejenigen, die nicht den Nachweis beibringen konnten, ihren Bürgerpflichten genügt, also ihre Steuern und Abgaben bezahlt oder ihren Dienst in der Nationalgarde absolviert zu haben; verdächtig waren zum weiteren diejenigen, denen der obligatorische Certificat de civisme verweigert worden war, sowie alle Inhaber öffentlicher Ämter, die dieser auf Anordnung des Konvents oder von dessen Kommissaren verlustig gegangen waren.

Verdächtig im Sinne des Gesetzes waren darüber hinaus aber auch alle diejenigen, die sich, „sei es durch ihr Betragen, ihre Beziehungen, ihre Worte oder Veröffentlichungen als Anhänger der Tyrannei des Föderalismus oder als Feinde der Freiheit ausgewiesen haben“. Diese Bestimmung war ebenso vage wie perfide, denn mit ihr gerieten automatisch alle in Verdacht, die nicht von Beginn der Revolution an eindeutig auf der politisch-ideologischen Linie der späteren Montagnards gelegen hatten, also prinzipiell alle, die sich 1789 zu den Monarchiens um Jean-Joseph Mounier, später zu den Feuillants oder schließlich zu den Girondins und damit den erklärten Gegnern der Montagnards bekannt hatten. Ebenso gerieten ins Visier „diejenigen ehemaligen Adligen, gleichgültig ob Gatten, Ehefrauen, Väter, Mütter, Söhne oder Töchter, Brüder oder Schwestern wie auch deren Bediensteten, die nicht glaubwürdig ihre Anhängigkeit an die Revolution unter Beweis gestellt hatten; außerdem jene, die im Zeitraum vom 1 Juli 1789 bis zur Veröffentlichung des Gesetzes vom 8. April 1792 in die Emigration gegangen waren, auch wenn sie in der durch dieses Gesetzes festgelegten Frist oder davor nach Frankreich zurückgekehrt sind“. In Übereinstimmung mit diesen Kriterien wurden die Comités de surveillance der jeweiligen Arrondissements angehalten, Listen der Verdächtigen anzulegen, Haftbefehle gegen diese zu erwirken und ihre Papiere zu beschlagnahmen.

Dieses Gesetz beseitigte die persönliche Freiheit und Sicherheit des einzelnen Bürgers und lieferte damit ein Muster für alle späteren diktatorischen Regime. Drei Tage später wurde es noch durch ein Dekret präzisiert, das bestimmte, dass auch die bereits ausgestellten Certificats de civisme von den im März 1793 geschaffenen Comités révolutionnaires noch einmal überprüft werden sollten. Das bedeutete nichts anderes, als dass in Belangen der Staatssicherheit die je lokalen Comités révolutionnaires oder Comités de Salut public, die dem Comité de Sureté générale und dem Wohlfahrtsausschuss direkt unterstellt waren, den Kommunen oder Sektionsversammlungen übergeordnet und zu einer alles wie alle kontrollierenden Staatspolizei wurden. Das Verdächtigengesetz war passgenau auf Robespierres stets waches Misstrauen zugeschnitten, aus dem er eine seiner schärfsten Waffen im Kampf um die Macht schliff. Es lieferte ihm die bürokratische Handhabe für die Beschäftigung, der er sich zeit seiner Zugehörigkeit zum Wohlfahrtsausschuss am liebsten widmete: der unnachsichtigen Kontrolle der Subalternen.

Das Gesetz vom 17. September schuf lediglich den Rahmen für das heraufziehende Regime des Schreckens. Dessen ungezügelte Fürchterlichkeit kündigte sich bereits in den Worten an, mit denen sich einer der Apostel der Terreur, Collot d’Herbois, an diesem Tag gegen den Vorschlag verwahrte, Erfinder oder Verbreiter von Schreckensnachrichten lediglich durch Deportation zu bestrafen: „Man darf nicht deportieren, man muss alle Verschwörer vernichten und in der Erde der Freiheit begraben; es gilt, alle zu verhaften, alle Örtlichkeiten, in denen man sie gefangen setzt, gilt es zu verminen, die brennende Lunte muss stets bereitgehalten werden, um sie in die Luft zu sprengen, damit sie oder ihre Anhänger daran gehindert werden, neue Anschläge gegen die Republik zu wagen“.

Hinter diesen Worten stand die gleiche Absicht, die auch mit dem Gesetz vom 17. September über die Verdächtigen verfolgt wurde: Es galt um jeden Preis zu vereiteln, dass der Wohlfahrtsausschuss und die Revolutionsregierung durch eine von den Enragés inspirierte Bewegung der Sansculotten an Radikalität überholt wurden. Diese forderten seit Anfang September eine unnachsichtige Repression. Auf Drängen von Billaud-Varenne hatte der Konvent deshalb am 5 September den Beschluss gefasst, die Comités révolutionnaires zu bevollmächtigen, Verdächtige zu verhaften. Das öffnete der Willkür und der Rachsucht erst recht alle Schleusen. Viele der Pariser Sektionen veranstalteten von nun an nächtliche Razzien und nahmen Verhaftungen vor. Dem konnten die allzu unpräzisen Bestimmungen des Gesetzes vom 17. September keinen Einhalt gebieten, zumal diese als zu restriktiv kritisiert wurden. Ein weiterer Aspekt der drohenden revolutionären Anarchie waren die Forderungen nach Bestrafung von Marie-Antoinette und der Girondins. Die Anklageerhebung gegen die „Witwe Capet“ war vom Konvent zwar bereits am 1. August prinzipiell beschlossen worden, doch war seither nichts geschehen. Am 3. Oktober wurde der Antrag von Billaud-Varenne votiert, Marie-Antoinette binnen Wochenfrist vor Gericht zu stellen. Am selben Tag wurde auch die Anklageerhebung gegen die Girondins gebilligt sowie die Verhaftung jener 75 Abgeordneten verfügt, die es gewagt hatten, am 6. und 19. Juni am Geschehen des 31. Mai und 2. Juni Anstoß zu nehmen. Beide Beschlüsse trugen dazu bei, die in der Öffentlichkeit herrschende Erregung zu dämpfen.

Kaum zu übersehen ist, dass mit dieser Aktivität eine kompensatorische Absicht verbunden war. Gerade erst hatte das sich seit der Krise von Anfang September rasch festigende Svjreckensregime mit Jacques Roux und Varlet auch die Führer der extremen Linken zu Fall gebracht, die verhaftet und damit mundtot gemacht wurden. Mit der extremen Linken war es aber wie mit der Hydra: Kaum hatte man ihr einen Kopf abgeschlagen, wuchsen ihr andere nach. Das waren die Hébertisten, auch wenn die Attacken ihres Anführers Hébert zunächst verpufften, weil ihm der Konvent mit der endgültigen Verabschiedung eines umfassenden Maximumgesetzes am 29. September den Wind aus den Segeln genommen hatte. Doch blieben all diese Gesetze so lange Stückwerk, wie die entscheidende politische Frage nach der Regierungsverantwortung, die ihre Durchsetzung gewährleistete, noch nicht befriedigend gelöst war …

Im Anschluss an die Rede, mit der Saint-Just die von ihm eingebrachte Gesetzesvorlage begründete, gab der Konvent seine Zustimmung. Das Gesetz zielte darauf ab, den Wohlfahrtsausschuss von der Weisungsabhängigkeit gegenüber dem Konvent zu befreien und ihn zum uneingeschränkten Exekutivorgan der Republik zu machen. Es übertrug ihm die Aufsicht über die Revolutionsarmee, die Führung der regulären Armee, die Minister und die Verwaltung. Die Zauberformel dazu lieferte der berühmte erste Artikel des Gesetzes, der bestimmte, dass die „provisorische Regierung Frankreichs revolutionär bis zum Friedensschluss“ sei. Das bedeutete zunächst, dass die Republik im Wohlfahrtsausschuss eine Exekutive besaß, die dem Konvent war theoretisch untergeordnet blieb, weil dieser das Gremium am 10. Eines jeden Monats neu bestellen konnte. Praktisch hatte dies jedoch keinerlei Bedeutung, denn bis zum 9. Thermidor, dem Sturz Robespierres Ende Juli 1794, blieb die personelle Zusammensetzung des Ausschusses unverändert. Die Regierung wurde zugleich als „revolutionär“ bezeichnet, weil sie lediglich „provisorisch“; das heißt nicht nach Maßgabe der Verfassung konstituiert wurde; die bis zum Frieden nicht in Kraft gesetzt werden sollte.

Gleichzeitig bedeutete dies aber auch, dass die „provisorische“ und „revolutionäre“ Regierung ein diktatorisches Regime darstellte, das nicht auf den Respekt der verfassungsmäßig garantierten Rechte und Gesetze verpflichtet war, sondern allein durch ein politisches Dogma gerechtfertigt wurde, dessen Geltung jener des Gesetzes übergeordnet war. Mit anderen Worten: Solange der Wohlfahrtsausschuss in Übereinstimmung mit diesem politischen Dogma handelte, waren alle seine Maßnahmen, auch wenn sie die Gesetze verletzten, opportun. Eben diesen Gedanken entwickelte Saint-Just gleich zu Beginn seiner Rede: „Man kann so lange nicht auf ein Wohlergehen hoffen, wie der letzte Feind der Freiheit noch am Leben ist. Ihre Aufgabe ist es aber nicht allein, die Verräter zu bestrafen, sondern auch die Gleichgültigen, die Unentschiedenen; Sie müssen jeden verfolgen, der in Passivität gegenüber der Republik verharrt und der sich nicht für sie einsetzt; denn seitdem das französische Volk seinen Willen bekundet hat, stellt sich alles, was diesem Willen widerspricht, außerhalb des Souveräns: Alles aber, was außerhalb des Souveräns ist, gilt als dessen Feind“.

Rousseaus mysteriöse „volonté générale“ war nach Saint-Just das politische Dogma, die revolutionäre Universalklausel, die alle Taten und Untaten, die in ihrem Namen begangen wurden, rechtfertigte. Jedes Individuum, jede Klasse oder Partei, die sich in ihrem erklärten Wollen nicht mit der „volonté générale“ identifizierte, stand außerhalb des Souveräns und konnte sich somit nicht auf die Geltung oder den Schutz von dessen Gesetzen berufen. Das verschaffte ihnen zugleich den Status von Feinden, die es zu vernichten galt. Entsprechend, wenngleich weniger elegant, hatte sich zuvor schon Collot d‘Herbois geäußert, als er bemerkte, dass „die Menschenrechte nicht für die Gegenrevolutionäre gemacht wurden, sondern allein für die Sansculotten“. Die Ersten, die von der erbarmungslosen Härte dieser terroristischen Logik zu kosten bekamen, waren die Aufständischen in Lyon, Toulon und der Vendée, an denen nun der Wohlfahrtsausschuss ein Exemplar seiner diktatorischen Machtfülle statuierte.“

 

Schrecken in der Provinz

 

Robespierre Mitte 1793: „„Das Mittel, den Bürgerkrieg zu beenden, ist, die Verräter und Verschwörer zu bestrafen, insbesondere die Deputierten und Verwaltungsleute, die sich schuldig gemacht haben; patriotische Truppen müssen ausgesandt werden, um die Aristokraten von Lyon, Marseille, Toulon, der Vendée, des Jura und aller anderen Gegenden zu beseitigen, in denen das Banner des Royalismus und des Aufstands gehisst wurde und es muss ein schreckliches Exempel an allen Verbrechern statuiert werden, die sich an der Freiheit vergangen und das Blut der Patrioten vergossen haben“.

Die Ersten, die dies zu spüren bekamen, waren die Einwohner von Lyon: Die zweitgrößte Stadt Frankreichs wurde zum Experimentierfeld des Terrorregimes bestimmt …

Was das Verhängnis, das sich jetzt über Lyon zusammenbraute, die unvermeidlich machte, war die Entschlossenheit Robespierres, an der Stadt ein Exempel zu statuieren, die von den Jakobinern schon lange verdächtigt wurde, der Hort der Gegenrevolution im Süden zu sein. Diese Absicht teilte Robespierre mit vielen seiner Gesinnungsgenossen, die auch im Wohlfahrtsausschuss die Meinungshoheit besaßen. Für sie war der Anti-Jakobinismus, der den Lyoner Aufstand provoziert und getragen hatte, nichts anderes als gegenrevolutionär …

… Diese Nachricht (Aufnahme von Übergabeverhandlungen des belagerten Lyon) lief just an jenem 12. Oktober in Paris ein, an dem der Konvent auf Drängen des Wohlfahrtsausschusses jenes für das Schicksal der Stadt fatale Dekret votierte, das nichts weniger als deren weitgehende Zerstörung bestimmte:

„Lyon wird zerstört. Alle Häuser, in denen Reiche leben, werden dem Erdboden gleichgemacht. Es bleiben die Wohnstätten der Armen, die der ermordeten oder verfolgten Patrioten, die gewerblich genutzten Bauten sowie die Spitäler und Schulen davon ausgenommen. – Der Name Lyon wird aus der Liste der Städtenamen, die in der Republik vorhanden sind, gelöscht. Die Ansammlung von Häusern, die der angeordneten Zerstörung entgangen sind, wird künftig den Namen Ville affranchie (befreite Stadt) tragen. – Auf den Trümmern von Lyon wird eine Säule errichtet, die der Nachwelt Kunde von den Verbrechen und der Strafe, die diese Stadt ereilte, mit der Inschrift gibt:

Lyon führte Krieg gegen die Freiheit;

Lyon ist nicht mehr.

Den 18. Tag des ersten Monats,

des zweiten Jahres der französischen Republik,

une et indivisible.“

 

Mit diesem wahrhaft neronischen Befehl wurde nichts weniger als eine klassenkämpferische Politik angekündigt, die mit der Herrschaft des Schreckens in Lyon ihren Einzug hielt. Ihre Ausführung oblag den im Auftrag des Wohlfahrtsausschusses entsandten Kommissaren Collot d’Herbois und Joseph Fouché sowie der aus Pariser Sansculotten rekrutierten Revolutionsarmee …

Das Programm des Wohlfahrtsausschusses zielte von Anfang an auf exemplarische Bestrafung mittels weitgehender physischer und kultureller Zerstörung des nach Paris zweitgrößten Gemeinwesens Frankreichs. Die Absicht war nichts weniger als ungeheuerlich; sie entsprang weder einem momentanen Affekt, noch lässt sie sich als Reflex einer hysterischen Angst um den Bestand der Revolution erklären. In ihr offenbart sich vielmehr in unverstellter Klarheit und Eindeutigkeit die Methode, die das Wesen der Schreckensherrschaft charakterisierte. Diese Methode kannte lediglich eine Logik: Die Ausübung der diktatorischen Macht, die der Wohlfahrtsausschuss für sich beanspruchte, war gegen jegliche Opposition wirksam abzusichern …

Die Schreckensherrschaft wütete in Lyon am intensivsten zwischen dem 27. November 1793 und dem 13. April 1794, dem Tag, an dem der Tribunal des Sept aufgelöst wurde. In diesen Wochen wurden 1.673 Todesurteile verhängt und vollstreckt. Bis zum Sturz Robespierres am 9. Thermidor, der die Terreur beendete, belief sich deren Bilanz für Lyon auf wenigstens 1.897 Opfer. Nach den von Donald Greer vorgelegten Zahlen wurden in der Zeit der Schreckensherrschaft in ganz Frankreich 16.594 Todesurteile ausgesprochen und vollstreckt. Der Anteil davon, der auf Lyon entfällt, entspricht über 10 Prozent, das damit in einer nach Städten untergliederten Opferstatistik nach Nantes und Paris an dritter Stelle rangiert …

Wie im Fall von Lyon lässt sich auch die in Nantes und der Vendée von den Repésentants du peuple mit Rückendeckung von Konvent und Wohlfahrtsausschuss ausgeübte äußerst brutale und lang andauernde Repression nicht damit erklären oder gar rechtfertigten, man habe sich damit einer existenziellen Bedrohung der Revolution erwehrt. Tatsächlich handelte es sich dabei um blanken Terror, der von atavistischem Hass getrieben war. Dies zeigt auch der Vergleich mit der in Marseille, Bordeaux oder Caen geradezu milde geübten Repression. In Lyon trug jener Hass ausgeprägt klassenkämpferische Züge, während er in Nantes oder der Vendée antiklerikal und antimonarchistisch motiviert war. Sein eigentlicher Auslöser dürfte aber gewesen sein, dass man geraume Zeit solche Mühe gehabt hatte, die Aufstände niederzuwerfen …

… Das entspricht im Übrigen einer ausgeprägten Tendenz in der französischen Revolutionsgeschichtsschreibung, die dieses speziell für die Herrschaft der Jakobiner emblematische Geschehen weitgehend ausblendet oder die Verirrungen untergeordneter Befehlsempfänger dafür verantwortlich macht. Diese Ansicht stützt sich unter anderem darauf, dass die Drahtzieher dieses Treiben mit Tarnbegriffen oder Metaphern wie „patriotische Taufe“ oder „vertikale Exekution“ umschrieben, die das tatsächliche Geschehen gegenüber Uneingeweihten verschleiern sollten. Auch die Mitglieder des Wohlfahrtsausschusses und des Konvents wussten nicht zuletzt durch die Berichte von Carrier Bescheid und schwiegen einfach deshalb, weil es ihnen im Grunde gleichgültig war, mit welchen Methoden die von ihnen propagierten Ziele erfüllt wurden.

Die noyades waren zwar ein besonders spektakulärer Aspekt des Schreckensregiments, forderten aber vermutlich nicht die meisten Opfer der weit über 100.000 Toten des Vendée-Kriegs von 1793. Weitaus häufiger waren Massenerschießungen. Was die Opferbilanz erheblich anschwellen ließ, waren die Menschenjagden, zu denen die Kriegführung nach der von den Aufständischen verlorenen Schlacht von Cholet Mitte Oktober degenerierte. Ihr Ziel war ein riesiger Flüchtlingszug, der mit Frauen, Greisen und Kindern kreuz und quer durch die Bretagne irrte. Der Bericht, den Carrier am 20. Dezember dem Wohlfahrtsausschuss sandte, vermittelt davon eine lediglich ungefähre Ahnung …

Diese „Schlachtfeste“ der letzten Kriegsphase, denen Tausende demoralisierte, erschöpfte und zu keinem nennenswerten Widerstand mehr fähige Vendéens zum Opfer fielen, waren erst der Anfang des systematischen Grauens. Ab Januar 1794 verwirklichte General Louis-Marie Turreau, ein Mann der Montagnards wie der Sansculotten, der im November zuvor den Oberbefehl über die West-Armee erhalten hatte, seinen Plan zur Vernichtung der Vendée ...

Zur Ausführung seines Plans unterstellte Turreau die ihm zur Verfügung stehenden Truppen in 12 „Colonnes infernales“, die nach dem 17. Januar 1794 von allen Seiten die Vendée zernieren, alle Vorräte, die sie auf ihrem Weg fanden, wegführen oder vernichten, Häuser und Dörfer mit Ausnahme von 12 Kommunen, die als Garnisonsorte bestimmt waren, einäschern und alle Bewohner, einschließlich der Patrioten, entwaffnen und evakuieren sowie alle Verdächtigen sofort erschießen sollten. Diese auf die totale Vernichtung einer ganzen Region und ihrer Bevölkerung abzielende Plan, der ab dem 20. Januar 1794 verwirklicht wurde, entsprach den Befehlen des Wohlfahrtsausschusses. Am 15. Februar gab er dem Représentant du peuple in der Region die Anweisung: „Statt die Gehöfte in Brand zu stecken, lassen sie alle Briganten über die Klinge springen, sorgen Sie dafür, dass die Flüchtenden und die Feigen bestraft wie auch diese ganze schreckliche Vendée völlig ausgelöscht werden“. Je weiter diese Kolonnen vordrangen, desto erbitterter wurde der verzweifelte Widerstand, der ihnen entgegenschlug …

… Nach dem Ende der Schreckenszeit, das mit dem Sturz Robespierres Ende Juli 1794 eingeleitet wurde, avancierte Carrier zum bequemen Hauptverantwortlichen für die noyades und den Terror in Nantes. Als Einzigem der Kommissare machte ihm der Konvent zwischen dem 23. November und dem 14. Dezember 1794 einen Schauprozess, der damit endete, dass 498 von 500 Abgeordneten ihn zum Tod verurteilten. In diesem Verfahren, bei dem die Mitverantwortlichen für die von ihm verübten Verbrechen über ihn zu Gericht saßen, verteidigte Carrier sich mit einem Satz, der ins Herz der Terreur traf „Alles hier ist schuldig, sogar die Glocke des Präsidenten“.

Lyon, Toulon und Nantes sind drei exemplarische Fälle innerhalb des umfassenden Zusammenhangs der Terreur die mehr als jedes andere Geschehen der Revolution eine unauslöschliche Signatur gegeben hat. Auch wenn diese Beispiele sich allesamt durch eine besondere Extremität auszeichnen, unterscheiden sie sich doch sowohl hinsichtlich der angewandten Methoden der Repression wie der dahinterstehenden Motive. Dieser Befund hat häufig dazu verführt, das Urteil über die Terreur zu differenzieren oder zu pauschalisieren. Indem die Differenzierung die Unterschiede betonte, leistete sie der Tendenz Vorschub, die Verantwortung für das Regime des Schreckens einzelnen Tätern wie Collot d‘Herbois und Fouché in Lyon, Barras und Salicetti in Toulon oder Carrier in Nantes und Turreau in der Vendée zuzuschieben, die innerhalb der Hierarchie mittlere Ränge einnahmen. Daraus ließ sich dann die Folgerung ziehen, dass diese mehr oder minder eigenmächtig die ihnen erteilten Aufträge interpretiert und entsprechend exekutiert hätten, ohne dass das zentrale Leitungsgremium darüber jeweils unterrichtet gewesen wäre, geschweige diese Vorgehensweise gebilligt hätte. Eine solche Sicht reproduziert die Lebenslüge einer jeden Diktatur. Im besonderen Maß gilt das aber für die durch Robespierre verkörperte Diktatur, die sich durch den Anspruch auf Tugend und Unbestechlichkeit zu rechtfertigten suchte.

Ergänzt und gestützt wurde diese differenzierende Interpretation durch die Pauschalisierung, wonach die Terreur als eine übergesetzliche Notstandsmaßnahme eine unverzichtbare Notwendigkeit gewesen sei, um Republik und Revolution vor Gefahren zu bewahren, die sie zu vernichten drohten. Die vermeintliche Evidenz dieser Behauptung lässt sich mit guten Gründen bestreiten, die auch schon im Spätjahr 1793 zu erkennen waren. Die blutige Repression in Lyon, Toulon oder Nantes und der Vendée setzte erst mit voller Wucht ein, nachdem die Gefahr, die von diesen Aufstandszentren ausging, längst gebannt war. Also handelte es sich ausnahmslos um Straf- oder Vergeltungsaktionen. Ihnen wird deshalb gerne eine abschreckende Wirkung zugeschrieben. Allerdings kann man sich durchaus fragen, welcher Adressat damit gemeint gewesen sein soll. Mit dem Fall von Lyon, Toulon und der Zerschlagung der Armée catholique et royale in der Vendée war die innerfranzösische Aufstandsbewegung unterdrückt, auch wenn die endgültige Befriedung weiter Gebiete in Nordwestfrankreich auf Jahre hinaus Probleme aufwarf. Die Invasionsdrohung der europäischen Mächtekoalition war seit der Schlacht von Wattignies ebenfalls erfolgreich gebannt. Viel spricht also dafür, dass die heraufbeschworenen Gefahren weit übertrieben wurden: Preußen und Österreich waren in der gegen Frankreich und die Revolution gerichteten Fronde von Anfang an nur sehr halbherzig engagiert, während Großbritannien allein darauf schielte, sich Frankreichs Kolonialbesitz in der Karibik einzuverleiben.

Die vermeintliche Bedrohung, die Preußen, Österreich und England für die Revolution darstellten, war ganz wesentlich eine französische Projektion, in die sich Problem und Widersprüche der revolutionären Dynamik einspiegeln ließen. Eine andere Methode war es, den politischen Konkurrenten die alleinige Verantwortung für die Gefährdungen der Revolution anzulasten. Die militärischen Rückschläge in Belgien und dem Rheinland machten sich die Montagnards beispielsweise zunutze, um die Girondins zu eliminieren. Entsprechend schlugen die Jakobiner auch aus der innerfranzösischen Aufstandsbewegung politisches Kapital, indem sie die Girondins dafür verantwortlich machten. Das war besonders dreist, denn ob in Marseille, Lyon oder Toulon, überall war der intransigente Radikalismus der örtlichen Jakobiner, die dem Pariser Vorbild sklavisch nacheiferten, der Auslöser für diese Empörung gewesen.

Dieses Treiben beförderte einen Realitätsverlust, dem die Jakobiner nach ihrem Triumph über die Girondins endgültig zum Opfer fielen. Das war eine wichtige Voraussetzung für die Schreckensherrschaft, die jetzt einsetzte. Damals wie später wurde sie als notwendig gerechtfertigt, um die der Revolution drohenden großen Gefahren zu bannen. Tatsächlich diente die Terreur jedoch nur dazu, nach der gelungenen Ausschaltung der Girondins die Herrschaft der Jakobiner in ganz Frankreich durchzusetzen und zu sichern. Dafür sorgten nicht zuletzt die Armées révolutionnaires, die nach dem Vorbild jenes aus Pariser Sansculotten rekrutierten Heerbanns überall in der Provinz im Herbst 1793 entstanden und den Représentants du peuple bei der Aufspürung und Verhaftung von Verdächtigen zur Hand gingen. Wie viele Opfer diese landesweite Terreur fand, lässt sich im Unterschied zu jenen, die von der Revolutionsjustiz abgeurteilt wurden, umso weniger beziffern, als sicherlich die meisten infolge elender Haftbedingungen starben oder einfach ohne jeden Prozess gelyncht wurden.“

 

Hébertisten, tatsächliche Linke, werden vernichtet

 

„Auch die Pariser Sansculotten begeisterten sich für die Entchristianisierung. Deren Vorkämpfer machten durch Worte und Taten immer wieder darauf aufmerksam, dass sie nicht nur eine bloß ideologische Kampagne gegen das Christentum beabsichtigten, sondern auch das Ziel verfolgten, Vorstellungen einer extremen demokratischen Gleichheit zu verwirklichen. So ordnete etwa Fouché am 19. September an, in jedem Hauptort eines Distrikts einen comité philanthropique einzurichten, „der autorisiert ist, entsprechend der Anzahl der Armen des Sprengels von den Reichen eine Steuer zu erheben“. Bei weitem noch radikaler als Fouché war sein im Département Loire tätiger Kollege Claude Javogue, der nach der Überzeugung handelte, dass die Armen und Unglücklichen nur in der demokratischen Republik ihr Glück finden könnten. Diese Personengruppe identifizierte er pauschal mit der überwältigenden Mehrheit des Volkes, als dessen natürliche Feinde er die Reichen, die Aristokraten, die Priester, die Advokaten und Wucherer ausmachte, also in Bausch und Bogen alle, die von ihm als selbstsüchtige Egoisten gebrandmarkt wurden. Da sie über ihren Reichtum nur deshalb verfügten, weil sie ihn den Sansculotten vorenthalten hätten, sei es nur gerecht, sie durch eine entsprechend hohe Steuerlast zu schröpfen. Solche Ansichten wurden auch von anderen Représentants du peuple geteilt, die damit ganz auf der Linie der Anhänger Héberts lagen, die mit ihrem Radikalismus die Pariser Sansculotten zunehmend dominierten. In deren „Weltanschauung“ war die Entchristianisierung untrennbar mit dem Ziel verknüpft, den neuen Menschen der Republik zu erschaffen - ein Individuum, das frei von allen Lastern und Vorurteilen des Ancien Régime sein sollte, ein Wesen von nüchterner Tugendhaftigkeit, bescheiden, selbstlos, duldsam und eben deswegen von unbesiegbarer Überlegenheit.

Aus dieser innerweltlichen Heilsgewissheit heraus drängten Anarchis Cloots, Hébert, Anaxagoras Chaumette und einige weitere Radikalrevolutionäre den Pariser Bischof Joseph Gobel dazu, mit einem spektakulären Auftritt vor dem Konvent sein Amt niederzulegen und allen Gelübden zu entsagen. Diesen Schritt vollzogen Gobel und eine Reihe weiterer Bischöfe und Priester der konstitutionellen Kirche am 7. November 1793. Der Erfolg zwang jetzt auch den Département und den Conseil général de la Commune de Paris dazu, sich durch eine markante Demonstration zu der antikirchlichen Kampagne zu bekennen. Also wurde der Beschluss verabschiedet, am 10. November in der Pariser Kathedrale von Notre-Dame ein großes Fest nicht für die „ci-devant Sainte-Vierge“, die „vormalige Heilige Jungfrau“, sondern zu Ehren der Vernunft zu veranstalten, die bei dieser Gelegenheit von einer Schauspielerin verkörpert wurde.

Kaum war dieser von Musik und Gesängen begleitete Festakt beendet, erschienen dessen Teilnehmer im feierlichen Zug im Konvent, nahm die „Göttin der Vernunft“ neben dem Versammlungspräsidenten Platz und Chaumette ergriff das Wort. Seine wiederholt von Beifall unterbrochenen Ausführungen schloss er mit der Forderung, die „ci-devant“ Bischofskirche von Paris „der Vernunft und der Freiheit zu weihen. Der Fanatismus hat sie verlassen; die vernunftbegabten Wesen haben sich ihrer bemächtigt: Bestätigen Sie deren Besitzansprüche“. Dem Verlangen wurde spontan entsprochen, und der Konvent votierte einstimmig Notre-Dame zum „Tempel der Vernunft“. Damit nicht genug, stellte Thuriot jetzt den Antrag, dass sich die Mitglieder des Konvents gemeinsam mit dem peuple sofort zum „Tempel der Vernunft“ begeben sollten, um dort den Hymnus auf die Freiheit anzustimmen. Auch dieser Vorschlag wurde gebilligt. In Notre-Dame angelangt, sangen Abgeordnete und Pariser Sansculotten die von Chénier gedichtete und von Francois-Joseph Gossec komponierte Hymne an die Freiheit.

Angesichts solcher Begeisterung nimmt es nicht Wunder, dass sich Chaumette Tags darauf, am 11. November, im Conseil général de la Commune de Paris mit der Forderung durchsetze, die Heiligenfiguren am Hauptportal von Notre-Dame zu zerstören. Zuvor bereits war ebenfalls auf dessen Veranlassung der kostbare Reliquienschrein, der die Gebeine der Heiligen Geneviève, der Patronin von Paris, barg, in die Münze geschafft und eingeschmolzen wurde. Mit weiteren Vorschlägen, wie etwa der Zerstörung aller Kirchtürme, weil diese den Prinzipien der Gleichheit widersprächen, konnte sich Chaumette zwar nicht durchsetzen, wohl aber mit dem Votum vom 23. November, das die Schließung aller Pariser Kirchen anordnete.

Der ikonoplastische Rausch der Ultrarevolutionäre um Hébert und Chaumette ging Hand in Hand mit dem wüsten Karnevalstreiben der Sansculotten einiger Pariser Sektionen, die wiederholt mit liturgischen Gewändern bekleidet im Konvent erschienen. Am 12. November etwa war es eine Delegation der Section des Gravilliers, die in Messgewänder gehüllt und mit Kreuzen, Monstranzen oder Kirchenfahnen in den Händen zu den Klängen der Carmagnole ihren Einzug in den Sitzungssaal hielt. Kaum waren ihre Teilnehmer vollzählig versammelt, entledigten sie sich des frommen Mummenschanzes, unter dem sie die Uniform der Nationalgarde trugen, und warfen Mitren, Kasel, Stolen oder Chorhemden mit den Rufen „Vive la Liberté!, Vive la République!“ in die Luft. Dieser abgeschmackte Schabernack verstörte all jene, die zwar dem Kult der Vernunft und einem verschwommenem Deismus anhingen, dieses Treiben aber gleichwohl ablehnten, weil sie darin nur den Ausdruck eines groben Atheismus erkannten. Dazu gehörte auch Robespierre, dem diese ostentative Gottlosigkeit nicht zuletzt deshalb zuwider war, weil er wusste, dass der peuple tief im Glauben verwurzelt war. Die religionsfeindlichen Kampagnen bargen die Gefahr, dass die Revolution ihren Rückhalt im Volk verlor …

… Zu vermuten ist außerdem, dass Robespierre die treibende Kraft hinter dem Schreiben war, das der Wohlfahrtsausschuss am 27. Oktober 1793 André Dumont, dem im Département Somme in Abbéville tätigen Représentant du peuple, sandte. Der Brief war ein Verweis an Dumont, der sich auf eigene Faust unterstanden hatte, Priester der konstitutionellen Kirche zu nötigen, ihren Gelübden zu entsagen. Nach Ansicht Dumonts konnten sie nur so den Nachweis ihrer über jeden Zweifel erhabenen Loyalität gegenüber der Revolution erbringen. Aufschlussreich ist die politische Begründung der Kritik an diesem Vorgehen: „Uns will es scheinen, dass Sie mit ihren letzten Handlungen allzu heftig gegen den katholischen Kultus vorgegangen sind. Ein Teil von Frankreich, insbesondere der Süden, ist noch immer sehr im Glauben verwurzelt (fanatisée). Deshalb muss man sich da verhüten, den scheinheiligen Gegenrevolutionären Stoff für ihre Verleumdungen zu liefern, die nur danach trachten, den Bürgerkrieg zu entfachen. Es gilt also alles zu unterlassen, was ihnen Gelegenheit gibt zu behaupten, dass man die Kultusfreiheit verletze und die Religion als solche bekriege. Allein die aufrührerischen und gegen die Gesetze verstoßenden Priester müssen bestraft werden, aber keineswegs darf man das Priestertum als solches verbieten. Zum weiteren sollte man unbedingt auch davon absehen, in Gegenden, in denen der Patriotismus lau oder eingeschlafen ist, jene gewalttätigen Maßnahmen anzuwenden, die in aufständischen und gegenrevolutionären Landstrichen notwendig sind“.

Vieles spricht dafür, dass sich Robespierres Ablehnung der Entchristianisierungskampagne in dem Maße verfestigte, wie immer deutlicher wurde, dass diese von den Hébertisten dazu genutzt wurde, ihre radikalen sozialrevolutionären Ziele zu propagieren. Das beschwor die Gefahr einer Spaltung der revolutionären Bewegungskräfte herauf, verbunden mit der Aussicht, dass die radikalen Hébertisten in ihrer Pariser Hochburg Robespierre den Rang abliefen und gestützt auf diesen Erfolg den weiteren Gang der Revolution bestimmten. Der Abgeordnete René Levasseur, der im November 1793 von diversen Missionen nach Paris zurückkehrt war, hat die völlig veränderte Situation, die er damals im Konvent antraf, in seinen Memoiren anschaulich geschildert: „Mit lebhaftem Schmerz musste ich gewahren, dass mir statt dieser Montagne, die einst ein kompaktes und geschlossenes Ganzes gebildet hatte, eine große Anzahl globalisierender Fraktionen gegenübertraten, die es aber nicht wagten, offen miteinander zu streiten, sondern die sich einen lautlosen Krieg lieferten, der vielleicht viel gefährlicher ist als die Redeschlachten im Konvent“. Was Levasseur irritierte, war ein verdecktes Gerangel um Macht und Einfluss, das im andauernden Kampf gegen wirkliche oder auch eingebildete Gegner ausgetragen wurde. Persönliche Animositäten und Feindschaften waren dabei unentwirrbar verquickt mit politischen Differenzen, und die, die in einem Streit als Verbündete auftraten, standen sich in einem anderen als erbitterte Feinde gegenüber. Allianzen und Anhänglichkeiten wechselten rasch, Korruption und Erpressung waren überall im Spiel, und die Atmosphäre war vergiftet durch Verdächtigungen und Verratsvorwürfe, bei denen sich Wahrheit und Lüge schwer unterscheiden ließen.

Keine der konkurrierenden Fraktionen fühlte sich stark genug, den Machtkampf offen auszutragen. Hébert konnte sich zwar auf die Sansculotten und auf die Commune de Paris stützen, aber Robespierre war der starke Mann bei den Jakobinern, im Konvent und im Comité de Salut public. Zur Konfrontation kam es schließlich, als Hébert am 8. November im Jakobiner-Club verschiedene zu den Armeen ausgesandte Représentants du peuple denunzierte. Einer davon war der zur Armee vor Toulon abgeordnete Louis-Marie Fréron, der mit Danton und Camille Desmoulins befreundet war und den er rundheraus als „Aristokraten“ beschimpfte; ein anderer der bei der Nordarmee tätige Francois-Josef Duquesnoy, den Hébert bezichtigte, seinem Bruder zu einem raschen Avancement in der Armee verholfen zu haben. Auch der Redakteur des Journal de la Montagne, Laveaux, wurde von ihm scharf angegriffen, weil er ist gewagt hatte, in diesem Organ der Jakobiner zwei Artikel zu veröffentlichen, die sich kritisch mit dem Atheismus auseinandersetzten. Nach weiteren Anschuldigungen von Chaumette und Brichet fiel schließlich der Beschluss, alle diese Fälle dem Comité de Salut public zur weiteren Befassung zu überweisen.

Die Angriffe von Hébert und Konsorten waren für Robespierre das Signal, die Regie in diesem verdeckt geführten Machtkampf zu übernehmen. Am nächsten Tag erschien er demonstrativ an der Seite des verleumdeten Duquesnoy im Jakobiner-Club …

Robespierres Ausführungen zeigen, dass er die Verschwörung als wahr und wirklich einschätzte. Solange aber der Sicherheitsausschuss seine Anklage noch nicht formuliert hatte und die breite Öffentlichkeit von ihrer Richtigkeit noch nicht überzeugt war, musste er Vorsicht walten lassen. Am 21. November führte er einen weiteren Angriff und wandte sich in einer großen Rede vor den Jakobinern gegen die von den Hébertisten geförderte Entchristianisierung und Kirchenschändung: „Man war der irrigen Annahme, dass der Konvent, als er die Spenden von Kirchengerät akzeptierte, den katholischen Kultus untersagt hätte. Nein, der Konvent hat eine derartig voreilige Maßnahme nicht ergriffen, der Konvent wird ihr niemals zustimmen. Seine Absicht ist es vielmehr, die Freiheit der Religionsausübung, die er verkündet hat, aufrechtzuerhalten und zugleich alle diejenigen zu verfolgen. die diese missbrauchen, um die öffentliche Ordnung zu stören. Der Konvent wird es nicht dulden, dass die gesetzestreuen Diener des Kultus verfolgt werden; aber er wird sie auch jedes Mal unnachsichtig bestrafen, sollten sie es wagen, ihre Funktionen dafür zu nutzen, die Bürger zu täuschen und die Vorurteile oder die royalistischen Ansichten, die gegen die Republik gerichtet sind, zu kräftigen. Man hat die Priester denunziert, weil sie die Messe gelesen haben; sie werden sie noch viel länger lesen, wenn man sie daran zu hindern sucht. Derjenige, der ihnen das Messopfer untersagen will, ist im Übrigen weitaus fanatischer als der, der die Messe liest. - Auch gibt es Leute, die noch viel weiter gehen und unter dem Vorwand, den Aberglauben zu beseitigen, den Atheismus selbst zu einer Religion machen wollen. Jeder Philosoph, jedes Individuum, kann es diesbezüglich halten, wie es ihm gefällt … Der Konvent kompiliert keine Bücher, ist kein Autor metaphysischer Systeme; er ist vielmehr die politische Vertretung des Volkes und seine Aufgabe ist es nicht nur, die Gesetze, sondern auch den Charakter des französischen Volkes zu respektieren. Es war deshalb keineswegs eine leere Geste, dass er die Menschenrechte unter der Voraussetzung eines höchsten Wesens proklamiert hat. Möglicherweise meint man jetzt, ich sei ein engstirniger Geist, ein Mann mit Vorurteilen; wer weiß, vielleicht sogar ein Fanatiker. Ich habe bereits betont, dass ich weder als eine Einzelperson, noch als ein Künder eines philosophischen Systems spreche, sondern als Vertreter des Volkes. Der Atheismus ist eine durch und durch aristokratische Überzeugung, während die Vorstellung eines obersten Wesens, das über die unterdrückte Unschuld wacht und von dem das siegreiche Verbrechen geahndet wird, zutiefst volkstümlich ist … Wenn es Gott nicht gäbe, müsste man ihn erfinden“.

Damit, dass er sich dieses berühmte Wort von Voltaire zu eigen machte, verblüffte Robespierre sicherlich seine Zuhörer im Jakobiner-Club. Darin dürfte sich aber auch die Wirkung seiner Ausführungen bereits erschöpft haben, denn die Entchristianisierung war bei den Pariser Sansculotten längst zu einem Selbstläufer geworden und ließ sich durch eine solche Kritik nicht mehr aufhalten.

Daran zeigt sich, wie schwach Robespierres Stellung tatsächlich war. Dasselbe galt auch für den Wohlfahrtsausschuss, der zwar die Revolutionsregierung darstellte, es aber nicht vermochte, die entfesselte Dynamik der Revolution zu moderieren, geschweige diese zu lenken. Die wachsende Anarchie spielte den Ultraradikalen, den Hébertisten, in die Karten, die mit den Sansculotten, der Commune de Paris sowie vielen der Représentants du peuple vom Schlage eines Fouché oder Javogues die stärkeren Bataillone hatten, mit denen sie den Konvent und damit auch den Wohlfahrtsausschuss vor sich her treiben konnten. Die Bewegungskräfte der Revolution, die seit dem Ausschluss der Girondins allein von den Montagnards repräsentiert wurden, spalteten sich zunehmend in Fraktionen auf, die miteinander um die Macht konkurrierten. Dies wurde in dem Maße immer deutlicher erkennbar, wie die kritische Lage, in der sich Frankreich seit dem Sommer 1793 befunden hatte, nicht mehr zur Rechtfertigung der Terreur herangezogen werden konnte …

Die erdrückende Beweislast gegen Fabre d‘Eglantine wie die Berichte seines Vertrauten Jullien über das korrupte Schreckensregiment, das etwa Carrier in der Vendée übte, bestärkten Robespierre in der Überzeugung, dass die Gemäßigten und die Ultra-Revolutionäre unter einer Decke steckten und im Sold des feindlichen Auslands darauf hinarbeiteten, die Revolution zu zerstören. Diese Bestrebungen ließen sich seiner Überzeugung nach nur vereiteln, wenn man die Aufgaben der revolutionären Regierung neu definierte und diese auch über die Macht gebot, ihr Programm durchzusetzen. Entsprechende Überlegungen hatte er bereits in seiner Rede vom 25. Dezember vor dem Konvent anklingen lassen. Unter dem Eindruck der fortgesetzten Agitation von Hébertisten und „Indulgents“ suchte Robespierre umso intensiver nach einem Ausweg aus dieser Verlegenheit. In der Rede, die er am 5. Februar 1794 im Konvent hielt, umriss er die Prinzipien politischer Moral, an denen sich die Politik der Revolutionsregierung orientieren sollte.

Ziel allen Strebens müsse es sein, dass der Ruhm Frankreichs den „aller freien Völker“, die es je gegeben hat, überstrahlt, Frankreich zum Vorbild der Nationen wird, der Schrecken der Unterdrücker, der Trost der Unterdrückten, die Zierde des Universums“. Das alles ließe sich mittels einer demokratischen und republikanischen Regierung einlösen. „Was aber ist das wichtigste Prinzip, das einer demokratischen oder volkstümlichen Regierung zugrunde liegen muss, will sagen, die entscheidende Spannkraft, die diese Regierung trägt und in Bewegung hält? Das ist die Tugend. Damit meine ich die vertu publique, die so viele Wunderwerke in Griechenland und in Rom vollbracht hat und die noch viel erstaunlichere in einem republikanischen Frankreich zeitigen wird, eben diese Tugend, die nichts anderes ist als die Liebe zum Vaterland und zu seinen Gesetzen … Nicht nur ist die Tugend die Seele der Demokratie, sondern sie kann auch nur unter einer demokratischen Regierung existieren … Da die Seele der Republik die Tugend ist, … folgt daraus als erste Regel für euer politisches Handeln, dass alles, was man unternimmt, sich danach richten muss, die Gleichheit zu gewährleisten und die Tugend zu entwickeln … Für das System der Französischen Revolution gilt: Was unmoralisch ist, ist unpolitisch, und was korrumpiert, ist gegenrevolutionär … Wenn die Tugend zu Friedenszeiten allein die Kraft der demokratischen Regierung ausmacht, so gilt für eine Revolution, dass sich diese Kraft gleichermaßen aus der Tugend und dem Terror speist: Ohne die Tugend ist der Terror verderblich und ohne Terror ist die Tugend ohnmächtig. Der Terror ist nichts anderes als die rasche, strenge und unbeirrbare Justiz. Der Terror ist damit ein Ausfluss der Tugend“.

Für manchen Abgeordneten werden diese Worte wie die üblichen revolutionären Phrasen geklungen haben; Robespierre meinte jedoch bitterernst, was er sagte. Tugend und Terror waren sein Programm, dessen Entfaltung die Utopie universellen Glücks verhieß. Dafür mussten sich der Konvent und alle Franzosen einvernehmlich hinter dem Wohlfahrtsausschuss als provisorischer Revolutionsregierung versammeln. Das hatte zur Voraussetzung, alle Fraktionen zu beseitigen, die dieser Handlungseinheit im Wege standen. Wie dieses Etappenziel zu erreichen sei, wusste auch er nicht zu sagen. Ein erheblicher Teil der Last wurde Robespierre, der wenige Tage nach dieser Rede erkrankte und bis zum 15. März aus der Öffentlichkeit verschwand, von den Hébertisten abgenommen. Um den taktischen Vorteil auszubauen, den sie mit der Freilassung von Vincent, Ronsin und Maillard Anfang Februar erzielt hatten, begannen die Ultra-Revolutionäre mit dem Gedanken an eine umfassende Säuberung des Konvents zu spielen. Im Club des Cordeliers, ihrem Machtzentrum, wurde nun mit wachsender Schärfe gegen die „Indulgents“ agitiert. Auch wurde der Versuch unternommen, die Sansculotten zu einer neuen Aufstandsbewegung zu provozieren. Carrier, der Schlächter von Nantes, rief sogar zu einem „heiligen Aufruhr“ auf, „um allen Monstern die Masken abzureißen, die sich anschicken, die Freunde der Revolution zu vernichten“. Das veranlasste Hébert dazu, ihm nicht nur beizupflichten, sondern ihn in der Radikalität seiner Äußerungen noch zu übertreffen. Damit überschätzen die Ultra-Revolutionäre ihren Einfluss auf die Pariser Sansculotten, die auf diese Aufrufe mit Gleichgültigkeit oder Ablehnung reagierten. Am 6. März erschien die Section Marat, in der der Club des Cordeliers seinen Sitz hatte, im Rathaus und eröffnete dem Conseil général der Commune de Paris, so lange im Zustand der Empörung zu verharren, „bis alle Mörder des Volkes vernichtet sind“.

Auch wenn eine Mobilisierung der Massen fehlgeschlagen war, war es angesichts der angespannten Versorgungslage von Paris durchaus ratsam, solche Drohungen ernst zu nehmen … Am 13. März enthüllte Saint-Just dem Konvent eine weitverzweigte, vom Ausland gesteuerte Verschwörung, die das Ziel verfolgte, „die republikanische Regierung durch Korruption zu zerstören und Paris auszuhungern“. Zwar beschied sich Saint-Just damit, in allgemeinen Wendungen die Gefahren zu beschwören, die Fraktionen für die Revolution darstellten. Aber schon das erfüllte den beabsichtigten Zweck. Die Verhaftung von Hébert, Ronsin, Vincent und einer Anzahl ihrer Gefolgsleute, mit der in den Nachtstunden des 13. März begonnen wurde, ging reibungslos vonstatten.

Was folgte, war Routine. Der Ankläger am Revolutionsgericht, Antoine Quentin Fouquier-Tinville, wurde angewiesen, eine zügige Aburteilung der 20 verhafteten Hébertisten zu verbürgen. Den offensichtlich politischen Charakter des angestrebten Prozesses verriet die Anklage, die auf Anstiftung zum Aufruhr, Störung der Versorgung und Planung eines Massakers unter den Gefängnisinsassen lautete. All dies habe dem Ziel gedient, der Monarchie den Weg zu bereiten. Zum Beweis der ebenfalls von der Anklage behaupteten internationalen Verflechtung der Verschwörung figurierten unter den Angeklagten auch einige Ausländer wie der aus Brüssel gebürtige Kaufmann Proly, der holländischen Bankiers Cock und Ancharsis Cloots. Der Prozess dauerte vom 21. bis zum 24. März und endete mit 19 Todesurteilen und einem Freispruch. Mit Ausnahme von Catherine Latreille, die im vierten Monat schwanger war und deren Hinrichtung deshalb bis nach ihrer Niederkunft ausgesetzt wurde, bestiegen die 18 anderen am Nachmittag des 24. März das Blutgerüst auf der Place de la Révolution. Auf dem Platz hatte sich eine große, in feindseligem Schweigen verharrende Menschenmenge eingefunden, die die Hinrichtung von Hébert mit Händeklatschen und lauten Rufen „Vive la République!“ begleitete.

Die Reaktion der Schaulustigen zeigte, dass die Sansculotten ausgerechnet jene im Stich ließen, die sich als ihre Führer und Sprachrohr ausgegeben hatten. Das war zweifellos auch der guten propagandistischen Vorbereitung des Schauprozesses geschuldet. Hinzu kam die ausgeprägte Revolutionsmüdigkeit der Pariser Sansculotten, die sich im Fehlschlagen des für den 6. März geplanten Aufruhrs verriet. Ihnen mangelte es schlicht an Zielen, die ein Engagement lohnten, nachdem ihre Forderungen wie Gesetze gegen das Horten von Nahrungsmitteln, die Festsetzung von Höchstpreisen, die levée en masse sowie ein energisches Vorgehen gegen Verdächtige längst verwirklicht worden waren. Schließlich gab es auch eine Revolutionsregierung, die alle diese Maßnahmen entschlossen anwandte. Also verlangte es die patriotische Pflicht, diese nach Kräften zu unterstützen und allen Fraktionen zu wehren, die ihr in den Arm fielen. Das leuchtete zumal den Revolutionären ein, die ein Auskommen in der Verwaltung gefunden hatten. Umso größer war deshalb der Argwohn, mit dem das Treiben von Hébert und Genossen betrachtet wurde, die einer Revolutionsregierung Schwierigkeiten zu machen suchten, die mit Erfolgen gegen innere wie äußere Feinde an Legitimation gewann.

Der Prozess gegen die Hébertisten markierte das Ende der Pariser Sansculotten als eine den Lauf der Revolution bestimmenden politischen Kraft wie auch das der Commune de Paris, die lange deren Sprachrohr gewesen war. Vier Tage nach der Hinrichtung der Verurteilten wurde Chaumette, der frühere Procureur de la Commune de Paris verhaftet. Als Vorwand diente, dass die Commune wie auch die Armée révolutionnaire im Unterschied zu zahlreichen Sektionen noch keine Glückwünsche wegen der Aufdeckung der Verschwörung übermittelt hätten! Das Schweigen nähre den Verdacht der Komplizenschaft, dem sofort nachgegangen werden müsse. Der Antrag fand die Billigung des Konvents, der die beiden Regierungskomitees beauftragte, Untersuchungen einzuleiten und eine Säuberung der Commune vorzunehmen. Das geschah mit eingespielter Routine, und schon am 15. April 1794 wurden Chaumette und 25 verurteilte Mitangeklagte zur Hinrichtung geführt. Die Commune büßte damit ihre Selbständigkeit ein und bestand künftig nur noch um den Preis fort, dem Wohlfahrtsausschuss als ein williges Werkzeug zu dienen. Den Beschluss zur Auflösung der Pariser Revolutionsarmee fasste der Konvent auf Antrag Barères am 27. März. Unter anderem bediente sich Barère des hübschen Arguments, dass in einem freien Land jede Revolutionsarmee eine antidemokratische Institution und damit ein gefährliches Instrument sei.“

 

Nächster Gegner, der aus innerparteilichen Gründen getötet werden muss: Danton

 

„Auch wenn der Konvent daraufhin den Verhaftungsbefehl gegen Héron wieder kassierte, führte der Vorgang Robespierre nachdrücklich vor Augen, wie gefährlich es wäre, wenn ein Mann von anderer Statur, Stimmgewalt und Popularität als der Abgeordnete Bourdon die Versammlung in seinen Bann schläge und sie für das Vorhaben der Indulgents, der Schreckensherrschaft ein Ende zu machen, gewinnen würde. Das hätte alle bisher erzielten stillen Erfolge seines Ehrgeizes zunichte gemacht, gestützt auf den Wohlfahrtsausschuss die Herrschaft von Tugend und Gleichheit durchzusetzen. Ein solches Scheitern musste Robespierre um jeden Preis verhindern. Dieser Preis war, wie ihm jetzt klar wurde, die Ausschaltung Dantons, der als Einziger für jene Führungsrolle in Frage kam …

Robespierre am 31. März 1794: „Ich folgere daraus also, wer immer in diesem Moment zittert, bekennt sich als schuldig, denn niemals fürchtet die wahre Unschuld die Überwachung seitens der Öffentlichkeit“ …

Die Frage nach der Schuld, die Danton, Desmoulins, Delacroix und Philippeaux auf sich geladen hatten, beantwortete weder der Bericht, den Saint-Just dem Konvent erstattete, noch dieser Prozess. Sie mussten beseitigt werden, weil sie Robespierre im Ringen um die Macht zu gefährlich geworden waren. Das und nicht irgendwelche Verschwörungsabsichten oder sonstige Vergehen wider die revolutionäre Orthodoxie war ihr Verbrechen.“

 

Schrecken wird immer schrecklicher

 

„Danton und seine Mitangeklagten waren die ersten Opfer einer neuen Phase der Schreckensherrschaft: Mit ihrer Hinrichtung begann die Grande Terreur, während der Menschen nicht wegen ihrer angeblichen Verfehlungen und Verbrechen guillotiniert wurden, sondern viel häufiger wegen der Gefahr, die sie für die Verwirklichung der vollkommenen, der tugendhaften Republik und Gesellschaft darstellten …

Je blindwütiger die Grande Terreur ihre Opfer forderte, desto fadenscheiniger klangen die Begründungen für diesen Blutrausch. Damit leistete das Regime selbst einen wichtigen Beitrag, die Legitimation für sein Handeln zu zerstören … Der Legitimationsverlust wurde noch dadurch beschleunigt, dass in einem immer schnelleren Tempo die Männer verschwanden, die einst die Revolution verkörpert hatten. Sie wurden nun durch Bürokraten ersetzt, die die Organisation des Schreckens gewissermaßen geschäftsmäßig handhabten. All dies bewirkte in der Öffentlichkeit einen Stimmungswandel, der spätestens mit der Hinrichtung von Danton einsetzte. Bildete zuvor eine johlende Menschenmenge die Kulisse für das tagtäglich sich wiederholende grauenhafte Schauspiel, wenn die Todeskandidaten in offenen Leiterwagen von der Conciergerie zur Place de la Révolution gekarrt wurden, auf der das „Rasiermesser der Gleichheit“ aufgestellt war, so verharrten die Zuschauer jetzt immer öfter in tiefem Schweigen …

All diese Irritationen angesichts einer galoppierenden Revolutionsjustiz stifteten bei einer wachsenden Zahl der Zeitgenossen eine tiefe existenzielle Verunsicherung. Am 21. Juni 1794 etwa ließ Nicolas Ruault seinen Bruder wissen: „Es ist gut möglich, dass dieser (Brief) der letzte ist, den ich Ihnen schreibe. Kein Bürger hat die Gewissheit, in zwei Tagen noch am Leben zu sein“. Plagte diese Verunsicherung auch die Regisseure des Schreckens, die Schreibtischtäter im Comité de Salut public? Stand ihnen das den Zeitgenossen geläufige Bild der Revolution vor Augen, die wie Saturn ihre eigenen Kinder verschlang? Hielten sie etwa die Guillotine deshalb unablässig in Gang, weil sie die Angst umtrieb, die Intrige eines Kollegen könnte sie den eigenen Kopf kosten? So äußerte sich Barère mehr als 20 Jahre später, im Juli 1815: „Wir alle hatten ein einziges Anliegen: unser eigenes Leben zu retten; uns beseelte das eine Verlangen, uns unsere Existenz zu bewahren, um die ein jeder von uns bangte. Man überantwortete den Nachbarn der Guillotine, um zu verhindern, dass der uns ihr auslieferte“.

Auch wenn es sich dabei um spätere Rechtfertigungen handelte, die die eigene Tatbeteiligung als putative Notwehr verharmlosten, trifft es gleichwohl zu, dass in der blindwütigen Dynamik der Terreur nur einer der Haupttäter überhaupt einen Sinn erkannte: Robespierre, dessen krankhafte Paranoia sich in dem Maße, wie sich die Dynamik des Schreckens entfaltete, immer mehr verstärkte. In den Reden, die er ab Frühjahr 1793 im Konvent oder vor den Jakobinern hielt, war so gut wie ständig die Rede davon, die Widersacher der Revolution unnachsichtig zu verfolgen. Am 8. Mai 1793 erhob er im Konvent etwa die Forderung: „Es muss gewährleistet sein, dass alle Feinde der Freiheit, unter welcher Bezeichnung sie auch figurieren, ob Robins (Angehörige des einstigen Amtsadels), Adelige, Geschäftsleute, Bankiers oder Priester, ihr nicht schaden können. Ich fordere deshalb, dass alle diese Verdächtigen als Geiseln genommen und verhaftet werden“. Am Abend dieses 8. Mai äußerte er im Jakobiner-Club: „Damit schließlich kein Zweifel hinsichtlich der mich leitenden Vorstellungen herrscht, erkläre ich, dass alle Rebellen in der Vendée ausgerottet werden müssen, sowie auch all jene, die in Frankreich gegen die Menschheit und den peuple aufbegehren … Wer nicht für den peuple ist, gehört zu dessen Gegnern, wer mit Gold gesäumte Hosen trägt, ist der Feind aller Sansculotten. Es gibt also zwei Parteien, die der korrumpierten Menschen und die der tugendhaften. Bezeichnenderweise waren solche Äußerungen auch häufig mit der Ankündigung garniert, er sei bereit, den Märtyrertod für die Revolution zu sterben, wenn man seine Warnungen und Mahnungen nicht beherzige. Ein Beispiel dafür liefert der Schluss der Rede, die er am 10. Mai 1793 vor den Jakobinern hielt: „Ich habe euch nicht mehr zu sagen und ich bin dazu entschlossen, wenn sich der esprit public nicht wieder ermannt, wenn die Patrioten nicht bereit sind zu einer letzten Anstrengung, dann werde ich auf dem Kurulischen Stuhl (Amtssessel der römischen Konsuin und Machthaber), auf den ich vom Volk gesetzt wurde, die Dolche der Konterrevolutionäre erwarten“.

 

Töten ist Liebe

 

„Der Verdacht, Robespierre strebe eine Diktatur an, war zwar schon gelegentlich laut geworden, aber Mallet du Pan war der erste, der auch Robespierres Strategie erkannte, um ans Ziel zu gelangen. Die Diktatur war für Robespierre kein Selbstzweck, sondern galt ihm als das unverzichtbare Mittel, seine Utopie von der Republik als gesellschaftlicher und politischer Emanation der Tugend zu verwirklichen. Die Diktatur, wie er sie verstand, repräsentierte die volonté générale und galt ihm als die einzig wahre Form von Demokratie. Die Beseitigung zunächst der Hébertisten gefolgt von Danton und den führenden „Indulgents“ erschien ihm, ebenso wie alle anderen Opfer der Schreckensherrschaft, als unvermeidlich, um diese Utopie zu verwirklichen.

Dem gleichen Ziel diente auch die Einführung des Culte de l’Etre-Supreme, den Robespierre am 7. Mai namens des Wohlfahrtsausschusses in Konvent vorstellte. Die Rede ist gleichsam das Gründungsdokument einer republikanischen Zivilreligion im Geiste Rousseaus: „Das einzige Fundament der Zivilgesellschaft ist die Moral … In den Augen des Gesetzgebers ist alles Wahrheit, was der Welt zum Vorteil gereicht und in der Praxis gut ist. Die Vorstellung eines Höchsten Wesens (etre supreme) und der Unsterblichkeit der Seele ist eine dauerhafte Mahnung zur Gerechtigkeit; sie ist sozial und republikanisch“. Am letzten Tag jeder Dekade, dem offiziellen Ruhetag des Revolutionskalenders, sollten, so Robespierre, in ganz Frankreich Feierlichkeiten stattfinden, mit denen das französische Volk sein Bekenntnis zu Tugend und Moral ablegen könne. Beginnen sollte dieser Festzyklus am 20. Prairial, dem 8. Juni, mit der Feier „A l’Etre suprème et à la Nature“. Weitere Anlässe sollten unter anderem der „Hass auf Tyrannen und Verräter“, die „Scham“, die „eheliche Treue“, die „Mutterliebe“, das „Alter“, das „Unglück“ (!), die „Landwirtschaft“, „Ruhm und Unsterblichkeit“ und das „Glück“ sein.

Das war ein großes nationalpädagogisches Programm, die Republik auf die Tugend zu verpflichten und ihr damit zugleich auch eine metaphysische Basis zu verschaffen. Was Choreographie und Liturgie der geplanten Feierlichkeiten anbelangte, die das erste Mal vier Wochen später stattfanden, wurden keinerlei Vorgaben gemacht. In Paris übertrug man die Aufgabe der Festgestaltung dem Maler Jacques-Louis David, der sich bei ähnlichen Aufträgen schon bewährt hatte und dessen politische Zuverlässigkeit seine Mitgliedschaft im Comité de Surete générale verbürgte. Schauplatz der geplanten Feierlichkeiten sollte das Marsfeld sein, auf dem ein Hügel aufgeschüttet wurde, den ein Freiheitsbaum krönte. Eine besondere Attraktion war eine Figurengruppe aus Gips, die alle Feinde der „öffentlichen Glückseligkeit“ symbolisierte und die von dem „entsetzlichen Monster des Atheismus“ beherrscht wurde, um das sich die Allegorien von Ehrgeiz, Egoismus, Zwietracht und heuchlerischer Einfachheit scharten. Zu Füßen des „Altars des Vaterlands“ sollten sich Prozessionszüge, die in allen Stadtteilen Aufstellung nahmen, begleitet von Musikkapellen und Chören in genau festgelegter Marschfolge einfinden. Die Mitglieder des Konvents formierten sich zu einem eigenen Zug, der von Robespierre, der in dieser Dekade Präsident der Versammlung war, mit einem Bündel Ähren in der Hand angeführt wurde. Er nutzte den Festakt zugleich dazu, in zwei weiteren Ansprachen sein Tugendcredo zu verkünden.“

 

Die Unzufriedenheit wächst

 

„Robespierre, so schien es an diesem Tag, war am Ziel seines Ehrgeizes angelangt. Er war der Mann im Mittelpunkt, der von Sünden reine Repräsentant des peuple; er verkörperte die Revolution und die Hoffnungen, die viele noch immer mit ihr verbanden, wie auch paradoxerweise die jener, die sich danach sehnten, dass das Wüten der Guillotine ein rasches Ende nähme. Solche Erwartungen, das legale Morden werde nun bald aufhören, wurden aber schon dadurch enttäuscht, dass die Zahl der Hinrichtungen mit dem fatalen Gesetz vom 10. Juni (22. Prairial) rapide zunahm. Dieses Gesetz, das im wesentlichen Robespierre formuliert hatte, war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Der Wohlfahrtsausschuss war mit dessen Vorbereitung nie befasst gewesen, sondern von Robespierres Vertrautem Couthon damit überrumpelt worden. Die gewählte Methode verrät, wie unsicher Robespierre gewesen sein muss, ob er eine Mehrheit der Mitglieder des Komitees von der Richtigkeit seines Entwurfs überzeugen könnte. Dazu hatte er Anlass genug, denn seit April war der Wohlfahrtsausschuss Schauplatz heftiger Kontroversen, bei denen Robespierre, Saint-Just und auch Couthon einer Front der anderen Mitglieder gegenüberstanden.

Angesichts der höchst unterschiedlichen Charaktere und der intensiven Arbeit, die der Wohlfahrtsausschuss tagein tagaus zu bewältigen hatte, entstanden solche Animositäten fast zwangsläufig. Hinzu kam aber nun ein von manchen immer lebhafter empfundener Unmut über die zahlreichen Eigensinnigkeiten des missionarischen Robespierre. Das galt namentlich für die drei auf ihrem Tätigkeitsfeld hoch qualifizierten Fachleute Lazare Carnot (Armee), Claude-Antoine Prieur (Waffen- und Munitionsproduktion sowie Steuern) und Robert Lindet (Nahrungsmittelversorgung und Transportwesen). Sie hatten eine immense Arbeitslast zu schultern, von deren Bewältigung das Schicksal der Revolution entschieden mehr abhing als von dem rousseauistischen Tugendwahn Robespierres, der zunächst für Erziehungsfragen und dann, auf seinen eigenen Wunsch hin, für Propaganda zuständig war.

Das vernichtende Urteil, das Carnot über Robespierre äußerte, dürfte von den meisten Mitgliedern des Komitees geteilt worden sein: „Wenn Robespierre ein gewöhnlicher Kopf gewesen wäre, hätte man schwer seine herausgehobene Position verstanden, die er sich bei den Jakobinern und dem Konvent erworben hatte … Das Gewölk mystischer Philosophie, in das er sich einzuhüllen liebte … trug zu seinem Erfolg bei, derlei verfehlt selten seine Wirkung auf große Versammlungen, insbesondere wenn es begleitet ist von einer gewissen Feierlichkeit, und derjenige, der sich dessen bedient, von einem Ruf sittenstrenger Reinheit umwittert ist und im Halbdunkel eines wenig bekannten Privatlebens steht. Das genügt auch vollends, um den Einfluss zu erklären, den Robespierre auf die weibliche Vorstellungskraft ausübte. Allein, an den nüchternen und praktischen Ansprüchen der Regierungsgeschäfte mangelte es ihm entschieden. Eben das sind die Qualitäten eines Staatsmanns, die es am Regierungstisch unter Beweis zu stellen gilt, an dem die Meinung Robespierres nach Einschätzung seiner Kollegen aber nichts zählte. Zur Beratung der Geschäfte steuerte er nur verschwommene Allgemeinplätze bei. Insbesondere ein Verständnis der Belange, die mit der Organisation der Kriegführung zu tun hatten, war ihm völlig fremd. Deshalb ist es leicht nachzuvollziehen, dass Prieur oder Carnot, die ganz in ihren so überaus wichtigen Aufgaben der Kriegführung und der Versorgung aufgingen, diesen Kollegen nicht sonderlich schätzten … Robespierre, so sagten sie, gab sich nur wenig mit den öffentlichen Angelegenheiten ab und interessierte sich stattdessen vielmehr für Personen. Mit seinem ständigen Misstrauen, das ihn nichts als Verräter und Verschwörer gewahren ließ, machte er sich unerträglich. Tatsächlich war er so etwas wie ein Genie des Verdachts … Machte er auf eine Verschwörung gegen die Republik aufmerksam, dann war es immer er, Robespierre, dem die Verschwörer nach dem Leben trachteten. Trotz alledem gelang es ihm häufig, sich mit seinen Ansichten im Komitee durchzusetzen, sei es mittels impertinenter Hartnäckigkeit …, sei es, dass er die Jakobiner in die Waagschale warf, mit deren Einfluss man wohl oder übel unter allen Umständen zu rechnen hatte“.

Die Schilderung zeigt sehr schön die Diskrepanz zwischen dem Bild, das sich die Öffentlichkeit von Robespierre machte, und seiner prekären Stellung im Wohlfahrtsausschuss. Robespierre hatte viele Gegner und Verächter. Dazu gehörten zumal jene Représentants du peuple, die einstigen Prokonsuln wie Fouché, Barras, Fréron und andere, die von ihren Missionen zurückbeordert worden waren und nun fürchteten, für ihre Untaten zur Rechenschaft gezogen zu werden. Seit ihrer Rückkehr waren sie wieder Deputierte im Konvent und hatten mit Collot d‘Herbois und Billaud-Varenne im Wohlfahrtsausschuss zwei mächtige Verbündete. Mehr als deren Gegnerschaft mussten Robespierre aber die Anfeindungen verstören, mit denen ihm Jean Pierre André Amar und Marc-Guillaume-Alexis Vadier vom religionsfeindlichen Flügel der Bergpartei begegneten, die dem Sicherheitsausschuss angehörten. Beide machten sich über ihn als „Pontifex“ lustig. Das war ein Spott, dem sich auch andere im Konvent anschlossen und der den „Unbestechlichen“ besonders verletzten musste.

Gegen Feinde, Spötter und Widersacher setzte Robespierre sein radikales Programm von Terror und Tugend. Dabei übersah er allerdings, dass das „Schwert des Gesetzes“ bei zu häufigem Gebrauch stumpf werden musste. Auch wurden damit Abwehrreaktionen in der Öffentlichkeit ausgelöst, die vom stereotypen Revolutionsgeschrei nicht mehr überlagert werden konnten. Diese Blindheit gegenüber der veränderten Stimmungslage verleitete ihn schließlich zu zwei kapitalen Fehlern, die seinen Sturz beschleunigten. Der eine war, dass er Saint-Just dabei unterstützte, ein eigenes Polizeibüro, den Bureau de surveillance administrative et de police générale, durchzusetzen, das am 16. April dem Wohlfahrtsausschuss eingerichtet wurde und dessen Aufgabe es sein sollte, staatliche Funktionsträger zu überwachen. Der fragwürdige Nutzen, den der neue Spitzelapparat versprach, stand aber in keinem Verhältnis zu dem Schaden, den man sich damit zufügte: Die Mitglieder des Comité de Sureté générale sahen darin eine Konkurrenz und Bedrohung, die sie Robespierre und Saint-Just mit wachsender Feindschaft vergalten.

Schwerer wog der zweite Fehler, ein am 10. Juni 1794 von Couthon eingebrachtes Gesetz, das eine erhebliche Beschleunigung der beim Revolutionsgericht anhängigen Verfahren vorsah und mit dem die Absicht verfolgt wurde, noch mehr Menschen in noch kürzerer Zeit zum Tode zu verurteilen. Den Vorwand dafür lieferten zwei gescheiterte Attentate, die am 23. und 24. Mai auf Collot d’Herbois und Robespierre verübt worden waren. Beide schlachtete man propagandistisch als Beleg dafür aus, dass Konterrevolutionäre im Solde Englands überall in Frankreich unbehelligt ihr Unwesen trieben und sich nun sogar zu Mordanschlägen auf Revolutionsführer erkühnten. Robespierre, dessen Verschwörungsparanoia dadurch unweigerlich weiter befeuert worden war, ließ nun alle Klugheit fahren und arbeitete eigenhändig jenen Gesetzentwurf aus, den Couthon, ohne ihn zuvor in den beiden Komitees zur Diskussion zu stellen, am 10. Juni dem Konvent zur sofortigen Beschlussfassung vorlegte. Das sorgte für böses Blut und verstärkte den Verdacht, Robespierre strebe nach der Diktatur. Zu einer großen Krise entwickelte sich der Vorgang aber erst dadurch, dass sich der Konvent weigerte, die Gesetzesvorlage so schnell zu verabschieden, wie es ihm von Couthon nahegelegt worden war.

Auf seine Verschiebung der Abstimmung, wie sie von zwei Abgeordneten gefordert wurde, wollte sich Robespierre auf keinen Fall einlassen. Zwar ging er auf den Vorschlag ein, über alle Artikel des Gesetzes einzeln zu debattieren und abzustimmen. Gleichwohl forderte er unmissverständlich: „Ich verlange also, dass der Konvent, ohne sich mit dem Vorschlag einer Verschiebung zu befassen, dieses ihm vorgelegte Gesetz diskutiert, dauerte dies auch bis heute Abend neun Uhr“. Der „Unbestechliche“ gerierte sich damit in der Tat diktatorisch, und das Verfahren, das sich den ganzen Sitzungstag über hinzog und mit dem einige Regelungen geringfügig modifiziert wurden, sicherte die widerspruchslose Billigung des Gesetzes. Der Konvent, so schien es, hatte sich erneut dem Willen Robespierres unterworfen. Dafür sprach auch, dass am Ende der Sitzung die fällige Bestätigung für das Personal des Wohlfahrtsausschusses votiert wurde.

Die Kritik an dem verabschiedeten Gesetz brachte dies gleichwohl nicht zum Verstummen. Der Abgeordnete Francois-Louis Bourdon etwa forderte, dass die beiden Regierungskomitees wie bisher nur provisorische Verhaftungen veranlassen könnten, die davon betroffenen Abgeordneten aber erst dann dem Revolutionsgericht vorgeführt werden dürften, wenn der Konvent gegen sie zuvor ein Anklagedekret beschlossen hätte. Ein anderer Abgeordneter, Charles Delacroix, bemängelte: „Eine der Bestimmungen des Gesetzes qualifiziert die Verwahrlosung der Sitten als gegenrevolutionär. Der Wortlaut ist so unbestimmt formuliert, dass er zu willkürlicher Interpretation einlädt. Ich fordere deshalb, dass der Tatbestand durch ein präzises Dekret erläutert wird, damit man nicht jeden Bürger, der in Gesellschaft oder gar auf dem Theater einen Scherz gemacht hat, vor das Revolutionsgericht stellt“.

Schließlich griff Couthon ein, der sich vehement gegen eine vermeintliche Verleumdung der Revolutionsregierung zur Wehr setzte und damit den Antrag verband, sämtliche Einwände als beleidigend und unpolitisch zurückzuweisen. Allerdings sah er sich auch zu dem Zugeständnis genötigt, dass die Immunität der Abgeordneten „ein ebenso verfassungsmäßiges wie fundamentales Gesetz der Freiheit“ sei. Dieser Feststellung musste auch Robespierre notgedrungen beipflichten. Damit war sein Versuch gescheitert, die Immunität der Abgeordneten auszuhebeln; bei einer Anklage gegen Abgeordnete musste er auch weiterhin die vorherige Zustimmung des Konvents einholen. Das Gesetz, das seinen Triumph festigen sollte, trug so dazu bei, seinen Ruf in der Versammlung zu beschädigen. Um diese Gefahr zu bannen, eröffnete Robespierre seine Gegenattacke mit einer dreisten Lüge, indem er die Behauptung Bourdons, das Gesetz schränke die Autorität und Unabhängigkeit des Konvents ein als „evident falsch“ bezeichnete und mit der wohlfeilen Behauptung fortfuhr: „Der Vorredner hat in der Diskussion versucht, den Wohlfahrtsausschuss von der Montagne zu trennen. Der Konvent, die Montagne und der Ausschuss sind aber ein und dasselbe. Jeder Représentant du peuple, der wirklich die Freiheit liebt, jeder Volksvertreter, der bereit ist, für das Vaterland zu sterben, gehört der Montagne an. (Stürmischer Beifall bricht aus; die Abgeordneten erheben sich, um ihre Zustimmung zu unterstreichen, von ihren Sitzen) … In dem Augenblick, in dem jedes Mitglied der Versammlung sich dem Vaterland weiht, kann es im Konvent nur zwei Parteien geben, die guten und die schlechten, die Patrioten und die heuchlerischen Gegenrevolutionäre. (Beifall) Mir steht es umso mehr zu, diese Wahrheit auszusprechen, als mich niemand hier für voreingenommen halten kann, denn wer wäre das erste Objekt des Irrtums, von dem ich spreche? Und wer wäre das erste Opfer von Verleumdungen und Verfolgungen ohne eine glückliche Fügung der Revolution? Ich wage zu behaupten, dass ich es wäre“.

Das Gesetz, das den Beginn der Grande Terreur markierte, sollte Robespierre die Handhabe verschaffen, alle Widersacher problemlos aus dem Weg zu räumen, indem er sie schlicht als „Feinde der Revolution“ stigmatisierte. Diese Effizienz machte es zu einem gefährlichen Instrument, an dem auch sein Schöpfer Schaden nehmen konnte, wenn sich diejenigen, die sich bedroht fühlten, zu seinem Sturz verbündeten, um ihren eigenen Kopf zu retten. Der Spott, den man über ihn wegen seiner Rolle beim Fest des „Etre supreme“ ausgegossen hatte, war verletzend gewesen, aber die hartnäckigen Einwände gegen dieses Gesetz waren untrügliche Anzeichen einer Fronde, die sich gegen ihn in den Regierungskomitees wie im Konvent zu formieren begann. Das veranlasste Robespierre dazu, sowohl den Wohlfahrtsausschuss wie die Nationalversammlung zu meiden und seine öffentlichen Auftritte während der nächsten sechs Wochen ausschließlich auf die Sitzungen des Jakobiner-Clubs zu beschränken. Hier wusste er sich noch unangefochten, bewundert und unterstützt.

Doch die Jakobiner geboten nicht mehr über die unbestrittene revolutionäre Deutungsmacht, die sie lange besessen hatten. Auch standen sie keineswegs so geschlossen hinter ihm, wie er wähnte. Dazu trug er selber bei, als er am 11. Juni und 14. Juli Fouché scharf wegen der von ihm und Chaumette in Nevers betriebenen Entchristianisierungskampagne angriff. Seit seiner Tätigkeit in Lyon war Fouché auch in enger Komplizenschaft mit Collot d‘Herbois verbunden, der ebenso wie dieser Interesse daran hatte, nicht wegen der von ihnen begangenen Gräuel zur Rechenschaft gezogen zu werden. In solchen Befürchtungen sahen sie sich bestätigt, als Robespierre ihren Ausschluss aus dem Jakobiner-Club durchsetzte. Das war eine offene Kriegserklärung.

Robespierres Taktik, allein den Jakobiner-Club zu nutzen, um in die Offensive zu gehen, verrät seine Fehleinschätzung der Lage. Auch dass er dort seine Angriffe weiter fortsetzte, zeigt, dass er sich seines Einflusses und seiner Stellung inzwischen allzu sicher war. Er erkannte nicht, dass er mit diesen Angriffen dazu beitrug, seine Gegner zu einen. Diese begannen nun ihrerseits, unter den Abgeordneten der Plaine im Konvent intensiv um Verbündete zu werben. Dieses Werben war umso erfolgreicher, als viele Abgeordnete für die seit dem 10. Juni intensivierte Terreur immer weniger Verständnis aufbrachten und vermutlich sogar fürchteten, demnächst selbst deren Opfer zu werden. Als am 26. Juni die Österreicher in der Schlacht von Fleurus geschlagen wurden und damit die Gefahr einer Invasion Frankreichs endgültig gebannt war, gab es keine plausible Rechtfertigung mehr, die Schreckensherrschaft fortzusetzen. Das war jedenfalls die Erwartung in der Öffentlichkeit, deren Druck sich jetzt in Banquets patriotiques Luft machte, in Straßenfesten, die in Paris seit dem Eintreffen der Nachricht vom Sieg gefeiert wurden. Die Feste waren friedliche Demonstrationen, mit denen nicht nur dieser Sieg, sondern auch der sich damit abzeichnende Frieden und das Ende der Revolutionsregierung und der Terreur gefeiert wurden.

Diese Erwartungen blieben dem Wohlfahrtsausschuss natürlich nicht verborgen. Barère qualifizierte die Feste am 16. Juli im Konvent als eine neue Intrige der „Testamentsvollstrecker von Hébert und Chaumette“, als „eine verfrühte Amnestie, eine voreilige Proklamation des Friedens und eine gefährliche Vermischung von reinen Gefühlen und perfiden Absichten, von republikanischem Tun und gegenrevolutionären Prinzipien“. Auch wenn der Konvent kein förmliches Verbot dieser Banquets patriotiques verabschiedete, genügte schon der Hinweis Barères, die Versammlung überantworte „die Exekution dieses moralischen Dekrets an das Revolutionsgericht der öffentlichen Meinung“, um dem Treiben ein Ende zu machen. Die Botschaft war unmissverständlich: Die Revolutionsregierung zeigte sich entschlossen, das Schreckensregiment fortzusetzen.“

 

Das Ende

 

„An seiner Haltung ließ auch Robespierre keinen Zweifel. Als er nach sechs Wochen am 26. Juli 1794 wieder im Konvent erschien, entschloss er sich, sich einen Generalangriff zu wagen: „Sprechen wir es also aus. Es gibt eine Verschwörung gegen die öffentliche Freiheit; ihre Stärke verdankt sie einer kriminellen Vereinigung, die im Konvent selbst ihre Intrigen spinnt. Diese Vereinigung hat Komplizen im Comité de Sureté générale und in den Sektionen dieses Ausschusses, der von ihnen beherrscht wird. Die Feinde der Republik haben dieses Komitee in Opposition zum Wohlfahrtsausschuss gebracht und so zwei Regierungen geschaffen. Auch Mitglieder des Comité de Salut public sind an diesem Komplott beteiligt. Das Bündnis, das so geschaffen wurde, will die Patrioten und das Vaterland ins Verderben stürzen. Was kann man dagegen unternehmen? Es gilt, die Verräter zu bestrafen, den Comité de Sureté générale zu erneuern, dieses Komitee zu säubern und es dem Wohlfahrtsausschuss zu unterstellen, der seinerseits gesäubert werden muss, um so die Einheit der Regierung unter der obersten Autorität des Nationalkonvents herzustellen, der sowohl das Zentrum wie der Richter ist, und um derart alle Fraktionen mit dem Gewicht der nationalen Autorität zu zermalmen, auf deren Trümmern dann die Macht des Rechts und der Freiheit errichtet wird“ …

Trotz dieser Vorkehrungen mehrten sich sehr schnell die Anzeichen, dass es zur Machtprobe zwischen dem Konvent auf der einen und der Commune, den Nationalgarden und den Jakobinern, die zu Robespierre hielten, auf der anderen Seite kommen würde. In der Abendsitzung des Konvents vom 27. Juli wurde bekannt, dass sich Hanriot und die anderen Befehlshaber ihrer Verhaftung entzogen hatten. Außerdem habe zumindest ein Teil der Nationalgarden ihren Befehlen Folge geleistet, indem sie die verhafteten Abgeordneten befreit und ins Rathaus gebracht hätten, wo ihnen von den Mitgliedern der Commune versichert worden sei, man werde sie schützen und ihrer Sache zum Sieg verhelfen. In Übereinstimmung mit Robespierre, Couthon und Saint-Just bereite man den militärischen Widerstand vor und plane auch die Organisation einer Regierung, die den Aufstand leiten solle. Außerdem würden Anstalten getroffen, den Konvent sowie die Regierungskommissionen von der Außenwelt abzuriegeln und jede Kommunikation zwischen ihnen zu unterbinden. Emissäre seien unterwegs, um die Pariser Sektionen aufzufordern, sich dem Widerstand der Commune anzuschließen. Darauf antwortete der Konvent mit der Verabschiedung von drei Dekreten: Hanriot, der Pariser Bürgermeister und alle Mitglieder des Conseil général de la Commune, die sich dem Widerstand angeschlossen hatten, wurden für vogelfrei erklärt. Auf Antrag von Wohlfahrts- und Sicherheitsausschuss wurden auch die aus ihrer Inhaftierung befreiten Abgeordneten außerhalb des gesetzlichen Schutzes gestellt und die beiden Regierungskomitees angewiesen, die Belange der Commune interimistisch zu übernehmen. Schließlich wurde der Abgeordnete Barras vom Konvent mit dem Oberbefehl über die Nationalgarden betraut.

Die demonstrative Entschlossenheit, sich durch die Commune nicht einschüchtern zu lassen, zeigte Wirkung: Im Laufe des Abends wurden im Konvent Abordnungen von über 30 der 48 Pariser Sektionen vorstellig, die der Versammlung ihre unbedingte Loyalität versicherten. Damit war der Machtkampf, zu dem es am 28. Juli zwischen dem Konvent und der Commune kommen musste, am Abend zuvor bereits im Wesentlichen entschieden. Hanriot gelang es zwar, die Nationalgarden von 17 Sektionen für den Aufstand zu gewinnen, die sich am Morgen auf der Place de Grève vor dem Rathaus einfanden. Aber dieses Aufgebot war bei weitem zu schwach, um der von Barras kommandierten Übermacht der dem Konvent loyalen Truppen Widerstand leisten zu können. Als diese sich nach Mitternacht zum Sturm aufs Rathaus formierten, nachdem die letzten Nationalgarden, die zur Commune hielten, in der Nacht versickert waren, ergriff die Insurgenten Panik. Der gelähmte Couthon stürzte im Rollstuhl sitzend eine steinerne Treppe hinunter und verletzte sich am Kopf; Robespierres jüngerer Bruder sprang aus einem Fenster in die Tiefe und brach sich dabei die Hüfte; Robespierre selbst wollte sich erschießen; das misslang, und die Kugel zerschmetterte seinen Unterkiefer. In diesem Zustand wurde er im Rathaus angetroffen, als die Nationalgarden dort eindrangen.

Dem Schluss des Dramas, dem sich Robespierre, sein Bruder und Couthon durch Selbstmord entziehen wollten, hat Célestin Guillard de Floriban mit präziser Lakonie in seinem Tagebuch beschrieben: „Heute … wurden Robespierre und 21 Mitverschwörer dem Revolutionsgericht vorgeführt, das ihr Urteil lediglich bestätigte, denn, da sie vogelfrei waren, war ihnen der Prozess bereits gemacht worden. Es wurde beschlossen, sie auf der Place Henri IV, dem heutigen Place de la Révolution hinzurichten (die Guillotine, die auf der Place du Trone renversé aufgestellt war, musste also eigens deswegen hierher geschafft werden). Hierhin wurden sie überführt und auf ihrem Weg passierten sie die Rue St. Honoré. Überall wurden sie vom Volk beschimpft, das sich darüber empörte, wie sie es getäuscht hatten. Ihnen wurde gegen 7 Uhr abends der Kopf abgeschlagen“, Robespierre war der vorletzte, der an diesem Nachmittag starb; vor ihm kamen unter anderem sein jüngerer Bruder, Augustin Bon Joseph Robespierre, genannt „Bonbon“, Couthon, Saint-Just, Hanriot und Dumas, der Präsident des Revolutionsgerichts, an die Reihe. Einen Tag später folgten ihnen 71 Mitglieder des Conseil général de la Commune de Paris.“

 

Fehlende Unterstützung

 

„Der Sturz Robespierres war die Revolution des Konvents und nicht, wie die des 10. August 1792, eine der Commune de Paris. Die gehörte diesmal zu den Verlierern. Der Umsturz kam mit der Plötzlichkeit eines Sommergewitters. Alles entschied sich erst unter dessen Verlauf. Ausschlaggebend für den Ausgang war, dass die Sektionen, die Sansculotten ihrem Idol Robespierre nicht zu Hilfe eilten, sondern in Lethargie verharrten. Darin verriet sich der wachsende Überdruss an der Terreur, der bereits in den Banquets patriotiques zum Ausdruck gekommen war. Einen weiteren Anlass zum Stillhalten lieferten die Anfang der Woche verkündeten neuen Obergrenzen für Löhne, die ebenfalls den revolutionären Enthusiasmus lähmten. Den Rest besorgten in Windeseile sich in der Stadt verbreitende Gerüchte. Célestin Guittard de Floriban etwa notierte am 28. Juli im Tagebuch, der „Unbestechliche“ habe die Absicht gehabt, „sich in Lyon und den anderen Departements als König ausrufen zu lassen und die Tochter Capets (die Tochter Louis‘ XVI, die im Temple inhaftiert vegetierte) zu heiraten“.

Für die rasche Verbreitung dieser Absurdität sorgte der Mann, der sie erfunden hatte: Marc-Guillaume-Alexis Vadier, Mitglied des Comité de Sureté générale, der zum Kreis jener gehörte, die nach Robespierres Rede vom 26. Juli um ihr Leben zittern mussten. Der materielle Beweis, der jener Behauptung Substanz verlieh, war eine Siegelpetschaft mit den bourbonischen Lilien, die angeblich bei Robespierre gefunden wurde, als man ihn im Rathaus festnahm. Nachdem sie sofort dem Präsidenten des Konvents überbracht worden war, wurde sie von verschiedenen Deputierten als authentisch begutachtet. Dieses Beweisstück war eine Fälschung, die Robespierre von Agenten des Sicherheitsbüros bei seiner Festnahme untergeschoben wurde. Rund 20 Jahre später machte Vadier einigen Schicksalsgenossen, die sich mit ihm nach der Restauration der Bourbonen in Brüssel in das Los des Exils teilten, das Eingeständnis, er habe dieses Beweisstück fabriziert, weil er um seinen eigenen Kopf gefürchtet habe.

Gleichgültig ob Vadier die alleinige Urheberschaft für diesen Einfall hatte oder nicht: Er war genau auf die Naivität des peuple abgestellt, dem die Behauptung, Robespierre strebe nach einer Diktatur, vermutlich viel zu abstrakt und deshalb nichtssagend gewesen wäre. Mit der Monarchie verband der peuple hingegen eine sehr konkrete und von tiefer Abscheu geprägte Vorstellung, die für alle Leiden und Entbehrungen einstand, die durch die Revolution von ihm genommen worden waren. Barras, der möglicherweise an dieser Beweisfälschung beteiligt war, hat die mentale Disposition des peuple anschaulich beschrieben: „Ich glaubte kein Wort von diesen Anschuldigungen, aber sie beschäftigten die Gemüter. Auch wenn sie sich höchst unwahrscheinlich ausnahmen, war es vielleicht dennoch nicht unnütz, sie dem Volk hinzuwerfen, das Robespierre allein dann als Tyrannen begreifen konnte, wenn man ihn mit der alten Monarchie in Verbindung brachte, die für es das Einzige war, das in seinen Augen einen nachvollziehbaren Corpus delicti darstellte … Wie hätte der peuple auch sonst zu der Einsicht kommen können, dass ausgerechnet derjenige, der im tagtäglich schmeichelte, der ihm von der Souveränität des Volkes sprach, von seiner Freiheit und Gleichheit, der sich als deren Verteidiger darstellte und der in diesem Moment der Märtyrer seiner Überzeugungen zu sein schien, dass also ausgerechnet er einer war, den wir heute einen Feind der Freiheit, einen Unterdrücker und Tyrannen nennen?““

 

Danach

 

Eric Hobsbawm: „Die große Schwäche der Thermidorianer bestand darin, daß sie keine politische Stütze hatten, sondern nur geduldet wurden. Sie waren eingeklemmt zwischen die wiederauflebende aristokratische Reaktion und die Armen des Jakobinisch-Sansculottischen Paris, die bald den Fall von Robespierre zu bedauern begannen. 1795 arbeiteten die neuen Herrscher eine komplizierte Verfassung aus (die das Kräftegleichgewicht der verschiedenen Regierungsgewalten sorgfältig ausbalancierte), um sich gegen die Aristokratie und gegen die Armen zu sichern, und erhielten nur mit Mühe ihr Gleichgewicht durch periodisch wiederkehrende Rechts- und Linkswendungen. Immer mehr mußten sie sich auf die Armee verlassen, um die Opposition unter Druck zu halten. Das Direktorium ähnelte darin der vierten Republik, und beide wurden durch die Herrschaft eines Generals abgelöst. Aber die Thermidorianer brauchten die Armee auch noch für andere Dinge als nur zur Bekämpfung der wiederholten Staatsstreichversuche und Verschwörungen …

Für ein schwaches und unpopuläres Regime stellt die Passivität die einzige Garantie zur Erhaltung der eigenen Macht dar. Die Bourgeoisie aber wollte Initiative und Expansion. So war die Armee dazu bestimmt, das scheinbar unlösbare Problem zu lösen. Sie eroberte und erhielt sich finanziell selbst. Mehr noch - ihre Eroberungen und Raubzüge verschafften der Regierung die Mittel für ihr Weiterbestehen. Wen konnte es da überraschen, daß schließlich der begabteste und intelligenteste unter den Generalen, Napoleon Bonaparte, zum Schluß kam, die Armee könnte überhaupt auf die Existenz einer schwachen Regierung verzichten? Die revolutionäre Armee war das gewaltigste Kind der Jakobiner-Republik. Aus einer levée en masse aller Bürger verwandelte sie sich bald in ein Heer von Berufskriegern … Kaum eingezogene Rekruten lernten Kampftechnik und -moral von alten Kämpfern, eigentliche Kasernendisziplin und Drill gab es kaum; die Soldaten wurden als Menschen behandelt, und die absolut befolgte Regel des Aufstiegs durch eigene Verdienste (das heißt Tapferkeit in der Schlacht) führte zum Entstehen einer einfachen, auf dem persönlichen Mut begründeten Hierarchie. Dies und der hochmütige Glaube an ihre revolutionäre Mission machten die französische Armee unabhängig von den Mitteln, an die normalerweise die Streitkräfte eines Landes gebunden waren. Sie hatte auch kein leistungsfähiges Versorgungssystem und dies war auch nicht nötig, denn sie lebte vom Land.“

 

 

Ich bin Philanthrop, Demokrat und Atheist. Rupert Regenwurm

 

 

Das Böse verlachen

- Satire, Realsatire, ernst Gemeintes -

 

Simone Solga: Lügen haben deutsche Beine | Folge 125

https://www.youtube.com/watch?v=YX_LxHgLhvc

 

Die KRIMINALITÄT explodiert aktuell in Deutschland !!

https://www.youtube.com/watch?v=vCSYmSeUrAk

 

Ist der Rechtsruck in Europa eine Chance für Afrika ?

https://www.youtube.com/watch?v=k-TbtZDOjFg

 

HallMack  Aktuelle Kamera 66 - Neue Rentenformel entdeckt

https://www.frei3.de/post/495386e5-00fc-4e4c-8f28-b651b04de207

 

HallMack  Aktuelle Kamera 67 - Große Ehrung für A. Baerbock

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